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Wohlstand und Zusammenhalt sind in Europa auch mehr als zehn Jahre nach Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise weiterhin gefährdet. Die Ungleichheit zwischen den Mitgliedstaaten aber auch innerhalb der Länder hat sich verfestigt. Zwar konnte die Geldpolitik der EZB zur Abmilderung der Folgen der jüngsten Krise beitragen, doch noch immer fehlen wesentliche Elemente für ein stabileres Wachstum und mehr Wohlstand in Europa.
Hierzu zählen vor allem finanzpolitische Regeln und Instrumente, die den Mitgliedstaaten einen größeren Spielraum für mehr öffentliche Investitionen ermöglichen und die zugleich eine nachhaltige Stabilisierung des Euroraums im Falle von Krisen garantieren. Zugleich bedarf es einer stärkeren Koordination und Kooperation in der Lohn- und Steuerpolitik, um den nicht nur aus ökonomischer, sondern auch aus sozialer und politischer Sicht schädlichen Lohnunterbietungs- und Steuersenkungswettlauf in Europa zu beenden.
In dieser Studie untersuchen mehrere Wissenschaftler_innen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) die volkswirtschaftlichen Auswirkungen wirtschaftspolitischer Maßnahmen für ein stabileres Wachstum und mehr Wohlstand in Europa auf die vier größten Volkswirtschaften in der Eurozone – Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien – sowie auf den Euroraum insgesamt.
Mit dem Projekt Für ein besseres Morgen entwickelt die Friedrich-Ebert-Stiftung politische Vorschläge für die große Herausforderung unserer Zeit und bezieht Position. Weitere Informationen zum Projekt erhalten Sie hier:
Für ein besseres Morgen
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Öffentliche Investitionen spielen für die wirtschaftliche Entwicklung von Volkswirtschaften eine entscheidende Rolle. Allerdings wurden sie in Europa in den zurückliegenden Jahren nicht zuletzt durch die Einführung strenger Budget- bzw. Verschuldungsregeln und die sich daran anschließende Politik der Austerität stark vernachlässigt. So sind die öffentlichen Nettoinvestitionen etwa in Deutschland und Frankreich seit einigen Jahren nahe null.
In Spanien und Italien ist die Situation noch dramatischer; dort schrumpft der öffentliche Kapitalstock sogar. Insgesamt liegen die staatlichen Investitionen in der Europäischen Währungsunion heute rund 20 Prozent unter dem Wert von 2009.
Das zeigt: mit den nationalen Fiskalregeln (Schuldenbremsen), dem Stabilitäts- und Wachstumspakt auf europäischer Ebene sowie dem zwischenstaatlichen Fiskalpakt hat sich die Finanzpolitik im Euroraum zu restriktive Regeln auferlegt, die einer stetigen Erhöhung der öffentlichen Investitionen im Wege stehen. Dies gefährdet den notwendigen Einsatz zur Gestaltung drängender Herausforderungen wie die Digitalisierung der Arbeit, die Alterung der Gesellschaft oder einen wirksamen Klimaschutz.
Mit der Implementierung der sogenannten Goldenen Regel der Finanzpolitik ließe sich dieses Problem effektiv angehen und ein größerer Spielraum für mehr öffentliche Investitionen auf nationaler Ebene in den Mitgliedstaaten gewinnen. Gemäß der Goldenen Regel können und sollten öffentliche Nettoinvestitionen bis zu einem bestimmten Prozentsatz des BIP über Kredit finanziert werden, da sie zu einem höheren öffentlichen Kapitalstock und Wirtschaftswachstum in einer Volkswirtschaft führen und so auch den Wohlstand künftiger Generationen positiv beeinflussen.
Die Goldene Regel ist – anders als das Festhalten an der schwarzen Null – im Sinne der Generationengerechtigkeit. Sie ist ein sinnvoller Baustein der Finanzpolitik zur Verfestigung und Verstetigung der Investitionstätigkeit des öffentlichen Sektors in die ökonomische, ökologische, technologische und soziale Infrastruktur.
In einer Simulationen der Goldenen Regel wird für Deutschland angenommen, dass die kreditfinanzierten Nettoinvestitionen im Zeitraum 2011 bis 2017 schrittweise auf den Zielwert von 1,5 Prozent des BIP erhöht werden: Dies hätte spürbare zusätzliche Wohlstandsgewinne zufolge: Ab dem Jahr 2014 würde das deutsche BIP jährlich rund 1,3 Prozent höheren liegen und die Beschäftigungsquote würde steigen.
