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Eine feministische Zukunft in der sich digitalisierenden Arbeitswelt aufbauen

Am 15. März 2022 organisierte die FES und IT for Change eine Podiumsdiskussion im Rahmen des NGO CSW66 Virtual Forum. Lesen Sie hier den Veranstaltungsbericht von Avantika Tewari.

Zusammenfassung:

Während die Sozialausgaben im Globalen Süden von systematischen Kürzungen betroffen sind, steigt gleichzeitig die Belastung der Frauen durch Sorgearbeit. Hierdurch sehen wir uns mit einer neuen Realität konfrontiert, in der die historischen Errungenschaften für die wirtschaftliche Teilhabe von Frauen in einem solchen Maß ausgehöhlt werden, dass Arbeitnehmerinnen, insbesondere im Globalen Süden, vom Arbeitsmarkt verdrängt werden. Unmittelbare Folge ist eine Vertiefung des geschlechtsspezifischen Armutsgefälles, das über die sichtbaren Symptome der digitalen Kluft zwischen den Geschlechtern noch hinausgeht. In dieser Diskussion werden Fragen zur feministischen Zukunft der Arbeit im digitalen Zeitalter untersucht. Hierzu werden die politischen und programmatischen Maßnahmen genauer unter die Lupe genommen, die auf globaler, nationaler und lokaler Ebene erforderlich sind, um sicherzustellen, dass sich die Stärkung der wirtschaftlichen Stellung von Frauen auch auf die sich digitalisierenden Wertschöpfungsketten erstreckt. Die Diskussion wirft zudem ein Schlaglicht auf die jeweiligen Rollen und Verantwortlichkeiten des Systems der Vereinten Nationen, der Regierungen, des Privatsektors und der Zivilgesellschaft bei der Verwirklichung dieser Aufgabe.


 

Die derzeitige Big Tech-Infrastruktur stellt eine Bedrohung für die Beschäftigungssicherheit dar und führt zu Arbeitsplatzverlusten, Verdrängung und in vielen Fällen sogar zu direkter Enteignung. In einem Oxfam-Bericht heißt es: „Am spürbarsten ist die weltweite Unterdrückung von Frauen in der Arbeiterklasse, wo sie im Durchschnitt 24 Prozent weniger verdienen als Männer, längere Arbeitszeiten haben und doppelt so viel unbezahlte Sorgearbeit leisten.“ Am stärksten betroffen ist der Globale Süden, wo 75 Prozent der erwerbstätigen Frauen in der informellen Wirtschaft tätig sind und, wenn überhaupt, nur über geringe Arbeitnehmerinnenrechte verfügen. Als sich vor diesem Hintergrund die Krise in der Pflegeinfrastruktur akut bemerkbar machte, wurde vielen Arbeitnehmer*innen auf der ganzen Welt noch einmal bewusst, wie sie in ungeschützte und prekäre Arbeitsplätze geraten waren. Während die Sozialausgaben im Globalen Süden von systematischen Kürzungen betroffen sind, erhöht sich gleichzeitig die Belastung der Frauen durch Sorgearbeit. Hierdurch sehen wir uns mit einer neuen Realität konfrontiert, in der die historischen Errungenschaften für die wirtschaftliche Teilhabe von Frauen in einem solchen Maß ausgehöhlt werden, dass Arbeitnehmerinnen, insbesondere im Globalen Süden, vom Arbeitsmarkt verdrängt werden. Unmittelbare Folge ist eine Vertiefung des geschlechtsspezifischen Armutsgefälles, das über die sichtbaren Symptome der digitalen Kluft zwischen den Geschlechtern noch hinausgeht. Es wird immer deutlicher, dass die neuen digitalen und Datentechnologien eine entscheidende Rolle beim „gestärkten Vorgehen aus der Krise“ spielen werden. In seiner derzeitigen Form befindet sich das Finanzsystem jedoch im Würgegriff von Big Tech, welches die digitalen Wertschöpfungsketten beherrscht. Ökonom*innen und Investor*innen betrachten eine „K-förmigen Erholung" von Covid-19 leichtfertig als eine hoffnungsvolle Konjunkturentwicklung, bei der sich bestimmte Sektoren schnell berappeln, während andere nach wie vor hinterherhinken, was zu hoher Arbeitslosigkeit und einer Automatisierung von Arbeitsabläufen auf der ganzen Welt führen wird. Ganz besonders an den auf der Welt am stärksten ausgegrenzten Frauen, vor allem im informellen Sektor, wird dieser wirtschaftliche Aufschwung vorbeigehen.

