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Die Zukunft der Arbeit ist schon da

Eine feministische Betrachtung der Auswirkungen von COVID-19 in der Region des Mittleren Ostens und Nordafrika.

In den letzten Jahren haben weltweit führende Persönlichkeiten, Wirtschaftswissenschaftler_innen, Unternehmer_innen und Technikgiganten darüber diskutiert, inwiefern die so genannte Vierte Industrielle Revolution¹ die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten, verändern wird. Was einige als Verheißung einer größeren wirtschaftlichen Zukunft sehen, wird von vielen Feminist_innen kritischer beäugt. Sie befürchten eine wachsende Kluft zwischen den Geschlechtern² und tiefere wirtschaftliche Ungleichheiten, die zu lähmenden Herausforderungen für Frauen und die wirtschaftlich Schwächsten in der künftigen Arbeitswelt führen, sofern sie nicht adressiert werden. Feminist_innen äußern auch Vorbehalte hinsichtlich der engen Ausrichtung auf die Vierte Industrielle Revolution als wesentlichen Treiber für die Gestaltung der „Zukunft der Arbeit“. Sie fordern Interessengruppen und politische Entscheidungsträger_innen auf, auch den Klima- und den demografischen Wandel als zusätzliche Katalysator für die kommenden Veränderungen zu betrachten, da beides zweifellos einen enormen wirtschaftlichen Druck auf Frauen und Mädchen weltweit ausüben wird.

Aufgrund der COVID-19-Pandemie werden diese Diskussionen, Bedenken und Zukunftsvorstellungen, auf die wir nicht ausreichend vorbereitet sind, heute sehr schnell Realität.

Basierend auf einer feministisch geprägten Analyse, erörtert dieser Artikel mit Blick auf die MENA-Region die Verbindungen zwischen den heutigen, aufgrund der Pandemie eintretenden Veränderungen um uns herum und den Veränderungen, die die Zukunft der Arbeit prägen werden.

Der „Ausbruch“ der Digitalisierung³

Weltweit sind derzeit über drei Milliarden Menschen in unterschiedlichster Form von einem Lockdown betroffen. Hunderte von Millionen müssen wegen der COVID-19-Pandemie von zu Hause aus arbeiten. Unternehmen, Schulen, Universitäten, Einzelhändler_innen und sogar Fitnessstudios haben den Übergang zur Digitalisierung ihrer Prozesse beschleunigt, um auch in Zeiten der Quarantäne weiterarbeiten zu können. Für einige verlief der Übergang relativ reibungslos. Aber für die Mehrheit war dies nicht der Fall.

Im Zusammenhang mit der Vierten Industriellen Revolution und der Digitalisierung haben Feminist_innen in der MENA-Region ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht, dass Frauen automatisch von der Teilhabe an einem digitalisierten Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. Dazu gehören u.a. der fehlende Zugang zu einer angemessenen Breitband-Internetverbindung in verschiedenen Ländern der Region, insbesondere in ländlichen Gebieten, wo Frauen seltener als Männer auf der Suche nach Arbeit in die Städte abwandern; die digitale Kluft zwischen den Geschlechtern (im Irak beispielsweise haben nur 51 Prozent der Frauen Zugang zum Internet, dagegen aber 98 Prozent der Männer); und ein weit verbreiteter  digitale Analphabetismus (wie auch Analphabetismus selbst), insbesondere unter älteren Frauen. Da das Internet und die digitalen Technologien rasch zu Voraussetzungen für das Erreichen einer menschenwürdigen Beschäftigung, sowie auch für kulturelle und politische Teilhabe werden, gilt es, diese Hürden zu beseitigen.

