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Drei Jahre Friedensvertrag in Kolumbien – was nun?

Drei Fragen an fünf entscheidende Personen im Friedensprozess, die aus ihren unterschiedlichen Perspektiven antworten

Am 24.11.2016 wurde der Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerillagruppe FARC unterzeichnet. Das markierte das Ende des Konflikts, der ein halbes Jahrhundert andauerte. Über die verschiedenen Herausforderungen bei der Umsetzung des Friedensabkommens sprechen:

  • Emilio Archila, Präsidentenberater für Stabilisierung und Konsolidierung
  • Jenny Flórez, Ex-FARC-Kämpferin

und drei weitere wichtige Akteur_innen des Friedensprozesses:

  • Humberto de la Calle, ehemaliger Verhandlungsführer bei den Friedensgesprächen
  • Juanita Goebertus, Abgeordnete und Mitglied der Regierungsdelegation bei den Friedensgesprächen
  • Iván Cepeda, Senator und Vermittler im Friedensprozess

Wie erklärt man der internationalen Gemeinschaft die Schwierigkeiten im kolumbianischen Friedensprozess und den Widerstand dagegen?

 

Iván Cepeda: In Kolumbien erleben wir seit einem halben Jahrhundert diesen Konflikt, den mehrere Generationen, von Großeltern über Eltern bis zu ihren Kindern, durchgemacht haben – Menschen, die lange Zeit Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Wenn eine Gesellschaft jahrzehntelang Leid, Terror, Feindschaft, Konfrontation und Racheakten ausgesetzt ist, entwickelt sie zwangsläufig gewisse Praktiken, die zu kulturellen Gewohnheiten werden. Es ist nicht einfach, all das zu überwinden – wie z. B. den Hass nach diesem Ausmaß an Gewalt. Es muss also einen kulturellen Wandel geben. Nur ein Abkommen zu unterzeichnen und alle enthaltenen Punkte umzusetzen, reicht nicht. Es geht um einen Wandel, den alle Kolumbianer_innen vollziehen müssen. Und das geht nicht so einfach von einem Tag auf den anderen.

Humberto de la Calle: Entscheidend für die Unterzeichnung des Friedensvertrags war es, die Extremforderungen der Abkommensgegner_innen abzuwehren, die weder Sondergerichtsbarkeit noch politische Teilhabe für die FARC wollten. Sonst hätte es kein Friedensabkommen gegeben. Es ging nicht um Abkommen A oder B, sondern um ein Abkommen oder keines. Denn die Grundvoraussetzung für den Waffenstillstand seitens der FARC war die Garantie ihrer politischen Teilhabe. Ohne diese Teilhabe und die Sondergerichtsbarkeit hätte die Anwendung der ordentlichen Gerichtsbarkeit den Frieden verhindert, und es hätte nie ein Abkommen gegeben.

Emilio Archila: Wichtig ist, dass auch auf unsere Erfolge geschaut wird. Denn wir haben in drei Jahren in vielerlei Hinsicht Erfolge erzielt, die es in den letzten zwanzig Jahren in anderen Abkommen nicht gab. Wir befinden uns derzeit in einem transitional justice-Prozess. Im Parlament ist die Ex-Guerilla FARC politisch vertreten. Zudem haben wir strukturierte Entwicklungspläne für die 16 am stärksten vom Konflikt betroffenen Gebiete im Land vervollständigt. Statt sich auf angebliche Kontroversen zu konzentrieren, sollte die internationale Gemeinschaft eher auf die Ergebnisse schauen.

Wie bewerten Sie den Übergangsprozess der Ex-Guerilla zur politischen Partei und deren Integration in die Gesellschaft?

 

Emilio Archila: Magisch. Es gibt rund elftausend ehemalige Kämpfer_innen, die vollkommen überzeugt den Schritt vom bewaffneten Kampf in die Legalität getan haben. Von ihnen haben heute mehr als 90 Prozent ein Bankkonto, mehr als 80 Prozent sind Teil des Rentenversicherungssystems und mehr als 85 Prozent gesetzlich krankenversichert. Die auslaufende finanzielle Unterstützung haben wir verlängert. Das alles sollte zwischen letztem Dezember und August enden, wurde aber von uns zeitlich unbegrenzt verlängert – vorausgesetzt, die Person ist Teil des Reintegrationsprozesses.