Vor diesem Hintergrund fand am 15. März 2022 auf dem Virtuellen Forum der NGO CSW66 eine Podiumsdiskussion statt, die sich mit der Frage beschäftigte, wie eine feministische Zukunft der Arbeit aussehen könnte. Zur Klärung dieses Themenkomplexes rief die Friedrich-Ebert-Stiftung das „The Future is Feminist“-Projekt ins Leben, in dem Feministinnen aus der ganzen Welt zusammenkommen. Ziel ist die kritische Entwicklung wirtschaftlicher Perspektiven. Bezugnehmend auf die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe aus feministischen Organisationen und Aktivist*innen, die anderthalb Jahre lang zusammengearbeitet haben, wurde im Rahmen des Projektes unter anderem ein Handlungsrahmen mit dem Titel „Der Deal unserer Träume“ erarbeitet. Einige der Grundgedanken dieses Rahmendokuments zur Förderung der Stärkung der Frauen und der Gleichstellung der Geschlechter in den sich weltweit rasch digitalisierenden digitalen Wertschöpfungsketten wurden von IT for Change in die politischen Debatten der Welthandelsorganisation (WTO) und der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) eingebracht. Alle unsere Gespräche mit den Vereinten Nationen drehen sich fortan um drei Punkte: i) Big Tech zur Rechenschaft ziehen, ii) die Schaffung eines verbindlichen, globalen und digitalen Governance-Paradigmas auf multilateraler Ebene und iii) der Aufbau öffentlicher Dateninfrastrukturen zur Beschleunigung regionaler Dialoge, was zu einer evidenzbasierten globalen Kampagne für eine „feministische VN-Agenda für Innovation und technologischen Wandel“ führen soll.

Unsere anhaltenden Bemühungen und Tätigkeiten in den Jahren 2021-22 gipfelten in der 66. Sitzung der Kommission für die Rechtsstellung der Frau (CSW66), einem virtuellen Forum, das im März 2022 stattfand und das Thema „Stärkung der wirtschaftlichen Stellung der Frau in der sich verändernden Arbeitswelt“ in den Mittelpunkt rückte. Diese Online-Diskussion befasste sich mit Fragen zur feministischen Zukunft der Arbeit im digitalen Zeitalter. Hierzu wurden die politischen und programmatischen Maßnahmen genauer unter die Lupe genommen, die auf globaler, nationaler und lokaler Ebene erforderlich sind, um sicherzustellen, dass sich die Stärkung der wirtschaftlichen Stellung von Frauen auch auf die sich digitalisierenden Wertschöpfungsketten erstreckt. Die Diskussion wirft zudem ein Schlaglicht auf die Rollen und Verantwortlichkeiten der Vereinten Nationen (VN), Regierungen, des Privatsektors und der Zivilgesellschaft, bei der Verwirklichung dieser Aufgabe.

