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Internationale Interventionen befeuern Gewaltspiralen. Um sie zu durchbrechen, müssen Regierungen endlich der Zivilgesellschaft zuhören.
Bild: AMISOM-Einheiten und die somalische Armee bei der Befreiung der Stadt Qoryooley von UN Photo/Tobin Jones
Der Beitrag von Larry Attree (Saferworld), Celia McKeon (Rethinking Security) und Konstantin Bärwaldt (FES) erschien zuerst auf Englisch bei justsecurity.org
Ein tödliches Paradox prägt internationale, sicherheitspolitische Entscheidungen: Interventionen im Namen der Sicherheit führen häufig dazu, dass die betroffenen Regionen noch weniger friedlich und unsicherer werden. Die USA, europäische Länder, die Vereinten Nationen und andere unterstützen überall auf der Welt militärische, technische, finanzielle und diplomatische „Sicherheits“-Initiativen. Doch ihre Bemühungen führen oft dazu, genau die Konflikte zu verschärfen und zu verstetigen, die sie beenden oder verhindern wollten. Gleichzeitig können die Menschen, die am stärksten von diesen Konflikten betroffen sind, kaum mitreden, wenn es darum geht, was um sie herum geschieht. Natürlich sind diese beiden Probleme eng miteinander verbunden. Gerade deshalb setzen sich so viele Friedens- und Menschenrechtsaktivisten weltweit damit auseinander, wie die sicherheitspolitischen Dynamiken verändert werden und wie sichergestellt werden kann, dass die Menschen, die von Konflikten betroffen sind, in jenen Debatten Gehör finden, in denen über internationale Interventionspolitik entschieden wird.
Der Geschäftsführer des International Rescue Commitee, David Miliband, hat eine Bezeichnung gefunden für den historischen Moment, den wir derzeit erleben: „das Zeitalter der Straflosigkeit“. Im vergangenen Monat verhaftete die italienische Regierung eine Kapitänin. Das Verbrechen? Sie rettete ertrinkende Migrant_innen, die die libysche Küstenwache mit Rückendeckung der Europäischen Union in Lager hätte zurückschleppen sollen, in denen sexualisierte Folter und schwerste Misshandlungen an der Tagesordnung sind. In US-amerikanischen Hafteinrichtungen erleiden Kinder „extreme Kälte, 24 Stunden am Tag brennendes Licht, fehlenden Zugang zu medizinischer Versorgung, grundlegender Hygiene und angemessener Nahrung“.
Im Namen von Frieden und Stabilität stellen die Vereinten Nationen (United Nations, UN) und ihre Mitgliedsstaaten den Armeen von Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und dem Tschad Geheimdienstinformationen, Logistik und finanzielle Unterstützung zur Verfügung. Diese kommen in Anti-Terror-Operationen zum Einsatz, die kontinuierlich mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen und Konflikte weiter befeuern. Trotz bedeutender UN- und EU-Unterstützung setzt auch die Somalia-Mission der Afrikanischen Union (AMISOM) auf den Einsatz von Gewalt.
Mit den sich intensivierenden Kriegen gegen Terror und irreguläre Migration nehmen auch bewaffnete Aufstände und Vertreibungen zu. Eine parteienübergreifende Task Force bekannter ehemaliger US-Politiker_innen beobachte kürzlich:
Weltweit hat sich die Zahl der Terroranschläge pro Jahr seit 2001 verfünffacht. Die Zahl selbsternannter salafistisch-dschihadistischer Kämpfer hat sich verdreifacht…wofür die US-amerikanischen Steuerzahler etwa 5,9 Billionen US$ bezahlten.
Die Kriege in Afghanistan, Pakistan und Irak nach 9/11 haben schätzungsweise mindestens 480.000 Menschen getötet. Die Zahl der geflüchteten und asylsuchenden Menschen hat weltweit eine Rekordhöhe erreicht.
Kurz: Sicherheitsfokussierte Interventionen scheitern durchweg, und das hat einen gewaltigen Preis. Trotzdem reagieren Regierungen darauf nicht, indem sie ihre Strategie ändern und die zugrunde liegenden Probleme angehen. Stattdessen investieren sie noch stärker in Mauern, Grenzschutz, Sondereinsatzkräfte, Ausbildungs- und Ausstattungsprogramme und führen Kriege aus der Ferne. All das verstetigt Gewaltspiralen.
