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Unter dem Generalverdacht der Klientelpolitik für ihre Mitglieder waren Gewerkschaften lange als Reformgegner und Ewiggestrige verschrien. Aktuelle Debatten um Wirtschaftspolitik und soziale Gerechtigkeit setzen wieder Hoffnung in sie – aber sind Europas Gewerkschaften dafür überhaupt gewappnet?
Bild: Demo SuE Köln von Jonas Priester lizenziert unter CC BY-NC-ND 2.0
In Westeuropa sind Gewerkschaften über die letzten drei Jahrzehnte politisch massiv unter Druck geraten und hatten zeitweise starke Mitgliederverluste zu verkraften. Dabei sah es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lange sehr gut für sie aus: Während der „30 glorreichen Jahre“ gingen mächtige Gewerkschaften, sozialdemokratische Regierungen, keynesianische Wirtschaftspolitik, kontinuierliches Wirtschaftswachstum und sinkende Ungleichheit miteinander einher. Dann hat der Paradigmenwechsel zum Neoliberalismus in den 1980er Jahren die Erosion gewerkschaftlichen Einflusses und seiner wirtschafts- und sozialpolitischen Errungenschaften eingeläutet.
Schwäche zuhause könnte für Gewerkschaften ein Anreiz für mehr europäische Zusammenarbeit sein, hatte die Gewerkschaftsforschung einst gehofft. Aber der soziale Dialog auf europäischer Ebene ist unterentwickelt, die Interessen der Gewerkschaften bleiben in ihrer täglichen Arbeit national konzentriert und gleichen sich nur in abstrakten Politikzielen. Für viele Gewerkschaften bleibt eine politische Integration à la Skandinavien oder Österreich utopisch. Eine neue Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, dass die Gewerkschaften in Mittelost- und Südosteuropa davon besonders weit entfernt sind.
Obwohl sich Wirtschaft und Arbeitsmarkt in den untersuchten Ländern in den vergangenen Jahren positiv entwickeln haben, nimmt die soziale Ungleichheit zu. Wie auch in Westeuropa werden Arbeitnehmerrechte und Sozialpartnerschaft zurückgefahren, während prekäre Arbeitsverhältnisse immer mehr zur Regel werden und die Tarifbindung sinkt. Damit steigt die Ungleichheit nicht nur in, sondern auch unter den Ländern, von einer Annäherung der Löhne in der EU kann für die neuen Mitgliedsländer in Osteuropa und die Beitrittskandidaten auf dem Balkan keine Rede sein. Die Gewerkschaften sind schwach und mitunter in viele Einzelgewerkschaften und konkurrierende Gewerkschaftsbünde zersplittert, ähnlich geht es den Arbeitgeberverbänden als möglichen Verhandlungspartnern. Die Schwächung der Sozialpartner dient einigen Regierungen als Garantie für internationale Geldgeber, unangenehme Reformen ohne großen Widerstand durchsetzen zu können.
Ihr geringer Organisationsgrad (Anteil der Gewerkschaftsmitglieder an den Arbeitnehmern insgesamt) bedeutet für die Gewerkschaften in den untersuchten Ländern Ressourcenknappheit, mangelnde Repräsentativität und bescheidenes Mobilisierungspotential. Das erschwert politischen und wirtschaftlichen Einfluss, was wiederum schlecht für die Mitgliederwerbung ist. Insbesondere junge Menschen, überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen, sehen Gewerkschaften skeptisch. Gewerkschaften haben außerdem neben politischem auch mit gesellschaftlichem Gegenwind zu kämpfen: In Osteuropa werden sie mit der Sowjetunion assoziiert, auf dem Balkan mit sensiblen gesellschaftlichen Spaltungen konfrontiert. Eine Gewerkschaftskampagne für das „Ende der billigen Arbeit“ in Tschechien, in ihrer öffentlichen Resonanz einer der wenigen Lichtblicke der Studie, deutet aber auf Früchte politischer Aktivität zu gesamtgesellschaftlichen Sorgen: neue Koalitionsoptionen und mittelfristig vielleicht neue Mitglieder. Die Wahrnehmung sozialer Ungleichheit ist in ganz Europa akut. Die Schmach, dass davon bislang hauptsächlich rechte Bewegungen profitieren, müssen Gewerkschaften als Ansporn nehmen, mehr untereinander und mit anderen politischen Akteuren zusammenzuarbeiten. Mit gemeinsamem Einsatz für ein „soziales Europa“ und mehr Mitspracherechte auf europäischer Ebene könnten sie sich aus sich selbst heraus stärken. Die Gewerkschaftsforschung zeigt: Wo Gewerkschaften stark sind, ist die soziale Ungleichheit geringer.
Ansprechpartner in der Stiftung:
Jörg Bergstermann
Daniel Reichart
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