 

„Die historischen Errungenschaften für die wirtschaftliche Teilhabe von Frauen werden in einem solchen Maß ausgehöhlt, dass Arbeitnehmerinnen, insbesondere im Globalen Süden, vom Arbeitsmarkt verdrängt werden.“

Mit dabei waren Emilia Reyes, Mitinitiatorin der Frauenarbeitsgruppe zur Entwicklungsfinanzierung und in dieser Eigenschaft eine der Leiterinnen des Aktionsbündnisses für wirtschaftliche Gerechtigkeit und Rechte im Rahmen von Peking+25, Karishma Banga, Forschungsbeauftragte am Institut für Entwicklungsstudien (IDS), Marina Durano, Beraterin für Care-Ökonomie und partnerschaftliches Engagement bei der Gewerkschaft UNI Global Union und Isabelle Durant, Stellvertretende Generalsekretärin der UNCTAD. Thema dieses virtuellen Forums war die Beseitigung von Missständen in der Wirtschaftspolitik, welche sich in den Rückschlägen abzeichnen, denen die Menschen im Allgemeinen und die Frauen im Besonderen im Gefolge der Pandemie ausgesetzt sind. Gleich zu Beginn waren sich die Podiumsdiskussions-teilnehmerinnen einig, dass es unzureichend wäre, lediglich an Algorithmen zu feilen, um einer geschlechtsspezifischen digitalen Sozialität näherzukommen, da dies für die Einbeziehung von Frauen in eine konfliktreiche und grundlegend ungleiche digitale Wirtschaft kaum zweckmäßig wäre. Es wurde herausgestellt, dass es für eine feministische Zukunft unerlässlich ist, Frauen in einem ungleichen globalen System nicht nur „analytisch einzubeziehen“. Vielmehr muss zudem die systemische Kollusion zwischen Finanz- und Digitalkapital von den Menschen gekippt werden, damit Frauen wahrlich emanzipiert werden können! In diesem Sinne beschäftigte sich das Podium mit den Vorstellungen einer feministischen Zukunft, in der die Menschenrechte der Frauen im Mittelpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung stehen können.

Bei der Podiumsdiskussion im Rahmen des Virtuellen Forums wies Anita Gurumurthy, Geschäftsführerin von IT for Change, zu Beginn des Gesprächs auf die dringende Notwendigkeit hin, E-Governance-Modelle auf den sozialen Wandel auszurichten und hierbei die Funktion des Staates bei der Daseinsvorsorge und dem Schutz öffentlicher Güter anzuerkennen. Sie rief uns eindringlich dazu auf, das Digitale als mehr als nur ein bloßes Instrument zur Verbesserung der produktiven Fähigkeiten in der gegenwärtigen politischen Ökonomie zu betrachten. Ein umfassenderes Verständnis digitaler Technologien würde uns helfen, die konstitutive Umgestaltung der Gesellschaft zu begreifen, die im Daten- und Intelligenzkapitalismus ihren Ursprung findet. Das Digitale als instrumentelles Phänomen sprengte den Rahmen, das neueste Produktionsmittel zu sein; es habe das Potenzial, zu einem Handlanger und Hebel des Großkapitals zu werden, wenn wir nicht die Kontrolle von der totalisierenden Staatsmacht und den Konzernen zurückeroberten.

Daten, künstliche Intelligenz (KI) und Plattformen sind die heutigen Treiber des Kapitalismus, indem sie ihm die Infrastruktur für seine Ausdehnung zur Verfügung stellen. Der Modus Operandi des Daten- und Intelligenzkapitalismus bestünde darin, den Pionierunternehmen in der Industrie einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, die dann intern um die Vorherrschaft über Daten streiten, die von Big Tech monopolisiert werden. Die Monopoleinkünfte, die durch die Kontrolle über die Netzinfrastruktur generiert werden, die für die derzeit in den Vereinigten Staaten konzentrierten Big Tech-Giganten wertschöpfend sind, brächten die Länder des Globalen Südens in eine gefährliche Schieflage. Eine solche Form des Rentierkapitalismus schließe Menschen und Nationen mit begrenzten Ressourcen grundsätzlich davon aus, irgendeinen Anspruch auf die kollektiv produzierten Daten zu haben. Darüber hinaus wies Gurumurthy erneut darauf hin, dass die Pandemie nur eine düstere Vorahnung der vielen unheilvollen Folgen ist, die ein fehlgeschlagenes Wachstumsprojekt unter leichtfertiger Missachtung der planetarischen Grenzen zwangsläufig mit sich bringt. Wie bereits ausführlich dokumentiert wurde, bot die Pandemie gleichzeitig ein Fenster für ein aggressives Vordringen von Datentechnologien in den Globalen Süden.