Ein Grund, warum harte Sicherheitspolitik trotz ihrer schlechten Bilanz noch immer dominiert: Sogar Regierungen, die sich selbst damit brüsten, der Zivilgesellschaft „zuzuhören“ und Frieden und Freiheit zu fördern, sind gegenüber alternativen sicherheits- und außenpolitischen Ansätzen erstaunlich verschlossen.
Ja, es gibt Diskussionen darüber, die Menschenrechte beim Kampf gegen den Terror zu schützen, oder die besorgniserregend militarisierte neue Europäische Friedensfazilität (European Peace Facility) der EU konfliktsensibler zu gestalten, oder sogar Maßnahmen der Extremismusbekämpfung friedens- und entwicklungsfördernd auszurichten. Aber die großen Entscheidungen – etwa darüber, die Kriege gegen den Terror in Mali und Somalia mit UN-Unterstützung auszukämpfen, Antiterrormaßnahmen und Migrationskontrollen einer ganzheitlichen Friedens- und Stabilitätspolitik vorzuziehen, Antiterrorgesetze zu verschärfen oder einzelne Militärführer wie General Khalifa Haftar in Libyen zu bewaffnen, zu finanzieren und zu legitimieren – diese Entscheidungen scheinen immer ohne oder nur mit sehr geringer Beteiligung der betroffenen Menschen, Gemeinschaften und der Zivilgesellschaft gefällt zu werden.
Für Organisationen, die internationale Sicherheitsstrategien beobachten und kritisch hinterfragen, stehen nur wenige Mittel zu Verfügung. Die erwähnten jüngsten Misserfolge sollten eigentlich das Interesse an kritischen Perspektiven auf außen- und sicherheitspolitische Debatten wecken, aber nur wenige Regierungen und Stiftungen finanzieren diejenigen, die neue Perspektiven und kritisches Feedback anbieten. Die meisten scheinen zufrieden mit internationalen und lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen zu sein, die einfach nur die gängigen Schlagworte und Prioritäten wiederholen oder technische „Best Practice“-Ideen anbieten. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die in hochrangige Diskussionen einbezogen werden wollen, haben häufig den Eindruck, dass von ihnen erwartet wird, allzu kritische Perspektiven z.B. auf Ansätze der Extremismusbekämpfung und -prävention lieber zuhause zu lassen.
Derartige Echokammern führen nicht zu besseren Interventionen, sondern zu einem in sich geschlossenen Gruppendenken, das die immer gleichen Ansätze perpetuiert, trotz deren offensichtlichen Problemen.
So wie kritische Stimmen in internationalen Politikdebatten zum Schweigen gebracht werden, so geht es auch der Zivilgesellschaft in repressiven und instabilen Kontexten, die um ihr Überleben kämpft. Mehr als die Hälfte der UN-Mitgliedsstaaten schränkt bewusst die Freiheiten von Menschen ein. Die Rhetorik und die Gesetze zum Kampf gegen Terrorismus und „gewaltsamen Extremismus“ werden zunehmend dazu genutzt, Oppositionelle mundtot zu machen.
Die begrenzten Möglichkeiten, Fördergelder zu erhalten, setzen viele zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter auch Jugend- und Frauengruppen, unter Druck, staatliche Ansätze zur Extremismusbekämpfung – sowie die problematische „weiche“ Seite des Kriegs gegen den Terror – in ihren Programmen zu berücksichtigen. Anders können viele Organisationen nicht mehr arbeiten, wenn sie sich weiterhin für öffentliche Sicherheit einsetzen wollen. Dieser Finanzierungsdruck verdrängt kritische Perspektiven auf die vorherrschenden sicherheitspolitischen Ansätze in einer Zeit, in der Widerstand gegen staatliche Repression immer schneller zerschlagen wird – im Namen der Terrorbekämpfung und unter den wachsamen Augen Europas und der USA.
Alles das führt dazu, dass die internationale Sicherheitspolitik den gleichen alten Mustern folgt und die gleichen bekannten Fehler macht. Und überall auf der Welt zahlen die Menschen dafür den Preis.
