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Deutschland auf dem UPR-Hot Seat!

Die Welt blickt auf Deutschland und wie es dort um die Menschenrechte bestellt ist.

Polizeigewalt, Todesstrafe, Frauenrechte, rassistische Diskriminierung, geschlechtsspezifische Gewalt oder Pressefreiheit; alle menschenrechtsrelevanten Themen können während des Allgemeinen Periodischen Überprüfungsverfahrens (Englisch: Universal Periodic Review, UPR) des Menschenrechtsrates (MRR) der Vereinten Nationen (VN) untersucht werden. Deutschland wird sich am 9. November in Genf zum vierten Mal dieser Überprüfung stellen müssen - live im Internet zu verfolgen via UN Web TV (9.00 bis 12.30 Uhr).

Was ist der UPR-Prozess?

Vor gut 20 Jahren befand sich das Menschenrechtssystem der Vereinten Nationen in einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise. Die damalige Menschenrechtskommission war aufgrund geopolitischer Machtkämpfe de facto lahmgelegt. Verbündete Staaten schützten sich auch bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gegenseitig vor Konsequenzen. Vor diesem Hintergrund stimmte die VN-Generalversammlung 2006 für die Gründung des Menschenrechtsrates. Die Rufe nach einem neuen Verfahren in dem alle Staaten (allgemein) und regelmäßig (periodisch) in einem Peer-Review-Verfahren auf ihre Menschenrechtslage hin überprüft werden sollten wurden gehört und damit war das Allgemeine Periodische Überprüfungsverfahren (UPR) geboren. Es war eine der wichtigsten Neuerungen und stellt einen bisher einzigartigen Prozess dar.

Die Überprüfung wird von der UPR Working Group durchgeführt, der sich jeder interessierte VN-Mitgliedstaat anschließen kann. Sie tagt drei Mal im Jahr in Genf und überprüft in einer Sitzung 14 Staaten. Bis alle 193 VN-Mitgliedstaaten einmal überprüft sind dauert es vier bis fünf Jahre—dies ist ein sogenannter UPR-Zyklus. 2022 hat der vierte Zyklus begonnen, was bedeutet, dass jeder VN-Mitgliedstaat schon mindestens drei Mal überprüft worden ist.

Seit heute tagt die Working Group in ihrer November Session (6.-17. November) und am 9. November wird Deutschland zum vierten Mal überprüft.

Was am 9. November geschieht

Die deutsche Delegation, angeführt von der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung Luise Amtsberg, wird für dreieinhalb Stunden auf dem heißen Stuhl Platz nehmen und vor den anderen VN-Mitgliedstaaten den deutschen Staatenbericht vorstellen. Sie wird Bilanz ziehen, welche Diagnose bei der letzten Überprüfung 2018 gestellt wurde, was unternommen wurde, um entsprechende Missstände zu beseitigen und Empfehlungen umzusetzen, sowie erläutern wie sich die momentane Menschenrechtslage in Deutschland darstellt. Daraufhin haben die anderen VN-Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Fragen oder Empfehlungen abzugeben. Dies können neue Empfehlungen sein oder sich auch auf jene von 2018 berufen, wenn eine Umsetzung in den Augen des empfehlenden Staates nur ungenügend stattgefunden hat. Die deutsche Delegation wird sich den Fragen direkt stellen müssen.

Um welche Themen geht es?

Bei der Überprüfung 2018 hatte Deutschland insgesamt 259 Empfehlungen erhalten. Die meisten adressierten drei zentrale Themenkomplexe: Rassismus, Migration und Flucht, sowie Geschlechtergerechtigkeit. Das Spektrum der aufgebrachten Themen ist indes viel breiter und umfasst nahezu jeden Bereich der Gesellschaft.

Rassismus: Deutschland erhielt Empfehlungen, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um gegen systemischen und institutionellen Rassismus sowie Hasskriminalität, gerade auch gegen Migrant_innen, vorzugehen. Auch wurde die Erstellung eines nationalen Aktionsplans gegen Rassismus empfohlen, sowie Maßnahmen gegen ‘racial profiling’ durch staatliche Behörden.

Migration: Die Staaten empfahlen Deutschland den Zugang zum Gesundheitssystem für Migrant_innen und Asylsuchende zu verbessern. Weiter wurde kritisiert, dass eine Anerkennung besonders schutzbedürftiger Geflüchteter nur unzureichend stattfinde und in den Erstaufnahmestellen bessere Bildungsmöglichkeiten für Kinder geschaffen werden müssten. Auch die Einrichtung einer kostenlosen juristischen Beratung für Asylsuchende vor und nach ihrer Anhörungen wurde empfohlen.

Geschlechtergerechtigkeit: Um mehr Geschlechtergerechtigkeit zu schaffen, solle Deutschland Maßnahmen ergreifen, um das Gender Pay Gap zu schließen und gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. Weitere Empfehlungen betrafen die Erstellung eines nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt, sowie das Konzipieren von Maßnahmen, die das Nichtmelden von geschlechtsspezifischer Gewalt und die konsequente Strafverfolgung adressieren. Zusätzlich erhielt Deutschland Empfehlungen, die die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen inklusive einer Revidierung des Paragrafen 219a betrafen.

