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Von einer »Spaltung der Gesellschaft« ist immer häufiger die Rede. Auch in der Alltagswahrnehmung vieler Menschen stehen sich zunehmend unversöhnliche Lager gegenüber. So plausibel sie klingen mögen, werfen entsprechende Diagnosen doch Fragen auf: Wie weit liegen die Meinungen in der Bevölkerung wirklich auseinander? Und ist die Gesellschaft heute wirklich zerstrittener als zur Zeit der Studentenproteste oder in den frühen Neunzigern? Nicht zuletzt weil man eine Spaltung auch herbeireden kann, tut mehr Klarheit not. Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser kartieren aufwendig die Einstellungen in vier Arenen der Ungleichheit: Armut und Reichtum; Migration; Diversität und Gender; Klimaschutz. Bei vielen großen Fragen, so der überraschende Befund, herrscht einigermaßen Konsens. Werden jedoch bestimmte Triggerpunkte berührt, verschärft sich schlagartig die Debatte: Gleichstellung ja, aber bitte keine »Gendersprache«! Umweltschutz ja, aber wer trägt die Kosten? Eine 360-Grad-Vermessung der Konflikte um alte und neue Ungleichheiten, die eine unverzichtbare Diskussionsgrundlage bietet und viele Mythen entzaubert.
(Aus dem Klappentext)
Steffen Mau, Thomas Lux, Linus Westheuser
Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft
edition suhrkamp, Berlin 2023, 540 Seiten, 25 €
Pressemitteilung
Buchessenz zum Preisbuch
Das Buch auf der Seite des Suhrkamp-Verlags
Die Preisverleihung findet am 14. Mai 2024 in Berlin statt.
Anmeldung zur Preisverleihung
Steffen Mau, geboren 1968, ist Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein Buch Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft stand auf Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste von ZDF, Zeit und Deutschlandfunk Kultur. 2021 erhielt er den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Thomas Lux, geboren 1979, lehrt am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschung zur politischen Soziologie der Ungleichheit wurde unter anderem mit dem Preis der Fritz Thyssen Stiftung ausgezeichnet.
Linus Westheuser, geboren 1989, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin und forscht zu politischen Konfliktstrukturen, Klassen und Moral.
Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser beschreiben ein sehr anschauliches und aufschlussreiches Bild der gegenwärtigen Gesellschaft, das auf der Grundlage von Fokusgruppen sowie einer repräsentativen Umfrage alle aktuellen großen Debatten behandelt. Unter verschiedenen Fragestellungen arbeiten die Autoren in ihrer detaillierten Studie heraus, dass „das häufig gezeichnete Bild einer gespaltenen Gesellschaft“ nicht zutrifft. Statt einer Frontstellung zweier gesellschaftlicher Großgruppen oder einer gerade gezogenen Spaltungslinie verweisen die Befunde auf eine zerklüftete Konfliktlandschaft mit unterschiedlich verlaufenden Gräben, gleichzeitig aber auch auf einen vorhandenen Grundkonsens in der Mitte der Gesellschaft. Mau et alii zeichnen anhand von vier zentralen Ungleichheitsarenen Konfliktlinien und den Grad ihrer sozialstrukturellen Verankerung nach: Oben-Unten (Sozioökonomie), Innen-Außen (Nationenzugehörigkeit), Wir-Sie (Identitätsdebatte), Heute-Morgen (Klimadiskussion). Dabei konstatieren sie eine starke Politisierung der gesellschaftlichen Ränder sowie insbesondere bei bestimmten politischen Themen eine ausgeprägte Emotionalisierung der Debatten. Die Autoren benennen Triggerpunkte, die sie als Bruchstellen öffentlicher Kontroversen und Debatten beschreiben, an denen sich Konflikte plötzlich und sehr drastisch intensivieren: bei dem Gefühl von Ungleichheitsbehandlungen, Normalitätsverstößen, Entgrenzungsbefürchtungen und bei Verhaltenszumutungen.
Was folgt nun laut der Autoren aus dieser Analyse? Ohne die Bereitschaft zu Kompromissen wird sich keiner dieser Konflikte beilegen lassen – der Spielraum für gesellschaftliche Verständigung ist vorhanden und muss genutzt werden. Dabei werden alle gesellschaftlichen Akteure gleichermaßen in die Pflicht genommen: die politischen Parteien, Medien, Kommunen und die Zivilgesellschaft.
Wer die Muster hinter der erhitzten Auseinandersetzung um Reizthemen verstehen will und auf der Suche nach Ansatzpunkten für eine Politik des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist, wird in diesem Buch fündig werden. Ohne die aktuellen Gefahren für unsere Demokratie zu verharmlosen, macht das Buch in seiner Differenziertheit Mut. Zugleich appelliert es an unser aller Verantwortung. Ein großer Wurf!
Golineh Atai war fünf Jahre alt, als sie mit ihren Eltern den Iran verließ – aber das Land und seine Entwicklung haben sie immer beschäftigt; der Iran ist ihr Herzensthema. Wie der Gottesstaat der Mullahs seit mehr als vierzig Jahren das Land im Griff hält und jede demokratische Regung erstickt, zeigt sie in ihrem Buch, das den Iran auf ganz besondere Weise porträtiert: aus dem Blickwinkel von neun Frauen. Dabei erzählt Atai, wie aus der Tochter eines Geistlichen, die um ihr Recht auf Schulbildung kämpfen musste, eine international bekannte Aktivistin wurde. Oder wie eine junge, regierungsnahe Angestellte mitten in Teheran ihr Kopftuch auszog – eine revolutionäre Tat, die unzählige Iranerinnen inspirierte, bis zu den jüngsten Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini, die von der Polizei wegen «unislamischer Kleidung» verhaftet wurde. Andere berichten von Gefängnis und Flucht, vom täglichen Kampf für ein Stück Würde und darum, ihre Stimme öffentlich zu erheben oder auch nur das Haar im Wind wehen zu lassen. Sie empfinden Wut, Trauer, fühlen sich von der Welt verlassen. Sie wissen: Nur die Freiheit der Frau kann die Freiheit der Gesellschaft hervorbringen.
Golineh Atai
Iran. Die Freiheit ist weiblich
Rowohlt Berlin 2021, 320 Seiten, 22 €
Zur Pressemitteilung
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Zur Buchessenz der FES
Die Preisverleihung findet am 10. Mai 2023 in Berlin statt.
Die 1974 in Teheran geborene Journalistin und Autorin Golineh Atai war von 2006 bis 2008 für die ARD als Korrespondentin in Kairo und von 2013 bis 2018 in Moskau. Seit 2022 leitet sie das ZDF-Studio in Kairo. Atai wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. als „Journalistin des Jahres 2014“, mit dem Peter-Scholl-Latour-Preis, dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis, dem Marie-Juchacz-Frauenpreis 2023, 2023 wurde sie für den 59. Grimme-Preis nominiert.
