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Politische Akademie

Mutterseelenallein im Kreißsaal?

Geburtshilfe und -begleitung in Zeiten von Corona. Ein Beitrag von Teresa Bücker.

Bild: pregnant woman lying on the sofa von Dexter Chatuluka lizenziert unter CC0

Jeden Tag werden in Deutschland im Schnitt über 2.000 Kinder geboren. Mehrere zehntausend Leben beginnen, während die Welt zum einen stillsteht und zum anderen zu rasen scheint. Schwangere und frische Eltern sind eine besonders vulnerable Gruppe und stehen gerade deswegen unter einem besonderen Schutz – zumindest bei arbeitsrechtlichen Regelungen. Die Coronakrise bedeutet für sie gerade jedoch besonders viele Sorgen. Zwar legen erste medizinische Erkenntnisse nahe, dass sowohl Schwangere als auch Neugeborene kein erhöhtes gesundheitliches Risiko haben, sollten sie an COVID-19 erkranken – doch eine Garantie gibt es nicht. Wer hochschwanger oder im Wochenbett nun zudem selbst weitere Kinder betreut, da sie nicht in die Kita oder in die Schule können, hat keinen ruhigen Mutterschutz, sondern körperliche und mentale Belastungen, die man ernst nehmen muss. 

Zudem kommt aktuell ein weiterer Aspekt dazu, der Angst macht: Einige Kliniken in Deutschland und ebenso in anderen Ländern haben begonnen, keine Begleitpersonen mehr mit zur Geburt zu lassen. Gebärende sollen allein in den Kreißsaal, allein die schmerzhaften Wehen veratmen, allein einen Kaiserschnitt bekommen. Die Sorge in den Kliniken, dass jede zusätzliche Person ein weiteres Infektionsrisiko bedeutet, ist zum einen nachvollziehbar, doch sie erscheint auch überhastet. Denn bei gemeinsam lebenden Personen ist es wahrscheinlich, dass im Falle dessen, dass die Schwangere infiziert ist, ihr_e Partner_in es ebenso ist. Doch wo es aktuell an Schutzkleidung für medizinisches Personal mangelt, ist erst recht für Begleitpersonen keines übrig. Doch eine gute gesundheitliche Versorgung im Kreißsaal bedeutet für viele Menschen eben auch, dass eine vertraute Person die Gebärende begleiten kann. Der psychische Stress, der mit einer erzwungenen Trennung ausgelöst werden kann, beeinflusst den Geburtsverlauf möglicherweise negativ. Sowohl Gynäkologische Fachgesellschaften als auch die Weltgesundheitsorganisation empfehlen ausdrücklich, Begleitpersonen bei Geburten weiterhin zuzulassen.

Betreuungsmangel auch vor Corona

Hebammen und Elterninitiativen fordern schon lange von der Gesundheitspolitik, eine 1:1-Betreuung durch Hebammen in Kliniken gesetzlich zu verankern, da dies nachweislich zu besseren Geburtserlebnissen führt und es Ziel einer guten Geburtshilfe sein sollte, Gebärende umfassend zu betreuen und Traumata vorzubeugen. Von dieser Versorgung sind die meisten Geburtskliniken jedoch meilenweit entfernt. „Ein großes Sicherheitsrisiko besteht in dem bestehenden Personalmangel“, heißt es in einem Gutachten zur Vermeidung von Geburtsschäden, das für das Gesundheitsministerium 2018 erstellt wurde. Keine Klinik kann seriös behaupten, dass eine Gebärende unter der Geburt kontinuierlich durch eine Hebamme betreut wird. Stattdessen ist die Situation besorgniserregend: In den letzten Jahren haben viele kleinere Geburtsstationen und Geburtshäuser schließen müssen. Zahlreiche Hebammen haben ihren Beruf verlassen, weil sie in anderen Tätigkeiten besser verdienen konnten oder die Arbeitsbedingungen in Kliniken nicht mehr zu ihrem Berufsethos passten. Kreißsäle sind mit so wenig Personal besetzt, dass eine Hebamme im Schnitt drei Geburten gleichzeitig betreut, oft sogar mehr, wie zuletzt ein Gutachten für das Bundesgesundheitsministerium erhoben hat. Viele Schwangere finden weder eine freie Hebamme zur Vorsorge noch zur Nachsorge im Wochenbett, obwohl das Sozialgesetzbuch diese Betreuung garantiert.

