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Drei Lehren aus entwicklungsorientierter Flüchtlingsarbeit in Uganda
Gemeinhin stellt der humanitäre Flüchtlingsschutz einen Übergangsschutz dar, bis eine der drei dauerhaften Lösungen für Geflüchtete umsetzbar ist, sie somit nicht mehr als Geflüchtete gelten und wieder Zugang zu all ihren Rechten haben. Die erhoffte Kurzfristigkeit steht aber konträren globalen Entwicklungen gegenüber. Geflüchtete müssen häufig jahrelang im Exil bleiben, da die dauerhaften Lösungen selten zeitnah nach ihrem Ankommen in Aufnahmeländern umsetzbar sind.[1] In der Folge entstehen Langzeitsituationen (protracted refugee situations). Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) definiert Langzeitsituationen als solche, in denen mindestens 25.000 Flüchtlinge derselben Nationalität seit mehr als fünf Jahren in einem Aufnahmeland leben. Sie sind kein neues Phänomen, sondern seit den 1960er Jahren bekannt.
Mit Fokus auf Geflüchtete in Ländern im ›globalen Süden‹ ist die politische Antwort seither allen voran, den humanitären Flüchtlingsschutz mit mittelfristiger Entwicklungszusammenarbeit zu verknüpfen. Dadurch sollen Verantwortungen zwischen Staaten geteilt und die Entwicklung der Regionen, in denen Geflüchtete leben, unterstützt werden. Zudem soll die Selbstständigkeit von Geflüchtete gefördert werden. In den vergangenen Jahrzehnten wurden diverse Ansätze zur Umsetzung der entwicklungsorientierten Flüchtlingsarbeit geschaffen und die Idee erhält anhaltende Aufmerksamkeit, wie der Globale Pakt für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (Global Compact on Refugees) von 2018 belegt.
Für diese entwicklungsorientierte Flüchtlingsarbeit wird Uganda häufig als Vorzeigebeispiel genannt. Das ostafrikanische Land liegt in der Region der Großen Seen und beherbergt seit der Unabhängigkeit 1962 Geflüchtete insbesondere aus benachbarten Staaten. Zudem hat der Krieg mit der Lord’s Resistance Army von 1986 bis 2006 zur Binnenvertreibung von etwa 1,6 Millionen Menschen im Norden Ugandas geführt. Jüngst ist die Zahl der Schutzsuchenden aufgrund intensivierter und anhaltender Konflikte in Nachbarstaaten wie dem Südsudan und der Demokratischen Republik Kongo auf fast 1,5 Millionen Menschen angestiegen.
Doch wie wird die entwicklungsorientierte Flüchtlingsarbeit in Uganda ausgestaltet und was kann von ihr gelernt werden?
Die Verbindung der Flüchtlingsarbeit mit Entwicklungszusammenarbeit in Uganda reicht bis in die 1960er Jahre zurück. Bereits damals deutete sich an, dass Konflikte in Herkunftsländern lang andauern würden und Geflüchtete nicht zeitnah zurückkehren könnten. Daher legten Staaten und humanitäre Organisationen den Fokus darauf, die Selbstständigkeit von Geflüchteten zu fördern. Dafür wurden die Menschen häufig in sogenannten Siedlungen untergebracht, wo sie sich landwirtschaftlich betätigen sollten.
Aktuelle Maßnahmen in Uganda beruhen maßgeblich auf Strategien der 1990er Jahre. Dazu gehört die Self-Reliance Strategy (SRS) von 1999, die die Selbstständigkeit und somit die Fähigkeit von Geflüchteten zur Selbstversorgung fördern soll. Zudem sollen Dienstleistungen etwa für Bildung oder medizinische Versorgung nationalen Strukturen angepasst werden, um parallele Systeme zu vermeiden und Ugander_innen in Aufnahmeregionen Zugang zu bieten. Darauf aufbauend wurde 2003 die Strategie Development Assistance for Refugee Hosting Areas (DAR) entwickelt, die Entwicklungsmaßnahmen für Aufnahmeregionen ins Zentrum rückt. Die jüngste Strategie von 2016 – Refugee and Host Population Empowerment (ReHOPE) – zielt ebenfalls auf die Förderung von Selbstständigkeit und Resilienz von Geflüchteten und Ugander_innen ab. Hierfür wurden flüchtlingsspezifische Fragen in den nationalen Entwicklungsplan aufgenommen. Darüber hinaus ist Uganda eines der Pilotländer des umfassenden Rahmenplans für Flüchtlingshilfemaßnahmen (Comprehensive Refugee Response Framework, CRRF), der auf Grundlage der New Yorker Erklärung von 2016 zur intensivierten Unterstützung von Geflüchteten geschaffen wurde.[2] Die Umsetzung in Uganda legt – anknüpfend an die vorherigen Strategien – einen Schwerpunkt auf Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Arbeit und Lebensgrundlagen sowie Wasser und Umwelt.
