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Die Mehrheit der Gewerkschaften im Europäischen Dienstleistungssektor verfügt über keine Tarifverträge zu KI am Arbeitsplatz. Dies ergab eine aktuelle Erhebung der FES und UNI Europa.
Ende 2022 trat die Künstliche Intelligenz (KI) explosionsartig in das öffentliche Bewusstsein. Die Firma Open-AI hat mit ChatGPT, einem chatbasierten KI-System, erstmals eine solche KI kostenlos und für alle zugänglich auf den Markt gebracht.
Im Jahr darauf traten die in der Writers Guild of America organisierten Hollywood-Autor_innen in einen 148 Tage andauernden Streik. Sie kämpften - erfolgreich - nicht nur für mehr Gehalt und Arbeitsplatzsicherheit, sondern auch für die Begrenzung des Einsatzes von KI im Schreibprozess.
Diese sehr öffentlichkeitswirksamen Darstellungen der Möglichkeiten und Herausforderungen von KI verdecken jedoch die Tatsache, dass KI und algorithmische Managementsysteme seit einigen Jahren in verschiedenen Branchen weit verbreitet sind. Obwohl sie gemeinhin mit der Plattformwirtschaft (oder Gig-Economy) in Verbindung gebracht werden, erlebt die Nachfrage nach KI und algorithmischen Managementsystemen einen Boom - nicht nur in großen Tech-Firmen, sondern auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Die Einführung dieser Technologien am Arbeitsplatz wirft für Beschäftigte und Gewerkschaften viele Fragen auf – angefangen beim Datenschutz und der Privatsphäre bis hin zu den Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen. Dazu gehören die Überwachung der Belegschaft, Voreingenommenheit bei Entscheidungsprozessen oder die mögliche Verletzung von Menschenrechten.
Zum Beispiel sind solche KI-Systeme bereits im Rekrutierungsmanagement weit verbreitet. Sie scannen Bewerbungsunterlagen anhand bestimmter Kriterien, führen Hintergrundchecks durch, in dem sie Social-Media-Profile analysieren, und treffen basierend darauf eine Vorauswahl an Kandidat_innen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Bewerber_innen aussortiert werden, ohne, dass ihre Bewerbung je von einem Menschen begutachtet wurde.
Ein weiteres Problem ist die Kluft zwischen Führungskräften und Beschäftigten hinsichtlich des Zugangs zum Wissen über die Funktionsweise der eingesetzten KI-Systeme am Arbeitsplatz. Außerdem verwenden diese Systeme Techniken des maschinellen Lernens, um Daten zu evaluieren, Empfehlungen auszusprechen und Entscheidungen zu treffen - nicht nur über die Einstellung von Beschäftigten, sondern auch über deren Vergütung oder Entlassung – ohne ausreichende menschliche Aufsicht.
Hinzu kommt, dass laut einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und UNI Europa, dem Europäischen Gewerkschaftsdachverband für 7 Millionen Dienstleistungsbeschäftigte, sich nur ein Drittel der Beschäftigten in Europa über die Existenz solcher Instrumente und deren Einsatz an ihrem Arbeitsplatz bewusst ist. Des Weiteren zeigt die Umfrage von 2022, dass 47 Prozent der Beschäftigten starke Tarifabkommen über Technologie am Arbeitsplatz und Datenschutz wünschen.
Zwei Jahre später muss allerdings konstatiert werden, dass noch nicht allzu viel geschehen ist. Eine neue, nicht-repräsentative Erhebung UNI Europas unter ihren Mitgliedsgewerkschaften, ergab, dass die Mehrheit (69 Prozent) der Gewerkschaften im Europäischen Dienstleistungssektor weiterhin keine Tarifverträge haben, die sich mit KI am Arbeitsplatz befassen.
Allerdings führen bereits 42 Prozent der befragten Gewerkschaften Diskussionen und Verhandlungen zu verschiedenen Themen im Zusammenhang mit KI, obwohl es sich dabei nicht ausschließlich um Tarifverhandlungen handelt. Die Gewerkschaften priorisieren dabei insbesondere Fragen des Datenschutzes, der Privatsphäre, der automatisierten Schichtplanung sowie der Auswirkungen von KI auf die Arbeitszeit und die Überwachung von Aktivitäten der Beschäftigten.
Auf der „Wunschliste“ der Gewerkschaften stehen weitere KI-bezogene Themen, die bisher noch nicht verhandelt wurden, jedoch Gegenstand zukünftiger Verhandlungen sein sollten. Dazu gehören Arbeitnehmer_innenrechte, insbesondere das Recht, Entscheidungen, die durch automatisierte Prozesse getroffenen wurden, anzufechten, sowie das Recht auf Beratung durch externe Datenexpert_innen. Darüber hinaus besteht ein starker Wunsch nach einem Recht auf Information und Beratung, beispielsweise in Form von Mitarbeitendenschulungen, über den Einsatz und die Bewertung von KI-Tools.
Diese Erhebung wurde im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojektes zwischen UNI Europa und dem FES Kompetenzzentrum Zukunft der Arbeit. durchgeführt. Das Projekt zielt darauf ab, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Gewerkschaften im europäischen Dienstleistungssektor für den zunehmenden Einsatz von KI-Systemen am Arbeitsplatz zu sensibilisieren und wird durch konkrete Beispiele von aktuellen Tarifverträgen unterstützt, die Klauseln zu KI am Arbeitsplatz enthalten. Es umfasst zwei Studien: Die erste zielt darauf ab, häufig verwendete KI-Systeme zu identifizieren, während die zweite die aktuelle Situation von Tarifabkommen über den Einsatz von KI-Systemen seitens der Arbeitgeber_innen gegenüber den Beschäftigten analysiert. Spezifische Klauseln aus verschiedenen Tarifverträgen werden herausgegriffen und durch ein visuell intuitives Dashboard auf der Webseite des FES Kompetenzzentrums Zukunft der Arbeit zugänglich gemacht.
Die beiden Studien auf Englisch und Deutsch finden sich auf der Projektseite.
Oliver Philipp arbeitet als Policy Officer im Kompetenzzentrum "Zukunft der Arbeit" der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brüssel. Er hat in Mainz, Dijon und Oppeln/Polen Europa- und Politikwissenschaften studiert.
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