Als ich Soon-young in Yanji traf und nach dem Leben nordkoreanischer Frauen fragte, gab sie mir diese Antwort ohne jegliches Zögern. Die beiden kurzen Sätze „Wir überleben. Egal wie“ stehen stellvertretend für ihre Entschlossenheit, alle Hindernisse zu überwinden, die ihr das Leben auch in den Weg legen mochte. Es scheint kein passenderes Wort zu geben als „Überleben“, um die Situation einer nordkoreanischen Frau zu beschreiben, die die Grenze nach China überquerte, um dort illegal zu arbeiten und so ihre Kinder zu unterstützen. Mit ihren über 70 Jahren hat Soon-young die turbulente Geschichte Nordkoreas direkt miterlebt und überstanden. „Ich wurde Parteimitglied. Sie können sich überhaupt nicht vorstellen, wie hart ich gearbeitet habe. Ich blieb in der Fabrik und arbeitete einfach weiter, nachdem alle nach Hause gegangen waren“. Und was bringt eine ältere Frau dazu, ihre Heimat zu verlassen und nach China zu gehen?
Befreiung und Krieg
Die Befreiung der koreanischen Halbinsel kam plötzlich. Die Kaiserherrschaft Japans brach mit dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki zusammen. Es waren jedoch nicht die Bemühungen des koreanischen Volkes gewesen, die zur Befreiung geführt hatten, und die Halbinsel wurde zu einem Ort direkt an der Frontlinie, wo die zwei Lager des Kalten Krieges aufeinander prallten. Die südliche Hälfte der Halbinsel fiel unter die direkte Kontrolle der US-amerikanischen Militärregierung, während der Norden indirekt von der Sowjetunion regiert wurde. Die sowjetischen Truppen, die kurz vor der Befreiung im Gebiet Nordkoreas gelandet waren, zogen sich im Dezember 1948 zurück, aber der sowjetische Einfluss hinterließ bleibende Spuren bei der Gestaltung des politischen Systems, der Rechtsvorschriften und der Institutionen in Nordkorea. Das provisorische Nordkoreanische Volkskomitee verabschiedete am 5. März 1946 das Gesetz zur Landreform, einer sozialistische Reform zur Verteilung des bis dahin im Besitz der Japaner und der Grundbesitzer stehenden Landes an die Bauern. Eine weitere, darauf folgende Rechtvorschrift, das Gesetz einschließlich Durchführungsbestimmungen über die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Nordkorea, war von großer Bedeutung, denn diese Maßnahme sollte die Rechte von Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft garantieren. Es schrieb nicht nur das politische Stimmrecht von Frauen fest, sondern auch das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, sowie auf Sozialversicherung und Bildung. Es definierte außerdem die Rechte der Frau in der Ehe und im Falle einer Scheidung sowie bei der Erbschaft von Eigentum und Land. Kurze Zeit nach der Befreiung führte Nordkorea also eine sehr progressive Politik für Frauen ein, und die Frauen, die bis dahin unter einem patriarchalischen System gelebt hatten, konnten sich nun plötzlich als Bäuerinnen und Arbeiterinnen bezeichnen.
Leider konnten die institutionellen Veränderungen, die die Rechte der Frauen garantieren sollten, aufgrund des bald folgenden Krieges nicht vollständig verwirklicht werden. Der Koreakrieg, der 1950 ausbrach, zwang Frauen, anstrengende und kriegswichtige Arbeiten hinter der Front anzunehmen. Sie arbeiteten in Rüstungsfabriken, bestellten die Felder oder stellten Hilfsgüter her. Außerdem waren Frauen auch direkt am Krieg beteiligt, wo sie eine Vielzahl an Aufgaben übernahmen, darunter die Behandlung und Pflege verletzter Soldaten. Der Krieg war verheerend für alle, aber noch verheerender war er für Frauen. Sie verloren ihre Familien, und ihre Existenzgrundlage wurde durch die zerstörerischen Bombardierungen, die den gesamten Krieg andauerten, zunichte gemacht. Selbst nach dem Krieg blieb das Leben der Frauen hart und schwierig. Wegen der gewaltigen Zahl männlicher Todesopfer im mehr als drei Jahre andauernden Koreakrieg blieb auch der Wiederaufbau in der Nachkriegszeit hauptsächlich den Frauen überlassen.
Nordkoreanische Frauen in der Zeit der Nationenbildung
Das nordkoreanische Regime drängte die Frauen dazu, sich aktiv an der Nationenbildung zu beteiligen. Das erklärte Ziel war, das vom Krieg verwüstete Land wieder aufzubauen und einen sozialistischen Staat zu schaffen. In Filmen und Literatur wurden die Leistungen der heldenhaften Arbeiterinnen hervorgehoben und Frauen dazu aufgefordert, Arbeit, besonders in der Leichtindustrie, anzunehmen. Die Veränderungen erfüllten die Frauen in Nordkorea mit Hoffnung, denn sie hatten nun die Möglichkeit, gleichauf mit Männern zu ‚arbeiten‘ und erhielten eine gesellschaftliche ‚Rolle‘ zugeteilt. Selbst vor der japanischen Kolonialherrschaft mussten die Frauen in Nordkorea eine deutlich niedrigere Stellung als die der Männer erdulden. Zahlreiche Maßnahmen, die im Namen des Sozialismus ergriffen wurden, erschienen ihnen deshalb als ‚befreiend‘. Andererseits war es für viele Frauen auch schwierig, sich an die Verschiebung gesellschaftlicher Normen anzupassen, da sie an ein patriarchalisches System gewöhnt waren und die plötzlichen Veränderungen im sozialen Umfeld erhebliche Herausforderungen und Belastungen mit sich brachten.