Andere Empfehlungen zielten auf das institutionelle Gefüge ab. So gibt es in Deutschland beispielsweise noch immer keine zentrale Institution, die überwacht und sicherstellt, dass Empfehlungen und Verpflichtungen der internationalen Menschenrechtsinstitutionen (MRR, Vertragsorgane, Sonderverfahren) auch umgesetzt werden. Weiter wurde Deutschland empfohlen, der internationalen Konvention zum Schutz aller Wanderarbeiter_innen beizutreten, sowie einen unabhängigen Beschwerdemechanismus bei Fehlverhalten der Polizei einzurichten.

Die deutsche Delegation wird vor der Working Group Rechenschaft darüber ablegen, welche Schritte die Regierung seit 2018 zur Verbesserung der Situation in Deutschland unternommen hat.

Generell tendieren Staaten dazu, sich in einem bestmöglichen Licht zu präsentieren. Wie können also die übrigen Staaten an vollständige und glaubhafte Informationen kommen? Für die Überprüfung gibt es drei zentrale Dokumente: 1) den Staatenbericht Deutschlands; 2) einen Bericht des Hochkommissariats für Menschenrechte der Vereinten Nationen (OHCHR) mit allen relevanten Informationen, die die VN-Institutionen über Deutschland beisteuern können; 3) die durch das OHCHR erstellte Zusammenfassung aller eingereichten Berichte von zivilgesellschaftlichen Organisationen und des Nationalen Menschenrechtsinstituts—im Falle Deutschlands also des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR). Alle drei Dokumente sowie die vollständigen, einzeln eingereichten Berichte der Zivilgesellschaft werden auf der Website des OHCHR veröffentlicht und sind damit öffentlich zugänglich.

Die Zivilgesellschaft im UPR Prozess

Zivilgesellschaftliche Organisationen können am 9. November zwar mit in dem berühmten Menschenrechtratssaal sein, dürfen aber nicht das Wort ergreifen und somit keine direkten Fragen oder Empfehlungen an Deutschland adressieren. Die Überprüfung ist ein reiner Staatendialog. Die Zivilgesellschaft muss also versuchen, die anderen Staaten davon zu überzeugen, ihre Empfehlungen während des Dialoges mit aufzunehmen und einzubringen. Für diese zentrale Rolle, beratend Einfluss zu nehmen, gibt es verschiedene Möglichkeiten.

Neben der genannten Eingabe zivilgesellschaftlicher Berichte, besteht die Möglichkeit an der sogenannten UPR Pre-Session teilzunehmen. Diese wird etwa einen Monat vor der eigentlichen Überprüfung von der Genfer NGO UPR Info organisiert. Für jeden zu überprüfenden Staat wird eine Sitzung abgehalten, zu der alle anderen Mitgliedstaaten—d.h. die diplomatischen Vertretungen der Länder in Genf—eingeladen sind. Nun sitzen allerdings keine Regierungsdelegationen auf dem Podium, sondern Vertreter_innen zivilgesellschaftlicher Organisationen. Hier kann die Zivilgesellschaft den anderen Staaten ihre Sicht auf die Menschenrechtssituation in ihrem Land darlegen und Vorschläge machen, welche Empfehlungen sie an ihr Land gestellt haben möchten. Die Pre-Session zu Deutschland fand übrigens am 31. August statt. Der informelle Austausch der Zivilgesellschaft mit Vertreter_innen anderer Staaten, sei es in Genf oder in deren Botschaften im eigenen Land, sowie die zivilgesellschaftlichen Berichte sind für Staaten mit die wichtigsten Quellen, um an glaubhafte Informationen und Einschätzungen über den zu überprüfenden Staat zu kommen.

Wie es nach dem 9. November weitergeht

Nach dem Dialog muss Deutschland bis zur nächsten Menschenrechtsratssitzung im März 2024 entscheiden, welche der Empfehlungen ‘akzeptiert’ werden und welche nur ‘zur Kenntnis genommen’ werden—was soviel wie abgelehnt bedeutet. 2018 wurden 209 der insgesamt 259 Empfehlungen akzeptiert. Bei den akzeptierten Empfehlungen geht Deutschland eine politische Verpflichtung ein, diese bis zur nächsten Überprüfung umzusetzen. Die eigentliche Arbeit auf nationaler Ebene beginnt also bei jedem Zyklus so richtig mit der Annahme der Empfehlungen.

Rechtlich bindend sind die Empfehlung, auch die akzeptierten, allerdings nicht. Daher wird auch nach der Überprüfung in Genf sowohl der Zivilgesellschaft als auch dem Deutschen Bundestag eine zentrale Rolle zukommen. Denn Nachverfolgung und Überwachung sind zentral in dem UPR-Prozess. Zivilgesellschaft und Politik müssen prüfen, inwieweit die deutsche Regierung ihren Verpflichtungen nachkommt und wenn nötig, auch zum Nachbessern mahnen. Im nächsten, fünften Zyklus der UPR wird Deutschland erneut vor dem Menschenrechtsrat Rechenschaft ablegen müssen. Das Allgemeine Periodische Überprüfungsverfahren ist eben kein einmaliges Bilanzieren in Genf, sondern ein wiederkehrendes Verfahren, durch den die Menschenrechtslage in jedem Staate fortlaufend verbessert werden soll und kann—wenn alle Stakeholder genau hinschauen, zuhören und sich engagieren.


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