Eben diese Strategien stellen die erste Lehre dar, die aus der Arbeit in Uganda gezogen werden kann. Die Strategien belegen, dass die entwicklungsorientierte Flüchtlingsarbeit im Land nicht ›irgendwie‹ umgesetzt wird, sondern auf strategischen mittelfristigen Planungen basiert. Seit den 1990er Jahren bis heute ist nachvollziehbar, dass die Strategien aufeinander aufbauen und ineinandergreifen. Darüber hinaus sind die Strategien mit internationalen Ansätzen verknüpft.
Wenngleich die Strategien zu einer gewissen Beständigkeit in der Ausgestaltung der Maßnahmen in Uganda beitragen, werden sie vor dem Hintergrund weitreichender Probleme entworfen – und diese Probleme bestehen auch global: Langzeitsituationen, Perspektivlosigkeit und unzureichende Finanzierungen. Einerseits stellt die entwicklungsorientierte Flüchtlingsarbeit generell eine politische Reaktion auf die Langzeitsituationen bzw. langanhaltende Fluchtsituationen speziell in Ländern im ›globalen Süden‹ dar. Länder wie Uganda gestalten den Schutz entwicklungsorientiert, was Länder im ›globalen Norden‹ finanziell unterstützen. Jedoch bedeutet dies, dass Staaten einen Fokus auf Hilfsmaßnahmen legen, anstatt hinreichend Zugänge zu dauerhaften Lösungen bereitzustellen. Sie tolerieren also, dass Geflüchtete jahrelang in provisorischen Aufnahmesituationen leben – häufig in Lagern –, ohne Perspektive auf eine dauerhafte Lösung. Andererseits hängt der Fokus auf entwicklungsorientierte Flüchtlingsarbeit mit der chronischen Unterfinanzierung des Flüchtlingsschutzes zusammen. Geflüchtete sollen ›selbstständig gemacht‹ werden, wofür weniger Gelder benötigt werden.
Teil der entwicklungsorientierten Flüchtlingsarbeit in Uganda ist, dass Geflüchtete wie oben erwähnt in sogenannten Siedlungen untergebracht sind. Dort erhalten sie Land für Landwirtschaft, um selbstständig für ihre Lebensgrundlagen zu sorgen und relativ unabhängig von Hilfsleistungen zu leben.
Während jüngst einige Studien die Errungenschaften der Strategien in Uganda betonen (u.a. hier; hier und hier), bemängeln andere die anhaltenden Herausforderungen für Geflüchtete (siehe hier; hier; hier und hier). Letztere zeigen sich auch in meiner Forschung (u.a. hier; hier und hier). Seit 2008 forsche ich in Uganda und habe bisher mit keinen Geflüchteten gesprochen, die durch Landwirtschaft die politisch intendierte Selbstständigkeit erreicht hätten.
Es bedarf also eines kritischen Blicks auf die Funktionsweise der sogenannten Siedlungen. Sie bieten zwar recht große Flächen, dorfähnliche Strukturen und landwirtschaftliche Möglichkeiten, jedoch erfüllen sie typische Merkmale von Camps. Denn sie sind zweckgebundene, begrenzte Räume, die staatliche und humanitäre Akteur_innen einrichten zwecks Unterbringung, Schutz und Kontrolle von Geflüchteten. In Uganda werden sie vom Büro des Premierministers sowie von UNHCR geleitet und diverse Organisationen stellen Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen wie Bildung, medizinische Versorgung, Wasser und sanitäre Anlagen bereit. Es sind also stark hierarchisierte und kontrollierte Räume. Für Geflüchtete bedeutet dies meist ein hohes Maß an Abhängigkeit von den humanitären Strukturen sowie Ungewissheit über ihre Zukunft.
Eine wichtige Lehre ist hier also, dass das Labeling der ›Siedlungen‹ die lokalen Gegebenheiten überdeckt. Aufgrund der Begrenztheit bezeichne ich sie weiterhin als Lager. Wichtig im Fall von Uganda ist zudem, dass viele der Lager seit Jahrzehnten bestehen, manche sogar seit den 1960er Jahren.
Darüber hinaus muss das Verständnis von ›Selbstständigkeit‹ hinterfragt werden, das den ugandischen Strategien zugrunde liegt. Durch den primären Fokus auf Landwirtschaft zielen die Strategien primär darauf ab, dass die Menschen hinreichend Nahrungsmittel produzieren. Es geht also nicht um ein umfassendes Verständnis eines selbstständigen Lebens mit Entwicklungs- und Entfaltungsräumen, sondern um Überleben. Die Engführung auf Landwirtschaft haben Geflüchtete, mit denen ich in meiner Forschung sprechen konnte, stark kritisiert. Die Ernten der Geflüchteten genügen selten zur Selbstversorgung, weil die Agrarflächen zu klein sind und keine Brachzeiten erlauben. Durch die jüngst angestiegene Zahl der Schutzsuchenden wird das zur Verfügung gestellt Land zudem verkleinert, was die Situation zunehmend erschwert.