Das nordkoreanische Regime ergriff mehrere Maßnahmen zur Organisation von Frauen, darunter die Gründung der Demokratischen Nordkoreanischen Frauenföderation im November 1945, einer Organisation nach Vorbild der Frauenföderation in der Sowjetunion. Diese Organisation wurde später in Sozialistische Frauenunion von Korea umbenannt und war das Werkzeug für die Revolutionierung der Frauen während des Koreakrieges und beim Wiederaufbau in der Nachkriegszeit. Das Ziel ihrer Gründung war es, verheiratete Frauen in einer Satellitenorganisation der Arbeiterpartei zu organisieren, und sie fungierte in Produktionsstätten als ‚Nachhut der Revolution’, wann immer der Staat sie dazu benötigte. So wurde den Frauen nun eine Doppelrolle auferlegt: Einerseits sollten sie im öffentlichen Raum ‚eines der Räder am Wagen der Revolution‘ sein, sich andererseits aber auch im privaten Bereich einbringen. Hierbei wurde Propaganda benutzt, um die Opfer und Bemühungen von KIM Jung-sook (KIM Jong-ils Mutter) und KANG Ban-seok (KIM Il-sungs Mutter) hervorzuheben und so die Frauen zu Aufopferung und harter Arbeit zu ermuntern. In der Folge führten die nordkoreanischen Frauen den Anstieg der Produktion und die Revolution im öffentlichen Raum an und übernahmen gleichzeitig die Verantwortung für die ‚Revolutionierung ihrer Familien‘ im privaten Bereich.
Unterdessen hatte der Machtkampf innerhalb des nordkoreanischen Regimes direkte Auswirkungen auf das Leben der Frauen. Hinter der Säuberung der Mitglieder des Zentralkomitees der Arbeiterpartei, die als „August-Vorfall“ bekannt ist, standen Unstimmigkeiten darüber, in welche Richtung die wirtschaftliche Entwicklung des Landes gehen sollte. Die Yan’an-Fraktion und die Sowjetfraktion, später ‚Fraktionalisten’ genannt, strebten einen rasche Sanierung der Wirtschaft auf Grundlage der Leichtindustrie an, während die von KIM IL-sung angeführte ‚Domestic‘-Fraktion auf einen Wiederaufbau mit Fokus auf die Schwerindustrie setzte. Letztere setzte sich schließlich durch, und die Folge war eine Abwertung der Arbeit der hauptsächlich in der Leichtindustrie beschäftigten Frauen im Gegensatz zur Arbeit der Männer in der Schwerindustrie. Frauen wurden nun als ‚zweitrangige Arbeitskräfte‘ und nicht mehr als zentrale Kraft der Revolution betrachtet, und damit verfestigte sich die Diskriminierung der nordkoreanischen Frauen.
Außerdem hielt sich in Nordkorea das Patriarchat - bereits vor dem Krieg tief im Land verwurzelt - noch immer hartnäckig. Nordkorea war inzwischen zum Verfechter des Aufbaus eines sozialistischen Staates geworden. Der problematischste Bereich hierbei war die von Frauen zu erledigende Hausarbeit, und die nordkoreanische Regierung war entschlossen, diese zu reduzieren, um Frauen zur Arbeit zu mobilisieren. Zu diesem Zweck baute das nordkoreanische Regime Kindertagesstätten und Kindergärten, um die Kinderbetreuung zu verstaatlichen, und errichtete Reisfabriken, Soßenfabriken und Wäschereien, um die Arbeitsbelastung der Frauen im Haushalt zu verringern. Hinzu kamen die Bemühungen, ein Sozialversicherungssystem einzurichten, das Müttern vor der Geburt 60 und nach der Geburt 180 Tage Mutterschutz gewähren sollte, um die Bevölkerungszahlen stabil zu halten. Aufgrund der instabilen Sicherheitslage und der wirtschaftlichen Not trugen viele dieser Bestrebungen des Regimes jedoch keine Früchte. Die Wirtschaftskrise, die sich Mitte der 1990er Jahre verschärfte, führte zu einem allgemeinen Zusammenbruch der Nahrungsmittelversorgung in Nordkorea, und politische Maßnahmen, die den Schutz und die Gleichstellung der Frau fördern sollten, wurden nicht durchgesetzt. Als das Bildungssystem zusammenbrach, fiel die Kinderbetreuung in den alleinigen Verantwortungsbereich der Frauen – eine zusätzliche Belastung, denn diese mussten bereits eine neue große Aufgabe meistern, die darin bestand, ihre Familien durch Handel auf den neu entstandenen informellen, ‚Jangmadang’ genannten Straßenmärkten zu ernähren.