Vor ein paar Monaten begannen unsere Organisationen – Saferworld, die Friedrich-Ebert-Stiftung und Rethinking Security – mit gleichgesinnten Organisationen überall auf der Welt in Kontakt zu treten. Wir wollten diskutieren, was in der Sicherheitspolitik und bei Interventionen falsch läuft und was wir dagegen tun sollten. Unser Gesprächsangebot stieß sofort auf ein großes Echo – viele waren von der Frage begeistert, mit welchen Ideen die Zivilgesellschaft auf die Probleme reagieren könnte. Was uns beeindruckte, waren die bemerkenswert ähnlichen Geschichten von Organisationen, die in unterschiedlichsten Ecken der Welt, tausende Kilometer voneinander entfernt arbeiten.
Wir hörten davon, dass „Ansätze der Friedensförderung und Konflikttransformation von sicherheitspolitischen Maßnahmen verdrängt werden“, und dass „Antiterror-Gesetze, und -Maßnahmen dazu führen, dass der Raum für alternative Lösungen schwindet“. Eine unserer asiatischen Partnerorganisationen berichtete, dass „der Extremismus- und Präventionsdiskurs in unserer Region als Waffe gegen legitimen Dissens und zivilgesellschaftliche Räume“ eingesetzt wird.
Eine der größten Sorgen war, dass „die Extremismusbekämpfung und -prävention die Möglichkeiten von Graswurzelorganisationen begrenzt, Fördergelder zu erhalten, wovon insbesondere Frauenrechtsorganisationen betroffen sind“. Oftmals stünden Fördergelder nur für Extremismusbekämpfung und -prävention zur Verfügung. Die Gefahr der Instrumentalisierung sei eine sehr große Sorge, so führte ein Partner aus. „Insbesondere die Rechte von Frauen und Mädchen würden hierdurch unterminiert und die Unterstützung für lokale Frauenrechtsorganisationen eingeschränkt.“ Viele Aktivist_innen hatten befürchtet, alleine mit ihren Bedenken hinsichtlich dieser Entwicklungen zu sein. Manche hatten einfach schonaufgegeben zu versuchen, dem etwas entgegen zu setzen.
Im Juni kamen Dutzende zivilgesellschaftliche Gruppen in Berlin zusammen, um sich über diese und andere Probleme im internationalen sicherheitspolitischen Mainstream auszutauschen. Unter den Teilnehmenden waren sowohl kritische Stimmen aus Ländern, die am stärksten von den aktuellen Entwicklungen betroffen sind, darunter Afghanistan, Irak, Libyen, Mali, die Philippinen, Somalia, Syrien, Tunesien und Jemen, als auch Organisationen, die in westlichen sicherheitspolitischen Entscheidungszentren arbeiten, etwa Washington, New York, London und Brüssel. Was sie verband, war eine zentrale Frage: Wie kann die Zivilgesellschaft sicherheitspolitische Alternativen besser fördern?
Wenn man mit Politiker_innen aus den USA und Europa über die lange Liste strategischer Fehler in Ländern wie Somalia, Syrien oder Jemen spricht, nicken sie sofort zustimmend. Sind erst einmal ein paar Jahre vergangen, räumen Regierungen Misserfolge oft offiziell ein – etwa Großbritannien mit Untersuchungskommissionen zum Irak und Libyen, oder die USA mit den Berichten des Generalinspekteurs für Wiederaufbau in Afghanistan (SIGAR). Aber ändern tut sich wenig. Zwar werden Truppen hier und da abgezogen, aber nur um in anderen Gebieten wieder verstärkt zu werden.. Oder wenn umfassende militärische Interventionen nicht in Frage kommen, werden Drohnen für punktuelle Militärschläge eingesetzt oder es werden hochproblematische „Sicherheitspartner“ unterstützt.
Ein Grund, warum die immergleichen Ansätze trotz ihrer Negativbilanz überdauern, sind öffentlich und medial verbreitete Narrative, die Terrorismus und Migration als die ultimativen Bedrohungen präsentieren – und die zunehmende Dreistigkeit, mit der sich Politiker_innen dieser Narrative bedienen. Diese Narrative bleiben sogar dann wirkmächtig, wenn militärische Führungspersönlichkeiten selbst einräumen, dass die Risiken und Gefahren zurückgegangen sind und es erforderlich ist, andere als militärische Lösungsansätze zu verfolgen. Andere Gründe liegen in der Bedeutung von Rüstungsgeschäften und beim Energiebedarf der am stärksten industrialisierten Wirtschaften. In beiden Wirtschaftszweigen sorgen mächtige Lobbyist_innen dafür, dass die Geschäftsmodelle zukunftsfähig bleiben. Politiker_innen, die am Machterhalt interessiert sind, haben häufig weder die Vision noch den Mut, sich für ein nachhaltigeres Sicherheitsmodell einzusetzen.
