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Mut zur Radikalität: Wie durch strukturelle Änderungen Integration und Teilhabe ermöglicht werden können.
Wir müssen radikaler werden. Weg von den seichten Änderungen, ran an die Strukturen. Soziale Gerechtigkeit muss endlich wieder mit Leben gefüllt werden. Mit einer Vision, die sich in strukturändernden Maßnahmen widerspiegelt. Wie könnte das aussehen?
Laut dem Berliner Partizipations- und Integrationsgesetz „setzt [Integration] sowohl das Angebot an die Bevölkerung mit Migrationshintergrund zur Beteiligung als auch den Willen und das Engagementder Menschen mit Migrationshintergrund zur Integration voraus“. Wer was will, muss also auch was dafür tun. Klingt erstmal gut. Beim zweiten Lesen fällt der Fehler aber auf. So würde - zum Glück - niemand mehr in Gesetze schreiben: „Wenn Frauen nicht ausgeschlossen werden wollen, müssen sie sich dafür auch anstrengen“. Anstatt „setzt den Willen und das Engagement von Frauen voraus“, heißt es deshalb im Landesgleichstellungsgesetz zu Recht: „Die [öffentlichen] Einrichtungen sind verpflichtet, aktiv auf die Gleichstellung von Männern und Frauen […] und auf die Beseitigung bestehender Unterrepräsentanzen hinzuwirken“. Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie erforderlich ein Paradigmenwechsel ist.
Statt von allen Türmen „integriert euch“ zu verkünden, brauchen wir deshalb einen Paradigmenwechsel. Aus „wenn ihr euch anstrengt, kriegt ihr auch ein Eis“ (Integration) sollte werden: Was können wir von der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern lernen, um die Unterrepräsentation von Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte auszugleichen und vor allem rassistische Diskriminierung zu verringern? Ist ein solch erweitertes Verständnis von Gleichstellung zu viel des Guten? Die erste Generation ist oft dankbar, hier sein zu dürfen, die zweite will am Tisch sitzen und spätestens ab der dritten wird über die Regeln gestritten. Klar ist, auch Gender Mainstreaming muss weitergedacht und um rassistische Diskriminierung – als strukturelle Herausforderung ergänzt werden – sonst wird bspw. ein Großteil der Frauen vergessen, die zusätzlich rassistische Diskriminierung erfahren.
Einer der eklatantesten Ausschlüsse findet sich im Wahlrecht. Der in Kenia geborene Politikwissenschaftler Eric Otieno kritisiert zu Recht, dass er auch nach 10 Jahren in Deutschland nicht wählen darf. Eine Italienerin kann hingegen nach kürzester Zeit bei der Kommunalwahl ihre Stimme abgeben. Deshalb macht ein Netzwerk aus Migrant_innenorganisationen mit der Kampagne „Wir wählen“ darauf aufmerksam, dass über 4 Millionen volljährige Menschen in Deutschland weder bei der Bundestagswahl noch bei Kommunalwahlen eine Stimme haben, weil sie weder einen deutschen noch einen EU-Pass besitzen. Wer von politischen Entscheidungen betroffen ist, sollte das Recht haben mitzubestimmen, welche Parteien diese Entscheidungen treffen.
Oft wird argumentiert, dass für ein kommunales Ausländer_innenwahlrecht das Grundgesetz mit einer 2/3 Mehrheit im Bundestag geändert werden müsste. Aber auch ohne diese schier unerreichbare und in Frage zu stellende Hürde, kann auf Verwaltungs- und Organisationsebene einiges angegangen werden. Vier Vorschläge, die zur Professionalisierung beitragen würden:
1. Definieren: Rassistische Diskriminierung als strukturelle Herausforderung anerkennen und die in Deutschland rechtlich gültige Definition im Arbeitsalltag anwenden.
2. Weiterdenken: Stiftungen, Verwaltungen und Unternehmen müssen über den Migrationshintergrund hinausdenken. Die Bundesregierung benennt vier schutzwürdige Gruppen, die in besonderer Weise von rassistischer Diskriminierung betroffen sind: jüdische Menschen; Menschen, die als Muslime diskriminiert werden; Sinti und Roma und Schwarze Menschen. Sie werden auch nach der zweiten Generation von der vollen Teilhabe ausgeschlossen. Deshalb muss der Migrationshintergrund um eine Perspektive ergänzt werden, die den Fokus auf Ausschlüssen unabhängig von der Einwanderungsgeneration hat.
3. Messen: In Deutschland wird alles genormt und gemessen. DIN A4 ist selbst Schulkindern bekannt. Aber kein Mensch weiß, wie viele Menschen in Deutschland Gruppen angehören, die mit rassistischer Diskriminierung konfrontiert werden. Das muss durch die Erhebung von differenzierten Gleichstellungsdaten geändert werden, die intersektional auch weitere Kategorien des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes erfassen.
4. Fördern: Wer will, dass neue Akteur_innen am Verhandlungstisch über die Zukunft unserer Gesellschaft sitzen, muss das auch ermöglichen. Dafür brauchen wir ein Demokratiefördergesetz, das endlich umfassende Strukturförderung möglich macht und bspw. Empowerment Schwarzer Menschen in Deutschland fördert.
Mitbestimmung auf Augenhöhe ist möglich. Aber die Frauenbewegung hat uns gezeigt: Es ist ein langer Weg, der nur durch die Kombination von Symbolpolitik und Änderung von Strukturen gangbar ist. Ohne explizite Förderung marginalisierter Gruppen, werden wir uns noch lange im Kreis drehen.
Autor
Daniel Gyamerah arbeitet bei Citizens For Europe als Projektleiter von „Vielfalt entscheidet - Diversity in Leadership" und ist Vorsitzender von Each One Teach One (EOTO) e.V. Er arbeitet zur Institutionalisierung von Empowerment und Gleichstellung und entwickelt in Teams Strategien zur Inklusion in der Einwanderungsgesellschaft.
Kontakt: Felix Braunsdorf, FES-Referent für Migration und Entwicklung
Dieser Beitrag greift die Botschaft "Mitbestimmen, da wo man lebt!" des Projekts "Migration gestalten - gerecht und global!" auf.
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