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Zehntausende Uruguayer_innen protestieren gegen ein Referendum zur Sicherheitspolitik und fordern Alternativen zur Politik der »harten Hand«.
Bild: Julieta Núñez (am Mikrofon) von Lucía Silva Musso - Merak Fotografía
Bild: Demo-Banner: Nein zur Reform, die Angst ist nicht die Form von Copyright: MediaRed | www.facebook.com/mediareduy/
Was tun gegen zunehmende Kriminalität? Die verführerisch einfache Antwort darauf ist oft die »harte Hand« - wie auch im sonst so progressiven Uruguay. So erzwang der rechte Flügel der konservativen Partido Nacional mit einer Unterschriftenkampagne ein Referendum mit dem Titel »Leben ohne Angst«. Am 27. Oktober steht dies parallel zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zur Abstimmung. Dagegen protestieren Zehntausende auf den Straßen. Auch Gewerkschaften und soziale Bewegungen mobilisieren dagegen, darunter das Menschenrechtskollektiv Colectivo Catalejo, mit dem die FES schon länger zusammenarbeitet. Mit dessen Vertreterin Julieta Núñez sprach Sebastian Sperling, Leiter der FES Uruguay.
Es gibt in der Gesellschaft gerade ein sehr dringendes und legitimes Bedürfnis nach mehr Sicherheit. Allerdings führt dieses Bedürfnis fast ausschließlich zu der Forderung nach härteren Strafen - durch den Staat oder im Extremfall gar durch Selbstjustiz. Repressive Maßnahmen versprechen schnelle Lösungen. Doch letztlich begegnen wir damit der Gewalt nur mit noch mehr Gewalt. Das Referendum erschöpft sich in der Militarisierung der inneren Sicherheit und der Verschärfung des Strafrechts. Um der Komplexität des Themas gerecht zu werden, wollen wir einen anderen Ansatz, einen menschlichen, der die Rechte des Einzelnen sowie der Gesellschaft ins Zentrum stellt und die strukturellen Probleme angeht, v. a. die soziale Ungleichheit.
Natürlich, die Angst ist legitim und oft fundiert, oft aber auch gezielt geschürt und instrumentalisiert. Ja, die Zahl der registrierten Verbrechen steigt, aber wir sind immer noch eines der sichersten Länder der Region. Von welcher Angst reden wir denn? Angst müssen in Uruguay vor allem die Ärmsten haben, die Schutzlosesten, die Stigmatisierten. Wovor man Angst hat, unterscheidet sich je nach Generation und Geschlecht. Frauen müssen in Uruguay v. a. in den eigenen vier Wänden Angst vor Gewalt haben. Schauen wir einmal auf die Statistik der unnatürlichen Todesfälle: 45 Prozent der Morde geschehen innerhalb krimineller Banden. Davon sind Du und ich nicht betroffen. Bei 16 Prozent der Fälle geht es um Bekannte innerhalb des Viertels, 13 Prozent passieren in der Familie. Nur 13 Prozent der Morde finden im Rahmen von Raubüberfällen statt (der Rest sind andere unnatürliche Todesursachen). Die gezielte Angstmache von Teilen der Rechten und die vorgeschlagene Militarisierung als Antwort adressieren letztlich nur diese 13 Prozent. Angst zu generalisieren und politisch zu instrumentalisieren ist gefährlich. Dagegen stehen wir auf!
Das eine ist natürlich aktuell die von einer breiten gesellschaftlichen Allianz getragene Kampagne gegen die mit dem Referendum angestrebte Verfassungsreform. Aber unsere Arbeit geht darüber hinaus. Wir wollen die Menschen ermutigen, sich nicht von Angst vereinnahmen zu lassen. Diese ist zwar legitim, genau wie die Wut, die man als Opfer von Gewalt fühlt. Vergeltung führt aber nur in eine Spirale der Gewalt. Die Antwort ist viel komplexer, als man uns glauben lässt. Wir wollen zeigen, dass es andere Wege gibt, nicht nur in der Theorie, sondern schon jetzt in der Praxis, hier in Uruguay! Gemeinsam mit der FES und als Teil der aktuellen FES-Kampagne #PensaloBien machen wir diese Ansätze schon seit einiger Zeit mit einer breit angelegten Initiative unter dem Motto »In Uruguay gibt es mehr als Angst und Gewalt« (siehe www.fes-uruguay.org/) sichtbar, in Video-Interviews oder wie zuletzt auf einer öffentlichen Bühne mitten in der Stadt: Initiativen, die mit Strafgefangenen arbeiten, ihnen Zugang zu Kultur und Bildung ermöglichen und damit die Rückfallquoten dramatisch senken; Eigeninitiativen von Menschen in ärmeren Vierteln, die mit Kindern aus schwierigen familiären Verhältnissen arbeiten; Obdachlose, die sich im Kollektiv »Ni todo está perdido« (noch ist nicht alles verloren) organisieren, um sich gegenseitig zu unterstützen. Es geht darum, die Menschen hinter den Statistiken zu sehen. Die Betroffenen wollen gehört werden, weil sie am besten wissen, wie man ganz konkret strukturelle Probleme anpacken kann. Der Reflex, aus Angst schnell die harte Hand des Staates zu fordern, kommt auch daher, dass andere, intelligentere Ansätze wie diese nicht bekannter sind. Da setzen wir an.
Das Wichtigste ist, die öffentliche Bildung weiter zu stärken und dabei Ungleichheiten bei Zugang und Qualität weiter abzubauen. Dann muss die Situation in den Gefängnissen deutlich verbessert werden, sie sind überfüllt und die Rückfallquoten dramatisch, weil wir in den Gefängnissen nur verwahren und bestrafen, statt zu resozialisieren. Wir müssen den Menschen helfen, sich nach der Zeit im Gefängnis wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Dafür ist der Zugang zum Arbeitsmarkt entscheidend. Außerdem müssen wir unsere Polizei weiter reformieren, damit sie nicht nur effektiver Verbrechen aufklärt, sondern in den Vierteln auch präventiv arbeitet. Das alles ist aufwendig, aber langfristig wird es zu höheren Kosten führen, wenn wir all das nicht tun.
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Mareike.Schnack(at)fes.de
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