 

 

Um die groben Konturen sowohl der produktiven Arbeit als auch der Reproduktionsarbeit zu verstehen, drängte uns Emilia Reyes, Mitinitiatorin der Frauenarbeitsgruppe zur Entwicklungsfinanzierung, darauf, die Fragen zur Wirtschaft breiter zu fassen. Die Arbeit von Frauen sei häufiger unbezahlt und informell, wodurch sie sich in einer noch prekäreren Lage befinden, was Menschenrechte, Chancen, Einkommen, sozialen Schutz und Wohlergehen betrifft. Sie lenkte unsere Aufmerksamkeit darauf, wie Frauen aus dem Globalen Süden unter prekären Bedingungen hart arbeiten, um den Großteil an Waren und Dienstleistungen zu produzieren, die dann die Staatskasse des Globalen Nordens füllen. Sie forderte uns auf, uns mit der Realität auseinanderzusetzen, dass sich der Datenkolonialismus über die grenzüberschreitenden Handelskorridore auf die selbstverständlichste Weise weiter ausbreitet - oft unter Verwendung von Begrifflichkeiten der Entwicklungshilfe, die kapitalistische Interessen unter dem Deckmantel der Philanthropie verschleiern. Daher könne die digitale Entwicklung in einer feministischen Zukunft nicht über die neoimperiale Politik hinwegtäuschen, die das Finanzsystem unterstreicht. Sie mahnte uns auch, die strategischen Räume im Auge zu behalten, die sich als Räume für den internationalen Dialog aufgetan hätten und versprächen, die Welt unter ein Dach zu bringen, und äußerte Bedenken hinsichtlich der engen Ausrichtung auf einen „Multistakeholderismus“.

 

 

Während die pandemiebedingte Krise und die Digitalisierung Frauen aus dem Arbeitsmarkt verdrängt, sehen wir auch, dass Frauen als Unternehmerinnen, Schöpferinnen von Inhalten und Dienstleisterinnen in neuen Formen der flexiblen Arbeitsbeziehungen und Telearbeit in die digitale Wirtschaft hineinkatapultiert werden. In diesem Zusammenhang schlug Isabelle Durant, stellvertretende Generalsekretärin der UNCTAD, vor, dass Flexibilität und stabile Beschäftigung in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen müssen, wobei sie einräumte, dass Arbeitsplätze, die keinen sozialen Schutz bieten, überhaupt keine Arbeitsplätze seien. Im Jahr 2021 waren 13 Millionen Frauen weniger erwerbstätig als 2019. 57 Prozent der Arbeitsplätze, die bis 2026 voraussichtlich durch die digitale Automatisierung verloren gehen werden, sind von Frauen besetzt, und es gibt erhebliche geschlechtsspezifische Unterschiede bei den sogenannten „Kompetenzen der Zukunft“. Im Rahmen dieses neuen Paradigmas habe die Digitalisierung der Wertschöpfungsketten im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor zu einer Neuausrichtung der Werteverteilung zugunsten der Industrieländer, wohlhabender Konzerne und Tech-Giganten geführt. Vor diesem Hintergrund könne ein „Business-as-usual“-Ansatz nicht funktionieren. Durant betonte, dass Frauen mehr Zugang zu, Kontrolle über und Eigentumsrechte an ihren eigenen Daten benötigen, um sich beruflich fortzubilden und Aufstiegsmöglichkeiten in hochwertige Arbeit zu erhalten. Weiterhin stellte sie den Aktionsplan der Vereinten Nationen vor, der darauf abzielt, dass der Arbeit von Frauen in einer Zeit nach der Pandemie auf dem Markt ein höherer Wert zugeschrieben wird. Um die zunehmende Prekarisierung von Arbeitnehmerinnen weltweit zu verhindern, schlug sie vor, dass politische Maßnahmen auf den Aufbau digitaler Kompetenzen, einen besseren Zugang zu Krediten, Dateneigentum, einen besseren sozialen Schutz und eine regulierende Rolle des Staates bei der Steuerung des Datenverkehrs ausgerichtet werden sollten. Sie erkannte an, dass Frauen einen besseren Zugang zu Krediten brauchen, um ihre Projekte verfolgen zu können, und dass es daher unbedingt einen Aktionsplan für die Digitalisierung geben müsse, der wiederum Bildung und Gesundheit unterstützt und nicht nur auf den elektronischen Handel beschränkt bleibt.