Eine weitere Folge wäre eine Verringerung des international häufig kritisierten deutschen Leistungsbilanzüberschusses. Trotz starkem Anstieg der Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand wäre die deutsche Staatsdefizit- und Schuldenstandsquote gesunken, da die Wirtschaftsleistung stärker zugenommen hätte als das Kreditvolumen.
Die Goldene Regel hätte einen bedeutenden Beitrag zur Bekämpfung des deutschen Investitionsrückstands dargestellt, ohne dabei die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu gefährden. Letztlich hätte diese fiskalpolitische Intervention Deutschlands auch positive ökonomische Effekte auf die übrigen Länder des Euroraums gehabt.
Noch stärker wären die positiven Effekte gewesen, hätten die anderen großen Volkswirtschaften bzw. der gesamte Euroraum in den zurückliegenden Jahren nach der Goldenen Regel gehandelt. Ein gemeinsames Verfolgen der Goldenen Regel der Finanzpolitik in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien ab dem Jahr 2011 hätte deutlich höhere BIP-Effekte – zwischen 1,5 Prozent und 2,6 Prozent – für die großen vier Volkswirtschaften des Euroraums im Vergleich zur tatsächlichen Entwicklung mit sich gebracht.
Auch die Arbeitslosenquoten sinken im koordinierten Szenario in der Eurozone deutlicher. Trotz Anstiegs der kreditfinanzierten öffentlichen Investitionen sind die öffentlichen Haushaltsdefizit- und Schuldenstandquoten des Euroraums auch in diesem Szenario ebenfalls rückläufig.
Neben den öffentlichen Investitionen ist die Lohnentwicklung eine ebenso zentrale ökonomische Größe. Von ihr hängt ein entscheidender Teil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ab. Zudem hat sie auch Einfluss auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Eine makroökonomisch motivierte, stabilitätsorientierte Lohnpolitik orientiert sich am Verteilungsspielraum, der durch die Entwicklung der Arbeitsproduktivität und die Preisentwicklung bestimmt wird.
Dieser stabilitätskonformen Lohnregel sind einige Länder der Eurozone sowohl im Vorfeld der Krise in den Jahren 2001 bis 2007 (insbesondere Deutschland, aber auch Spanien), aber auch im Nachgang zur Krise in den Jahren 2011 bis 2017 (unter anderem Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien) nicht immer gefolgt. Zumeist wurde der stabilitätswirksame Lohnpfad mitunter deutlich unterschritten.
Dies hat problematische Nebenwirkungen zur Folge: binnenwirtschaftlich beispielsweise eine erhebliche Verschlechterung in der Einkommensverteilung, was die gesamtwirtschaftliche Nachfrage im Inland dämpfte, und außenwirtschaftlich ein Anstieg der makroökonomischen Ungleichgewichte, was letztendlich zu schweren Finanz- und Wirtschaftskrisen wie in der jüngeren Vergangenheit führen kann.
Hohe außenwirtschaftliche Ungleichgewichte sind auch eine zentrale Ursache für die protektionistischen Maßnahmen, die derzeit den Welthandel bedrohen.
Was wäre geschehen, wenn es den Arbeitnehmer_innen im Euroraum gelungen wäre, in den Jahren 2011 bis 2017 den Verteilungsspielraum auszuschöpfen, also „stabilitätsgerechte“ Lohnsteigerungen durchzusetzen? In der Studie wird zunächst ein positiver Lohnschock für Deutschland simuliert, der für den Zeitraum 2011 bis 2017 zudem die Unterschreitung des stabilitätskonformen Lohnpfades im davor gelegenen Zeitraum 2001 bis 2007 aufgeholt hätte. Die Wirkung dieses Aufholeffekts auf das BIP fällt zwar nur moderat aus; sie wäre aber positiv.
Eine solche Lohnpolitik hätte zudem für ein rückläufiges Exportvolumen gesorgt. Die aufgrund des kräftigeren inländischen Preisanstiegs höheren Exportpreise und das aufgrund nachlassender importierter Vorleistungen rückläufige Importvolumen hätten zwar dazu geführt, dass die nominal ausgewiesenen Leistungsbilanzüberschüsse kaum gesunken wären.
Eine solche Lohnpolitik hätte aber ein stärkeres binnenwirtschaftliches Wachstum bewirkt und einen Verteilungseffekt zugunsten einkommensschwacher Haushalte gehabt, deren Einkommen stärker vom Faktor Arbeit abhängt. Hierdurch wäre auch die Wirtschaftsleistung der übrigen Länder des Euroraums ein wenig höher ausgefallen.
