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Politische Akademie

Die Rolle der CO2-Preise in der europäischen Energiewende

von Barbara Praetorius



Am 18.5.2020 erklärten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron im Rahmen ihrer „deutsch-französischen Initiative zur wirtschaftlichen Erholung Europas nach der Corona-Krise”, den Green Deal und die „Modernisierung der europäischen Volkswirtschaften und ihrer Geschäftsmodelle” vorantreiben zu wollen. Das EU-Emissionsziel für 2030 soll erhöht, ein CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) und eine CO2-Mindestbepreisung im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS) eingeführt werden. Dieser Wandel zumindest in der Rhetorik ist bemerkenswert, weil damit die zwei bisher geltenden Antipoden aufgehoben sind: Klimaschutz als Bedrohung des Wirtschaftsstandorts.  

CO2-Preise spielen in Europa schon länger und zunehmend eine wichtige, wenn auch ambivalente Rolle. Für 2021 ist nun, neben der Novellen der Energiebesteuerung, sowie des Emissionshandels auch die Einführung eines CBAM konkret angekündigt. Flankiert werden die ökonomischen Anreize durch die Vorschriften der Ökodesign-Richtlinie oder durch CO2-Grenzwerte für Automobile. Die Lage ist allerdings komplex, und in diesem Beitrag soll geklärt werden, welche Rolle CO2-Preise prinzipiell haben können und welche Landmarken mit den Reformen im „European des Green Deal” angepeilt werden.  

Leitplanken einer klugen CO2-Bepreisung 

CO2-Preise werden nicht auf der „grünen Wiese” eingeführt, sondern im Kontext der bestehenden Systeme der Preise, steuerlichen und sonstigen klimapolitischen Komponenten und unter Beachtung der Sozialverträglichkeit und Wirtschaftsverträglichkeit im Sinne fairer Bedingungen im internationalen Wettbewerb. Ziel ist es, ein politisch durchsetzbares, wirksames klimapolitisches Instrumentenpaket mit CO2-Preisen zu gestalten und sich nicht allein auf theoretisch optimale CO2-Preise zu fokussieren. Handlungsleitende Orientierungsmarken können dabei die nachfolgenden Überlegungen zu den drei Säulen der Nachhaltigkeit sein:  

  1. Klimaschutzwirksamkeit: Das entscheidende Kriterium für ein taugliches Instrumentenpaket ist immer die ausreichende und rechtzeitige klimaschützende Wirkung. CO2-Preise wirken kurzfristig auf die täglichen Verbrauchsentscheidungen, aber erst mittel- und langfristig auf Investitionsentscheidungen und das Technologieangebot. Bis das „richtige” Preisschild für die Klimafolgekosten bestimmt ist, dies in Form einer CO2-Bepreisung in Kraft gesetzt wurde und die technologischen und verhaltensseitigen Reaktionen stattgefunden haben, vergeht viel Zeit – in der Klimakrise ein knappes Gut. Daher ist die technologische und ordnungsrechtliche Flankierung des Preissignals essenziell.

  2. Sozialverträgliche Gestaltung des Systems mit CO2-Preisen: Über die genannten Mechanismen kann aber auch sozial flankierend eingegriffen werden. Vordergründig geht es dabei um „bezahlbare” Energie und eine Kompensation für unzumutbare Härten, vor allem aber geht es um Möglichkeiten der Verbraucher_innen, überhaupt auf Preisanreize reagieren zu können. Dazu müssen energiesparende Geräte und Elektroautos verfügbar und bezahlbar sein und verlässliche Verbraucherinformationen vorliegen. Die Ökodesign-Richtlinie (2009) ist hier ein ganz entscheidendes Instrument, denn sie setzt Standards für den Energieverbrauch von Haushaltstechniken, die über die Zeit verschärft werden. Auch sieht die EU mit dem Energielabel normierte Informationspflichten der Hersteller_innen vor. Beide helfen beim Energiesparen im Haushalt selbst, während qualifizierte Energieberater_innen (deren Beauftragung vielerorts finanziell gefördert wird) beim energetischen Modernisieren von Wohneigentum und Heizungsanlagen helfen können. Eine vernünftige soziale Rationalität bei der Konzeption von CO2-Preisen besteht deshalb darin, mehrere Aspekte kombiniert zu betrachten. Dabei geht es auch um den kurzfristigen Schutz der sozial Benachteiligten im Sinne eines Abfederns unbilliger Härten. Allerdings sollte beachtet werden, wo wirklich Härten bestehen. Hohe Strompreise wirken aber eindeutig regressiv, da der Stromverbrauch auch bei niedrigen Einkommen nur unwesentlich niedriger ist als bei höheren. Die Stromsteuer sollte in Deutschland deshalb auf das europarechtlich geforderte Minimum gesenkt, in der Tendenz europaweit abgeschafft und Ausnahmeregelungen für die Industrie nicht auf die Verbraucherpreise gewälzt werden.

