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Sind die von der EU ins Auge gefassten Maßnahmen sozial ausgewogen und weitreichend genug? Und welche Klippen gilt es dabei zu umschiffen?
Neue geopolitische Gegebenheiten und ein verändertes energiemarktpolitisches Umfeld haben die übermäßige Abhängigkeit der EU von Gas-, Öl- und Kohleeinfuhren aus Russland deutlich zutage treten lassen. Europa steht derzeit vor einem Dilemma: Wie kann es seine starke und kostspielige Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen verringern und gleichzeitig dafür sorgen, dass sowohl für die Haushalte als auch die Industrie auf dem gesamten Kontinent das Licht nicht ausgeht? Diese Zwangslage hat Europa dazu veranlasst, mehrere wichtige Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Am 18. Mai 2022 hat die Kommission ihren Plan zur Umgestaltung des europäischen Energiesystems vorgestellt. Welche Maßnahmen muss Europa ergreifen, um von Russlands Energieversorgung unabhängig zu werden und, was noch wichtiger ist, welche Herausforderungen und Engpässe könnten die Fortschritte bei diesen Maßnahmen aufhalten?
REPowerEU ist ein ehrgeiziger und weitreichender Plan, dessen Ziel bis 2030 die vollständige Energieunabhängigkeit von Russland ist. REPowerEU verfolgt dabei zwei Hauptziele:
In diesem Sinne sieht der Plan eine Reihe konkreter Maßnahmen vor, die sich auf vier Hauptpfeiler stützen:
Diese Maßnahmenreihe ist sowohl kurz- als auch mittelfristig angelegt:
Der Kommission ist bewusst, dass Probleme und Engpässe durch diesen ehrgeizigen Plan verringert werden müssen. Diese Hindernisse gilt es unbedingt zu beseitigen, wenn die EU mit dem im REPowerEU-Plan vorgesehenen Tempo der Transformation Schritt halten will. Laut der Florence School of Regulation gibt es bei der Umsetzung von REPowerEU drei zentrale strukturpolitische Herausforderungen – namentlich Genehmigungen, kritische Rohstoffe und Arbeitskräfte.
Was die erste Herausforderung betrifft, kann sich die Genehmigungserteilung für Solarvorhaben bis zu zwei Jahre und für Windparks bis zu neun Jahre hinziehen, was unter den derzeitigen Bedingungen viel zu lange wäre. Vor diesem Hintergrund werden von REPowerEU drei Schlüsselmaßnahmen vorgeschlagen. Erstens zielt die neueingeführte „Europäische Solar-Dach-Initiative" darauf ab, Solaranlagen auf Dächern bis 2027 für alle bestehenden Wirtschaftsgebäude und öffentlichen Gebäude und bis 2029 für alle neuen Wohngebäude verbindlich zu machen. Dadurch werden viele der mit Solarparks verbundenen Genehmigungs- und Planungsprobleme umschifft und der Druck auf die Übertragungs- und Verteilungsnetze durch die Lokalisierung der Erzeugung verringert. Zweitens: Ermittlung und Förderung von ökologisch risikoarmen und daher besonders geeigneten Gebieten für die Infrastruktur für erneuerbare Energien, wodurch die Genehmigungs- und Planungszeit auf weniger als ein Jahr verkürzt wird, ohne dass auf eine sorgfältige Umweltprüfung verzichtet werden müsste. Möglich wird dies dadurch, dass die erneuerbaren Energien als im „überwiegenden öffentlichen Interesse“ liegend anerkannt werden. Drittens schlägt die Kommission eine förmliche Empfehlung zu Genehmigungsverfahren vor, um wirksame und zeitnahe Verwaltungsverfahren durch den Austausch bewährter Verfahren und die regionale Zusammenarbeit zu unterstützen.
Bei den Rohstoffen gibt es derzeit eine weltweite Ressourcenverknappung bei bestimmten kritischen Rohstoffen, von denen viele für die Energiewende notwendig sind. REPowerEU betrachtet dies sowohl aus kurzfristiger als auch aus langfristiger Sicht. Kurzfristig arbeitet die EU zum einen daran, ihre Bezugsquellen durch strategische Partnerschaften zu diversifizieren und den Einfluss bestimmter kommerzieller EU-Akteure zu bündeln, um sich einen größeren Teil der Versorgungskette wieder zueigen zu machen und im internationalen Wettbewerb besser dazustehen. In den Fortschritten, die sie macht, schlägt die Kommission zum anderen vor, Rechtsvorschriften zu kritischen Rohstoffen auszuarbeiten und sicherzustellen, dass bei der Schaffung neuer Infrastruktur der Kreislaufwirtschaft Vorrang eingeräumt wird, damit Materialien zurückgewonnen und mehrfach wiederverwendet werden können.