Iván Cepeda: Es muss beachtet werden, dass diejenigen, die so lange bei der Guerilla aktiv waren, große Anstrengungen unternommen haben, um dem Friedensprozess treu zu bleiben – trotz der großen Defizite der Reintegrationsprogramme. Die Programme werden nicht schnell genug durchgeführt, um diesen Menschen eine wirtschaftliche und soziale Perspektive zu geben. Hinzu kommen andere Faktoren, die den Reintegrationsprozess gefährden, wie die Ermordung von mehr als 150 Ex-Guerilla-Kämpfer_innen und deren Angehörigen. Somit stellt die Ex-Guerilla für uns ein Musterbeispiel und ein Vorbild an Beharrlichkeit und Kohärenz dar.

Jenny Flórez: Es ist hart, denn die Waffen abzugeben und einen politischen Weg einzuschlagen, hat uns nicht alle Türen geöffnet – nicht alle Versprechen werden gehalten. Wir erleben noch viel Stigmatisierung, viele Menschen sehen uns noch als Terrorist_innen, als »die Bösen«. Ich sage, dass wir durchhalten müssen, wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen, wir müssen weitermachen. Der Kampf geht weiter, denke ich. Wir müssen diesen Prozess fortsetzen, denn wir befinden uns schon mittendrin. Dennoch fühle ich mich nicht ganz wohl, denn ich denke »Im bewaffneten Konflikt hatte ich ein Gewehr, um mich zu verteidigen. Doch wie kann ich mich jetzt verteidigen?«. Zumindest spüren die Menschen, die diesen Konflikt erlebt haben, den Frieden.

Wie sehen Sie die Rolle der internationalen Gemeinschaft bei der Umsetzung des Friedensprozesses?

 

Emilio Archila: Ihre Rolle ist es lediglich, die Prioritäten der kolumbianischen Regierung zu unterstützen. Angesichts der großen Herausforderungen ist eine enge Zusammenarbeit der einzige Weg. Wenn ich von enger Zusammenarbeit spreche, meine ich nicht einen neben dem anderen, sondern dass jeder Aspekt derselben Strategie und Planung und demselben Weg folgt. Die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft ist es, die Regierung bei diesem Prozess zu unterstützen.

Iván Cepeda: Der Einfluss und die Rolle der internationalen Gemeinschaft sind entscheidend. Ohne die Anwesenheit dieser Freund_innen am Verhandlungstisch hätte es sehr wahrscheinlich kein Friedensabkommen gegeben, ganz zu schweigen vom gesamten Umsetzungsprozess.

Juanita Goebertus: Die internationale Gemeinschaft sollte in der Beendigung des Krieges in Kolumbien nicht nur die große Chance, sondern auch die aktuelle Fragilität erkennen. Es ist nicht der Moment, uns alleine zu lassen. Ich glaube, wir müssen jetzt gewährleisten, dass die internationale Zusammenarbeit die kolumbianische Regierung und Gesellschaft immer wieder daran erinnert, wie wichtig die weitere Umsetzung des Friedensvertrags ist.

Humberto de la Calle: Ein zentraler Aspekt für uns ist die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Es ist ziemlich überraschend, wie wir von außen gesehen, unterstützt, beklatscht und ermutigt werden. Denn im Gegensatz dazu streiten wir hier in Kolumbien, und manchmal rückt das alles »konjunkturabhängig« auch ein wenig in den Hintergrund.

Jenny Flórez: Wir bedanken uns sehr bei der internationalen Gemeinschaft, denn ohne sie wäre dieser Prozess bereits gescheitert.

 

 

Die hier präsentierten Aussagen sind Ausschnitte aus längeren Interviews, die mit den einzelnen Personen geführt wurden. Die spanische Originalversion gibt es hier als Text und als Video.


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