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Keine Illusionen – Unser Verhältnis mit Iran bleibt schwierig

Iran muss sich bewegen, unabhängig von der Frage, wer nächster Präsident wird. Bei den Verhandlungen darüber kommt Europa eine entscheidende Rolle zu – über das Atomabkommen hinaus.

Porträt von Nils Schmid. Er hat dunkelbraune Haare und lächelt.

Bild: Schmid

Nils Schmid

 

 

Iran steht wieder einmal im Zentrum unserer außenpolitischen Aufmerksamkeit, wenn am 18. Juni ein neuer Staatspräsident gewählt wird. Da Hassan Rohani nach zwei Amtsperioden nicht erneut antreten darf, erwartet uns mindestens personell eine Erneuerung an der Spitze der iranischen Exekutive.

Obwohl der Präsident nur begrenzt die grundsätzlichen außen- und sicherheitspolitischen Linien Irans mitbestimmen kann, so hat er doch einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Beziehungen zum Westen. Dies zeigten etwa die unterschiedlichen Politikansätze des moderaten Konservativen Rohani und seines Vorgängers Mahmoud Ahmadinedschad sowie deren Wahrnehmung bei uns im Westen.

Wir blicken in diesen Tagen aber nicht nur nach Teheran, Maschhad oder Isfahan und fragen uns, wo die Iraner*innen ihr Kreuz auf dem Wahlzettel machen werden. Wir schauen auch gespannt ins davon weit entfernte Wien, wo Diplomat*innen am Verhandlungstisch über die Zukunft des Nuklearabkommens ringen.

Das Nuklearabkommen, der Joint Comprehensive Plan of Action (kurz: JCPOA), das 2015 von Iran und den E3/EU+3-Staaten unterzeichnet wurde, also von den drei europäischen Ländern Frankreich, Großbritannien, Deutschland und der Europäischen Union sowie von China, Russland und den USA, war eine Erfolgsgeschichte europäischer Diplomatie. Ein Grundstein dafür wurde während der rot-grünen Regierungsjahre gelegt, als der deutsche Außenminister zusammen mit seinen Amtskollegen aus Großbritannien und Frankreich 2003 mit einer Reise nach Teheran viel politisches Kapital investierte, um den gefährlichen Konflikt über das iranische Nuklearprogramm auf politischem Weg zu lösen. Letztlich auszahlen sollten sich die Bemühungen erst nach einem zwölf Jahre andauernden diplomatischen Marathon, der schließlich zum Abschluss des JCPOA in Wien führte.

Das JCPOA ist nicht perfekt. Es enthält Beschränkungen, die nach einigen Jahren auslaufen. Es umfasst weder das ballistische Raketenprogramm Irans, noch hindert es das Land an einer aggressiven Außenpolitik. All das war den Beteiligten selbstverständlich auch 2015 klar. Und trotzdem steht auch aus heutiger Sicht noch fest, dass die Unterzeichnung richtig war. Denn das wichtigste Ziel konnte durch das Abkommen erreicht werden: Es verhinderte die atomare Bewaffnung Irans, die wiederum einen nuklearen Rüstungswettlauf im Nahen Osten ausgelöst hätte – mit potentiell katastrophalen Auswirkungen, die sich niemand ausmalen möchte.

Außerdem wurde ein strenges Überprüfungsregime durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien eingesetzt, um die Verpflichtungen Irans unabhängig zu kontrollieren. In den regelmäßigen Berichten attestierte die IAEO, dass sich Iran an die Vereinbarungen hielt. Im Gegenzug zur Vertragstreue wurde Teheran die Lockerung von Sanktionen zugesichert, wovon die Wirtschaft und Bevölkerung Irans profitieren sollte. Als ich kurz nach der Unterzeichnung des JCPOA als Wirtschafts- und Finanzminister Baden-Württembergs in das Land reiste, standen die Zeichen auf Aufbruch und Öffnung. Und bei jedem Gespräch, das ich führte, lag Hoffnung auf eine Verbesserung der Wirtschaftslage und eine Annäherung an den Westen in der Luft.

Groß war deshalb die Enttäuschung und das Unverständnis, als Präsident Donald Trump die USA aus dem JCPOA führte – sowohl in Iran als auch bei den anderen Vertragsstaaten. Mit seiner Politik des „maximalen Drucks“ versuchte Trump, das iranische Regime im Alleingang in die Knie zu zwingen und eskalierte dafür die US-Sanktionspolitik immer weiter.

Zwar versuchten die E3 durch kreative und mutige Antworten, wie der Gründung der Zweckgesellschaft INSTEX im Jahr 2019, den legalen Handel zwischen Europa und Iran weiter zu ermöglichen. Leider erzielten diese Bemühungen aber nur symbolische Erfolge. Denn der Druck durch die extraterritorialen US-Sanktionen ließ auch den europäischen Iranhandel drastisch einbrechen. In Iran stieg die Inflation sprunghaft an, die Wirtschaft liegt heute am Boden und es herrscht hohe Arbeitslosigkeit, speziell unter den jungen Menschen – dazu kam die Corona-Pandemie, die nunmehr seit über einem Jahr im Land wütet. 

Für uns in Europa war die Trumpsche Iranpolitik ein Weckruf, der einen Emanzipationsprozess hin zu mehr europäischer Souveränität vorantrieb. Eine Lehre daraus ist, dass wir unsere Toolbox zur Abwehr geoökonomischer Zwangsmaßnahmen durch schlagkräftige Instrumente erweitern müssen. Wichtig sind deshalb die aktuellen Debatten über die Einrichtung einer Europäischen Exportbank, der Erneuerung der Blocking-Verordnung und der Einführung eines EU-Mechanismus zur Bekämpfung von Zwangsmaßnahmen. Zwar hat sich der Wind aus Washington gedreht, aber niemand kann ein „Trump-Reloaded“-Szenario in vier Jahren ausschließen.