Mit Blick auf Arbeitskräfte stehen den Verbraucher*innen bestimmte kosteneffiziente und attraktive Lösungen für den Technologietausch zur Verfügung, die dazu beitragen würden, wichtige Ziele des REPowerEU-Rahmens zu erreichen, wie z.B. Wärmepumpen als eine Alternative zu Gasheizkesseln. Die Geschwindigkeit der Einführung ist jedoch gedrosselt, da es an entsprechend ausgebildetem Personal für die Installation, Verwaltung und Wartung der Infrastruktur fehlt. Die gleichen Probleme kommen auch auf höherer Ebene zum Tragen, etwa bei der Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff. Die Maßnahmen im Rahmen von REPowerEU zielen darauf ab, diese Engpässe zu beseitigen, indem Mittel in drei Ausbildungsinitiativen fließen: den ‘Kompetenzpakt’, ‘ERASMUS+’ und das ‘Gemeinsame Unternehmen für sauberen Wasserstoff’. Zum jetzigen Zeitpunkt sind jedoch noch keine weiteren Einzelheiten in diesem Bereich bekannt.
Die Mehrheit der Beteiligten begrüßte das Bestreben des beschleunigten Ausbaus erneuerbarer Energien. Gleichzeitig betonten sie aber auch die Kernpunkte, bei denen die Kommission ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. So begrüßen beispielsweise die vom EGB vertretenen europäischen Gewerkschaften REPowerEU, fordern aber mehr Maßnahmen, um Arbeitnehmer*innen und Haushalte vor steigenden Energiepreisen zu schützen. Obgleich man sich in der Mitteilung die Grundsätze der Gerechtigkeit und Solidarität des Plans auf die Fahnen geschrieben hat, sind die Ziele von REPowerEU eher eng gesteckt. Der EGB vertritt die Meinung, dass steigende Energiepreise und die Gefahr von Engpässen nicht nur Auswirkungen auf die Verbraucher*innen haben werden. Auch die europäischen Arbeitnehmer*innen werden wahrscheinlich stark betroffen sein, da die Produktionskosten der Unternehmen drastisch steigen werden. In diesem Zusammenhang fordern die Gewerkschaften die Europäische Kommission auf, politische Maßnahmen und Empfehlungen auszuarbeiten, um jegliche negative Folgen steigender Energiepreise und potenzieller Ressourcenverknappung für Arbeitnehmer*innen und auf die Beschäftigung abzuwenden und ihnen angemessen Rechnung zu tragen. Eine solche Maßnahme könnte laut EGB die aktive Einbeziehung der Gewerkschaften sein. So wäre die Tragweite dieser negativen Auswirkungen besser abzusehen und etwaige sich aus dieser Situation ergebende Umstrukturierungsprozesse könnten verhindert werden.
Umweltorganisationen, wie Greenpeace, haben REPowerEU dafür kritisiert, dass es sich zu sehr auf die Einfuhr fossiler Brennstoffe von anderen Partnern konzentriert, anstatt die Abhängigkeit vollständig zu beenden. Friends of the Earth argumentierte zudem, dass die Vorschläge das Risiko bergen, „starr an klimaschädlichen fossilen Brennstoffen festzuhalten und den Menschen, die sich die steigenden Energierechnungen ohnehin nicht leisten können, nur unzureichenden Hilfe zu bieten.“ Der Europäische Verbraucherverband (BEUC) begrüßte dass auf Energieeffizienzmaßnahmen und erneuerbare Energien besonderer Nachdruck gelegt wird, erklärte aber auch, dass „diese Umstellung auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz nicht von heute auf morgen erfolgen wird, so dass es bereits jetzt wichtig ist, sicherzustellen, dass die Haushalte nicht buchstäblich in der Kälte sitzen, wenn Russland Europa im nächsten Winter das Gas abdreht. Die nationalen Energieregulierungsbehörden müssen sicherstellen, dass die Gasversorgung der Haushalte Vorrang hat, da ein Energiemangel zu schweren gesundheitlichen Schäden führen kann. Die Kommission sollte sicherstellen, dass die Energieregulierungsbehörden die Verbraucher angemessen schützen.“ CAN Europe betonte außerdem, dass die Elektrifizierung der Industrie und die gezielte Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff für „schwer dekarbonisierbare“ Sektoren zwar von großer Bedeutung und ein gutes Mittel sei, um die Industrie zu einem Brennstoffwechsel zu bewegen, dass es dem REPowerEU-Plan aber an der Förderung von Suffizienzmaßnahmen als erstem Schritt zur Senkung der Nachfrage nach wertvoller Energie in der Industrie fehle. Darüber hinaus sollte die EU nach Ansicht von CAN Europe inzwischen verstanden haben, dass sie nicht vollständig von Energieressourcen aus Drittländern abhängig sein darf, die möglicherweise geopolitisch instabil und potenziell mit sozialen und ökologischen Schäden einhergehen. Wie effizient und nachhaltig die Erzeugung großer Mengen grünen Wasserstoffs in Afrika für Europa verglichen mit der direkten Nutzung des Stroms in Afrika ist, wird in dem Plan nicht erörtert. Dieser Standpunkt wurde auch vom Europäischen Verband der Genossenschaften für erneuerbare Energien (REScoop.eu) vertreten. In seiner Stellungnahme betonte REScoop, dass der Plan bedauerlicherweise nicht ausreiche, um die Abhängigkeit der EU von der Einfuhr fossiler Energie zu beenden, die zu Turbulenzen an den Märkten und bei den Energiepreisen geführt habe. Weiterhin würde nicht vollständig dargelegt, wie bedürftige und energiearme Haushalte geschützt und ihnen der Umstieg weg vom Gas möglich gemacht werden soll.