Golineh Atai ist ein großartiges Buch über die Kraft des weiblichen Widerstandes gegen bestehende Ordnungen gelungen, seien sie religiös, politisch oder sonst wie geprägt. Das Buch ist eine analytische Beschreibung der Missachtung von Menschenrechten. Insbesondere die Missachtung der Rechte von Frauen in einem zutiefst unmenschlichen, gnadenlosen und offensichtlich nicht reformierbaren System, in dem sich seit mehr als 40 Jahren die Machtstrukturen nicht geändert haben. Seit der Rückkehr Ayatollah Chomenis 1979 gehört Feindschaft gegen Frauen zu den Grundpfeilern des politischen Systems im Iran, und das hat letztlich wenig mit der Religion zu tun, auf die sich die Machthaber vorgeblich berufen. Offensichtlich hätten die Machthaber mehr Angst vor den Frauen als vor ihren ideologischen Gegnern, schreibt Atai. Diese Angst des Regimes vor der Veränderungskraft der Frauen zieht sich wie ein roter Faden durch die Schicksale, die die Autorin porträtiert.
Frau Atai, die ihren Figuren viel Empathie entgegenbringt, aber gleichzeitig eine Wertung vermeidet, versucht uns mehr mit der iranischen Kultur vertraut zu machen, uns anzuregen die unzweifelhaft vorhandenen Klischees zu hinterfragen. Die Porträts der neun Frauen, die getragen durch eine große innerliche Freiheit, Widerstand leisteten und noch leisten gegen eine staatliche Bevormundung und die für eigene Rechte und die Rechte anderer Frauen in einem patriarchalischen System kämpfen, zeigen uns eindrucksvoll das Ausmaß der wirtschaftlichen, kulturellen, gesellschaftlichen Tragödie des Irans.
Menschenrechtsverletzungen an Iranerinnen (und Iranern) sind an der Tagesordnung, und gerade die jüngsten Ereignisse belegen das in erschreckendem Umfang. Die Demütigungen, die Frauen im Alltag im Iran erleiden müssen, sind für uns in Europa kaum vorstellbar. Der Widerstand der Frauen gegen die bestehende Ordnung so wie Atai es beschreibt, und der Kampf für ein besseres System sind untrennbar mit dem jahrzehntelangen Kampf der iranischen Frauen um Gleichberechtigung verbunden.
Warum wurde dem in den westlichen Medien so wenig Beachtung geschenkt, sieht man mal von den letzten Ereignissen ab? Ist es politische Opportunität oder einfach Ignoranz, die uns lange schweigen ließ? Hier hält uns Frau Atai den Spiegel vor und kritisiert das mangelnde Interesse der westlichen Öffentlichkeit, das den „unsichtbaren Heldinnen“ ein Gefühl der Missachtung vermittelt. Dem will sie entgegenwirken, und den Frauen im Iran, aber aus unserer Sicht auch darüber hinaus allgemein Frauen in ihrem Kampf um Gleichberechtigung und Menschenwürde Gehör verschaffen.
Geert Mak, der große Chronist Europas, hat sich erneut auf den Weg gemacht. Von den Küsten Lampedusas bis zu Putins Moskau, vom störrischen Katalonien bis zu den muslimischen Vororten Kopenhagens erforscht der geniale Erzähler unter den Historikern unserer Zeit in zahllosen persönlichen Begegnungen unseren Kontinent. Dabei fragt er, was nach dem Ende des Kalten Krieges aus dem alten europäischen Traum – Frieden, Freiheit und Wohlstand – geworden ist, und verleiht den Menschen dieses Kontinents eine Stimme, die noch lange nachhallen wird.
Geert Mak
Große Erwartungen. Auf den Spuren des europäischen Traums (1999-2019)
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke
Siedler Verlag 2020, 640 Seiten, 38 €
Die Preisverleihung fand am 10. Mai 2022 in Berlin statt.
Der Jurist und Journalist Geert Mak, geboren 1946, ist einer der bekanntesten Publizisten der Niederlande. Mit drei Bestsellern zählt er zu den wichtigsten Sachbuchautoren des Landes. Er arbeitete für Zeitungen, Radio- und Fernsehsender, und lehrte als außerordentlicher Professor an der Universität Amsterdam. 2004 veröffentlichte Mak „In Europa. Eine Reise durch das 20. Jahrhundert“. Mit „Große Erwartungen“ setzt er diese Reise im neuen Jahrtausend unter neuen Vorzeichen fort.
Die Jury zeichnet mit Geert Mak einen großartigen europäischen Journalisten und Sachbuchautor aus. Dem großen Erzähler Mak gelingt es mit diesem Buch, ein facettenreiches Bild der oft krisengeplagten letzten 20 Jahre mit einem konstruktiv-kritischen Blick auf die Stärken und Schwächen des europäischen Projekts zu verknüpfen.
Europa – das ist für Mak zunächst die politische Gemeinschaft der Europäischen Union, aber eben auch ein darüberhinausgehender gemeinsamer Erfahrungshintergrund.
Auf seiner Suche nach dem europäischen Traum begegnet Mak immer wieder der Wunsch nach einem Umdenken in Europa: Weg von einem technischen Verständnis der europäischen Einigung und hin zu einem politischen Europa, das die Menschen und die Suche nach einer europäischen Identität in den Mittelpunkt stellt; ein Europa, das demokratischer funktioniert, einen Raum für europäische Willensbildung schafft und eine starke Stimme in der Welt hat.
Wo überall Handlungsbedarf besteht, zeigt der scharfsinnige Blick des Autors auf die multinationalen Krisen der letzten beiden Jahrzehnte – die Europa zu meistern hatte, in denen sich die Länder aber oft tief gespalten zeigten und dadurch die europäische Handlungsfähigkeit in entscheidenden Momenten schwächten. Eurokrise, Bankenkrise, Flüchtlingskrise, Brexit, Ukrainekrise und Nationalismus werden akribisch untersucht und ihre vielschichtigen Ursachen freigelegt. Gerade das Kapitel „Geister der Vergangenheit“ gewinnt angesichts des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine eine traurige Aktualität und bedrückende Voraussicht. Wie kaum ein anderer vermag es Mak, die verschiedenen Entwicklungen zu verdichten und uns einen Rahmen zur Einordnung aktueller Geschehnisse zu bieten.