Aus diesem Grund sind Begleitpersonen schon unter normalen Umständen essentiell. Verbietet man Begleitpersonen in Kreißsälen, ist es ein wahrscheinliches Szenario, dass Gebärende über viele Stunden mutterseelenallein sein werden. Drohende medizinische Komplikationen, die ansonsten eventuell von Partner_innen erkannt werden könnten, die das Klinikpersonal informieren, werden mit der aktuellen Personalsituation in Geburtskliniken möglicherweise zu spät erkannt. Das Risiko für Traumata wird ohne Begleitpersonen nicht nur für gesunde Gebärende erhöht, besonders Schwangere mit psychischen Vorbelastungen sind ohne vertraute Begleitung gefährdet. Und solche, die sich z.B. aufgrund von Sprachbarrieren oder Behinderungen nicht selbstständig mit dem Klinikpersonal verständigen können, wie geflüchtete Frauen, werden mit dem Verbot von Begleitpersonen in die Hilflosigkeit gedrängt.

Geburtshilfe ist kein Rand- sondern Zukunftsthema

Ohne Zweifel werden Klinikhebammen und Ärzt_innen auf den Geburtsstationen in den nächsten Wochen und Monaten weiterhin ihr Bestes geben, um sichere und positive Geburtserlebnisse zu ermöglichen. Doch auch sie können nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten handeln. Verschärft sich der Personalmangel auf Geburtsstationen verschlechtern sich sowohl Versorgungssituation als auch die Arbeitsbedingungen, die Hebammen schon lange beklagen. 

Zur Berichterstattung zu Geburten während der Corona-Krise, häuften sich kühle Kommentare, die Schwangeren nahelegten, sich in schwierigen Zeiten damit abfinden zu sollen, dass eben auch Geburten anders verlaufen würden. Sie sollten nicht jammern, seien verweichlicht, wenn sie sich eine schöne Geburt wünschten. In dieser Haltung spiegelt sich die Frauenfeindlichkeit unserer Gesellschaft, die sowohl die Bedürfnisse von Frauen marginalisiert als auch den Beginn eines neuen Menschenlebens und einer neuen Familie geringschätzt. Gleiches muss daher auch für eine Gesundheitspolitik attestiert werden, die die Geburtshilfe kaputtspart und kein Interesse daran hat, dass zu einem hervorragenden Gesundheitssystem, für das sich in Deutschland gern gerühmt wird, eben auch eine hervorragende Geburtshilfe zählen muss, die sich an mehr misst als an einer geringen Säuglings- und Müttersterblichkeit – denn diese Kennzahl kann die Komplexität von Geburten und ihre Bedeutung für die psychosoziale Stabilität einer Familie nicht fassen. Dass Gebärende weder körperliche noch psychische Schäden erleiden, muss Aufgabe von Gesundheitspolitik sein – sowohl in der Coronakrise als auch darüber hinaus.

 

Autorin:

Teresa Bücker ist Journalistin, Moderatorin und Speakerin zu gesellschaftspolitischen Fragen der Gegenwart und Zukunft. In den vergangenen Jahren war sie Chefredakteurin bei EDITION F, Ressortleiterin Community und Social Media der Wochenzeitung der Freitag und Referentin für Digitale Strategie des SPD-Parteivorstands. Seit November 2019 schreibt sie für das Süddeutsche Zeitung Magazin Online die wöchentliche Kolumne Freie Radikale – die Ideenkolumne. 

 


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