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Mit Zuversicht und Realitätssinn

Lars Castellucci, Sprecher der Querschnitts-AG "Migration und Integration" der SPD-Bundestagsfraktion über aktuelle politische Herausforderungen.

Bild: von © SPD Parteivorstand/Susie Knoll, Florian Jaenicke

Bild: Bundestag von Isabell Schulz lizenziert unter CC BY-SA 2.0

FES: Das Thema Migration war eines der am härtesten umkämpften während der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU/CSU. Welche sozialdemokratischen Akzente finden sich am Ende aus Ihrer Sicht wieder und womit haben Sie die größten Bauchschmerzen?

Castellucci: Mit dem Einwanderungsgesetz werden wir eine wesentliche sozialdemokratische Forderung durchsetzen. Indem wir legale Zuwanderung ermöglichen, kann illegale Zuwanderung verhindert und dem akuten Fachkräftemangel begegnet werden. Darüber hinaus werden wir ganz wesentlich die Länder und Kommunen entlasten. Das betrifft zunächst die Länderausgaben für Asylsuchende und unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Außerdem verbessern wir die Kinderbetreuung und fördern die soziale Wohnraumförderung in den Kommunen. Es handelt sich zusammengenommen um Investitionen von über sechs Milliarden Euro für 2017. Es sind Investitionen, die allen Menschen in Deutschland zugute kommen. 14 Milliarden Euro gehen in die Bekämpfung der Fluchtursachen.

Schwierig war der Kompromiss zur Familienzusammenführung subsidiär geschützter Flüchtlinge. Der Schutz der Familie ist ein starkes menschliches Bedürfnis und muss daher auch ein Recht aller Menschen sein. Die sozialdemokratische Idee definiert sich stets über Rechte, die für alle gelten sollen. Die Menschenwürde und elementare Menschenrechte dürfen nicht abhängig sein vom Aufenthaltsstatus eines Menschen. Nun ermöglichen wir, dass 1000 Menschen pro Monat zu ihren Familien kommen können, auf legalem, sicherem Weg. Damit verhindern wir auch illegale Migration. Zweitens geht es darum, Asylsuchenden ein gebündeltes, faires und schnelles Asylverfahren an einem Ort zu ermöglichen. Diese Chance bietet sich prinzipiell mit den so genannten Anker-Zentren. Hier kommt es darauf an, wie sie ausgestaltet werden. Die Aufenthaltsdauer muss möglichst kurz, die Zentren nicht zu groß und eine unabhängige Verfahrensberatung gewährleistet sein.

Sie sind in der SPD-Fraktion zuständig für die Themen Migration und Integration. Welche Aufgaben in diesen Bereichen scheinen Ihnen am drängendsten in der aktuellen Legislaturperiode?

Wir müssen insgesamt ein positives Leitbild für Migration und Integration schaffen. Migration ist als ein weltweites Phänomen nicht abstellbar. Deshalb müssen wir sie gestalten und brauchen dazu ein Gesamtkonzept. Wir müssen Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge. In akuten Situationen von Bürgerkrieg oder Naturkatastrophen müssen wir in den Ursprungsländern schnell, unbürokratisch und angemessen helfen. Weiterhin wollen wir illegale Zuwanderung verhindern; dazu gehört es, Schlepper zu bekämpfen und legale Zuwanderung zu ermöglichen. In Europa müssen wir besser zusammenarbeiten: faire Verfahren sicherstellen, solidarisch Verantwortung teilen. Schließlich müssen wir den Menschen Perspektiven in ihren Heimatländern ermöglichen. Jeder Euro, der dort ausgegeben wird, wirkt ein Vielfaches zu den Kosten, die in Deutschland entstünden.

Um die über die letzten Jahre Zugewanderten in das Bildungssystem, den Arbeits- und den Wohnungsmarkt etc. zu integrieren, werden Gelder benötigt. Wie lässt es sich vermitteln, dass es sich dabei um eine gesamtgesellschaftliche Investition handelt?

Das ist einfach: indem wir klarmachen, dass das für alle ist. Beste, am liebsten kostenfreie Bildung – für alle! Wohnen, bezahlbar – für alle! Gute Arbeit – für alle! Wir müssen immer und überall deutlich machen, dass wir das ganze Land in den Blick haben.

Im Herbst 2021 endet die aktuelle Legislaturperiode. Wenn Sie sich etwas wünschen könnten: Wo stehen wir in Deutschland im Bezug auf die Themen Migration, Flucht und Integration dann?

Ich arbeite für ein positives Leitbild. Wir brauchen wieder eine Vorstellung in Deutschland, dass eine gute Zukunft möglich ist, und dann wahrscheinlicher erreichbar ist, wenn sich viele dafür engagieren. Deutschland kann ein Modell werden für gutes Zusammenleben in Vielfalt. Daran müssen wir arbeiten, indem wir nach gerechten Lösungen suchen und die Menschen miteinander in Beziehung setzen. Viele sprechen heute über Migration und Flucht, in Wahrheit fühlen sie sich aber selbst nicht ausreichend von Politik wahrgenommen und in ihrer Lebensleistung wertgeschätzt oder bei Problemen wirksam und freundlich unterstützt. Das müssen wir ändern. Und natürlich die großen Herausforderungen annehmen, die sich im Bereich Migration, Flucht und Integration stellen – mit Zuversicht und Realitätssinn. Das wird nicht leicht, aber es ist möglich, wenn wir daran glauben und konsequent daran arbeiten.


Dr. Johannes Crückeberg

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Johannes.Crueckeberg(at)fes.de

Marcus Hammes

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