Die Friedens- und Menschenrechtsaktivist_innen, die nach Berlin gekommen sind, haben eine Reihe von Prioritäten identifiziert, um den problematischen Entwicklungen auf unterschiedlichen Feldern etwas entgegenzusetzen. Dazu gehören:
Wenn diese Prioritäten umgesetzt werden sollen, müssen wir neue Denkansätze und Arbeitsansätze implementieren. Wir brauchen mehr Austausch über die Friedens- und Menschenrechtsgemeinschaft hinaus über durch Finanzierungsfragen entstehenden Druck und den Zwang zur Kooptation in die Agenden von Regierungen. So können wir unserer kollektiven Stimme größeres Gewicht verleihen, um diejenigen Interventionen an den Pranger zu stellen, die Frieden unerreichbar machen.
Ein Weg, um die Narrative über Sicherheit zu verändern, liegt darin, Fehlentscheidungen teurer zu machen. Aktivist_innen müssen neue Wege finden, um Verantwortung für folgenschwere Fehler aufzuzeigen und hinter ihnen stehende Interessen aufzudecken und zu kritisieren.
Allerdings müssen wir dann auch die Auseinandersetzung darüber gewinnen, was nötig ist, um in Ländern wie Mali, Somalia und Jemen nachhaltig Frieden zu schaffen – und was dabei vermieden werden muss. Dazu ist es wichtig, strategisch zu argumentieren: Der Westen hat viel zu verlieren, wenn er von Waffenverkäufen profitiert und Golf-Staaten dabei unterstützt, im Jemen gegen den Iran zu kämpfen. Gewinnen kann der Westen, wenn er Druck auf die Regionalmächte ausübt, die Spannungen abzubauen und einen Friedensprozess im Jemen zu fördern, der konstruktiv die Missstände und gesellschaftlichen Spaltungen adressiert, die dem Konflikt zugrunde liegen. In Mali und Somalia geht es darum, umfassendere Strategie zu entwickeln, um mit den Menschenrechtsverletzungen umzugehen und die gravierenden Missstände abzubauen, die die Konflikte befeuern – eine deutlich greifbarere Alternative zu endlosen, nicht gewinnbaren und zerstörerischen Antiterrorkampagnen.
Abgesehen davon, dass wir uns überzeugend für gute Strategien einsetzen müssen, ist es unabdingbar, öffentlichen Druck für eine bessere Sicherheitspolitik aufzubauen, die die Menschen in das Zentrum der Anstrengungen rückt. Wer die Angstkarte bei der Migrations- und Terrorismusabwehr spielt, verdeckt menschliches Leid in armen und instabilen Gebieten und entschuldigt das eigene Vorgehen. Gleichzeitig sollte nicht übersehen werden, dass die Bevölkerungen in westlichen Ländern Frieden und Menschenrechte weiterhin stark unterstützen – und viele ihrer Regierungen sich auf dem Papier ebenfalls dafür einsetzen. Es ist an der Zeit, dafür zu sorgen, dass die Öffentlichkeit wirklich versteht, welches Leid die Interventionen ihrer Regierungen verursachen. Wir müssen das Argument mit neuem Leben füllen, dass Sicherheit deutlich effektiver und effizienter hergestellt werden kann, wenn wir uns solidarisch mit den von Konflikten betroffenen Menschen zeigen anstatt die Konflikte auf ihrem Rücken auszutragen.
Wenn Sie gemeinsam mit anderen Organisationen sicherheitspolitische Alternativen fördern wollen, kontaktieren Sie die Autoren per Email an communications(at)saferworld.org.uk
Weitere Informationen zur friedens- und sicherheitspolitischen Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung finden Sie unter https://www.fes.de/themenportal-die-welt-gerecht-gestalten/frieden-und-sicherheit
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