Unsichtbare Kämpfe

Salam Ibrahim Al-Nidawi über die Besonderheiten psychischer Belastung von Geflüchteten und sein Engagement. Ein Beitrag anlässlich des Weltflüchtlingstages 2024.


 

In den warm beleuchteten Räumen des Zagreber Rehabilitationszentrums für Stress und Trauma erklingen die Stimmen von Geflüchteten – ihre quälenden Fragen und schmerzhaften Worte verdeutlichen traumatische Erfahrungen.

 

»Ich meide öffentliche Verkehrsmittel, weil sie mich an meine Entführung in Burundi erinnern.« (Person aus Burundi)

»Können Sie mir helfen, die Vergangenheit zu vergessen?« (Person aus Palästina)

»Ich werde nie wieder derselbe sein.« (Person aus der Türkei)

»Ich habe Angst vor der Nacht, weil ich dann allein bin mit meinen Gedanken und Träumen.« (Person aus Afghanistan)

»Ich habe meinen Job an der Küste aufgegeben, weil ich nach meiner Reise von der Türkei nach Griechenland das Meer nicht mehr sehen konnte.« (Person aus Jemen)

»Um zu überleben, habe ich alles zurückgelassen, und jetzt lebe ich nur für das, was ich zurückgelassen habe.« (Person aus dem Irak)

 

Diese Sätze wurden von Menschen geflüstert, die auf der Suche nach Sicherheit und Frieden die Erschütterung einer Flucht aus ihrem Zuhause ertragen haben; sie zeigen, mit was für tiefen psychischen Schwierigkeiten sich Geflüchtete oftmals auseinandersetzen müssen.

Die eigene Heimat hinter sich zu lassen, ist nicht nur eine örtliche Reise, sondern auch eine innere. Wenn sich Flüchtende auf den Weg machen, lassen sie nicht nur ihre Besitztümer zurück, sondern auch ihr Zugehörigkeitsgefühl, ihre Beziehungen und ihre Identität. Sie sind gezwungen, Nächste und Liebste zurückzulassen, das geliebte Haustier und die Geborgenheit einer vertrauten Umgebung, und machen sich auf der Suche nach Zuflucht und Sicherheit über lange, teure und gefährliche Routen auf eine beängstigende Reise.

Erreichen sie schließlich ein unbekanntes Land, werden sie dort wie ins kalte Wasser in eine neue Existenz geworfen – in ein Leben, wo alles fremd ist und sich die Vergangenheit anfühlt wie ein weit entfernter Traum. Sie müssen sich an eine andere Kultur, Sprache und gesellschaftliche Ordnung anpassen und tragen dabei die Last eines schweren Verlusts. Viele sind tief traumatisiert, aufgrund von Erfahrungen, die sie nie haben verarbeiten können.

Die psychologischen Kosten von Vertreibung sind immens. Als Geflüchtete hinterfragen einst resiliente und hoffnungsvolle Menschen plötzlich ihre gesamte Existenz: »Warum haben die mir das angetan? Warum ich? Werde ich je wieder normal sein?«. Die Wunden ihrer Vergangenheit wollen einfach nicht heilen und die Narben des Traumas sind ernst.

Entgegen der landläufigen Meinung ist für Geflüchtete die Ankunft in der Sicherheit nicht das Ende traumatischer Erfahrungen, sondern lediglich der Anfang neuer Anstrengungen – Anstrengungen, die unter den Auswirkungen unsichtbarer Wunden bewältigt werden müssen. Während Außenstehende annehmen mögen, Geflüchtete sollten einfach in die Zukunft blicken und sich Alltagssorgen widmen, ist die Realität sehr viel komplexer.

Häufig werden die psychologischen und emotionalen Symptome der traumatischen Erfahrungen dieser Menschen erst offenkundig, nachdem sie in ihrer neuen Umgebung angekommen sind und sich dort stabilisiert haben.

Die Erholung nach einem Trauma kann ein langer und harter Prozess sein, voller Hindernisse und Rückschläge. Es braucht Mut, Resilienz und große Willenskraft. Geflüchtete müssen sich mit ihren inneren Dämonen und ihren Ängsten auseinandersetzen und ein zerrüttetes Selbstempfinden neu zusammensetzen. In diesem Heilungsprozess nimmt das Rehabilitationszentrum für Stress und Trauma eine bedeutende Rolle ein.

In der Fürsorge dieses Zentrums werden Geflüchtete in einer unterstützenden Umgebung aufgefangen. Durch Beratungs- und Therapiegespräche und Selbsthilfegruppen stellen sie sich hier der schwierigen Aufgabe, die Komplexitäten ihres Traumas aufzulösen und sich eine neue Grundlage für ihre psychische Gesundheit zu schaffen.

