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Was haben Flucht und Migration mit Naturkatastrophen und dem Klimawandel zu tun? Drei geläufige Missverständnisse und ein neuer Blickwinkel.
Bild: Migration gestalten: Land unter – Klimawandel verstärkt Migration von FES
Ja, es ist richtig. Die von Menschen verursachten Klimaveränderungen führen zu häufigeren und oft immer intensivieren Wirbelstürme, Überflutungen und auch Dürren. Ein schwerer Tropensturm kann den Tod vieler Menschen verursachen, Infrastruktur und Eigentum zerstören und letztlich auch zur Evakuierung und Vertreibung von Zehntausenden führen. So wurden im Jahr 2016 etwa 23,5 Millionen Menschen durch Naturkatastrophen vertrieben. Wir müssen allerdings zwischen einer vorübergehenden Vertreibung und dauerhafter Migration unterscheiden. Nach einer Naturkatastrophe können die meisten Menschen doch zurückkehren und wiederaufbauen, was zerstört wurde, und ihr Leben am Ort ihrer Herkunft weiterführen. Verheerender als einzelne Extremereignisse sind jedoch schleichende Umweltveränderungen wie Wüstenbildung, Bodenzerstörung, sich verändernde Niederschlagsmuster und der Meeresspiegelanstieg, denn sie führen viel eher zum Verlust der Lebensgrundlage und zwingen Menschen dazu andere Mittel und Wege zu finden, um über die Runden zu kommen. Ein Weg ist die Suche nach einem ‚besseren‘ Ort. Umweltzerstörung und Naturkatastrophen sind aber auch dann oft nur der Auslöser, nicht die eigentliche Ursache der Migration. Chronische Armut, kein oder nur geringer Landbesitz, wenig lokale Arbeitsmöglichkeiten und fehlende staatliche Unterstützung in der Herkunftsregion und vielversprechendere Arbeits-, Bildungs-, Lebensmöglichkeiten an anderen Orten, die durch andere Migranten bereits erschlossen und bekannt wurden, sind meist weitaus bedeutender als der Klimawandel.
Nein, derzeit kommen keine Hunderttausende „Klimaflüchtlinge“ nach Europa und dies ist auch in der nahen Zukunft nicht absehbar. Prognosen, die von 25 Millionen bis zu einer Milliarde durch Umweltveränderungen weltweit Vertriebenen bis 2050 ausgehen sind höchst umstritten, denn ihnen liegen sehr unterschiedliche Klimaszenarien und Annahmen über die Reaktionen der betroffenen Bevölkerung und über Migration zu Grunde. So schaffen es die meisten Menschen, trotz großer Schwierigkeiten, mit Umweltveränderungen und Naturkatastrophen zu leben. Und wenn sie doch vertrieben werden, so suchen sie meist Schutz in der Nähe; innerhalb ihres Heimatlandes und oft in größeren Städten. Dort erhoffen sie sich nicht nur Unterstützung, insbesondere von Verwandten und Freunden, sondern auch neue Lebensperspektiven. Zudem benötigt man mehr Ressourcen für eine grenzüberschreitende Migration. Der lange Weg nach Europa ist gerade für die am meisten vom Klimawandel betroffenen Kleinbauern in Afrika und Asien schlichtweg zu teuer.
Nicht alle Menschen in einer Region sind gleich stark durch den Klimawandel gefährdet. Entscheidend ist nicht nur wie stark Extremereignissen und Umweltveränderungen vor Ort sind und welche Schäden sie anrichten, sondern auch ob die Betroffenen über Ressourcen und Fähigkeiten verfügen, um Schäden abzuwenden und die Folgen zu bewältigen. Die Anpassung an den Klimawandel und auch die „Umweltmigration“ sind Fragen sozio-ökonomischer Strukturen: Untersuchungen im ländlichen Norden Bangladeschs haben zum Beispiel gezeigt, dass wohlhabendere Dorfbewohner in Jahren der Dürre oder Überschwemmungen nicht migrieren müssen. Sie können ihre Ernteausfälle durch andere Einnahmen und ihr Erspartes ausgleichen. Die „Mittelschicht“ hat auch große Verluste. Deshalb arbeiten einzelne Familienmitglieder zeitweise in Städten oder anderen Regionen. Durch das so gewonnene Einkommen können Schäden repariert und die Familie weiterhin versorgt werden. Die meist landlosen „Armen“ sind nach einer Naturkatastrophe oft gezwungen zu migrieren, denn vor Ort gibt es keine angemessene Arbeit mehr. An Zielorten müssen sie zu geringsten Löhnen hart arbeiten und sind Ausbeutung und Ausgrenzung ausgesetzt. Sie können ihre Verluste kaum wieder ausgleichen und haben große Schwierigkeiten ihre Familien zu ernähren. Am schwersten trifft eine Naturkatastrophe aber die „Ärmsten der Armen“, denn auf Grund von fehlenden Ressourcen oder gesundheitlichen Einschränkungen können sie überhaupt nicht migrieren. Sogenannte „trapped populations“ sind gezwungen zu bleiben und sind auf Almosen angewiesen.
Der Klimawandel führt nicht automatisch zur Vertreibung von Hunderttausenden Menschen, und erst recht nicht nach Europa. Zudem sollte es in der Debatte nicht um die Zahl der Vertriebenen und Migranten gehen, sondern um die Chancen der Anpassung an die negativen Auswirkungen des Klimawandels vor Ort und die Bedingungen der Migration. Zudem darf die Mobilität von Menschen im Kontext des Klimawandels nicht per se als Scheitern der lokalen Anpassung verstanden werden. Vielmehr eröffnet Migration, insofern Menschenrechte und Würde gewahrt und Arbeitende vor Ausbeutung geschützt werden, für viele vom Klimawandel Betroffene neue und oft bessere Lebensperspektiven und führt zu neuen Erfahrungen, neuem Wissen und neuem Kapital. Oft kann erst dadurch eine erfolgreiche Anpassung an Umweltveränderungen vor Ort gelingen. Diese neue Perspektive – Migration nicht als Problem, sondern als Chance zur besseren Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels – wird in zunehmendem Maße auch von der Politik anerkannt.
Autor
Dr. Benjamin Etzold,ist Wissenschatler am Bonn International Center for Conversion (BICC).
Kontakt in der FES: Felix Braunsdorf, Referent für Migration und Entwicklung
Dieser Beitrag greift die Botschaft "Land unter – Klimawandel verstärkt Migration" des Projekts "Migration gestalten - gerecht und global!" auf.
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