Bemerkenswert ist dabei auch die Vielfalt der Perspektiven, die der Autor zu einer hervorragenden Analyse der wesentlichen Herausforderungen der letzten 20 Jahre zusammenfügt. Mak erzählt und vermittelt Geschichte und Stimmungen, die oftmals in einem Bedauern über verpasste Chancen münden, aber damit auch alternative Lösungswege für die Zukunft aufzeigen. Die Kritik, die Mak in dem Buch trotz seines eindeutigen Bekenntnisses für das „Projekt Europa“ immer wieder mitschwingen lässt, bezieht sich vor allem auf den neoliberal geprägten Geist, der in diesen Jahrzehnten dominierte. Bei dem Unterfangen, viele Bereiche des Lebens zu quantifizieren und entlang marktgerechter Kriterien zu bewerten, sei der europäische Traum zu oft auf der Stecke geblieben. Für die Zukunft müssen die Länder Europas mehr gemeinsame Verantwortung übernehmen. Das funktioniert aber nur, wenn nationale Egoismen überwunden werden, europäische Solidarität nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, man sich von den Ideen des Wirtschaftsliberalismus trennt und die Demokratisierung der EU weiter vorantreibt.
„Große Erwartungen“ ist ein Aufruf an uns alle, den europäischen Traum lebendig zu halten und weiterzuentwickeln.
Andreas Kossert, renommierter Experte zum Thema Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert, stellt in seinem neuen Buch die Flüchtlingsbewegung des frühen 21. Jahrhunderts in einen großen geschichtlichen Zusammenhang. Immer nah an den Einzelschicksalen und auf bewegende Weise zeigt Kossert, welche existenziellen Erfahrungen von Entwurzelung und Anfeindung mit dem Verlust der Heimat einhergehen - und warum es für Flüchtlinge und Vertriebene zu allen Zeiten so schwer ist, in der Fremde neue Wurzeln zu schlagen. Ob sie aus Ostpreußen, Syrien oder Indien flohen: Flüchtlinge sind Akteure der Weltgeschichte - Andreas Kossert gibt ihnen mit diesem Buch eine Stimme.
Andreas Kossert
"Flucht. Eine Menschheitsgeschichte"
Siedler Verlag 2020, 432 Seiten, 25 €
Pressemitteilung (PDF)
Die Preisverleihung findet am 17. Mai 2021 statt und wird per Livestream übertragen.
Andreas Kossert, geboren 1970, studierte Geschichte, Slawistik und Politik. Der promovierte Historiker arbeitete am Deutschen Historischen Institut in Warschau und lebt seit 2010 als Historiker und Autor in Berlin. Auf seine historischen Darstellungen Masurens (2001) und Ostpreußens (2005) erhielt er begeisterte Reaktionen. Zuletzt erschienen von ihm der Bestseller »Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945« (2008) sowie »Ostpreußen. Geschichte einer historischen Landschaft« (2014). Für seine Arbeit wurde ihm der Georg Dehio-Buchpreis verliehen.
Interview mit Andreas Kossert
zur BuchEssenz
Andreas Kossert bietet uns – großartig erzählt – einen Einblick, wie Flucht und Vertreibung das Leben von Menschen über die Jahrhunderte bis heute prägt. Auch wenn sein Fokus auf dem Nahen Osten und Europa liegt, wird deutlich, dass Flucht immer ein Menschheitsthema war und ist. Menschen, die flüchten müssen, sind Akteure der Weltgeschichte. Flucht ist dem Historiker zufolge niemals wirklich abgeschlossen, weswegen er bewusst den in seinen Augen verharmlosenden Begriff „Geflüchtete“ ablehnt.
Vertreibung, Umsiedlung, ethnische Säuberung, Zwangsdeportation, Gewaltmigration und wirtschaftliche Not führen dazu, dass Menschen ihre Heimat verlassen. Am Ankunftsort eingetroffen, müssen Flüchtlinge und Vertriebene nicht nur mit dem Erlebten zurechtkommen, sondern erfahren meist auch noch Ablehnung, Misstrauen und die Gleichgültigkeit vieler Menschen gegenüber ihrem Schicksal. Eindrücklich schildert Andreas Kossert, warum es für Flüchtlinge und Vertriebene zu allen Zeiten so schwer ist, in der Fremde wirklich anzukommen. Das Nebeneinander historisch und geografisch weit auseinanderliegender Schauplätze einerseits, die Fokussierung auf Einzelschicksale andererseits und die Einbindung literarischer Texte bringen uns die Leiderfahrungen der Menschen in aufwühlender Art und Weise nahe. Auch wenn sich die Umstände unterscheiden, ähneln sich doch die Schicksale und Leidensgeschichten, die der Autor eindringlich präsentiert. Bewusst werden nicht ethnische oder soziale Gruppen zur Gliederung genutzt, sondern die Kapitel „Weggehen“, „Ankommen“, „Weiterleben“, „Erinnern“.
Die Jury erwähnt ausdrücklich das Einfühlungsvermögen und Mitleiden, das in den Berichten zum Ausdruck kommt. Andreas Kosserts Buch ist nicht nur eine Geschichte der Flucht, sondern auch ein großes Plädoyer für Empathie und Mitmenschlichkeit. Damit sollte es Pflichtlektüre für alle sein, die heute Flüchtlings- und Integrationspolitik gestalten.
Reaktionäre Parteien verzeichnen wachsenden Zulauf – und sie gewinnen sogar Wahlen. Der Hass wächst, Medien, Wissenschaft und Zivilgesellschaft geraten unter Druck. Doch der Rechtsruck ist kein zufälliges Phänomen – im Gegenteil: Die Rechtsradikalen arbeiten seit Jahrzehnten daran, ihre Pläne umzusetzen, aber Gesellschaft und Politik blieben tatenlos.
Wie es dazu kam und warum dennoch Hoffnung besteht, analysiert Matthias Quent. Der junge Rechtsextremismusforscher deckt faktenreich die Strategien und Ziele der Rechten auf, gibt Handlungsempfehlungen für den alltäglichen und politischen Umgang mit ihnen und zeigt, dass sich eine starke Demokratie nicht von rechten Populisten jagen lassen darf, sondern sie am besten rechts liegen lässt. (aus dem Klappentext)
Matthias Quent
"Deutschland rechts außen: Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen könne "
Piper Verlag 2019, 18 €
Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die Preisverleihung auf den 17. September 2020 verschoben.
Dr. Matthias Quent, 1986 geboren und aufgewachsen in Thüringen, ist Soziologe und profilierter Rechtsextremismusforscher. Er ist Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) der Amadeu Antonio Stiftung in Jena. Gegründet als Konsequenz aus dem NSU-Komplex, werden dort Ursachen und Erscheinungsformen von Diskriminierung, Hass, politischer Gewalt und Demokratiefeindlichkeit erforscht.
Dr. Matthias Quent erhält den Preis für sein Buch "Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können". Er ist Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) der Amadeu Antonio Stiftung in Jena.
