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Fokus Migration und COVID-19: Rechte von Migrant_innen müssen mit dem Kampf gegen Diskriminierung verknüpft werden.
Bild: Black Lives Matter protest in Leeds, 14 Jun 2020 von picture alliance / ZUMAPRESS.com | Patrick Bannon
Die COVID-19-Pandemie hat Gesellschaften, Volkswirtschaften und Regierungen in der ganzen Welt erschüttert. Heute verlieren immer mehr Menschen als direkte Konsequenz des Virus ihr Leben, und die Folgen der fortgesetzten Bemühungen, die Verbreitung der Krankheit durch Lockdowns und Einschränkungen zu verhindern, erschüttern weiterhin u.a. Lieferketten, Volkswirtschaften und die Bereitstellung öffentlicher wie privater Dienstleistungen. Angesichts der steigenden Zahl an Todesfällen aufgrund von COVID-19 mag es unsensibel erscheinen, über ökonomische Auswirkungen zu sprechen, aber dies ist notwendig, um die menschlichen Kosten von COVID-19 im Zusammenhang mit Migration, insbesondere Rassismus bzw. race [1] und Migration, zu verstehen.
COVID-19 hat gravierende Auswirkungen auf Volkswirtschaften in Afrika: Geschätzte 40 Millionen Menschen auf dem Kontinent sind aufgrund der Auswirkungen der Pandemie in extreme Armut abgedrängt worden. Die Schwere der Auswirkungen ist allerdings keine direkte Folge der Schwere des COVID-19-Ausbruchs in Afrika. Vor dem Hintergrund anfänglicher apokalyptischer Prognosen westlicher Medien und der WHO und angesichts der Tatsache, dass es afrikanischen Ländern bislang gelungen ist, den Ausbruch des Virus einzudämmen, indem sie beim Testen kontextspezifische Innovationen eingeführt und solide Kontaktverfolgung frühzeitig umgesetzt haben, erscheint die ökonomische Belastung afrikanischer Nationen unverhältnismäßig.
Die einfachste Erklärung lautet, dass COVID-19 global wie national Ungleichheiten verschärft: Da die Länder Afrikas unabhängig von ihrer COVID-19-Krankheitslast wirtschaftlich betroffen sind, sind die Auswirkungen auf afrikanische Volkswirtschaften in vielerlei Hinsicht eine Konsequenz fortdauernder Ungleichheiten die den Kolonialismus als Ursache haben. Die globale und rassistische Ungleichheit (racial injustice) hat Auswirkungen auf Existenzgrundlagen, was Voraussagen zufolge in den kommenden Jahren auch die Migration prägen wird.
Es ist davon auszugehen, dass es kurzfristig weiterhin gemischte Migrationströme aus Afrika südlich der Sahara und Nordafrika nach Europa geben wird, trotz der verstärkten Grenzsicherungen und -schließungen, der höheren Risiken der Ausbeutung durch Schleuser_innen und der stärkeren Unsicherheit. Dass zahlreiche Migrant_innen in jüngster Zeit beim Versuch, Europa zu erreichen, im Mittelmeer ertrunken sind, ist eine ernstzunehmende Erinnerung an die Vergangenheit, als die Bemühungen der Europäischen Union, ihre Außengrenzen zu schließen, zwar die Zahl der Ankommenden reduzierten, aber gleichzeitig die Risiken für Migrant_innen erhöhten. Die aktuellen Grenzschließungen während der COVID-19-Pandemie sind bereits mit Veränderungen beim Schleusen in Verbindung gebracht worden, und zwar mit einer Verlagerung hin zu mehr organisierter Kriminalität und mehr Ausbeutung. Sowohl das Reisen innerhalb von Afrika in Richtung Mittelmeer als auch dessen Überquerung sind riskanter geworden.
Langfristige Prognosen zu Veränderungen bei der Migration, die die ökonomischen Auswirkungen berücksichtigen, sehen aus mehreren Gründen eine Steigerung sowohl der gemischten Migration als auch der Vertreibung voraus, die hauptsächlich mit den ökonomischen Auswirkungen von COVID-19, etwa Instabilität und Armut, verbunden sind. In der Zusammenschau mit bereits beobachteten Trends bietet dies aus der Perspektive von Rassismus und Migration Anlass zur Sorge, wenn man bedenkt, dass es sich bei der „Migrationskrise“ von 2015 und 2016 um einen in hohem Maße rassifizierten Anstieg der Migration handelte. Dabei war eine Verschärfung des Rassismus zu beobachten; der Anstieg wurde mit dem Aufstieg des Rechtsaußen-Populismus in vielen europäischen Ländern in Zusammenhang gebracht; er führte zur Externalisierung der EU-Grenzen, wohl mit antiafrikanischen Folgen; es gab einen unverhältnismäßigen Fokus auf Darstellungen spezifisch von Schwarzen Migrant_innen aus Afrika; mit der Folge schwerwiegender rassistischer Diskriminierung, mit der viele nicht-weiße Migrant_innen konfrontiert waren.
Da die Gefahr besteht, dass die Auswirkungen von Covid-19 auf die Migration die rassistische Diskriminierung gegen vertriebene Afrikaner_innen wieder aufflammen lassen, bestehen zudem intersektionale Wirkungen innerhalb von Ländern des globalen Nordens, wo diese Faktoren auf nationaler Ebene rassistische Ungleichheiten verschärfen. In den USA und Europa ist es für schwarze Menschen und Angehörige anderer Minderheiten wahrscheinlicher als für andere, dass sie keinen Zugang zu Präventions- und Gesundheitsdienstleistungen haben, wobei Afroamerikaner_innen weitaus höhere Covid-19-Sterblichkeitsraten haben, von den wirtschaftlichen Folgen von Lockdowns schwerer betroffen sind und bei Ausgangssperren, Lockdowns und Bewegungseinschränkungen überproportional von der Polizei ins Visier genommen werden.