Darüber hinaus sind laut WIEGO 62 Prozent der erwerbstätigen Frauen in der MENA-Region, die in der MENA-Region, im informellen Sektor beschäftigt. Diese Zahl wird laut Prognosen mit der zu erwarteten weltweiten Verbreitung der digitalisierten Arbeit auf Abruf noch weiter steigen. Gegenwärtig ergreifen einige Regierungen in der Region Maßnahmen zum Schutz der formell Beschäftigten im öffentlichen und privaten Sektor und bieten ihnen während der Pandemie soziale Sicherheit. In den meisten Teilen der Region befürchten die informellen Arbeiter_innen jedoch, dass sie bald nicht mehr in der Lage sein werden, sich selbst und ihre Familien zu ernähren. Viele von ihnen riskieren daher ihre Gesundheit und die Gesundheit anderer, um zumindest ein geringes Einkommen zu erzielen, obwohl ihnen zur Selbstquarantäne geraten wird. Da es weder Krankenversicherung noch soziale Sicherheitsnetze gibt, durch die sie ähnlich wie ihre formal beschäftigten Kolleg_innen unterstützt werden (wie begrenzt diese Unterstützung auch sein mag), sind sie einem höheren Risiko als gewöhnlich ausgesetzt, von Unterbeschäftigung, Arbeitsarmut oder Arbeitslosigkeit betroffen zu sein. Angemessene soziale Sicherungssysteme für Saison- und Tagelöhner_innen sind heute wichtiger denn je, um die Last der gegenwärtigen Gesundheits- und Wirtschaftskrise abzubauen und zukünftige informelle Arbeiter_innen zu schützen.

Überlastung der Überbelasteten

Beschäftigte profitieren heute und in Zukunft dank Digitalisierung von flexibleren Arbeitszeiten einer Tätigkeit, der sie auch abseits des festen Arbeitsplatzes nachgehen können. Feminist_innen prangern in der Region prangern allerdings die Rhetorik an, die Frauen dazu ermuntert, durch das Arbeiten von zu Hause am Arbeitsmarkt teilzunehmen (in der Literatur als Heimarbeit bezeichnet, die  offensichtlich nur auf Frauen zutrifft), um so eine Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu erreichen. Die Vorbehalte rühren daher, dass in der gesamten MENA-Region Millionen von Frauen bereits sehr stark auf den privaten Bereich beschränkt sind und von ihnen erwartet wird, dass sie allein für alle Arbeiten im Haushalt⁴ verantwortlich sind, unabhängig davon, ob sie eine andere bezahlte Arbeit haben oder nicht. Während dieser Pandemie nimmt die Belastung durch Hausarbeit noch mehr zu. Mit der Forderung der Gesundheitsbehörden nach hygienischeren Praktiken, wie intensiviertem Putzen und Wäschewaschen, dem Kochen jeder Mahlzeit, der Pflege von Kranken und der häuslichen Betreuung von Kindern, werden die traditionellen Geschlechterrollen wieder verstärkt und lasten mehr denn je auf den Schultern der ohnehin schon überlasteten Frauen.

Regierungen stehen in der Verantwortung, solchen traditionellen Vorstellungen von Geschlechterrollen durch eine geschlechtertransformierende Politik entgegenzuwirken. Die politischen Reaktionen auf COVID-19 in der gesamten Region haben jedoch gezeigt, dass die Regierungen diese Verantwortung noch nicht vollständig übernommen haben. In Jordanien zum Beispiel reagierten einige Institutionen des öffentlichen Sektors, wie das Finanzministerium, als die Regierung Mitte März 2020 die vorläufige Schließung der Schulen ankündigte, indem sie berufstätigen Müttern – aber nicht Vätern – erlaubten, zusätzlich bezahlten Urlaub zu nehmen, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Statt Maßnahmen zu ergreifen, die der so genannten „Mutterschaftsstrafe“ ⁵ entgegenwirken, bestätigen sie die patriarchalisch heteronormative geschlechtsspezifische Arbeitsteilung (d.h. das Modell des männlichen Ernährers und der weiblichen Sorgearbeiterin), die Frauen seit Jahrhunderten benachteiligt.