Die faktenreiche, kompakte Darstellung macht „Deutschland rechts außen“ zu einem Handbuch der politischen Gegenwartsanalyse. Trotz teils erschreckender Befunde bleibt der Grundtenor aufbauend, optimistisch und motivierend. Ohne komplexe Phänomene vereinfacht darzustellen, ist das Buch in einer klaren, leicht verständlichen Sprache verfasst.
Quent warnt eindringlich davor, die Neue Rechte zu unterschätzen. Er liefert eine detaillierte Analyse ihrer Methoden. Zuerst solle der „Kulturkampf“ gewonnen werden, indem die Akteure Sprache verändern, die Debattenkultur zerstören, Themen besetzen, die Gesellschaft in „wir, die Patrioten“ und „dort, die Volksfeinde“ spalten, übergreifende Bedrohungen konstruieren und Kulturpessimismus schüren. Darauf solle dann die eigentliche strukturelle Umformung von Staat und Gesellschaft aufbauen.
Aber Quent zeigt auch auf, wie sich die Gesellschaft gegen diese Strategien wehren kann. Ausgehend von seiner Grundthese, die Gesellschaft in Deutschland sei viel liberaler und offener, als die Rechten glauben machen wollen, müssten gesellschaftliche Diskussionen nachgeholt, politische Bildung gestärkt und den Niedergangserzählungen von rechts positive Zukunftsentwürfe entgegengesetzt werden. Mehr Menschen müssten sich deutlicher und energischer für Demokratie und eine offene Gesellschaft einsetzen. Quent rät zur konsequenten Abgrenzung zu Rechtsradikalen und warnt eindrücklich vor der Kollaboration demokratischer Milieus mit rechts außen. Denn erst durch die Anpassung an die radikale Rechte würde sich die Demokratie selbst demontieren. Die deutsche Demokratie sei zwar heute deutlich wehrhafter als in den 1920er Jahren, aber sie sei kein Automatismus.
Matthias Quent führt uns eindrücklich vor Augen, wie aktuell und real die Gefahren sind, denen die Demokratie und die offene Gesellschaft ausgesetzt sind - und macht gleichzeitig der stillen Mehrheit Mut, sich den Strategien von rechts außen entgegenzustellen. Ein Buch für alle, die die Bedrohung unserer liberalen Demokratie verstehen und ihr nicht wortlos zusehen wollen.
Zensur ist der Schlachtruf der Stunde: Ein Gedicht wird von einer Fassade entfernt? Zensur! Ein Bild aus einem Museum entfernt? Zensur! Ein Redner von einer Universität ausgeladen? Zensur! Doch ist es das wirklich? Viele haben heute das Gefühl, ihre Meinung nicht mehr offen sagen zu können. Sie fragen sich, ob Facebook und Google ihre Kontrollaufgaben nicht rigider wahrnehmen als mancher Staat, ob Kunst politisch korrekt sein muss, wie viel Freiheit man den Feinden der Freiheit geben kann.
Eine heiße Debatte ist entbrannt, bei der vieles durcheinander geht. Klassische Zensur vermischt sich mit neuen Formen, polemisches Geschrei von rechts mit Sprechverboten von links. Die Literaturwissenschaftlerin Nikola Roßbach analysiert die kontroverse Diskussion um das Sagbare und legt die unterschwelligen Mechanismen unserer Gesellschaft offen. Zugleich fordert sie eine Zensurdebatte, die über Polemiken und effektheischende Extrempositionen hinausgeht. Eine Auseinandersetzung, die zeigt, was Meinungsfreiheit bedeutet und wie viel sie uns tatsächlich wert ist.
Nikola Roßbach
"Achtung, Zensur! Über Meinungsfreiheit und ihre Grenzen."
Ullstein, 2018, 272 S., € 20,00
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Veranstaltungsdokumentation (PDF)
Videodokumentation der Preisverleihung (Youtube)
Nikola Roßbach ist Professorin für Neuere deutsche Literatur in Kassel und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Kontrolle und Normierung literarischen Wissens. Seit 2016 konzentriert sie sich in Forschung und Lehre verstärkt auf das Thema Zensur: Als wissenschaftliche Partnerin des monumentalen Kunstprojekts Parthenon of Books von Marta Minujín (documenta 14) nahm sie an zahlreichen öffentlichen Debatten teil.
Wer sich mit dem weitgespannten Thema Zensur beschäftigt, stößt unweigerlich auf Fragen der Entfaltung, Ausübung und Sicherung von Macht. Nikola Roßbach gibt nicht nur einen Überblick über Geschichte und Ausprägung von Zensur in Diktaturen und totalitären Herrschaften. Sie richtet den Blick auch auf die moderne Welt und zeigt auf, wie auch hier die Einschränkung von Meinungsfreiheit vor sich geht.
Das Buch bietet eine Fülle politisch relevanter Beispiele dafür, wie informelle Zensur wirkt, wie damit gesellschaftliche Abgrenzung vollzogen wird, wie Veränderungsbestrebungen abgewehrt werden, um Macht zu stabilisieren. Ansätze hierzu beobachtet die Autorin z.B. in der Informationspolitik des US-Präsidenten und in seiner Polemik gegen Repräsentant_innen der Presse. Ausführlich zeigt sie auf, dass das Internet zur wichtigen Arena in der Auseinandersetzung um Meinungsfreiheit geworden ist, gerade hier wirkten Informationsunterdrückung und algorithmenbasierte Filterblasen indirekt als Zensur.
Zensur wird allerdings auch als Kampfbegriff missbraucht, um gesellschaftliche Normen und den demokratischen Konsens zu unterminieren, wie die Autorin eindrücklich darlegt. So versuchen rechtspopulistische Bewegungen gezielt, kritisches Denken als Grundlage einer liberalen, offenen Gesellschaft als „Gesinnungsdiktatur“ zu diskreditieren und entziehen sich mit dem Zensurvorwurf der sachlichen Auseinandersetzung.
Generell konstatiert Roßbach auf der einen Seite einen inflationären – und damit problematischen –Gebrauch des Zensurbegriffs. Dem gegenüber stehe ein zunehmendes diffuses Bedürfnis nach Grenzen des Sagbaren auch bei denen, die die Demokratie verteidigen wollen. Das Buch zeigt verschiedenste Ausprägungen des Phänomens Zensur und spricht auch subtile Formen der Selbstzensur an. Nikola Roßbach ermöglicht einen neuen kritischen Blick auf die Bedeutung von Zensur, Meinungsfreiheit und ihren Beschränkungen und leistet damit einen überzeugenden Beitrag für den notwendigen Diskurs, ohne den eine demokratische Gesellschaft nicht auskommt.