Wären die anderen Länder des Euroraums im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts dem deutschen Beispiel einer äußerst restriktiven Lohnpolitik gefolgt und hätten sie ähnlich geringe Lohnsteigerungen wie Deutschland in den Jahren 2001 bis 2007 erlebt, dann hätte sich die Wirtschaft in diesen Ländern noch schwächer entwickelt, als es tatsächlich der Fall gewesen ist.
Eine Übertragung des deutschen Modells der Lohnzurückhaltung auf andere Länder der Eurozone mit dem Ziel, die preisliche Wettbewerbsfähigkeit und damit über die Zunahme von Exporten an Wachstum und Wohlstand hinzuzugewinnen, stellt keinen erfolgreichen Weg für Europa dar.
Die Zunahme an Exporten aufgrund höherer preislicher Wettbewerbsfähigkeit überkompensiert den zu erwartenden Rückgang des privaten Verbrauchs zumeist nicht. Im Gegenteil: Eine solche Strategie schwächt in der Summe die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in den jeweiligen Ländern.
In Kombination mit öffentlichen Investitionen in Höhe der Goldenen Regel entfalten stabilitätskonforme Löhne in allen großen Volkswirtschaften des Euroraums in den in der Studie durchgeführten Simulationen eine deutliche positive BIP-Wirkung.
Die gestärkte Nachfrage führt durch höhere Produktion und Löhne zu höheren verfügbaren Haushaltseinkommen und hebt dadurch den privaten Verbrauch. Zudem ergibt sich ein sogenannter Crowding-In-Effekt, d.h. die öffentliche Investitionstätigkeit regt private Investitionen an. Die dynamischere Konsumentwicklung sorgt auch für eine rege Importtätigkeit.
Bei koordinierter Investitionspolitik im Euroraum wachsen auch die Exporte pro Jahr stärker aufgrund des starken Importwachstums wichtiger Handelspartner. Die BIP-Wirkung der Investitions- und Lohnschocks fällt nahezu additiv aus.
Zwischen 2013 und 2017 hätten die in allen großen Volkswirtschaften verfolgten expansiveren Investitions- und Lohnpfade in Deutschland demnach zu einem knapp 1,5 Prozent höheren BIP pro Jahr geführt. Im Euroraum hätten die expansiveren Investitions- und Lohnpfade im gleichen Betrachtungszeitraum insgesamt zu einem jeweils gut einem Prozent höheren BIP geführt.
Hohe Leistungsbilanzungleichgewichte werden weithin als wichtiger Indikator für makroökonomische Instabilität angesehen. Entsprechend wird Deutschland für seine andauernd hohen Leistungsbilanzüberschüsse kritisiert. Aufgrund des stärkeren Import- als Exportwachstums kommt es bei einer Kombination aus Goldener Regel öffentlicher Investitionen und stabilitätskonformer Lohnregel in den in der Studie durchgeführten Simulationen tendenziell zu einer Dämpfung des Leistungsbilanzsaldos.
Für Deutschland impliziert das ein Annähern des Leistungsbilanzüberschusses an die Vorgaben des gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichtsverfahrens der Europäischen Kommission. So liegt der Leistungsbilanzüberschuss gegen Ende des Simulationszeitraums statt bei über 8 Prozent nur noch bei etwa 6,5 Prozent des BIP. Für den Euroraum fällt der Leistungsbilanzüberschuss um durchschnittlich 0,5 Prozent des BIP geringer aus als in der tatsächlichen Entwicklung.
Die Simulationen zeigen, dass Maßnahmen einer kombinierten, stabilitätsorientierten Investitions- und Lohnpolitik zu größerer makroökonomischer Stabilität und mehr Wachstum und Wohlstand im gesamten Euroraum führen würden.
Der Eurozone fehlen immer noch wichtige finanzpolitische Instrumente für eine nachhaltige Stabilisierung des Euroraums. So liegt der vorrangige Fokus zur Bekämpfung oder Dämpfung ökonomischer Verwerfungen und Krisen derzeit immer noch bei der Geldpolitik der EZB, während im Bereich der Fiskalpolitik nur eine geringe Handlungskapazität auf europäischer Ebene besteht.