Die Perspektive der europäischen Städte wurde auch vom Netzwerk der größten Städte Europas, Eurocities, hervorgehoben. In seiner Reaktion machte Eurocities deutlich, dass es nicht gelingen wird, Europas Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, wenn die für rund 75% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlichen Städte nicht eingebunden würden. Konkret werden für REPowerEU keine neuen Gelder bereitgestellt, sondern der größte Teil seiner Mittelausstattung kommt aus den bestehenden nationalen Aufbau- und Resilienzplänen, die jeweils um ein zusätzliches Kapitel ergänzt werden. Dies wird jedoch nicht zwangsläufig zu einer gleichmäßigen Verteilung in der EU führen. Der Bürgermeister von Budapest, Gergely Karácsony, erklärte: „Die Versorgungssicherheit und die Energieunabhängigkeit von Russland sind in den mittel- und osteuropäischen Ländern besonders wichtige Themen, und die Städte können als große Energieverbraucher am meisten dazu beitragen. Daher kann das REPowerEU-Vorhaben nicht wirksam sein, wenn nicht ein besonderes Augenmerk auf die Städte gelegt wird und direkte Finanzierungswege für die Städte geschaffen werden, um deren Energiebedarf zu senken.“ Ohne direkte Finanzierung ist es nur schwer ersichtlich, wie Städte wie Budapest, die nicht an ihren nationalen Aufbauprogrammen beteiligt sind, finanzielle Mittel erhalten sollen.
Die europäischen Regierungen müssen die von der Kommission im REPowerEU-Plan vorgeschlagenen Maßnahmen umsetzen. Im Anschluss an die Sondertagung des Europäischen Rates vom 30. und 31. Mai 2022 haben auch die Mitgliedstaaten die Dringlichkeit betont, die Vorschläge der Kommission zur Verwirklichung der REPowerEU-Ziele rasch zu prüfen.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen rasch umgesetzt werden. Das REPowerEU-Vorhaben ist zwar schon recht ambitioniert, aber auf individueller Ebene sollten die Regierungen die von der EU vorgegebenen Schritte noch größer setzen und den noch ungelösten Engpässen entgegenwirken. Gleichwohl wurde das Prinzip der Solidarität erneut hervorgehoben. Auf der bereits erwähnten letzten Sondertagung des Europäischen Rates kamen die EU-Regierungen überein, dass die Vorbereitung auf mögliche größere Versorgungsunterbrechungen und die Widerstandsfähigkeit des EU-Gasmarktes im Geiste der europäischen Solidarität verbessert werden sollen, insbesondere durch die rasche Vereinbarung bilateraler Solidaritätsvereinbarungen und einen koordinierten europäischen Notfallplan, was sicherstellen soll, dass größere Versorgungsausfälle abgefedert werden. In diesem Zusammenhang beweist die EU einmal mehr, dass es auf Solidarität ankommt und dass eine bruchstückartige Antwort die Energiekrise nicht lösen wird.
Der Artikel erschien am 14.06.2022 auf Englisch im Original unter https://justclimate.fes.de.
Reghina Dimitrisina ist Politikberaterin beim FES-Kompetenzzentrum Klima und soziale Gerechtigkeit. Sie verfügt über Fachwissen in den Bereichen Klima- und Energiepolitik sowie europäische Angelegenheiten. Bevor sie zum FES-Team stieß, arbeitete sei als Referentin beim European Geothermal Energy Council (EGEC) und beriet die Abgeordneten der S&D- und EVP-Fraktionen im Europäischen Parlament. Sie studierte internationale Beziehungen und politische Kommunikation.
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