Ob es darum geht, die Erde zu kartieren oder alle Freundschaften der Welt zu organisieren – im digitalen Kapitalismus werden Algorithmen zur wichtigsten Maschine, Daten zum essentiellen Rohstoff und die Informationen, die wir preisgeben, die Ware Nummer eins: Das Kapital sind wir. Der Kapitalismus ist weit davon entfernt, in der Krise zu sein. Timo Daum analysiert, wie er sich stattdessen neu erfindet – und unsere Art zu arbeiten, zu denken und zu fühlen gleich mit transformiert.
Wie die demokratische, soziale Gesellschaft der Übermacht der Internetkonzerne begegnen und Technologie und Daten für kollektive Zwecke nutzbar machen kann, beschäftigt den Autor ebenso wie die Frage nach der Zukunft von Arbeit und Einkommen in der Digitalisierung.
Timo Daum
Das Kapital sind wir. Zur Kritik der digitalen Ökonomie
Edition Nautilus, Hamburg 2017, 268 S.
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Timo Daum, geboren 1967, arbeitet als Hochschullehrer in den Bereichen Online, Medien und Digitale Ökonomie. Er ist Dipl.-Physiker und verfügt über zwei Jahrzehnte Berufserfahrung in der IT-Branche. Er hält regelmäßig Vorträge und Seminare zum digitalen Kapitalismus, u.a. auf der Re:publica 2017. Beim Online-Magazin DAS FILTER erscheint seit 2014 seine Serie Understanding Digital Capitalism. Außerdem ist er als Medienkünstler aktiv.
Unser Alltag wird mehr und mehr durch die digitale Technologie bestimmt. Für Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, ja jede/jeden Einzelne_n ist ein Leben ohne digitale Kommunikationsmittel undenkbar. Timo Daum zeigt eindrücklich, wie rasant die Digitalisierung nicht nur zum (mit)bestimmenden Wirtschaftsfaktor geworden ist, sondern wie sie auch unser Handeln, Denken und Fühlen verändert hat. Er greift Gedanken von Karl Marx auf, der dem Kapitalismus eine ungemeine Kraft zur Umwälzung bescheinigt hat. Diese Kraft misst Daum auch dem "digitalen Kapitalismus" zu – einer neuen Form des Kapitalismus, die die Gesellschaft und die Politik mehr und mehr beherrscht. Nicht mehr nur die Produktion industrieller Waren schafft die Grundlage für Kapitalvermehrung, sondern die Macht über Daten und ihre algorithmenbasierte Nutzung durch allgewaltige Internet-Monopolisten. Die Verdichtung von Datenmengen und die weltweite Mitarbeit der "Prosumer" in sozialen Netzwerken bilden den Stoff, der als Grundlage für Kapitalvermehrung, Einfluss und Macht dient.
Timo Daum stellt diese Gefahren sachlich dar und warnt gleichzeitig eindrücklich vor den Folgen einer Machtballung, die sich jeder Kontrolle zu entziehen vermag. Er beschränkt sich nicht auf die Kritik der digitalen Ökonomie, sondern entwickelt mutige Gedanken zur positiven Nutzung von Technologien und Daten für eine selbstbestimmte Gesellschaft, die sich nicht mehr allein dem vom Kapitalismus missbrauchten Arbeitsethos verpflichtet fühlt.
Das Buch ist ein Appell, kritisch zu denken und politisch zu handeln, um den demokratischen Gestaltungsanspruch zu verteidigen. Der Autor überzeugt mit seiner faktenreichen Argumentation und seinen pointierten Aussagen. Ein besonderer Verdienst liegt in der durchgehend verständlichen Vermittlung dieses komplexen Zukunftsthemas.
"Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist sie selbst zu gestalten". Willy Brandts Worte dienen Wolfgang Gründinger als Ausgangspunkt für seine Auseinandersetzung mit der sozialen, wirtschaftlichen und digitalen Zukunftsfähigkeit unseres im demografischen Wandel befindlichen Landes.
In "Alte Säcke Politik. Wie wir unsere Zukunft verspielen" beschreibt der Autor eine Gesellschaft, die Gefahr läuft, in der Gegenwartsverwaltung zu verharren, und fordert eine aktivere Gestaltung zentraler Zukunftsfelder im Sinne der nachkommenden Generationen. Aus der Perspektive der 'Jungen' analysiert er verschiedene Politikbereiche – von der Digitalisierung über Steuer- und Finanzpolitik, Renten und Arbeitsmarkt bis hin zur Bildungspolitik – und entwickelt konkrete Handlungsempfehlungen.
Gründinger fordert eine stärkere Berücksichtigung junger Interessen in der politischen Entscheidungsfindung und macht Vorschläge, wie unterschiedliche Werte und Prioritäten von Alt und Jung in Einklang gebracht werden können.
Wolfgang Gründinger
"Alte Säcke Politik. Wie wir unsere Zukunft verspielen"
Gütersloher Verlagshaus, 2016, 223 S., € 17,99
weitere Informationen zum Preisbuch
Veranstaltungsdokumentation
Wolfgang Gründinger, geboren 1984, ist als Zukunftslobbyist und Generationenerklärer bekannt geworden. Er ist im Vorstand der Stiftung Generationengerechtigkeit, leitet das Forum Digitale Transformation beim Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) und ist assoziiertes Mitglied im Think Tank 30 des Club of Rome. Gründinger studierte Politik- und Sozialwissenschaften in Regensburg, Berlin und Santa Cruz (Kalifornien) und lebt als Autor, Aktivist und Analyst in Berlin und im Internet.
"Wo bleibt die Freundschaftsanfrage der Politik an die junge Generation?" lautet die provozierende Frage des Sozialwissenschaftlers und Publizisten Wolfgang Gründinger. Seine Streitschrift kritisiert eine Politik, die oft einseitig die zahlenmäßig starke Generation der "Baby-Boomer" der Jahrgänge 1955 bis 1970 in den Fokus nimmt und dabei Fragen der Zukunftsgestaltung aus dem Blick verliert. Da es aber eigentlich um die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft, die Chancen der Kinder und Jugendlichen gehen sollte, plädiert Gründinger eindringlich für einen Paradigmenwechsel hin zu den Belangen der nachkommenden Generationen und prüft weite Felder in Politik und Gesellschaft auf ihre Zukunftsfähigkeit: Renten, Löhne, Digitalisierung, Bildung, Steuersystem.