Dies ist problematisch, da durch den Fokus auf geldpolitische Maßnahmen – die naturgemäß immer auf die gesamte Eurozone wirken und daher stets eine One-Size-Fits-All-Politik der zwischenstaatlichen Kompromisse darstellen, die an den eigentlichen Erfordernissen einzelner Länder regelmäßig vorbeigeht – keine geografische Akzentuierung konjunkturstärkender Maßnahmen möglich ist. Zugleich bedingt das aktuelle Fiskalregelwerk in der EU, dass die Mitgliedstaaten in Krisenzeiten zu wenig eigenen fiskalpolitischen Spielraum für wirtschaftsbelebende Maßnahmen haben.
Damit bleibt die konjunkturelle Steuerungsfähigkeit der Eurozone weit hinter ihrem Potenzial zurück, und die Möglichkeiten zur Abfederung wirtschaftlicher Probleme in einzelnen Ländern sind auf ineffiziente Weise beschränkt. In einer Situation, in der die Geldpolitik ihre Mittel mit einem Leitzins von Null weitgehend ausgeschöpft hat, ist diese Konstellation besonders problematisch.
Der Eurozone fehlt letztlich aber nicht nur ein Instrumentarium für ein gezieltes konjunkturpolitisches Vorgehen in Zeiten wirtschaftlicher Abschwünge. Vielmehr sind auch die Möglichkeiten massiv eingeschränkt, Europas langfristige Konvergenzprozesse mit fiskalischen Mitteln zu unterstützen.
Eine adäquat ausgestaltete europäische Arbeitslosenrückversicherung könnte einen Teil einer Fiskalkapazität auf Eurozonenebene darstellen und hätte das Potenzial, konjunkturelle Schwankungen im Euroraum auszugleichen, eine stärkere Konvergenz zwischen den Mitgliedsländern zu erreichen und so zu stabilerem Wachstum und mehr Wohlstand in Europa zu führen. Die Konjunkturzyklen der Euroraum-Länder werden zwar nie vollständig synchron verlaufen.
Eine europäische Arbeitslosenrückversicherung kann aber Länder, die eine konjunkturelle Schwächephase durchlaufen, mittels Transferzahlungen aus boomenden Volkswirtschaften konjunkturell stabilisieren. Dabei muss es nicht notwendigerweise zu dauerhaften Transferzahlungen kommen, sondern nur zu temporären Krediten zwischen den entsprechenden nationalen Arbeitslosenversicherungen. Dies hängt von der jeweiligen Ausgestaltung einer europäischen Arbeitslosenrückversicherung ab.
Sie könnte sich beispielsweise aus Beiträgen der Mitgliedsländer speisen und von wirtschaftlichen Schocks betroffenen Ländern Mittel zur Verfügung stellen. Die in der Studie durchgeführte Analyse modelliert zunächst ein Ansparen bzw. Einzahlen aller Euroraumländer in einen Fonds in Höhe von 0,1 Prozent des jeweiligen nominalen BIP. Dann werden die Wirkungen möglicher Auszahlungen des Fonds in Abhängigkeit von der Entwicklung der Arbeitslosigkeit für die großen Volkswirtschaften des Euroraums untersucht.
Der Fonds leistet Unterstützungszahlungen für Arbeitslose in Höhe von 13,5 Prozent des durchschnittlichen Arbeitnehmerentgeltes, wenn in einem Land die Arbeitslosenquote um mehr als 2 Prozentpunkte gegenüber dem Durchschnitt der vorangegangen fünf Jahre gestiegen ist. So soll gewährleistet werden, dass Ländern, die sich in einer wirtschaftlichen Schwächephase befinden, zusätzliche Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden, während andere Länder, deren Wirtschaftszyklus nicht von einer Schwächephase betroffen ist, weiterhin über den Fonds zur Finanzierung beitragen. Insofern stellt dieser Fonds eine Versicherung gegen asymmetrische Konjunkturschocks dar.
Die Einführung eines europäischen Arbeitslosenrückversicherungssystems hätte deutliche stabilisierende Effekte auf das Wachstum und die Beschäftigung der teilnehmenden Länder. Deutschland hätte von der Einführung einer europäischen Arbeitslosenrückversicherung in den Jahren 2005 und 2006 als erstes Land direkt profitiert. Die Unterstützungszahlungen wären hier aber nur gering und von kurzer Dauer gewesen. Stärker profitiert hätten die italienische und vor allem die spanische Volkswirtschaft im Zuge der Krise in der Eurozone.