Darüber hinaus spielen die arabischen Staaten eine Schlüsselrolle in der globalen Versorgungskette und beschäftigen nach Angaben der ILO die größte Zahl von Hausangestellten mit Migrationshintergrund  (3,16 Millionen im Jahr 2015), von denen die Mehrheit Frauen sind. Trotzdem hat kein Land in der MENA Region die ILO-Konvention Nr. 189 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte ratifiziert, die darauf abzielt, die grundlegenden Rechte bei der Arbeit und ein Mindestmaß an sozialem Schutz zu gewährleisten. Aufgrund des COVID-19-Ausbruchs werden Arbeitsmigrant_innen derzeit von der ILO als besonders gefährdet eingestuft. Auf Hausangestellte in der Region trifft das aufgrund ihrer Beschäftigungsbedingungen im Rahmen des berüchtigten „Kafala“-Systems sogar in weit höherem Maße zu.⁶ Da ihre Mobilität derzeit viel stärker als gewöhnlich eingeschränkt ist, sind sie nahezu ausnahmslos unbegrenzten Arbeitszeiten unter ausbeuterischen Bedingungen ausgesetzt. Aufgrund unsicherer Verträge, die nicht Teil des nationalen Arbeitsrechts sind, sehen sich auch die Angehörigen dieser Arbeiter_innen zu Hause dem Risiko ausgesetzt, ihre finanzielle Sicherheit zu verlieren. Darüber hinaus sind für Hausangestellte, die ohne ihre Ausweispapiere vor den Übergriffen eines missbrauchenden Arbeitgebers geflohen sind, COVID-19-Tests unerreichbar. Im Libanon zum Beispiel weigerten sich die Behörden, COVID-19-Tests für Menschen ohne Papiere durchzuführen, oder sie verlangten 500 US-Dollar für einen Test, für viele unbezahlbar. Politische Antworten in Reaktion auf COVID-19 müssen daher die spezifischen Bedingungen und Realitäten dieser Arbeitskräfte betrachten und angemessen berücksichtigen.

Schon vor dem Ausbruch von COVID-19 steuerte die Welt eine Versorgungskrise zu, die u.a. durch eine alternde Bevölkerung, eine veränderte Familiendynamik, Kürzungen der Staatsausgaben für Pflegedienste und soziale Schutzmaßnahmen sowie wegen des Klimawandels⁷ hervorgerufen wurde. Durch die aktuelle Pandemie ist diese Versorgungskrise noch schwerwiegender als erwartet eingetroffen. Da Gesundheitssysteme weltweit überlastet sind, leiden die bezahlten Mitarbeiter_innen im Gesundheitswesen, von denen 70 Prozent Frauen sind, unter Personalmangel, langen Arbeitszeiten, Erschöpfung, und Überforderung. Ebenfalls sind sie hohen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. In einem stark betroffenen Land wie Spanien zum Beispiel arbeiten 14 Prozent der Infizierten im Gesundheitswesen. Sollten noch mehr Länder in der MENA-Region von dem Virus betroffen sein, wird dieser Prozentsatz noch höher sein, da viele Länder schwächere Gesundheitssysteme als Spanien haben und aufgrund von Unterbrechungen in den globalen Lieferketten und geringer Kapazitäten für die Massenproduktion nur begrenzt persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung steht. In einem Land wie Ägypten, in dem nur jeder zehnte Krankenpfleger ein Mann ist, kann eine große Zahl von Frauen im Gesundheitssektor gefährlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sein, wenn keine angemessene Schutzausrüstung vorhanden ist. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsrisiken für die Beschäftigten im Gesundheitswesen nicht nur physischer Natur sind. Studien über frühere Epidemien wie z.B. Ebola zeigen, dass Beschäftigte, die im Gesundheitswesen an vorderster Front kämpfen, auch anfällig für die Entwicklung psychischer Erkrankungen, wie z.B. posttraumatischer Belastungsstörungen, sind.

