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Politische Akademie

„Gemeinsames Drängen und großzügige Finanzmittel dürften helfen“

Wie wird die Entwicklung in Afghanistan im Nachbarland Pakistan wahrgenommen? FES-Büro-Leiter Jochen Hippler gibt Einblick im Interview.



FES: Wie werden die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan in der pakistanischen Politik und in den Medien kommentiert und eingeschätzt?

Der Sieg der Taliban wird in Pakistan als sehr widersprüchlich wahrgenommen: In der politischen Elite herrscht eine Mischung von stiller Genugtuung, auf das richtige Pferd gesetzt zu haben, und beträchtlicher Sorge, ob Instabilität in Afghanistan zukünftig negative Folgen für Pakistan haben könnte. Bei den gebildeten, städtischen Mittelschichten herrscht überwiegend Ablehnung und Sorge. Interessant ist vor allem die Reaktion der religiösen Parteien JUI (Jamiat Ulema-e-Islam) und JI (Jaamat-e-Islami). Diese haben den Sieg der Taliban begrüßt, fordern sie aber immer wieder nachdrücklich auf, ihre jüngsten Versprechen einzuhalten und auf Rache und Gewalt zu verzichten.

Insgesamt herrscht Besorgnis vor, selbst – soweit erkennbar – im Militär. Die Zahlen der Todesopfer durch politische Gewalt in Pakistan, einschließlich der Gewalt durch Militäroperationen, sind von über 11.000 im Jahr 2009 auf unter 400 Personen im letzten Jahr gesunken. Eine zukünftige Instabilität in Afghanistan ist deshalb nicht erwünscht, da man eine Wiederzunahme von Gewalt in Pakistan unbedingt vermeiden möchte. Schließlich weisen Beobachter darauf hin, dass Pakistan (vor allem über seinen Militärgeheimdienst ISI) zwar manche Teile der Taliban beeinflussen, aber die Bewegung nicht kontrollieren kann. So bestehen gute Kontakte zum Haqqani-Netzwerk, zum Teil auch zu manchen Gruppen der Quetta-Shura, aber keine Kontrolle über sie. Andere Gruppen der Taliban operieren völlig unabhängig von Pakistan.

Laut des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen beherbergt Pakistan bereits 1,4 Millionen afghanische Flüchtlinge. Wie lassen sich ihre Lebensbedingungen beschreiben? 

Früher, in der Zeit der sowjetischen Besetzung Afghanistans bis 1989, lebten bis zu 5 Millionen afghanische Geflüchtete in Pakistan – teilweise in ärmlichen Flüchtlingslagern, teilweise – vor allem – als Bauarbeiter und Lastwagenfahrer, aber auch als Ladenbesitzer oder Geschäftsleute. In den letzten Jahren ist die Zahl der Afghan_innen, Geflüchteten wie auch aus anderen Gründen migrierten, deutlich gesunken. Zum Teil liegt dies an einem Drängen der pakistanischen Regierung auf Rückkehr der Flüchtlinge, zum Teil auch daran, dass sich die früher sehr gastfreundliche Stimmung in Pakistan gegenüber Afghan_innen inzwischen in Skepsis und Ablehnung verkehrt hat. Häufig wurden „die Afghanen“ für die Gewalt in Pakistan verantwortlich gemacht, auch wenn sie selten darin verwickelt waren.

Pakistan hat kürzlich den Bau eines Grenzzauns zur afghanischen Grenze weitgehend abgeschlossen. Welche Möglichkeiten gibt es für Flüchtende aus Afghanistan überhaupt noch, nach Pakistan zu gelangen? 

Angesichts der neuen Lage in Kabul und der Unsicherheit, wie eine neue Taliban-Regierung mit Migration und Flucht umgehen wird, ist dies schwer vorauszusagen. Es gibt nach wie vor zwei große Grenzübergänge, die gerade wieder geöffnet worden sind. Gegenwärtig hat das pakistanische Militär die „grüne Grenze“ weitgehend abgeriegelt, aber es ist unklar, wie lange der Willen und die Möglichkeit dazu besteht, dies so aufrecht zu erhalten. Traditionell bestehen in der Grenzregion wirksame Schmugglernetzwerke, die auch zu Menschenschmuggel und Fluchthilfe bereit sind, wenn der Preis stimmt. Diese Möglichkeit dürfte aber – sobald wieder möglich – eher für die afghanischen Mittelschichten eine realistische Option sein, da die ärmere Bevölkerung kaum über die notwendigen Finanzmittel verfügt.

Eine Lehre aus der Flüchtlingsbewegung nach Europa 2015 lautet, dass die Erstaufnahmeländer wie Libanon oder die Türkei damals nicht ausreichend humanitär unterstützt wurden. Die Bundesregierung hat jetzt 100 Millionen Euro Soforthilfe zur Unterstützung der humanitären Hilfe in den Nachbarländern Afghanistans zugesagt. Was gilt es Ihrer Einschätzung nach zu beachten, damit dieses Geld in Pakistan tatsächlich auch bei den afghanischen Geflüchteten ankommt?

Zuerst einmal gilt es, nicht allein die potentiellen Flüchtenden zu unterstützen, sondern auch die sie aufnehmenden Gemeinden – sonst käme es zu einer Stärkung der anti-afghanischen Stimmung. Hier bestehen bereits langjährige Erfahrungen, auf die man zurückgreifen sollte. Das UNHCR geführte RAHA Program (Refugee Affected and Hosting Areas Program), das von deutscher Seite mit über 10 Millionen Dollar gefördert wurde, stellt ein Beispiel dar. Dann wird die Notwendigkeit der „politischen Landschaftspflege“ es auch erfordern, der pakistanischen Regierung wie auch den beiden besonders betroffenen Provinzregierungen an der Grenze zu Afghanistan Gelder für Flüchtlingsarbeit zur Verfügung zu stellen, um deren Widerwillen gegen die Aufnahme neuer Flüchtlinge einzudämmen. Beides sind allerdings indirekte Unterstützungen, die ergänzt werden sollten, indem über Entwicklungsorganisationen und NGOs die Flüchtlinge in und außerhalb der Lager direkt versorgt werden.

Um diese Schritte zeitnah einleiten zu können, braucht es einen politischen Rahmen und belastbare Beziehungen. Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten Deutschlands, der EU oder auch multilateraler Akteure ein, die Problematik zunehmender Flucht aus Afghanistan mit der pakistanischen Regierung konstruktiv anzugehen? 

Das hängt zuerst einmal von der weiteren Entwicklung in Afghanistan ab. Sollte sich die Fluchtbewegung in Grenzen halten oder im Wesentlichen aus städtischen Mittelschichtlern bestehen, dürfte es keine größeren Probleme geben. Sollte es aber zu einer breiten Fluchtbewegung mit Millionen von Flüchtlingen kommen, dann wird die pakistanische Regierung aus politischen und ökonomischen Gründen sehr zurückhaltend sein. Solch eine Entwicklung ist aber noch nicht erkennbar. Gemeinsames Drängen der internationalen Gemeinschaft im Tandem mit großzügiger Finanzhilfe dürfte aber in der Lange sein, diesen Widerstand teilweise aufzuweichen.

 

Dr. Jochen Hippler

leitet seit 2019 das FES-Büro Pakistan mit Sitz in Islamabad. Er ist Politikwissenschaftler und Friedensforscher und hat vielfach zu Pakistan und Afghanistan publiziert.


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