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Vielen gilt das Dublin-Abkommen als gescheitert – nicht so der EU-Kommission. Diese will ab Frühjahr 2017 Geflüchtete wieder nach Griechenland abschieben.
Bild: Uturn von Miolo lizenziert unter CC BY-NC-ND 2.0
Wer im Dezember 2016 aufmerksam Zeitung liest, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Da verspricht die deutsche Bundeskanzlerin ihrer Basis, dass sich die Entwicklungen des Herbstes 2015 nicht wiederholen würden und die EU-Kommission arbeitet an der Wiederaufnahme des Dublin-Abkommens. Es scheint als solle die Zeit einfach zurückgedreht werden. Es war doch eigentlich alles gut vor dem Herbst 2015: Flüchtlinge kamen zwar nach Europa, gemerkt haben das aber vor allem die primären Ankunftsstaaten Griechenland und Italien. Obwohl mit der steigenden Zahl ankommender Menschen eindeutig überfordert, wurden die Hilferufe aus Athen und Rom größtenteils ignoriert.
An der Ausgangssituation hat sich nicht viel geändert. Im Gegenteil: Durch die anhaltenden Krisen in Europas Nachbarschaft werden weiterhin viele Flüchtlinge und Migranten sich auf den Weg nach Europa machen. Die EU hat aber weiterhin keine koordinierte und effiziente Antwort darauf. Dass das nicht gut gehen kann, sollte allen klar sein.
In Griechenland gibt es zwar auch positive Entwicklungen: So ist vor Kurzem ein staatliches Bildungsprogramm für Flüchtlingskinder angelaufen, 20.000 Kinder wurden aufgenommen. Doch sind die Mittel sehr begrenzt, viele der Lehrer_innen arbeiten in Teilzeit und können kaum von ihrem Verdienst leben – dass das Programm trotzdem läuft ist vor allem ihrem Engagement zu verdanken. Dies ist jedoch eine der wenigen guten Nachrichten. Denn Fakt ist: Die EU lässt das Land bis auf wenige, unzureichende Ausnahmen weiterhin alleine, daran hat sich in den vielen Jahren trotz aller Versprechungen nichts geändert.
Über 3.000 Flüchtlinge kommen jeden Monat auf den griechischen Inseln an, lediglich etwa 100 werden im gleichen Zeitraum in die Türkei zurückgeführt und auch die versprochene Umverteilung innerhalb der EU findet kaum statt: Do the math – die griechischen Inseln platzen aus allen Nähten. Die Überlastung führt zu Protesten auf beiden Seiten: Seitens der Flüchtlinge, die in völlig überfüllten und teils improvisierten Camps leben müssen. Deren Zustände haben sowohl die UN als auch verschiedene NGOs scharf kritisiert, Human Rights Watch nennt sie „gefährlich und unhygienisch“. Und seitens der Bevölkerung, die sich – selbst krisengeschüttelt – zwar größtenteils hilfsbereit zeigt, aber eben auch leidet: Vor allem unter dem Rückgang des Tourismus, eine der wichtigsten Einnahmequellen in den betroffenen Regionen. Teilweise kommt es auch zu Angriffen auf Flüchtlingscamps – wie Mitte November auf der Insel Chios als Molotowcocktails und Felsbrocken auf die Zelte der schutzsuchenden Menschen geschmissen wurden.
Mit der EU-Flüchtlingspolitik beschäftigt sich eine aktuelle Studie des Athener Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung: „Gestrandet in Griechenland – Wie die Implementierung der EU-Flüchtlingspolitik scheitert“. Die europäische Flüchtlingspolitik basiert vor allem auf dem EU-Umverteilungsabkommen vom Herbst 2015 und dem Abkommen mit der Türkei aus dem März 2016. Beide sollten gerade auch Griechenland entlasten. Die Autor_innen der Studie Nikolaos Gavalakis und Nicole Katsioulis kommen jedoch zu dem Schluss: „Beide Mechanismen funktionieren bestenfalls nur sehr eingeschränkt“.
Letztlich ist dies noch positiv formuliert. Denn Gavalakis und Katsioulis stellen fest, dass weder Griechenland noch Italien durch das europäische „Relocation-Programm“ wirklich entlastet würden – schlimmer noch: es sei „nicht mehr als eine Farce“. Dies habe zweierlei Ursachen: Zum einen gebe es nicht ausreichend administrative Mittel, vor allem mangele es an Personal, das eigentlich von den Mitgliedstaaten nach Griechenland gesandt werden sollte. Zum anderen nähmen die anderen Mitgliedstaaten einfach nicht genügend Flüchtlinge bei sich auf – wenn sie es denn überhaupt tun.
Die Griechen haben eben Pech gehabt mit ihrer geographischen Lage und müssen ein eigentlich europäisches Problem weiterhin größtenteils alleine lösen – Solidarität ist nicht in Sicht. Auch das zweite Programm, vielerorts kritisch EU-Türkei-„Deal“ genannt, scheitert an der Umsetzung und ist zudem weiter hoch umstritten. Vor allem, weil Menschenrechtsorganisationen immer wieder von (systematischen) Menschrechtsverletzungen seitens der Türkei berichten. So würden Flüchtlinge zurück nach Syrien geschickt, die Bedingungen in den Camps seien unerträglich. Circa 90 Prozent der syrischen Geflüchteten leben sogar außerhalb der Lager, ein Großteil von ihnen hat keinen Zugang zu (legaler) Arbeit (lediglich 10.000 der insgesamt circa 2,7 Millionen Syrern haben eine Arbeitserlaubnis), Bildung oder Gesundheitsversorgung. Viele litten Hunger.
Griechische Berufungskommissionen tragen diesen Zuständen Rechnung, sie prüfen jede Rückführung in die Türkei einzeln – und werden hierfür von der EU kritisiert. Dass die europäische Flüchtlingspolitik daraus besteht, Schutz suchende Menschen möglichst schnell wieder loszuwerden, und dabei bereit ist, die Humanität mit Füßen zu treten, ist beschämend. Die EU muss ihren Kurs ändern, die Flüchtlingspolitik kann nicht auf Kosten einzelner Mitgliedstaaten gehen – und vor allem nicht auf die der Geflüchteten. Was getan werden könnte, stellen die beiden Autor_innen der Studie in ihren Politikempfehlungen heraus:
- Umverteilungsprogramm umsetzen, Verstöße einzelner Mitgliedstaaten sollten sanktioniert werden
- Administrative Unterstützung der griechischen Behörden durch die EU
- Rückführungen in die Türkei müssen weiterhin individuell geprüft werden
- Die Türkei und die EU müssen gemeinsam daran arbeiten, die Türkei zu einem tatsächlichen sicheren Drittstaat zu machen
- Das Dublin-Aufkommen muss von Grund auf neu verhandelt werden
Ansprechpartner in der Stiftung:
Nikolaos Gavalakis
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