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Was hat das geplante Einwanderungsgesetz mit Entwicklungspolitik zu tun? Ein Interview mit Dr. Steffen Angenendt.
Die Bundesregierung hat sich auf Eckpunkte für ein Einwanderungsgesetz geeinigt, das als Fachkräfteeinwanderungsgesetz bezeichnet wird. Wie beurteilen Sie die geplanten Regeln und Maßnahmen?
Dr. Steffen Angenendt: Ich bin froh, dass die Regierung sich auf die Eckpunkte geeinigt hat. Das ist bei dem - ja auch innerhalb der Regierung - so umstrittenen Thema Einwanderung nicht selbstverständlich. Ich persönlich hätte mir eine radikalere und umfassendere Reform gewünscht. Was fehlt, ist etwa ein arbeitsmarktorientiertes Punktesystem, das für noch mehr Transparenz und Vereinfachung gesorgt hätte. Wichtig hätte ich auch gefunden, Regelungen für geringer qualifizierte Migrant_innen zu finden – denn die werden wir in absehbarer Zeit auch brauchen.
Davon abgesehen sind die Vorschläge des Eckpunktepapiers insgesamt sinnvoll und gut begründet. Die größte Herausforderung wird sein, sie in die Praxis umzusetzen. Etwa muss es gelingen, die vielen Institutionen und Verwaltungen besser miteinander zu verzahnen, die mit Einwanderung befasst sind: Ministerien, Konsulate, Arbeitsagenturen, Ausländerbehörden, das Goethe-Institut und andere.
Ob die Regelungen wirksam und nachhaltig sind, wird allerdings davon abhängen, ob die Interessen aller Beteiligten hinreichend berücksichtigt werden. Migrant_innen brauchen für ihre Kenntnisse und Fähigkeiten transparente, schnelle und verlässliche Anerkennungsverfahren, die dann auch bundesweit gelten. Herkunftsländer erwarten, dass die Rechte ihrer Bürger_innen gewahrt werden, dass diese ohne überteuerte Gebühren Gelder in ihre Heimat überweisen können, und dass sie möglicherweise mit den bei uns erworbenen Kenntnissen irgendwann wieder zurückkehren. Und wir selbst möchten selbstverständlich auch etwas, nämlich, dass diejenigen, die hier arbeiten wollen, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten bestmöglich einsetzen und sich hier niederlassen.
Zudem würde ich mir angesichts der heftigen politischen Debatten rund um Migration wünschen, dass die Regierung das Fachkräfteeinwanderungsgesetz mit guter Kommunikation begleitet. Sie muss deutlich zu machen, wie sehr wir als alterndes Land mit einer schrumpfenden Arbeitsbevölkerung auf Einwander_innen angewiesen sein werden. Dafür gibt es sehr stichhaltige und wissenschaftlich gut belegte Argumente, die muss man nicht erfinden. Ich wäre auch für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt froh, wenn die Regierung aktiv für ihre Politik werben würde. Das ist in der Vergangenheit – nicht zuletzt auch bei der Aufnahme von Geflüchteten 2015 und 2016 – zu kurz gekommen. Es reicht eben nicht, eine richtige Politik zu machen, man muss als Politik auch in der Öffentlichkeit dafür eintreten und erklären, warum man das macht.
In dem Eckpunktepapier steht, dass Unternehmen unterstützt werden sollen, wenn sie in ausgewählten Ländern zusätzlich für den deutschen Arbeitsmarkt ausbilden. Dabei will sich die Bundesregierung an „Prinzipien für eine ethisch verantwortbare Gewinnung von Fachkräften“ halten und positive Effekte auf die lokale wirtschaftliche Entwicklung fördern. Was bedeutet das konkret und wie bewerten Sie dieses Vorhaben?
Dr. Angenendt: Das ist meine Lieblingsidee, denn mit ihr könnte dem Problem des Braindrain begegnet werden, insbesondere in Pflegeberufen: Zum Teil werben ausländische Unternehmen so viele gut ausgebildete Fachkräfte aus einem Land ab, dass die dortige Bevölkerung unterversorgt ist. Um dem zu begegnen, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO schon vor vielen Jahren Grundsätze für eine so genannte „ethische Rekrutierung“ formuliert. Auch wenn sie ein wichtiges Problem angehen, halte ich diese Grundsätze für problematisch, weil sie viel zu pauschal sind. Die konkrete Situation in einem Land ist immer schwierig zu beurteilen, und damit auch die Frage danach, ob eine Anwerbung in diesem speziellen Fall ethisch oder unethisch ist. Und: Darf ein Land den Bürger_innen eines anderen Landes vorschreiben, dass sie nicht auswandern dürfen, weil dies das Wohlergehen ihres Heimatlandes gefährden könnte? Ausbildungspartnerschaften wie die im Eckpunktepapier vorgeschlagenen könnten einen Ausweg aus diesem Dilemma bieten.
