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Ein Beitrag von Miguel Vicente, Beauftragter für Migration und Integration der Landesregierung Rheinland-Pfalz.
Bild: Miguel Vicente von privat
Bild: Kleinstadt Rheinland-Pfalz von Günther Dillinger lizenziert unter CC0 1.1
Auch wenn immer wieder Nachrichten von einzelnen „überforderten“ Kommunen bei der Aufnahme und Integration von Geflüchteten die mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen, entspricht dies nicht der Situation in den meisten deutschen Städten und Gemeinden. So ist zumindest die Einschätzung der Kommunen selbst, wie Befragungen und Untersuchungen zeigen. Es trifft eher der Befund zu, dass trotz der unbestritten großen Herausforderung, angesichts der hohen Zahl an Asylsuchenden innerhalb einer relativ kurzen Zeit, die Kommunen diese in der Regel gut gemeistert haben.
Ein entscheidender Grund hierfür ist, dass sich sehr viele kommunale Akteure dieser Herausforderung gestellt haben und jeder seinen Beitrag geleistet hat: Bildungseinrichtungen, soziale Dienste, Ehrenamtliche, Unternehmen, Verwaltung, Vereine, Wohlfahrtsverbände, religiöse Gemeinden und viele andere mehr. Ihnen allen gemeinsam ist es in beeindruckender Weise gelungen, sich dieser Aufgabe anzunehmen und somit durch ein gemeinschaftlich verantwortetes Handeln der angstbesetzten Lähmung andernorts etwas entgegen zu setzen. Damit ist etwas geschaffen worden, das man als gemeinsame „Verantwortungskultur“ bezeichnen könnte.
Es liegt aber sicherlich auch daran, dass die kommunale Integrationspolitik sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren konzeptionell wie strukturell stark weiterentwickelt hat und somit gegenüber dieser „unerwarteten“ Herausforderung gut aufgestellt war. Denn es waren die Kommunen, die sich, um einiges früher als der Bund und die Länder, um eine konzeptionelle und strukturierte Integrationspolitik gekümmert und diese entwickelt haben. Zugleich haben die Kommunen einen viel pragmatischeren Umgang mit Zuwanderung und städtischer Vielfalt entwickelt, der weniger ideologisch geprägt ist als die politische Debatte auf Bundes- und Länderebene. Dieser Pragmatismus erleichtert die Zusammenarbeit der unterschiedlichsten Beteiligten in der Kommune enorm.
Dabei waren und sind die Rahmenbedingungen für die Kommunen unter dem Eindruck der Flüchtlingszuwanderung alles andere als einfach. So sehen sie sich unterschiedlichsten Erwartungen gegenübergestellt: Teile der Bevölkerung erwarten, dass die Anforderungen der Geflüchteten nicht zu Nachteilen für die „einheimische“ Bevölkerung führen. Die Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe erwarten eine effektiv und zugleich human handelnde Verwaltung. Einzelne Institutionen beklagen „Überforderung“ und erwarten vor allem von der Kommune eine schnelle Abhilfe, auch wenn ihr meistens die Zuständigkeit dazu fehlt. Und Medien greifen allzu schnell Missstände auf, mit der Gefahr, dass aus Einzelfällen Grundsatzdebatten entstehen, die dem ‚Ruf‘ einer Kommune schaden können. Gleichzeitig verändert der Bund die Gesetzeslage in verlässlicher Regelmäßigkeit, was das langfristige Planen der Kommunen nicht gerade erleichtert.
Insbesondere die Unterscheidung des Gesetzgebers in Asylsuchende mit und ohne Bleibeperspektive zwingt die kommunalen Akteure oftmals, Geflüchtete unterschiedlich zu behandeln, was nicht wenige Kommunen als diskriminierend empfinden und dann häufig mit eigenen Ressourcen (zum Beispiel bei Sprachkursen) versuchen, Angebote für alle zu schaffen. Nicht zuletzt ist die prekäre finanzielle Situation mancher Kommunen oft eine unüberwindbare Hürde, die den Handlungsspielraum im Rahmen der sogenannten freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben oft schmerzhaft einschränkt.
Zweifelsohne hat die gern genannte „Flüchtlingskrise“ der vergangenen Jahre einige wichtige Impulse gegeben, die auch in Zukunft wirken werden. So hat die Frage der Unterbringung der Geflüchteten in den Kommunen das längst fällige Thema des fehlenden bezahlbaren Wohnraums auf die Tagesordnung gehievt und zu Maßnahmen vom Bund, den Ländern und den Kommunen geführt. Unsere Organisationen und Institutionen sind durch die Beschäftigung mit den Geflüchteten migrationssensibler geworden, was uns in der Zukunft noch mehr befähigen kann, mit Zuwanderung und Integration kompetenter umzugehen. Und schließlich hat das immense Engagement der Zivilbevölkerung in der Flüchtlingshilfe gezeigt, welch humanitäres Potenzial in unserer Gesellschaft schlummert, das gar nicht zum Bild der individualisierten, egoistischen Gesellschaft passt.
Für die Kommunen gilt es nun, das in der ersten Phase der Flüchtlingsaufnahme geprägte Handeln im „Notmodus“ in strukturierte Bahnen zu lenken. Das vereinzelte Handeln vieler Akteure bedarf einer stärkeren Steuerung, damit Kommunikation, Koordination und Kooperation verbessert werden können. Hierfür können kommunale Integrationskonzepte hilfreich sein, in denen Ziele, Rollen und Maßnahmen geklärt werden. Dabei sollten auch die ehrenamtlichen Akteure eingebunden werden. Nicht nur weil das zur Würdigung ihres beispiellosen Engagements gehört, sondern damit eine Klärung der Aufgaben zwischen Ehren- und Hauptamt erfolgen kann, was an vielen Orten noch konfliktbeladen ist. Die genannte Dynamik in den Kommunen sollte dazu genutzt werden, den Prozess der Interkulturellen Öffnung zu befördern und nachhaltig zu sichern. Von der „Willkommenskultur“ zur „Willkommensstruktur“ könnte hier die Maxime lauten. Dieses Qualitätsmerkmal gesellschaftlicher Strukturen ist eigentlich ein Muss in einer Einwanderungsgesellschaft, denn nur eine solche Öffnung schafft Zugänge und somit Möglichkeiten der Teilhabe.
Schließlich sollte die Integrationspolitik als Teil einer lokalen Politik der Anerkennung und Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen etabliert werden, die alle Menschen in einer vielfältigen Stadtbevölkerung anspricht und mitnimmt – um damit dem Eindruck zu begegnen, „man mache alles nur für die Flüchtlinge“. Das Ausmaß an Ressentiments und Feindseligkeiten gegenüber Flüchtlingen, Ehrenamtlichen oder politisch Verantwortlichen hat vielerorts bedenkliche Dimensionen angenommen. Es muss jetzt auch darum gehen, das Feld nicht denen zu überlassen, die mit ihrer Hetze und Angstmacherei die demokratische und liberale Gesellschaft massiv beschädigen. Hierfür brauchen wir ein gemeinsames Aufstehen der Stadtgesellschaft, die solidarisch das menschliche Antlitz unserer demokratischen Gemeinschaft verteidigt.
Der Beitrag erschien im Juli 2018 in: Kommunale Integrationspolitik. Eine Handreichung für die kommunale Praxis, eine Publikation der Kommunal Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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