Feministinnen fordern seit Jahren größere Investitionen in Pflegesysteme. Es ist jetzt dringender denn je, nicht nur in die nationalen Pflegesysteme zu investieren, sondern zusätzlich dafür zu sorgen, dass die Rechte der bezahlten Pflegekräfte gestärkt und gewahrt werden. Es ist unbedingt erforderlich, die Bedeutung von Sorgearbeit für die Aufrechterhaltung funktionierender Gesellschaften und Volkswirtschaften endlich anzuerkennen, sie gerecht zwischen der Gemeinschaft, dem Staat und dem privaten Sektor umzuverteilen (wobei Staaten bei den Umverteilungsbemühungen die Führung übernehmen sollten) und ihr schließlich durch angemessene Bezahlung den Wert anzuerkennen, den sie verdient.

„Grüner“ Nebeneffekt – oder doch nicht?

Aus einer rein umweltpolitischen Sicht,  haben die drastischen Maßnahmen, die zur Verlangsamung der Pandemie ergriffen wurden, unbeabsichtigte positive Auswirkungen gehabt. Da nur noch wenige Flugzeuge in der Luft sind, keiner zur Schule oder zur Arbeit pendelt, Fabriken vorübergehend stillgelegt werden und die Nachfrage an Öl stark zurückgegangen ist, reduziert sich der Grad der Umweltverschmutzung in der ganzen Welt drastisch, zumindest vorerst. Da außerdem Lieferketten durch die Pandemie unterbrochen wurden, haben einige Länder der Region (z.B. Ägypten und Jordanien) begonnen, nach Steigerungsmöglichkeiten der lokalen Nahrungsmittelproduktion zu suchen. Diese Unterbrechung bei Im- und Export von Nahrungsmitteln wird zu geringeren Treibhausgasemissionen führen. Es könnte den Weg zu einer größeren nationalen Nahrungsmittelsouveränität und letztlich zu mehr Umweltgerechtigkeit ebnen.

Im Gegensatz zur Klimakrise wird die COVID-19-Krise vorübergehen.⁸ Obwohl unsere Weltwirtschaft ihr kapitalistisches und neoliberales System wieder hochfahren wird, sobald sie die Chance dazu hat, sehen wir jetzt Hinweise auf alternative grüne Praktiken (z.B. die Steigerung der lokalen Produktion), die den Übergang zu einer ressourceneffizienten Wirtschaft, der sogenannten Green Economy, beschleunigen könnten. Dennoch müssen wir bedenken, dass der Übergang zu einer Green Economy⁹ nicht automatisch zu geschlechtergerechteren Gesellschaften führen wird. Wenn es um die Chancengleichheit von Frauen im Zusammenhang mit der Arbeit in grünen Sektoren geht, ergeben sich verschiedene Vorbehalte.

Die Landwirtschaft ist der größte Arbeitgeber für Frauen in der MENA-Region. In den meisten Fällen müssen Frauen jedoch ausbeuterische und gefährliche Arbeitsbedingungen erdulden. Zu diesen Bedingungen gehören ein großes geschlechtsspezifisches Lohngefälle, sexuelle Belästigung, Gesundheitsrisiken und Informalität, die ihnen jegliche formelle Beschäftigungsleistungen vorenthält. Aber es gibt Hoffnung. In Marokko zum Beispiel, wo Frauen fast die Hälfte der Beschäftigten in der Landwirtschaft ausmachen, gewährten Tarifverhandlungen und Verhandlungen über einen Gewerkschaftsvertrag den Arbeitnehmerinnen verschiedene Rechte, darunter das Recht auf Mutterschutz, gleicher Lohn für gleiche Arbeit und Zugang zur Gesundheitsversorgung. Dieser Ansatz zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Landarbeiterinnen sollte dringend in allen Ländern der Region übernommen werden.

