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Nach zwei Jahren steht der globale Migrationspakts auf dem Prüfstand. Wir sprachen mit Katharina Stamm von der Diakonie Deutschland.
Bild: Katharina Stamm von privat
Bild: 10.12.2018, Marokko, Marrakesch: Aufsteller mit Silhouetten von Migranten stehen auf dem Gelände der UN-Konferenz zum Migrationspakt. Kanzlerin Merkel (CDU) hat den UN-Migrationspakt als Meilenstein in der internationalen Politik für den Umgang mit Migr von picture alliance/dpa | Michael Kappeler
2018 wurde der Globale Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration von den Vereinten Nationen angenommen. Der Pakt enthält 23 Ziele und einer Vielzahl an Maßnahmen. Dazu gehören unter anderem, dass die Ursachen irregulärer Migration gemindert, mehr reguläre Migration gefördert und Menschenschmuggel und –handel grenzüberschreitend bekämpft werden soll. Mit diesem umfassenden Ansatz soll eine sichere, geordnete und reguläre Migration erleichtert und die Rechte von Migrant_innen geschützt werden.
In den kommenden Monaten finden weltweit regionale Überprüfungsforen statt, auf denen Staaten über den Stand der Umsetzung des Globalen Migrationspakts beraten. Die Regierungen Europas und Nordamerikas treffen sich am 12. Und 13. November 2020. Die deutsche Bundesregierung hat einen Bericht zur Umsetzung eingereicht. Ein Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisationen und Verbänden, Praktiker_innen, Kirchen hat eine Stellungnahme zum Fortschritt der Umsetzung in Deutschland veröffentlicht. Wir sprachen mit Katharina Stamm, Referentin für Europäische Migrationspolitik am Zentrum Migration und Soziales der Diakonie Deutschland über die größten Baustellen der deutschen Migrationspolitik.
FES: Manche sehen in dem Globalen Migrationspakt einen zahnlosen Papiertiger, weil er keine rechtliche Verbindlichkeit für Staaten entfaltet. Andere schätzen ihn gerade deswegen, weil er, zwar unverbindlich, dafür aber sehr umfassend verschiedene Facetten menschlicher Mobilität umfasst. Welchen Nutzen hat der Migrationspakt aus Ihrer Sicht?
Katharina Stamm: Ich habe gerade an dem Stakeholdermeeting des Überprüfungsverfahrens teilgenommen. Es waren sehr viele Nichtregierungsorganisationen aus den UNECE-Ländern [1] dabei, von Kasachstan bis USA. Es zeigte sich: wir hier in Deutschland haben oft die nationale oder europäische Brille auf. Migration aus und nach Deutschland geht weit darüber hinaus. Deswegen müssen wir dieses Querschnittsthema in der großen Bandbreite auch global diskutieren. Und versuchen, möglichst gemeinsam als Stimme der Zivilgesellschaft Impulse zu setzen. Der sogenannte Gesamtgesellschaftsansatz ist, wie ich finde, eine zukunftsweisende Herangehensweise, alle relevanten Akteure und Stakeholder, also die thematisch Betroffenen, werden an einen Tisch geholt und können sich äußern. Die in UN-Instrumenten oft vorherrschende Staatenebene wird geöffnet. Ob es sich lohnt, dafür einen rechtlich nicht bindenden Pakt zu haben, wird sich zeigen.
Seit der Verabschiedung ist es sehr still um den Globalen Migrationspakts geworden. Die Umsetzung lief nur schleppend an. Auf einer Skala von 1 bis 10, wie zufrieden sind Sie mit dem Umsetzungstand in Deutschland?
Ich gebe eine neutrale 5.
Es kann sich noch in beide Richtungen entwickeln. Das Ganze befindet sich aus meiner Sicht noch in der Suchbewegung, was der Pakt für alle bringen kann. Ich bin allerdings sehr optimistisch, dass der Pakt nach dem holprigen Start aus der Defensive kommt und das Thema Migration global angegangen wird. Die Themen drängen ja immens.
In der Stellungnahme identifizieren Sie und andere Akteure viele reformbedürftige Bereiche der deutschen Migrationspolitik. Was sind die drei größten Baustellen?
Die Priorisierung fällt mir nicht leicht. Der Ausschluss von sozialen Rechten, die prekären Arbeitsbedingungen und die häufige Arbeitsausbeutung von mobilen Unionsbürger_innen in Deutschland wiegen schwer. Durch Corona sind die menschenunwürdigen Bedingungen in der Fleischindustrie ans Licht gekommen, das zieht sich allerdings auch durch viele andere Branchen. Die Opfer sind fast durchweg Migrant_innen. Es wird aber weggeschaut, da der Fiskus mitverdient und die Industrien mächtig sind.
Am aktuellsten sollte man auf die Fachkräfteeinwanderung achten, ein aus bekannten Gründen sehr dynamisches Feld. Es müssen zeitnah Standards definiert und eingehalten werden, dass nicht nur Deutschland profitiert, sondern der sog. Triple-Win-Effekt eintritt: der Migrant oder die Migrantin hat ausreichend Rechte und Qualifizierungschancen und der Herkunftsstaat leidet seinerseits nicht unter dem Mangel an Arbeitskräften.
Langfristig wird uns das Thema klimabedingte Migration ganz stark einholen, da muss dringend ein Schwerpunkt gesetzt werden, auch in anderen Foren wie zum Beispiel für die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs).
Diskriminierung und Rassismus abzuschaffen, ist eine weitere, große Gesellschaftsaufgabe. Dass sich Ausländerbehörden in Einwanderungsbehörden umbenennen, ist zu begrüßen, reicht aber nicht. Alles staatliche Handeln muss darauf ausgerichtet sein, Diskriminierung und Rassismus vorzubeugen und zu ahnden.
Was erwarten Sie von der deutschen Bundesregierung bezüglich der nächsten Schritte nach dem regionalen Überprüfungsforum?
Es wäre gut, wenn wir nun stärker in einen formalen Austausch treten können, auch wenn viele Gesprächsfäden bereits bestehen. Die Herausforderung besteht darin, dass sehr viele Ressorts involviert sind und von Seenotrettung bis Arbeitsrechte für Migrant_innen unterschiedliche Expertise nötig ist. 2022 findet bereits der internationale Review Prozess statt. Hier sollte das neue Migrationsnetzwerk der Vereinten Nationen eine gute Arbeitsstruktur entwickeln.
Wo wir - selbstkritisch bemerkt - noch besser werden müssen, ist die Einbeziehung der Perspektive der Migrant_innen selbst. Sei es, dass wir als Organisationen diverser werden oder die Advocacy-Arbeit der Selbstorganisationen noch stärker unterstützt wird.
[1] Die Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) ist eine von fünf Regional-Kommissionen des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen, deren Hauptziel es ist, pan-europäische wirtschaftliche Integration zu fördern. Ihr gehören insgesamt 57 Länder an, inklusive USA, Kanada, Russland, Israel und Türkei.
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