  3. Wirtschaftsverträglichkeit und Innovationswirksamkeit: Hier geht es einerseits um den Ausgleich von möglichen Nachteilen für die europäische Industrie gegenüber dem Nicht-EU-Ausland, wenn CO2-Preise einseitig eingeführt werden. Wirtschaftsverträglichkeit heißt zugleich: langfristige Standortsicherung und klare Leitplanken für die künftige Ausrichtung der Wirtschaft. Denn die deutsche Industrie, aber auch die europäische insgesamt, kann bei entsprechender Gestaltung des Systems mit CO2-Preisen in der Energiewende von ihrer Position der internationalen Technologieführerschaft profitieren. Wesentliche Neuentwicklungen gerade auch im Bereich der „Sauberen Technologien” sind in Deutschland zur technischen und wirtschaftlichen Reife entwickelt worden. Dazu zählen die erneuerbaren Energien, aber auch die industrielle Anlagenindustrie, deren Innovationen effizienz- und qualitätsgetrieben sind. Zurzeit werden energieintensive Unternehmen in Deutschland mehrfach von möglichen Gefahren durch Emissionshandel und Ökosteuern entlastet. Die Strompreiskompensation, die überwiegend kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten und der Spitzenausgleich lassen die Anreize aus diesen CO2-Preisen gegen null gehen. Angesichts dieser Tendenz der Politik, die Wirtschaft am liebsten komplett zu verschonen, beeindrucken in letzter Zeit die Initiativen letzterer für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien (weil sie günstigeren und zugleich „grünen” Strom versprechen) und für klare Ziele wie Maßnahmenpakete zum Klimaschutz. Die Industrie hat offenbar erkannt, dass sie nur dann zukunftsfähig ist, wenn sie klimapolitisch nicht einfach „verschont” wird, sondern gefordert und gefördert. Da es häufig um knappe Margen geht, die den Anreiz zur Effizienzverbesserung und damit zu Innovationen geben, sollte auf preisliche Anreize hier auch nicht verzichtet werden.  

Flankierung der CO2-Preise auf europäischer Ebene 

Daher muss das Thema des Carbon-Leakage-Schutzes, also die Vermeidung von Produktionsverlagerungen und damit von CO2-Emissionen in Länder mit geringeren Klimaschutzanforderungen, an den Außengrenzen des Binnenmarktes ernst genommen werden, gerade vor dem Hintergrund der Verschärfung des EU-Klimaschutzziels für 2030 auf minus 55 Prozent gegenüber 1990. Dies erfordert auch eine schnellere Reduktion der maximalen Emissionsmengen in der 4. Handelsperiode des EU-ETS (2021–2030). Das wird höchstwahrscheinlich zu höheren CO2-Preisen führen. Deshalb hat die EU-Kommission schon im März 2020 grundlegende Überlegungen zu einem Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) vorgelegt und im Juli 2020 die erwähnte Konsultation gestartet. Da es sehr aufwändig wäre, den CO2-Gehalt von Importen verschiedenster Produkte aus diversen Unternehmen in einer großen Zahl von Ländern präzise zu ermitteln, sind hier kluge Lösungen erforderlich. Um mit den Bestimmungen der WTO zu harmonieren, müssten dabei Importeure und inländische Unternehmen gleichbehandelt werden, und die Regelungen müssen administrativ handhabbar sein. Diskutiert wird der Grenzausgleich aber schon seit über zehn Jahren, sodass eine Reihe von Vorschlägen vorliegt. Voraussichtlich wird man den CBAM zunächst nur für besonders gefährdete (energieintensive) Sektoren wie Stahl oder Chemie einführen. Im Gegenzug und zur Vermeidung der Doppelbegünstigung müssten dabei die anderen, eher intransparenten Ausnahmeregelungen überprüft und möglichst durch den CBAM ersetzt werden. Die EU-Kommission hat 2020 mit der Reduktion der Carbon-Leakage-Liste auf 10 statt 13 Sektoren sowie der geringeren Höhe der Kompensation einen Schritt in diese Richtung getan.  