Trotz der großen Anzahl von Frauen, die in der Landwirtschaft arbeiten, sind in der gesamten Region nur 5%  Frauen  Landbesitzerinnen. Dies ist auf diskriminierende Gesetze (z.B. ungleiche Verteilung von Erbschaften) und kulturelle Normen zurückzuführen. Männern werden mehr finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, insbesondere in einer Wirtschaft, die in grüne Sektoren investiert. Es wird erwartet, dass die Nachfrage nach Boden für die Landwirtschaft wie auch nach erneuerbarer Energien steigen wird, da die Länder der Region größere Investitionen in diesen Bereichen tätigen. Da zudem mehr Länder in die Senkung von Treibhausgasemissionen und in die Eindämmung des Klimawandels investieren, wird die Verfügbarkeit von grünen Arbeitsplätzen zunehmen. Es wird jedoch auch erwartet, dass diese Arbeitsplätze, insbesondere jene, die hochqualifiziert und gut bezahlt sind, männlich dominiert sein werden. Dies verdeutlicht, dass ein nachhaltiges Wirtschaftssystem weiterhin patriarchalisch geprägt wäre. Die Beseitigung der Hürden, die Frauen davon abhalten, in den Arbeitsmarkt einzutreten oder sich dort zu halten, sollten daher eine feministische Priorität in der Region sein.

Die Zukunft der Arbeit ist schon da

Erwartungen, dass die junge Bevölkerung der MENA-Region weniger anfällig ist, sowie eine relativ begrenzte Mobilität zwischen den Ländern und das wärmere Klima die Schwere der Pandemie eindämmen werden, wiedersprechen den Prognosen derer, die eine Verschärfung der drastischen, wirtschaftlichen Ungleichheiten vorhersagen, die seit mittlerweile einem Jahrzehnt in der MENA Region immer wieder Proteste auslösen. Die Bekämpfung von Diskriminierung, die Forderung nach Gleichheit und mehr Solidarität müssen daher Leitprinzipien für eine konsequente Reaktion der Region sowohl auf die gegenwärtige Krise als auch auf den beschleunigten Übergang in die zukünftige Arbeitswelt sein. Unterschiedliche Realitäten aufgrund von Geschlecht, Rasse, Alter, Klasse, sexueller Orientierung und geographischer Lage müssen bei Lösungsansätzen im Mittelpunkt stehen, damit die ohnehin schon Benachteiligten nicht noch weiter abgehängt werden.

Die gegenwärtige Situation beschleunigt das Fortbestehen der alten Ungleichheiten in der Arbeitswelt, auf die Feminist_innen seit Jahrzehnten hinweisen. Diese Ungleichheiten müssen durch die Hervorhebung folgender drei Kernbotschaften adressiert werden: (1) Die mit der Vierten Industriellen Revolution verbundenen Risiken müssen viel schneller als bisher geplant angegangen werden – es bleibt weniger Zeit als gedacht, politische Antworten zu diskutieren, damit Frauen und Randgruppen eine Chance haben, in der zukünftigen Arbeitswelt erfolgreich zu sein; (2) bezahlte und unbezahlte Pflegekräfte sind das Fundament funktionierender und gesunder Gesellschaften, und ihre Arbeit muss unmittelbar anerkannt, umverteilt und stärker wertgeschätzt werden; (3) wenn die Welt dem menschlichen Leben Vorrang einräumt, ergeben sich Optionen, die bisher als unmöglich angesehen wurde. Mit diesem Wissen ist es wichtiger denn je, eine grüne Agenda voranzutreiben, gleichzeitig aber eine grüne Wirtschaft in einem patriarchalischen System in Frage zu stellen.