Wir sollten die Datenströme auf regionaler und nationaler Ebene so regulieren, dass der ungezügelte freie Markt die Produzent*innen sozialer Daten nicht ihrer Mitwirkung an der Entscheidungsfindung beraubt. In diesem Zusammenhang gestand Durant auch ein, dass die Vereinten Nationen institutionellen Einschränkungen unterliegen, da die Mitgliedsstaaten aus dem Globalen Süden in sich zergliedert und heterogen sind. Sie räumte ein, dass es weder möglich noch wünschenswert sei, alle Nationalstaaten in die VN einzubinden, bekräftigte jedoch gleichzeitig die Notwendigkeit einer einheitlichen Plattform, um globale Fragen der ökologischen Krise und der internationalen Finanzwirtschaft anzugehen. Wir müssten uns folglich der Notwendigkeit des Aufbaus von Gemeingütern zuwenden - einem öffentlichen Ort, an dem wir digitale Eingrenzungen („digital enclosures“) und ihr systemisches Potenzial für weltweit negative Auswirkungen in Frage stellen können. Durant räumte freimütig ein: „Das VN-System heute ist bedroht, wo also sollten diese Gespräche stattfinden? Die Systematizität des Systems ist der Punkt, an dem wir politisch intervenieren müssen“.

 

 

 

Die Automatisierung, Digitalisierung und Prekarisierung der Arbeit sind zu den augenfälligsten Merkmalen eines digitalen kapitalistischen Paradigmas geworden. Die aktuellen Trends in diesem Paradigma offenbaren, dass Arbeitnehmerinnen aus dem Globalen Süden aufgrund struktureller Zwänge nicht in der Lage sind, von den neuen digitalen und datenbezogenen Möglichkeiten zu profitieren. Stattdessen sind sie von systematischer Ausbeutung, Arbeitsplatzverlusten und unlauteren Teilhabebedingungen betroffen. Wie sollten solche digitalen Wertschöpfungsketten für eine geschlechtergerechte Weltwirtschaft umstrukturiert werden? Welche neuen Paradigmen der Industriepolitik brauchen wir?