In den Technikrückständen in Deutschland sieht er eine Hypothek für die junge Generation. Mit Panikmache und Ablehnung der digitalen Medien torpedierten Teile der tonangebenden Generation die digitale Transformation, die für die Jüngeren längst zur Lebensrealität gehöre. Die finanzpolitische Ideologie der "schwarzen Null" diene zwar dem Ausgleich der Haushalte, verhindere aber notwendige Zukunftsinvestitionen. Chancengleichheit und die Beseitigung der sozialen Schere – innerhalb und zwischen den Generationen – sind für Gründinger zentrale Herausforderungen einer progressiven Politik, auch und gerade im Bildungsbereich. Die Jugend, die Gründinger vor vielerlei Vorurteilen in Schutz nimmt und für die er ein früheres Wahlrecht fordert, ruft er auf, aktiv ihre Interessen zu artikulieren – und hofft dabei auch auf die Unterstützung der kritischen, engagierten Großelterngeneration, der "Opa-APO".
Das Buch ist ein geistvoller, streitbarer und brillant geschriebener Beitrag zur notwendigen Debatte um einen zukunftsfähigen, generationengerechten Gesellschaftsentwurf. Der Autor bezieht klar Stellung für die junge Generation und will gleichzeitig, anders als es der Buchtitel vermuten lässt, die Älteren für eine gemeinsame progressive Zukunftsvision gewinnen. Die frechen, herausfordernden Formulierungen treffen einen empfindlichen Nerv unserer Politik und Gesellschaft.
In ihrem Buch „Zum Töten bereit“ zeichnet Lamya Kaddor nach, warum und wie Jugendliche islamischen Glaubens in fundamentalistisch-salafistische Milieus geraten, dort radikalisiert werden und am Ende gar bereit sind, sich den Terrorgruppen des sogenannten Islamischen Staats anzuschließen.
Gleichzeitig zeigt Kaddor auf, was seitens der Gesellschaft und der muslimischen Community getan werden kann und muss, um solche Radikalisierung zu stoppen.
Lamya Kaddor
Zum Töten bereit: Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen
Piper Verlag GmbH, 2015, 256 S., € 14,99
Dokumentation der Veranstaltung (PDF)
Lamya Kaddor ist Pionierin der Islamischen Religionspädagogik in Deutschland und wurde zu einer der zehn einflussreichsten muslimischen Frauen Europas gewählt. Sie ist Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes und lebt in Duisburg. Die Religionslehrerin, Islamwissenschaftlerin und Autorin wurde 1978 als Tochter syrischer Einwanderer in Ahlen/Westfalen geboren.
Die Tatsache, dass junge Menschen aus Deutschland als Dschihadisten an dem verheerenden Krieg in Syrien und im Irak beteiligt sind, ist erschreckend. Die Lehrerin muslimischen Glaubens mit syrischen Wurzeln geht in ihrem Buch mit höchster Sachkenntnis den Ursachen für das Abgleiten dieser Menschen nach. Ihre gründlichen Kenntnisse der islamischen Theologie und ihr Wirken als Pädagogin in einem gesellschaftlichen Umfeld der muslimischen und teilweise auch nichtmuslimischen Jugendlichen, die sich der Terrortruppe des „Islamischen Staates“ anschließen, bilden Voraussetzungen dafür, Beweggründe für die Hinwendung in die fundamentalistische Strömung der Salafisten zu benennen. Die Autorin zeichnet nach, warum und wie Jugendliche islamischen Glaubens in fundamentalistisch-salafistische Milieus geraten, radikalisiert werden und am Ende gar bereit sind, sich den Terrorgruppen des sogenannten Islamischen Staats anzuschließen. Gleichzeitig legt Kaddor dar, was seitens der Gesellschaft und der muslimischen Community getan werden muss, um solche Radikalisierung zu stoppen. Das Buch zeigt auf, wie der notwendige Dialog mit dem Islam in Deutschland sein müsste, um fundamentalistische Strömungen jeder Art zu isolieren und ist ein überzeugender Beitrag zu den hochaktuellen Debatten um Integration, Vermeidung von Radikalisierung und das Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft.
In „Das Kapital im 21. Jahrhundert untersucht Thomas Piketty Daten aus 20 Ländern, mit Rückgriffen bis ins 18. Jahrhundert, um die entscheidenden ökonomischen und sozialen Muster freizulegen. Seine Ergebnisse werden die Debatte verändern und setzen die Agenda für eine neue Diskussion über Wohlstand und Ungleichheit in der nächsten Generation. Piketty zeigt, dass das moderne ökonomische Wachstum und die Verbreitung des Wissens es uns ermöglicht haben, Ungleichheit in dem apokalyptischen Ausmaß abzuwenden, das Karl Marx prophezeit hatte. Aber wir haben die Strukturen von Kapital und Ungleichheit nicht in dem Umfang verändert, den uns die optimistischen Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg suggeriert haben.
Thomas Piketty
Das Kapital im 21. Jahrhundert
Verlag: C.H. Beck
Weitere von der Jury empfohlene Bücher (PDF)
Born in Clichy (France) on May 7, 1971
Thomas Piketty is Professor at EHESS and at the Paris School of Economics. He is the author of numerous articles published in journals such as the Quarterly Journal of Economics, the Journal of Political Economy, the American Economic Review, the Review of Economic Studies, Explorations in Economic History, and of a dozen books. He has done major historical and theoretical work on the interplay between economic development and the distribution of income and wealth. In particular, he is the initiator of the recent literature on the long run evolution of top income shares in national income (now available in the World Wealth and Income Database). These works have led to radically question the optimistic relationship between development and inequality posited by Kuznets, and to emphasize the role of political, social and fiscal institutions in the historical evolution of income and wealth distribution. He is also the author of the international best-seller Capital in the 21st century.
Vor 150 Jahren erschien das „Kapital“ von Karl Marx. Auch heute ist die Auseinandersetzung über die Grundlagen der kapitalistischen Wirtschaft hochaktuell. Der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty zeigt in seinem herausragenden Buch auf, wie sich Strukturen von Kapital und Einkommen in den letzten Jahrhunderten verändert haben und wie die fortschreitenden Ungleichheiten die Demokratie infrage stellen. Insbesondere seit den 1970er-Jahren hat in den reichen Ländern das Missverhältnis zwischen Einkommen aus Kapitalerträgen und Arbeit zuungunsten des Arbeitseinkommens eklatant zugenommen. Piketty stellt nicht den Kapitalismus infrage und auch nicht das Wachstumsmodell, aber er plädiert ganz entschieden für ein Umdenken im Sinne der demokratischen Forderung nach Gleichheit der Bürgerrechte, um die jahrhundertelange Entwicklung der Ungleichheit der Lebensbedingungen zu beenden und
Veränderungen anzustoßen. Basierend auf der Auswertung einer beeindruckenden Fülle von Quellen entwickelt Piketty Reformvorschläge für ein gerechteres Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital. Mit seiner klaren und verständlichen Sprache ermöglicht er auch wirtschaftswissenschaftlich weniger Vorgebildeten, sich mit dem komplizierten Stoff vertraut zu machen und sich aktiv an der Diskussion über Kapital und Einkommen zu beteiligen. Piketty hat mit seinem Buch einen wegweisenden Beitrag zu der hochaktuellen Debatte über wachsende Ungleichheit, soziale Gerechtigkeit und Verteilungsfragen geleistet.