Neue Herausforderungen eröffnen auch Chancen. Hervorgebracht durch ein digitales Zeitalter entsteht eine neue Feminismus-Welle¹⁰, die innovative digitale Instrumente des Engagements nutzt, um rasche grenzüberschreitende Solidarität aufzubauen und Gemeinschaften wie nie zuvor zu mobilisieren. Es ist von entscheidender Bedeutung, diese feministischen Bemühungen in dieser kritischen Zeit zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass Frauen und Mädchen gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen und Möglichkeiten haben. Nur so können sie in der heutigen schwierigen Wirtschaftslage Erfolg haben, oder zumindest eine menschenwürdige Beschäftigung finden. Die Zukunft der Arbeit ist angebrochen, und die Zeit für konkrete Maßnahmen ist jetzt gekommen.

Farah Daibes  ist Programm-Managerin des FES-Projekts Politischer Feminismus in der MONA-Region mit Sitz in FES Beirut, Libanon.

 

 


 

¹ Die Vierte Industrielle Revolution ist eine Kombination aus technischen Fortschritten in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Robotik, 3D-Druck, Gentechnik, Quantencomputer und anderer Technologien.

² Die Region des Nahen Ostens und Nordafrikas (Middle East and North Africa – MENA) weist derzeit das weltweit größte Geschlechtergefälle auf.

³ Digitalisierung ist die Umwandlung von Text, Bildern oder Ton in eine digitale Form, die von einem Computer verarbeitet werden kann.

⁴ Haushaltarbeit besteht aus Tätigkeiten, die Zeit und Energie erfordern, um das Wohlergehen anderer zu gewährleisten und letztlich der größeren Gemeinschaft zu dienen. Diese Tätigkeiten können entgeltlich oder unentgeltlich sein.

⁵ Berufstätige Mütter werden systematisch gegenüber berufstätigen Vätern oder kinderlosen Frauen im Zusammenhang mit der Arbeit benachteiligt und der zweitrangige Status besonders von Frauen mit Kindern auf dem Arbeitsmarkt bekräftigt.

⁶ Die ILO bezeichnet das Kafala-System als eines, das „Wanderarbeitern das grundlegende Menschenrecht auf Freizügigkeit verweigert. Der Arbeitgeber kontrolliert die Mobilität des Arbeitnehmers im Rahmen des Patensystems, indem er ihm seinen Pass abnimmt und damit die gesetzliche Möglichkeit, den Arbeitsplatz zu wechseln und das Land zu verlassen, entzieht“.

⁷ z.B. wird die durch den Klimawandel verursachte Wasserknappheit zusätzliche Pflegearbeiten für Frauen und Mädchen nach sich ziehen, wie das Heranschaffen von Wasser und verstärkte landwirtschaftliche Tätigkeiten.

⁸ Weitere Informationen zu COVID-19 und den Klimawandel in „Prima fürs Klima?“ unter folgendem Link: https://www.ipg-journal.de/rubriken/nachhaltigkeit-energie-und-klimapolitik/artikel/prima-fuers-klima-4212/.

⁹  Der Definition im UN-Umweltprogramm zufolge „ist eine grüne Wirtschaft […] kohlenstoffarm, ressourceneffizient und sozial integrativ. In einer grünen Wirtschaft wird das Wachstum von Beschäftigung und Einkommen durch öffentliche und private Investitionen in solche wirtschaftlichen Aktivitäten, Infrastrukturen und Vermögenswerte vorangetrieben, die eine Reduzierung der Kohlenstoffemissionen und der Umweltverschmutzung, eine verbesserte Energie- und Ressourceneffizienz und die Verhinderung des Verlusts der biologischen Vielfalt und der Leistungen des Ökosystems ermöglichen“.

¹⁰ Die Anfang der 2010er Jahre aufkommende vierte Welle des Feminismus ist durch die Nutzung von Online-Plattformen zur Verbreitung eines hochpolitischen, bereichsübergreifenden und queeren feministischen Diskurses gekennzeichnet, der feministischen Aktivismus fördert und das Mobilisierungspotential erhöht.

 

Dieser Artikel erschien im Original in Englisch auf https://www.fes-mena.org


Ansprechpartnerin

Natalia Figge
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