Für Italien wären Unterstützungszahlungen zwischen 2012 und 2014 in Höhe von insgesamt 42,4 Mrd. Euro ausgelöst worden. Diese hätten während der Eurokrise den privaten Verbrauch und somit auch das BIP erheblich stabilisiert: Das italienische BIP wäre in den Jahren 2012 bis 2016 um jeweils knapp 8 Milliarden Euro bzw. 0,5 Prozent höher ausgefallen. Für Spanien zeigt sich der größte Bedarf an Unterstützungszahlungen aus dem europäischen Rückversicherungssystem (122,2 Mrd. Euro von 2009 bis 2014).
Die stabilisierende Wirkung der eingesetzten Mittel wäre hier aber auch am größten gewesen. In Spanien wäre das BIP in den Jahren 2009 bis 2015 um jeweils gut 15 Milliarden Euro bzw. 1,5 Prozent höher als tatsächlich ausgefallen; bis 2017 hätten sich die zusätzlichen BIP-Zuwächse auf über 130 Milliarden Euro summiert.
Das sogenannte neue „Haushaltsinstrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit“ der EU zielt in erster Linie auf die Unterstützung von Reformen und Investitionen in den Ländern des Euroraums ab und wird voraussichtlich im Jahr 2021 in Kraft treten. Ausgestattet wird es für die ersten sieben Jahre voraussichtlich nur mit der überschaubaren Summe von rund 17 Milliarden Euro.
Die erstmalige Schaffung eines eigenen Budgets unter einer in Zukunft möglichen effektiveren Ausgestaltung bietet zwar grundsätzlich das Potenzial zur Stabilisierung des Euroraums; in der jetzigen Ausgestaltung verfehlt das ohnehin sehr geringe Budget aber das Ziel, eine integrierte Fiskalpolitik auf europäischer Ebene zu schaffen, die effektiv und antizyklisch stabilisierend auf die ökonomische Wohlfahrt des Euroraums wirken kann.
In den in der Studie durchgeführten Simulationen werden fiskalische Mittel aus dem Euroraumbudget in einem Land dann ausgegeben, wenn die tatsächliche BIP-Entwicklung des Landes das Produktionspotenzial um mehr als ein Prozent unterschreitet (negative Produktionslücke). Es zeigt sich, dass das von der EU angedachte geringe Volumen des Euroraumbudgets selbst bei antizyklischer Ausgestaltung kaum Stabilisierungseffekte entfalten kann.
Anders sähe dies bei einem größeren Euroraumbudget aus. Hier ergeben sich den Simulationsergebnissen zufolge nicht zu vernachlässigende Stabilisierungseffekte auf das Wachstum in Deutschland (2003 – 2005, 2009 – 2010), in Italien (2009) und in Spanien (2009, 2013 – 2014).
Ein gemeinsames Eurozonenbudget, das mit signifikanten Mitteln ausgestattet für eine antizyklische europäische Finanzpolitik zur Verfügung stünde, hätte somit ebenfalls positive Wachstums- und Stabilisierungseffekte auf die Länder des Euroraums. Eine noch stärkere stabilisierende Wirkung wäre aber bei einem noch höheren Budgetvolumen durchaus möglich.
Auch der mitunter unfair geführte Wettbewerb im Bereich der Steuerpolitik ist ein weiteres großes Problem innerhalb Europas, das einem stabileren Wachstum und einer stärkeren Wohlstandsentwicklung im Wege steht. Mehrere EU-Länder forcieren eine Strategie möglichst niedriger Steuerbelastungen für Unternehmen, um sich so im Standortwettbewerb Vorteile auf Kosten anderer Mitgliedsländer zu verschaffen.
Jene Länder, die durch besonders attraktive Rahmenbedingungen multinationale Unternehmen bzw. ausländisches Kapital anziehen, schaffen durch sehr niedrige Steuertarife Anreize für Unternehmen bzw. besonders vermögende Personen, ihre Geschäfte, Gewinne und Finanzanlagen in ihr Hoheitsgebiet zu verlagern.
Zusätzliche Steuereinnahmen bzw. Arbeitsplätze, die aufgrund dieser gezielten Unterbietung regulatorischer Standards in diesen Ländern anfallen, richten jedoch mittel- und langfristig für die restlichen Länder Europas erhebliche Schäden an: Sie fördern insbesondere einen steuerlichen Unterbietungswettlauf, der die nationalstaatliche Einnahmenbasis, d.h. die Steuereinnahmen negativ beeinflusst und dadurch auch die Ausgabentätigkeit, d.h. die Finanzierung öffentlicher Güter und des Sozialstaates erschwert.