Kaum ein anderes Thema steht so im Mittelpunkt des politischen Tagesinteresses wie die Ausrichtung unseres städtischen Umfeldes. Das Für und Wider von Großprojekten im Herzen der Stadt provoziert und polarisiert Kommunalpolitik und engagierte Bürgerschaft. Das Buch von Hannelore Schlaffer „Die City. Straßenleben in der geplanten Stadt“ charakterisiert pointiert signifikante Wesensmerkmale der modernen Großstadt und liefert wichtige Impulse für die Auseinandersetzung mit Sachverhalten, die sowohl den städtischen Alltag bestimmen als auch das urbane Bewusstsein prägen. Das historisch gewachsene Stadtzentrum mit dem Neben- und Miteinander der Lebensäußerungen Wohnen, Arbeit und Freizeit gibt es kaum noch. Versuche zur Rückgewinnung einer traditionellen Urbanität sind nicht gelungen. Wie Hannelore Schlaffer überzeugend veranschaulicht, ist der Mittel- und Angelpunkt der Großstadt heute nicht mehr die Zone um Kirche, Markt und Rathaus, sondern die sogenannte „City“, die Geschäftsmeile mit Bürogebäuden, Banken und Kaufzentren. Hier finden sich tagtäglich, besonders während der Tagesmitte, Mengen von Menschen, die in der City arbeiten und konsumieren. Eine inzwischen historisch gewordene Urbanität als Lebensform charakterisiert nicht mehr die City, sondern die Verdichtung durch Menschen, die in den Vororten und in der Region wohnen und täglich die City bevölkern. Die Gestaltung dieser City ist nicht das Ergebnis politisch kontrollierter Stadtplanung, sondern Ziel der Bemühungen von Investoren. In ihrem reichen Panorama des aktuellen Großstadtlebens entschlüsselt Hannelore Schlaffer die moderne City gleichsam als Chiffre einer durch und durch ökonomisierten Welt. Ihr Essay verbindet in künstlerisch ausgefeilter Form und Sprache Beobachtung, Definition und Analyse und wirft in indirekter aber immanenter Form Fragen auf, die von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz sind.
Hannelore Schlaffer
Die City. Straßenleben in der geplanten Stadt
zu Klampen Verlag
Die Europäische Union wird zurzeit weitgehend in einer wirtschaftspolitischen Krisensituation wahrgenommen. Themen wie Währungsunion, Bankenkrise, Staatsverschuldung, Rettungsschirme etc. bestimmen die Diskussion. Mit seinem Buch „Der Europäische Landbote“ geht der österreichische Schriftsteller und Essayist Robert Menasse gegen diese Einseitigkeit an.
Leidenschaftlich und überzeugend wirbt er dafür, Europa mehr in seiner politischen Dimension zu sehen, Europa als Idee, als Antwort auf das historisch begründete Verlangen politisch denkender Menschen nach Frieden und Freiheit. Virtuos korrigiert Robert Menasse dabei die offen oder versteckt formulierten Vorurteile gegenüber den Brüsseler Institutionen. Die Transparenz des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission mit ihrer angeblich aufgeblähten Bürokratie wird von ihm höher eingeschätzt als die des Europäischen Rates, in dem primär die Eigeninteressen der nationalen Regierungen vertreten werden.
Diese Konkurrenz zwischen dem Anliegen europäischer Institutionen und der Politik der Einzelstaaten wird von Robert Menasse kritisch hinterfragt. Er möchte ihr mit mehr Demokratie für Europa und Zurückschrauben der nationalen Einflussnahme begegnen. Mit seinem Plädoyer gegen das Ausufern nationaler Identitäten und seiner Definition Europas als „Europa der Regionen“ wird er zwar auf Widerstand stoßen, aber damit eine notwendige Diskussion anregen.
Das Buch verbindet Streitkultur, Aufklärung, Werbung, Reportage und persönliches Bekenntnis in einer Form und Sprache, die für den Bereich der politischen Literatur Maßstäbe setzt.
Robert Menasse
Der europäische Landbote. Die Wut der Bürger und der Friede Europas
Verlag: Paul Zsolnay
Festrede: Peer Steinbrück
Dokumentation der Veranstaltung
Weitere von der Jury empfohlene Bücher
Die Krise der Finanzmärkte, die 2008 einen Höhepunkt erreicht hatte, konnte nur mit erheblicher staatlicher Hilfe, d. h. mit Steuergeldern, abgefedert werden. Und drei Jahre später beherrschen die damals vor dem Absturz geretteten Großbanken, die Vorposten neoliberaler Ideologie, wieder das wirtschaftliche und politische Geschehen. Der britische Sozialwissenschaftler Colin Crouch untersucht diese Problematik in seinem Buch „Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus“. Er beschreibt die Veränderungen der klassischen Markttheorien bis hin zum heutigen Neoliberalismus und zeigt auf, dass es die reine Marktwirtschaft, in der das freie Spiel von Nachfrage und Angebot herrscht, nicht gibt. Die Bedingungen der Unternehmen am Markt sind höchst unterschiedlich. Denn nur Großkonzerne sind in der Lage, sich Informationen zu beschaffen, um effizientere Entscheidungen zu treffen und bei Konsumenten Wünsche zu erzeugen. Darüber hinaus wird von den großen (transnationalen) Unternehmen Einfluss auf Parteien und Regierungen ausgeübt und indirekt die Demokratie ausgehöhlt. Crouch gibt uns eine differenzierte Analyse des gegenwärtigen komplexen wirtschaftspolitischen Geschehens mit seinen verhängnisvollen Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft. Einfache Lösungsvorschläge hat Crouch nicht parat, er vermittelt aber wertvolles Wissen über die Macht der Großkonzerne und ermutigt zu engagiertem Dagegenhalten mittels einer aktiven, vielstimmigen Zivilgesellschaft, um die Nutznießer des neoliberalen Arrangements unter Druck zu setzen. Sein Buch erfüllt damit einen wesentlichen Beitrag für die politische Diskussion.