Diese Aufgabe hat ihre Herausforderungen. Sprachbarrieren, mangelndes Wissen sowie Stigma und Missverständnisse rund um psychische Gesundheit sind Hürden auf dem Weg der Heilung. In vielen Ländern verstärkt die mangelnde Versorgung im Bereich der psychischen Gesundheit diese Schwierigkeiten. Die Arbeit mit schutzbedürftigen Menschen setzt Expert*innen voraus, doch es mangelt an ausgebildeten Fachkräften und den finanziellen Mitteln, um ein angemessenes Netzwerk für diese Arbeit zu schaffen.

Aufgrund der kulturellen und sprachlichen Diversität ist es so gut wie unmöglich, Geflüchteten psychologische Betreuung in ihren jeweiligen Muttersprachen anzubieten. Dolmetscher*innen sind somit in der Fürsorge unerlässlich, und wenngleich sie die Kommunikation zwischen Patient*innen und psychosozialen Fachkräften überhaupt erst ermöglichen, kann ihre Mitarbeit den Therapieprozess ungewollter verlangsamen. Dies trifft besonders dann zu, wenn schwierige Gefühle und differenzierte Erfahrungen treffsicher wiedergegeben werden müssen; hier bedarf es einer behutsamen Übersetzung, damit Gespräche Wirkung zeigen.

Trotz der unschätzbaren Unterstützung durch Dolmetscher*innen verdeutlicht ihre Notwendigkeit, wie schwierig es ist, Geflüchtete psychologisch angemessen zu betreuen.

Geflüchtete können jedoch ihr eigenes psychisches Wohlbefinden verbessern, indem sie sich unterschiedlichen Aktivitäten widmen. Dazu gehört, die Landessprache zu lernen und sich über die eigenen Rechte sowie über verfügbare Dienstleistungen und Gemeinschaftsmittel zu informieren. Die Teilnahme an Veranstaltungen vor Ort kann Beziehungen zur Gemeinschaft, gegenseitigen Respekt und gegenseitiges Verständnis durch den Austausch von Kulturen und Erfahrungen stärken. Durch ein derartiges Engagement stärken Geflüchtete nicht nur sich selbst, sondern tragen auch zur Verständigung innerhalb ihrer neuen Gemeinschaften bei.

Trotz dieser Schwierigkeiten können Hoffnung und Resilienz die Heilung prägen. Und neben der professionellen Begleitung ist die Unterstützung durch Gemeinden und die Gesellschaft an sich unerlässlich. Für eine Heilung braucht es Empathie, Verständnis und ein Anerkennen der Würde und Kraft jeder einzelnen geflüchteten Person. Gemeinsam können wir Geflüchtete in ihrer Genesung begleiten und dabei Mitgefühl, Solidarität und Hoffnung auf eine bessere Zukunft anbieten.

Nur durch gemeinschaftliches Handeln und Mitgefühl lassen sich die unsichtbaren Wunden der Vertreibung heilen, ein Teil der Wegstrecke in eine inklusivere Zukunft für uns alle.

 

Aus dem Englischen von Sabine Wolf

 

Seit dem Beitritt zum Schengen-Raum am 1. Januar 2023 besteht verstärkt die Erwartung an Kroatien, die EU-Außengrenze vor - vermeintlich - illegalen Grenzübertritten zu sichern. Es gibt besorgniserregende Berichte zu einem Anstieg der Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen. Die meisten Flüchtlinge sehen Kroatien nur als Transitland an, was sich mit der neuen Regierungskoalition aus konservativen und einer rechts-nationalistischen Partei trotz enormer demographischer Probleme sicher nicht ändern wird. Die Anerkennungszahlen für Geflüchtete sind sehr gering: Nach Angaben des Innenministeriums wurden 2023 insgesamt 68.114 Absichten auf internationalen Schutz geäußert. Allerdings reichten nur 1.783 Personen einen Antrag ein. 45 internationale Schutzmaßnahmen wurden 2023 genehmigt, davon 43 Asylanträge und zwei subsidiäre Schutzmaßnahmen. Der Autor dieses Textes ist einer der wenigen Personen, deren Antrag auf internationalen Schutz 2016 genehmigt wurde.


Zur Person

Salam Ibrahim Al-Nidawi, ursprünglich aus Irak, lebt und arbeitet in Zagreb, Kroatien. Er studierte Jura und Politik an der Universität von Diyala, Irak, und hat einen MA in Politikwissenschaften der Universität Zagreb. Im Rehabilitiationszentrum für Stress und Trauma in Zagreb arbeitet er als Dolmetscher und Kulturmittler.

Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.


Redaktion

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