Karishma Banga, Forschungsbeauftragte am Institut für Entwicklungsstudien, bekräftigte, dass die digitale Kluft weit über den binären Zugang zu Technologien zwischen Männern und Frauen hinausgeht. Sie hob hervor, wie die Trennlinie auf drei Ebenen verläuft: Auf der Ebene des/der Einzelnen (in Bezug auf Zugang und Nutzung), auf der Ebene der Unternehmen/Branchen (in Bezug auf die Nutzung von Technologien durch von Frauen geführten Unternehmen und die Beteiligung im IKT-Sektor) und auf der Ebene der Wirtschaft (in Bezug auf wirtschaftliche Gewinne und die Entscheidungsfindung). Selbst wenn Frauen im Globalen Süden den gleichen Zugang zu digitalen Technologien hätten wie Frauen im Globalen Norden, gäbe es eine beständige digitale Kluft bei der Nutzung digitaler Technologien für produktive Zwecke. Unter Berufung auf ihre Studie wies Banga darauf hin, dass die digitale Kluft zwischen den Geschlechtern nicht auf eine ablehnende Haltung gegenüber neuen Technologien zurückzuführen sei, sondern vielmehr auf eine geringere Einschulungsrate in der Primar- und Sekundarstufe, mindere technologische Fähigkeiten, eine rückständige physische Infrastruktur (Strom, Postzuständigkeit usw.) und höhere Internetkosten. Die geringere Teilhabe von Frauen auf allen Ebenen – angefangen bei den Fähigkeiten und der Handlungsmacht bis hin zum Eigentum an Technologien – sei ein Faktor, der zur digitalen Kluft beitragen könnte, d.h. bei den wirtschaftlichen Gewinnen zum Tragen käme, die sich aus der Nutzung der Technologie abschöpfen lassen. Daten aus Befragungen von 31 afrikanischen Unternehmen, zumeist KKMU, ergaben, dass afrikanische Firmen, die sich in weiblichem Besitz befinden, in der Regel über ihre eigenen Websites verkaufen und zwar entweder über eine Website mit Anbindung an den elektronischen Geschäftsverkehr oder über Online-Kontaktformulare. Die geringere Beteiligung von Verkäuferinnen an von Drittanbietern bereitgestellten Plattformen des elektronischen Handels im Globalen Süden könnte zum Teil auf den schlechteren Zugang zu Krediten und Finanzierungen zurückzuführen sein, was es schwierig machte, sich die höheren Provisionen dieser Plattformen zu leisten sowie auf Informationsasymmetrien und Ausbildungslücken. Befragungsdaten von (meist von Frauen geführten) KKMU zeigen außerdem, dass die Entwicklung von Websites des elektronischen Geschäftsverkehrs, deren Wartung und Reparatur zu angemessenen Preisen sowie die Einbindung von Online-Zahlungslösungen auf diesen Websites, wie z.B. M-Pesa, nach wie vor Hindernisse für die Einführung des elektronischen Handels in afrikanischen Ländern darstellen.

 

 

 

Feminist*innen aus dem Globalen Süden haben seit langem erkannt, dass die Krise in der Pflege und die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft zwei Seiten derselben kapitalistischen Medaille sind, insofern als dass Pflege sowohl nicht entlohnte Arbeit als auch eine notwendige/unsichtbare Quelle eines Mehrwerts im Kapitalismus darstellt. In der digitalen Wirtschaft tritt dieses Problem durch die gleichzeitige Gigifizierung der Gesamtwirtschaft und den Abbau fester Beschäftigungsverhältnisse mit deren einhergehender sozialer Absicherung noch stärker in den Vordergrund. Was ist aus dem Gesellschaftsvertrag, wie wir ihn kannten, im „wilden“ neuen Zeitalter von Big Tech geworden? Wie sieht es mit der sozialen Gerechtigkeit in einer digitalen Welt aus? Marina Durano, Beraterin für Care-Ökonomie und partnerschaftliches Engagement bei der Gewerkschaft UNI Global Union, war der Ansicht, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen ständig hinter der technologischen Innovation zurückbleiben. Daher seien wir nicht in der Lage, die Risiken und Chancen, die die aktuellen Entwicklungen in der digitalen Landschaft bieten, neu zu konzeptualisieren. Wir sollten uns mit der Realität auseinandersetzen, dass wir nicht nur Big Tech-Konzerne herausfordern, sondern die konkreten Verluste historischer Errungenschaften als in das globale Finanzsystem eingebettet sehen. Die Tech-Industrie sei fest im Finanzkapitalismus verankert, wobei Risikokapitalgeber ihr Geld auf Bereiche wie die Medizintechnik, Finanztechnologie und das E-Lernen setzten. Diese Unternehmen florieren in Zeiten der globalen Krise. Sie wies auf ein zweites „Enclosure Movement“ hin, diesmal forciert durch den Finanzmarkt-Kapitalismus und die Digitalisierung, dessen Sinn und Zweck es ist, Datenmärkte zu erobern, die durch Privatisierung der immateriellen Gemeingüter durchdrungen seien. Angesichts der Tatsache, dass immer mehr Nutzer*innen auf das Internet zurückgreifen, um Zugang zu Pflegedienstleistungen zu erhalten und in Foren nach Unterstützung zu suchen, sei es wichtig, dass wir das Internet nicht nur als ein Care-Instrument, sondern als eine Infrastruktur betrachten, die gestalterische Eingriffe erforderlich macht. Wie sollten die Arbeiter- und die feministische Bewegung reagieren, da ja Big Tech von seinem Teil des Gesellschaftsvertrags zurücktrete und die entsprechenden Belastungen inmitten der durch die Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise auf unterfinanzierte Staaten übertrüge? Das Vertrauen in den Multilateralismus der Vereinten Nationen sei begrenzt, gleichwohl gäbe es ein Bestreben nach einem universellen Dialog. Systemkrisen, wie z.B. der Klimawandel und die Pandemie, könnten nicht allein auf lokaler Ebene bekämpft werden. Die Länder seien zwar geopolitisch geteilt, dennoch sei es wichtig zu fragen, warum im bestehenden System keine Universalität erreicht werden kann. Die Länder seien nicht nur politisch gespalten, sondern auch die Plattformen, auf denen sie sich zusammenschließen, verträten die politischen Interessen derjenigen Akteure, die die Vorteile der globalen Verflechtungen für sich nutzbar machen. Der Multilateralismus müsse im Gleichklang mit den digitalen Gemeingütern neu überdacht werden. Es stimme zwar, dass alle Nationalstaaten zusammenkommen müssen, aber wir dürften dabei auch nicht aus den Augen verlieren, dass es gewaltige Ungleichheiten zwischen den Nationalstaaten gibt. Sich an einen Tisch zu setzen, hieße daher noch lange nicht, dass man auch auf Augenhöhe Platz genommen hat. Bei jedem Ländertreffen sei die Tagesordnung von den Mächtigen des Kapitals bestimmt, um nur ja eine Vergemeinschaftung abzuwenden.