Eine weitere Fördermöglichkeit mit innovativer Wirkung könnten gezielte Innovationsanreize wie zum Beispiel Carbon Contracts for Difference (CCfD) sein, also Differenzverträge, mit denen letztlich die investiven Mehrkosten ausgeglichen werden sollen. Diese Zuschüsse für z. B. den Einsatz von grünem Wasserstoff in der Stahlindustrie sind u. a. von Agora Energiewende mit industriellen Akteuren vorgeschlagen worden. Auch in der deutschen Wasserstoffstrategie und in den jüngsten Initiativen des Bundeswirtschaftsministers werden CCfD als Option genannt. Allerdings ist die Ausgestaltung bislang noch unklar. Im Grundsatz soll ein solcher CCfD die Unternehmen gegen steigende CO2-Preise absichern (durch staatliche Mittel), wenn sie in CO2-Vermeidung investieren. Viele der Variablen in dieser Gleichung müssen noch konkretisiert werden – die Höhe des Ausgleichs, der Umfang der erforderlichen Klimaschutzgegenleistung und auch die Frage, wie diese Umrüstung zum Beispiel in der Stahlindustrie finanziell unterstützt werden soll und darf.  

Hemmnisse für die Sektorintegration  

Die Novelle der Energiesteuerrichtlinie kann auch wichtige Impulse für die elektrische Sektorkopplung der Strom-, Verkehrs- und Wärmeversorgung setzen. Denn grüner Strom spielt für den Klimaschutz im Verkehr (Elektromobilität) und im Wärmesektor (Wärmepumpen) eine wachsende Rolle. In Deutschland ist das teuer, denn die Kosten der Erneuerbaren und des Netzausbaus machen den Strom teurer, während fossile Brennstoffe von solchen Energiewendeabgaben freigehalten wurden. Im Ergebnis ist Strom teurer geworden, fossile Energien hingegen kosten heute in etwa so viel wie 2008. Das behindert die Sektorkopplung und verursacht soziale Probleme. Denn die EEG-Umlage kommt einer Verbrauchsteuer gleich, deren Verteilungswirkungen regressiv sind, das heißt, niedrige Einkommensklassen werden relativ mehr belastet als höhere. Mit den Einnahmen aus dem Brennstoffemissionshandel soll die EEG-Umlage zwar gedeckelt werden. Ein systematischer Ansatz fehlt aber weiterhin; die grundsätzliche Baustelle der widerspruchsfreien Preisgestaltung wurde gar nicht adressiert.  

Fazit 

Eine erfolgreiche europäische Klimapolitik ist ohne ein wirksames und verlässliches CO2-Preissignal nicht denkbar, denn dies schafft einen wirtschaftlichen Anreiz für die Verursacher_innen, die Folgekosten klimaschädlichen Verhaltens künftig zu vermeiden. CO2-Preise sind deshalb notwendig, aber zugleich nicht hinreichend für rechtzeitigen Klimaschutz und als Anreiz für schnelle technologische Innovationen.  

Die wirtschaftliche Erholung von der Corona-Krise fällt zusammen mit der Phase der Konkretisierung des Green Deal und der Verschärfung der europäischen Klimaziele für 2030. Das eröffnet Optionen für klimafreundliche Investitionen. Die anstehende Reform von Energiesteuerrichtlinie und europäischem Emissionshandel sind Gelegenheiten, die Preissignale zu schärfen. Die Einnahmen können zur Flankierung der sozialen und wirtschaftlichen Nebenwirkungen sowie für Investitionen in grüne Technologien und die Entwicklung von Wasserstoff genutzt werden. Dabei gilt: Die soziale Einbettung der Klimapolitik und eine gemeinsame gesellschaftliche, positive Vision der Energiewende sind für die erfolgreiche Umsetzung klimapolitischer Maßnahmen von entscheidender Bedeutung. Dies sollte handlungsleitend für alle politischen Entscheidungen sein.  

Auch ein Mindestpreis im Emissionshandel, wie er von Merkel und Macron vorgeschlagen wird, sollte nun entsprechend umgesetzt werden, denn er erhöht die Planungssicherheit für Wirtschaft und Staat. Der Mindestpreis sollte im Zeitverlauf stetig steigen, um Preisvolatilitäten zu puffern. Nach außen ist ein einheitlicher europäischer Grenzausgleichsmechanismus zum Schutz der im internationalen Wettbewerb stehenden energieintensiven Branchen notwendig und gegenüber der bestehenden Vielzahl von intransparenten Ausgleichsregeln zu bevorzugen. CCfD können Innovationen zusätzlich anregen, müssen aber auch mit dem Grenzausgleichsmechanismus abgestimmt werden. 
 


Über die Autorin

Prof. Dr. Barbara Praetorius ist Professorin für Nachhaltigkeit, Umwelt- und Energieökonomie und -politik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin.


Bei dem Beitrag handelt es sich um eine gekürzte Vorabveröffentlichung. Die im Beitrag zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.

 

 


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