Dies erhöht nicht nur den Budgetkonsolidierungsdruck, sondern zugleich auch die Steuerlast der Medianeinkommensbezieher_innen, d.h. der „normalen“ Steuerzahler_innen. Die Verschiebungen von Gewinnen und Finanzanlagen innerhalb der EU dienen somit allein der Minimierung von Steuerzahlungen zum Vorteil der Unternehmenseigner und Finanzinvestoren und geht zu Lasten der Allgemeinheit Aus dem Wettbewerb um die niedrigste Steuerbelastung zwischen den EU-Ländern entstehen folglich erhebliche gesamtwirtschaftliche Nachteile.
Ein Lösungsansatz für das Problem des steuerpolitischen Unterbietungswettlaufs besteht in einer stärker koordinierten Steuerpolitik in Europa, die etwa Mindeststandards im Bereich von Körperschaft- und Gewinnsteuern vorsieht. Beispielsweise könnten die (effektiven) Steuersätze in Niedrigsteuerländern der EU auf den OECD-Durchschnitt angehoben werden.
Ein europäischer Mindeststeuersatz für Unternehmenserträge bei einheitlicher Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage wäre ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Gewinnverschiebungen und unfairen Steuerwettbewerb innerhalb der EU. Eine erfolgreiche Umsetzung der Initiative hängt jedoch immer auch davon ab, ob sich gesamtwirtschaftliche Nachteile für diejenigen Länder Europas ergeben, für die die stärkste Anhebung der Unternehmenssteuersätze zu erwarten wäre.
Irland und die Niederlande gehören der Studie zufolge zu denjenigen Ländern mit den geringsten effektiven Unternehmenssteuern; höhere Gewinnsteuern wären folglich für diese beiden Länder fällig. Die in der Studie durchgeführten Simulationen einer Anhebung der Steuersätze auf etwa den OECD-Durchschnitt zeigen am Beispiel Irlands und der Niederlande, dass sich bei angemessener fiskalischer Flankierung solche Nachteile bzw. negative Folgen für Wachstum und Wohlstand vermeiden lassen.
Werden die höheren Steuereinnahmen zur Finanzierung öffentlicher Investitionen genutzt, stehen selbst diese Länder am Ende ökonomisch besser da.
Markus Schreyer
Referent für Finanzen, Wirtschaft und europäische und globale WISO
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markus.schreyer(at)fes.de
Johannes Damian
Kommunikation und Grundsatzfragen
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Die Wahl zum Europäischen Parlament 2024…
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Seit 36 Jahren ist Christiane Kesper bei…
Im Jahr 2024 könnten die…
Die Analyse basiert auf dem makroökonometrischen Mehrländermodell „National Institute Global Econometric Modell (NiGEM). NiGEM ist ein umfassendes, mathematisches Simulations- und Prognosemodell für die Weltwirtschaft, das international vielfach, beispielsweise auch von Zentralbanken, verwendet wird und in das Tausende von Wirtschaftsindikatoren einfließen. In der vorliegenden Studie wird das NiGEM-Modell zunächst an aktualisierte empirische Schätzungen angepasst. Dies betrifft sowohl die Import- als auch die Arbeitsmarktgleichungen, bei denen die neuen Schätzungen teilweise deutliche Unterschiede zum ursprünglichen NiGEM-Modell aufweisen. Die empirischen Schätzungen werden auf Grundlage der NiGEM-Datenbank für die großen Volkswirtschaften des Euroraums und den Schätzzeitraum 1975 bis 2018 vorgenommen. Mithilfe dieses modifizierten NiGEM-Modells werden anschließend verschiedene wirtschaftspolitische Szenarien simuliert. Im Rahmen von kontrafaktische Simulationen wird dabei der Frage nachgegangen, wie sich die wirtschaftliche Entwicklung in der Vergangenheit in den jeweils betrachteten Ländern dargestellt hätte, wenn sich bestimmte exogene und/oder endogene Variablen anders als in der Realität entwickelt hätten. Die Simulationen basieren auf vierteljährlichen Daten und umfassen alternative wirtschaftspolitische Maßnahmen, insbesondere alternative Lohn- und Investitionspfade sowie die Implementierung verschiedener europäischer Stabilisierungsmechanismen für Deutschland und die drei großen Volkswirtschaften des Euroraums Frankreich, Italien und Spanien sowie für den Euroraum insgesamt.