Viele Geflüchtete bleiben also weiterhin angewiesen auf Hilfsleistungen trotz der seit Jahrzehnten bestehenden Strategien zur Förderung der Selbstständigkeit von Geflüchteten. Dies trägt dazu bei, dass die Lebensbedingungen der Menschen in Lagern von Armut geprägt sind. Alternative Einkommensmöglichkeiten – neben der Landwirtschaft – sind im Lager begrenzt und Geflüchtete gaben in Gesprächen wiederkehrend an, das Lager nur mit Erlaubnis verlassen zu dürfen. Dies steht im Kontrast zum Flüchtlingsrecht in Uganda, demzufolge Freizügigkeit gewährt wird. Jedoch wird die Regel mitunter schlicht ignoriert: Viele reisen ohne Erlaubnis für kurze Zeit in wirtschaftlich florierende Regionen, um Einkommen zu generieren. Mitunter bringen sie Güter wie Kleidung mit und verkaufen sie im Lager. Geflüchtete entwickeln also eigene Strategien, um mit den wirtschaftlichen Problemen umzugehen – sie bedeuten aber teils, sich über politische und humanitäre Regeln hinwegzusetzen. Zu lernen ist hier, dass die politischen Strategien deutlich stärker auf die Lebensrealitäten der Menschen eingehen und ihnen Entwicklungsräume gewähren müssen.
Diese Reflexion der entwicklungsorientierten Flüchtlingsarbeit in Uganda zeigt, dass zwar als positiv zu bewertende Tendenzen existieren, die politische Herangehensweise aber nicht vorschnell als Paradebeispiel gefeiert werden darf. Zusätzlich zu den hier genannten Problemen und Lehren bestehen weitere Herausforderungen wie anhaltende Gewaltgefahren und limitierte Bildungszugänge für Geflüchtete in Lagern. Während die aktuellen Strategien ReHOPE und CRRF auf Besserung hoffen lassen, beeinflusst die Covid-19-Pandemie derzeit natürlich auch die Lage aller in Uganda. In einer aktuellen Befragung [3] über die Auswirkungen der Pandemie zeigt sich, dass die Sorge von Geflüchteten in Lagern und Städten groß ist und sie insbesondere wirtschaftlich leiden. Einkommen zu generieren, ist vor allem in Zeiten von Lockdowns noch schwieriger als ohnehin, und Gewaltgefahren nehmen zu. Erschwert wird die Lage dadurch, dass auch staatliche und Hilfsorganisationen mitunter Maßnahmen eingestellt haben.
Für die zukünftige Ausgestaltung bleibt zu lernen, dass Geflüchtete selbst in Planungs- und Umsetzungsprozesse einbezogen werden müssen, damit politische und humanitäre Strategien zu allererst die Lebenslagen und Bedarfe der Menschen berücksichtigen. Es ist wichtig, dass die Menschen Zugang zu ihren Rechten erhalten und nicht jahrelang in Lagern leben müssen.
[1] Zu den dauerhaften Lösungen zählen die freiwillige Rückkehr in Herkunftsländer, die Umsiedlung in Drittstaaten und die lokale Integration mit Perspektive auf Bleiberecht. Laut Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) hatten zwischen 2015 und 2019 jährlich nur 2,1 Prozent bis 4,4 Prozent und 2020 sogar nur 1,5 Prozent der Flüchtlinge weltweit (ausgenommen palästinensische Flüchtlinge) Zugang zu dauerhaften Lösungen. Während anhaltende Konflikte in den Herkunftsländern die politisch präferierte Lösung der Rückkehr verhindern, unterstützen Staaten die lokale Integration und die Umsiedlung von Geflüchteten unzureichend.
[2] Zur Entstehung und zum Inhalt der New Yorker Erklärung, des CRRF und des Globalen Pakts für Flüchtlinge.
[3] Die Befragung konzentrierte sich auf sechs afrikanische Länder (Ghana, Kenia, Nigeria, Südafrika, Uganda und Simbabwe) und wurde von Franzisca Zanker, Nadine Segadlo und Ulrike Krause im Rahmen ihrer von der Deutschen Stiftung Friedensforschung geförderten Forschungsprojekte durchgeführt. Erste Ergebnisse zu Kenia wurden bereits veröffentlicht, weitere erscheinen in Kürze.
Prof. Dr. Ulrike Krause
ist Juniorprofessorin für Flucht- und Flüchtlingsforschung am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) und am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. der humanitäre Flüchtlingsschutz, der Konflikt-Flucht-Nexus, Resilienz, Gender, genderbasierte Gewalt sowie (post-)koloniale Ansätze.
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