Der US-Austritt war aber auch ein schwerer Rückschlag für die weltweiten Abrüstungsbemühungen. Denn das Signal, das von der Trump-Administration über den Globus ausgesendet wurde, war verheerend: Auf der einen Seite bestraft der US-Präsident das iranische Regime mit aller Härte, obwohl es sich an das JCPOA hielt und nachweislich auf die Option zur Atombombe verzichtete. Auf der anderen Seite belohnte er den nordkoreanischen Diktator, der die Bombe besitzt, mit Gipfeltreffen, ohne dafür auch nur eine Gegenleistung zu erhalten.

Umso wichtiger ist jetzt, dass wir mit Joe Biden wieder einen verlässlichen Partner an der Seite haben, der auf Diplomatie und Rüstungskontrolle setzt. „Build Back Better“ sollte nun auch das Motto für den Wiederaufbau des internationalen Rüstungskontrollregimes sein, das nach vier Jahren Trump in Trümmern liegt. Nach der Verlängerung des New-Start-Vertrages steht nun die Rückkehr der Vereinigten Staaten ins JCPOA an, wozu die US-Administration ihren ernsthaften Willen signalisiert hat.

Entscheidend ist jetzt vor allem, dass sich Iran bewegt. Darauf müssen alle Vertragsstaaten hinwirken, insbesondere auch China und Russland. Das Regime in Teheran hat sich für ein gefährliches Spiel mit dem Feuer entschieden. Indem es die Urananreicherung hochgefahren hat und weitere Verpflichtungen im Rahmen des JCPOAs missachtet, gefährdet Iran massiv das Überleben des Abkommens. Iran muss zur vollständigen Einhaltung des JCPOA zurückkehren.  

Unser Konflikt mit Iran geht aber weit über die Nuklearfrage hinaus. Neben dem ballistischen Raketenprogramm, das nicht nur für die Nachbarländer eine Bedrohung darstellt, geht es vor allem um Irans aggressive Regionalpolitik, die unter anderem die Unterstützung von Terrororganisationen und bewaffneten Milizen in Ländern wie Syrien, Irak oder Jemen umfasst.

Die E3, die sich gerade bei den Atomverhandlungen in Wien wieder einmal als ehrlicher Makler beweisen, sollten auch bei notwendigen Verhandlungen zu diesen über die ursprüngliche Nuklearvereinbarung hinausgehenden Themen eine entscheidende Rolle einnehmen. Eine langfristige Entspannung in der Region wird es allerdings nur durch eine Übereinkunft zwischen den beiden Hegemonialmächten Iran und Saudi-Arabien geben. Wir begrüßen deshalb die vorsichtige Annäherung zwischen Teheran und Riad, wo die Neuausrichtung der US-Politik unter Biden zu einem Umdenken geführt hat. Ein wichtiger erster Schritt wäre eine Verständigung im Jemen-Konflikt, der zur schlimmsten humanitären Krise unserer Zeit geführt hat. Aufbauend auf solchen Inseln der Kooperation braucht es langfristig eine regionale Sicherheitsarchitektur – auch wenn ein solches Übereinkommen aktuell wenig realistisch erscheint.

Die Leidtragenden der Entwicklungen der letzten Jahre sind die Iraner*innen, deren Leben sich nicht nur durch die harte US-Sanktionspolitik verschlechterte, sondern vor allem wegen der Machthaber in Teheran. Als die Iraner*innen ihre Wut über das System, über die grassierende Korruption, das staatliche Missmanagement und internationale Isolation im Jahr 2019 auf die Straße trugen, schlug das Regime die Massenproteste blutig nieder. Tausende wurden verletzt, Hunderte getötet.

Niemand sollte sich Illusionen über den Charakter des iranischen Regimes machen, denn auch unter dem vermeintlich Moderaten Rohani werden Menschenrechte mit Füßen getreten, gibt es willkürliche Verhaftungen und Folter, werden Minderjährige und Homosexuelle hingerichtet.

Unabhängig vom Ausgang der Wahlen und der Wiener Verhandlungen muss dem Regime in Teheran klar sein, dass wir weiterhin Menschenrechtsverletzungen deutlich kritisieren und mit Sanktionen gegen Verantwortliche vorgehen werden, etwa über das neue EU-Menschenrechtssanktionsregime. Unsere Aufmerksamkeit richtet sich insbesondere auch auf Doppelstaatler*innen, deren politisch motivierte Inhaftierung wir verurteilen und deren sofortige Freilassung wir fordern.

 

 

Dr. Nils Schmid ist Mitglied des Bundestages und Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Auf Twitter: @NilsSchmid

 

 


Über diesen Blog

Unser Blog möchte eine vielschichtige Debatte zu den iranischen Präsidentschaftswahlen am 18. Juni bieten. Hierzu wirft er Schlaglichter auf Aspekte, die für Iraner*innen im Kontext der Wahlen wichtig sind, ebenso wie auf Grundsätzliches, etwa der Frage nach der Bedeutung von Wahlen in einem autokratischen System. Beachtung finden auch die Perspektiven ausgewählter Regionalakteur*innen.

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David Jalilvand ist Analyst und leitet die Berliner Research Consultancy Orient Matters

Achim Vogt verantwortet das FES-Projekt Frieden und Sicherheit in der MENA-Region.

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Achim Vogt

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