Dazu müssten in den Partnerländern zum Beispiel Pflegeschulen aufgebaut werden, die nach unseren Standards in der Altenpflege gleichzeitig für unseren Bedarf sowie für den Bedarf des Partnerlandes ausbilden. Wenn eine solche „Double-track“-Ausbildung gelänge, wäre das Problem der ethischen Rekrutierung und des Braindrain sehr viel geringer. Ich hoffe sehr, dass solche Vorschläge konkretisiert und möglichst schnell in der Praxis ausprobiert werden.
Sie plädieren für eine „entwicklungsorientierte“ Migrationspolitik. Was sind die Grundpfeiler einer solchen Migrationspolitik und wie sollte sich die deutsche Politik ändern?
Dr. Angenendt: Eine entwicklungsorientierte Migrationspolitik hat in erster Linie vor Augen, was sichere und geregelte Migration für Entwicklung leisten kann, beispielsweise durch Geldtransfers, Wissensaustausch und Investitionen. Sie geht nicht nur von unseren Bedürfnissen und Wünschen aus, sondern bezieht die Interessen des Herkunftslandes und der Migrant_innen ein, so dass alle Beteiligten von Migration profitieren können. Das ist die Voraussetzung für wirksame und nachhaltige Programme.
Das erfordert aber zwangsläufig, dass bei uns ebenso wie in den Partnerländern viele Akteure in die Entwicklung der Programme und deren Umsetzung einbezogen werden. Das sind bei uns etwa das Entwicklungsministerium, das Auswärtige Amt, aber auch Migrant_innenenverbände und die Privatwirtschaft. Nur wenn klar ist, wie die Interessen der Partnerländer und wie die Rechte der Migrant_innen gewahrt bleiben, können gute und funktionierende Programme entwickelt werden. Dafür brauchen wir auf staatlicher Ebene, hier wie in den Partnerländern, einen Whole-of-Government-Ansatz, der die verschiedenen Ressorts systematisch beteiligt, und die für die Umsetzung nötigen Verwaltungskapazitäten. Dafür gibt es in Deutschland einige gute Ansätze, vor allem eine lebendige Diasporalandschaft, aber es bleibt noch viel zu tun.
Sehr wichtig ist, dass bei der Entwicklung und Umsetzung der Migrationspolitik der internationale Austausch gesucht wird und dass die Erfahrungen mit Migrationsprogrammen und mit den Reformen hier mit anderen Staaten und Akteuren diskutiert werden. Dafür wird es im Rahmen des Globalen Migrationspaktes, der ja im Dezember in Marrakesch verabschiedet werden soll, Gelegenheiten geben, vor allem aber im Rahmen des Global Forum on Migration and Development (GFMD), das allen Beteiligten ein Forum für den Austausch und für die Diskussion über gute Praktiken bieten kann. Die Bundesregierung sollte diese Austauschmöglichkeiten nutzen und die Prozesse weiter fördern.
Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Thema Migration und haben in verschiedenen Funktionen die Bundesregierung beraten. Wie hat sich die Debatte über Migration und Entwicklung aus Ihrer Sicht über die Zeit verändert? Spiegelt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz den aktuellen Zeitgeist wieder?
Dr. Angenendt: In den vergangenen Jahrzehnten hatten wir ein ziemliches Hin und Her in der Debatte über Migration und Entwicklung. Da haben sich Hoffnung und Skepsis mehrfach abgewechselt, auch in der Forschung. Inzwischen hat sich aber in der Forschung eine positive Sichtweise durchgesetzt, weil die Forschungsbefunde dazu eindeutig sind. Und tatsächlich hat sich auch die politische Debatte gewandelt, diese Forschungsergebnisse sind offensichtlich wahrgenommen worden.
Im Jahr 2016 – wohlgemerkt in der Zeit, in der die Fluchtbewegungen besonders stark waren – haben die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen in der New Yorker Erklärung bekräftigt, dass sie in sicherer, geregelter und legaler Migration eine wichtige Entwicklungskraft sehen. Der frühere Sonderbeauftragte der UN, Peter Sutherland, hat dazu einmal formuliert, dass es nicht um Migration ODER Entwicklung gehe, sondern darum, das Potenzial von Migration so zu nutzen, dass daraus eine Entwicklung entstehen kann: Dann sei Migration Entwicklung. Dafür allerdings müsse die Migration geregelt werden, die Rechte der Migrant_innen müssten gesichert werden, und in den Zielländern müssen die Regierungen aktiv um Akzeptanz für Einwanderung werben.
Ich finde viele dieser Einsichten in dem Eckpunktepapier für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetzes wieder; daher ist es im Prinzip auch auf der Höhe der Zeit. Der Zeitgeist hat sich eben auch verändert. Das aktuelle Erstarken der populistischen und fremdenfeindlichen Kräfte darf nicht den Blick darauf verstellen, dass sich unsere Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt hat: Unsere Gesellschaft ist heute viel offener für Einwanderung und Vielfalt als noch vor zwei oder drei Jahrzehnten. Gleichwohl wird die nationale und internationale Gestaltung der Migration eine Daueraufgabe bleiben.
Dr. Steffen Angenendt leitet die Forschungsgruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und arbeitet zu den Themengebieten Migration, Entwicklung und Demographie.
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