 

Immer mehr Nutzer*innen greifen auf das Internet zurück, um Zugang zu Pflegedienstleistungen zu erhalten und in Foren nach Unterstützung zu suchen. Das Internet ist also nicht nur Care-Instrument, sondern auch eine Infrastruktur, die es zu gestalten gilt.

(Marina Durano)

 

 

Durano sah den Handlungsbedarf unter anderem darin, die Digital- und Finanzwirtschaft und die Care-Ökonomie besser aufeinander auszurichten, um die Widersprüche zwischen diesen zu verringern und dafür zu sorgen, dass neue Innovationen und Apps nicht zu Zukunftsgütern für private Unternehmen werden. Wenn wir gewährleisten wollten, dass die öffentlichen Interessen geschützt werden, dann obliege es uns einzugreifen und dafür zu sorgen, dass die Plattforminfrastruktur nicht kommodifiziert und privatisiert werde. Es bestehe die dringende Notwendigkeit, dem derzeitigen techno-kapitalistischen Paradigma eine klare Absage zu erteilen und auf eine neue digitale wirtschaftliche Zukunft hinzuarbeiten, die den Menschenrechten, der sozialen Gerechtigkeit und der Geschlechtergerechtigkeit dient. Dazu gehörten Versuche, die Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen zu verbessern, um sie in höherwertige Segmente digitaler Wertschöpfungsketten zu bringen, in öffentliche Dateninfrastrukturen zu investieren und zu einer einvernehmlichen, verbindlichen globalen und normativen Lösung für die Steuerung von Plattform-, Daten- und KI-Technologien zu gelangen, die auf einer integrierten und untrennbaren Vorstellung von Menschenrechten beruht, die ein würdiges soziales Dasein gewährleistet.

 

Das Gespräch in voller Länge und auf Englisch finden Sie hier.

Dieser Beitrag erschien im Original auf Englisch bei Botpuli.

 

 

Avantika Tewari ist Senior Research Associate bei IT for Change und arbeitet unter anderem zu Interdependenzen und Intersektionen zwischen Recht, Digitalität und Geschlecht.


Dr. Johannes Crückeberg

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