Colin Crouch
Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus
Verlag: Edition Suhrkamp
Festrede: Sigmar Gabriel
Die herausragende Qualität des Buches besteht darin, dass es ein breites Panorama der politischen und wirtschaftlichen Situation im Weltmaßstab vorstellt und daraus die besonderen Bedingungen für Europa und Deutschgland ableitet. Peer Steinbrück bringt seine vielfältigen und detaillierten Erfahrungen als Landespolitiker und Finanzminister der Großen Koalition von 2005 bis 2009 ein. Klar und präzise beschreibt er die Schwächen der gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Situation und entwickelt Alternativen. „Unterm Strich“, das ist die Summe von politischen Einsichten, Analysen und Kritik. Die weltweite Finanzkrise und die daraus entstandenen wirtschaftlichen und sozialen Schräglagen auch in Deutschland werden aus der Sicht des handelnden Staatsmannes überzeugend akzentuiert, der maßgebend an der Krisenbewältigung mitgewirkt hat. Er formuliert klare Perspektiven als Alternativen zu den Problemlagen und plädiert konsequent für die Herstellung einer neuen Balance zwischen handlungsfähigem Staat und funktionierenden Märkten, für ein Gleichgewicht von Ökonomie, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit. Nachdrücklich wirbt er für die aktive Rolle des Staates als Ordnungsrahmen einer demokratischen Zivilgesellschaft. Er scheut sich auch nicht, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Seine Partei, die SPD, nimmt er davon nicht aus. „Unterm Strich“ ist ein Buch, das dem politischen Bewusstsein und dem Sinn für politische Verantwortung hervorragende Impulse gibt.
Peer Steinbrück
Unterm Strich
Verlag: Hoffmann und Campe
Festrede: Dr. Wolfgang Schäuble
Preisträger: Rolf Hosfeld
Das Buch: Die Geister, die er rief. Eine neue Karl-Marx-Biografie
Verlag: Piper Verlag
Festrede: Andrea Nahles
Preisträger: Christiane Grefe, Harald Schumann
Das Buch: Der globale Countdown Gerechtigkeit oder Selbstzerstörung - Die Zukunft der Globalisierung
Verlag: Kiepenheuer & Witsch Verlag
Festrede: Wolfgang Thierse
Preisträger: Peter Schaar
Das Buch: Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesllschaft
Verlag: C. Bertelsmann Verlag
Festrede: Ehrhart Körting
Preisträger: Nadja Klinger und Jens König
Das Buch: Einfach abgehängt
Ein wahrer Bericht über die neue Armut in Deutschland
Verlag: Rowohlt Berlin Verlag
Festrede: Matthias Platzeck
Preisträger: Erhard Eppler
Das Buch: Auslaufmodell Staat?
Verlag: Suhrkamp Verlag
Festrede: Hubertus Heil
Preisträger: Carolin Emcke
Das Buch: Von den Kriegen. Briefe an Freunde
Verlag: S. Fischer Verlag
Festrede: Heidemarie Wieczorek-Zeul
Preisträger: Michael Mann
Das Buch:Die ohnmächtige Supermacht. Warum die USA die Welt nicht regieren können
Verlag: Campus Verlag
Festrede: Jürgen Kocka
Preisträger: Gunter Hofmann
Das Buch:Abschiede, Anfänge. Die Bundesrepublik. Eine Anatomie
Verlag: Verlag Antje Kunstmann
Festrede: Peter Glotz
Preisträger: Michael Howard
Das Buch: Die Erfindung des Friedens. Über den Krieg und die Ordnung der Welt
Verlag: zu Klampen Verlag
Festrede: Erhard Eppler
Preisträger: Heinrich August Winkler
Das Buch: Der lange Weg nach Westen
Verlag: C.H. Beck Verlag
Festrede: Julian Nida-Rümelin
Preisträger: Wolfgang Engler
Das Buch: Die Ostdeutschen.
Kunde von einem verlorenen Land
Verlag: Aufbau-Verlag
Preisträger: Richard Sennett, Frank Böckelmann
Das Buch: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus
Verlag: Berlin Verlag
Festrede: Anke Fuchs
Sonderpreis: Swetlana Alexijewitsch
Das Buch: Tschernobyl: Eine Chronik der Zukunft
Festrede: Barbara Lison
Preisträger: Markus Tiedemann
Das Buch: »In Auschwitz wurde niemand vergast.«
60 rechtsradikale Lügen und wie man sie widerlegt
Verlag: Verlag an der Ruhr
Festrede: Henning Scherf
Preisträger: Noa Ben Artzi-Pelossof, Ulrich Herbert
Das Buch: Trauer und Hoffnung
Verlag: Rowohlt Verlag
Festrede: Reinhard Höppner
Preisträger: Peter Merseburger, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Amery B. & L. Hunter Lovins
Das Buch: Der schwierige Deutsche. Kurt Schumacher.
Eine Biographie
Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt
Festrede: Manfred Stolpe
Preisträger: Norberto Bobbio, Dieter Nohlen, Franz Nuscheler
Preisträger: Martin und Sylvia Greiffenhagen, Wolfgang Sofsky
Das Buch: Ein schwieriges Vaterland
Verlag: List Verlag
Festrede: Günter Wichert
Preisträger: Hans Magnus Enzensberger, Regina Griebel/Marlies Coburger/Heinrich Scheel
Das Buch: Die Große Wanderung
Festrede: Hans-Ulrich Klose
Preisträger: Klaus Kordon, Wolfgang Benz
Das Buch: Die Lisa
Verlag: Verlag Ars Edition
Festrede: Renate Schmidt
Preisträger: Timothy Garton Ash, Reinhard Bohse
Das Buch: Ein Jahrhundert wird abgewählt
Aus den Zentren Mitteleuropas 1980–1990
Verlag: Hanser Verlag
Preisträger: Václav Havel, Walter Janka
Das Buch: Fernverhör
Preisträger: Helmut Schmidt, Gioconda Belli, Walter Michler
Das Buch: Menschen und Mächte
Verlag: Siedler Verlag
Preisträger: Michail Gorbatschow, Gordon A. Craig
Das Buch: Perestroika – Die zweite russische Revolution. Eine neue Politik für Europa und die Welt
Verlag: Verlag Droemer Knaur
Preisträger: Günter Gaus, Angela Joschko/Hanne Huntemann, Ruhrfestspiele Recklinghausen
Festrede: Holger Börner
Preisträger: Wolfgang Apitzsch/Thomas Klebe/Manfred Schumann, Lisa Fittko, Regina Becker-Schmidt/Gudrun-Axeli Knapp/Beate Schmidt
Festrede: Johannes Rau
Preisträger: Tomi Ungerer, Dieter Bänsch, Büchergilde Gutenberg
Festrede: Monika Wulf-Mathies
Preisträger: Andrew Wilson, Johano Strasser/Klaus Traube, August Rathmann
Festrede: Dr. Hans-Jochen Vogel
Preisträger: Christian Schaffernicht, Dietrich Güstrow
Festrede: Axel Eggebrecht
Preisträger: Horst Brehm, Gerd Pohl, Ingeborg Bayer, Alwin Meyer, Karl-Klaus Rabe
Festrede: Björn Engholm