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit und die Pflege derjenigen, die am Virus erkrankt sind, erfolgen vor dem Hintergrund ständiger rassistischer Diskriminierung und Exklusion, deren lange Geschichte weit vor den Beginn der gegenwärtigen Pandemie zurückreicht. In vielerlei Hinsicht handelt es sich um denselben Hintergrund, der die Antwort auf Zuwanderung von Migrant_innen über das Mittelmeer in den Jahren 2015 und 2016 kennzeichnete.
Gleichzeitig hat der Druck der Lockdowns auf westliche Volkswirtschaften zu einer fast unerwarteten Anerkennung des Beitrags von Arbeitsmigrant_innen geführt, besonders der gering Qualifizierten, als Teil der Aufmerksamkeit für „systemrelevante Dienstleistungen“. Sogar die Europäische Union, die sich häufig schwertut, den Beitrag aller Migrant_innen anzuerkennen, bemerkt in einem Knowledge for Policy-Beitrag, dass „gering qualifizierte Migrant_innen in Tätigkeiten mit Schlüsselbedeutung für die Aufnahmegesellschaft (z.B. Pflegekräfte im Gesundheitswesen, Fahrer_innen, Arbeitskräfte im Transport- und Lagerwesen und der Lebensmittelverarbeitung) stark vertreten sind. Daten zeigen jedoch, dass Migrant_innen zu denjenigen gefährdeten Gruppen gehören, die in dieser Krise den höchsten Tribut zahlen. Die Abhängigkeit von migrantischen Arbeitskräften und die Auswirkungen von Bewegungseinschränkungen und Grenzschließungen auf die Verfügbarkeit von Arbeitskräften in Schlüsselsektoren wie der Landwirtschaft haben zu einer Verschiebung des politischen Narrativs und einem wachsenden Bewusstsein für Themen im Zusammenhang mit der Ausbeutung von Migrant_innen geführt. Obwohl der Fokus hierbei häufig auf Migrant_innen liegt, ist die Verknüpfung zwischen race und Migration in diesen sich herausbildenden Narrativen unschwer zu erkennen, besonders weil es gering bezahlte Arbeitsplätze sind, die anerkannt werden.
Es wäre eine Vereinfachung, allein diese neue Anerkennung hauptsächlich afrikanischer Arbeitskräfte hervorzuheben, ohne gleichzeitig auf die Rückwanderungen hinzuweisen. Das wichtigste Beispiel in Europa sind afrikanische Migrant_innen, die Spanien in Richtung Marokko verlassen, angesichts von Einkommensverlusten, Unsicherheit bezüglich zukünftiger Reisemöglichkeiten und ihrem Ausschluss aus Plänen und Programmen in Reaktion auf die Pandemie. Diese Migrant_innen zahlen Schleuser_innen oft überhöhte Preise, um ihre Herkunftsländer zu erreichen, obwohl sie mit hoher Wahrscheinlichkeit als Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft nach Spanien zurückkehren werden.
Nach den Auswirkungen von Covid-19 auf Migrant_innen und race ist es wichtig auf die Verknüpfungen zwischen Migration und Rassismus vor und jenseits von Covid-19 wieder in Erinnerung zu rufen. Das gilt besonders in der Beziehung zwischen der EU und Afrika, aber auch bezüglich globaler Schritte in Richtung Verpflichtungen, in der Governance der Migration die rassistische Diskriminierung anzupacken. Aus Sicht des Pan African Network in Defense of Migrants’ Rights (PANiDMR, Pan-afrikanisches Netzwerk zur Verteidigung der Rechte von Migrant_innen) sind die beiden Themen untrennbar miteinander verbunden. Bereits 2015 haben Mitglieder des Netzwerks angemerkt, dass die Antwort der europäischen Medien auf Migrant_innen, die hauptsächlich aus Syrien und Afghanistan kamen, sich trotz ihrer relativ kleinen Zahl auf eine Bilderwelt von Schwarzen afrikanischen Migrant_innen konzentrierte.
Es sind jedoch nicht nur die Medien, sondern auch Politiken und amtliche Dokumente, die eine Verknüpfung zwischen einwandererfeindlichen und rassistischen Stimmungen aufzeigen, obgleich der Aspekt von race häufig unausgesprochen bleibt und lediglich angedeutet wird. Beispielsweise ist eins der Schlüsselergebnisse der „Krise“ von 2015 der Nothilfe-Treuhandfonds der EU für Afrika (EUTF), der gewichtigste Finanzierungsmechanismus der EU mit Fokus auf Migration. Der EUTF hat zum Ziel, dass Afrikaner_innen in Afrika bleiben. Dabei verknüpft er auf problematische Weise Entwicklungshilfe und Migrationspolitik in Projekten, die dabei scheitern, die Existenzgrundlagen derjenigen zu verbessern, die von ihnen profitieren sollen. Abgesehen davon, dass ein erheblicher Teil der Finanzierung für die Stärkung von Grenzen vorgesehen ist, ist es möglicherweise am vielsagendsten, dass lediglich 1.5% des EUTF-Budgets für reguläre Migrationsprogramme zwischen der EU und Afrika sowie zwischen afrikanischen Ländern bestimmt sind.
Das neuere globale Instrument des Globalen Pakts für eine sichere, geordnete und reguläre Migration (GCM) ist vergleichsweise ein Schritt in die richtige Richtung. Es handelt sich dabei um eine der größten Errungenschaften bei der Stärkung des Schutzes von Migrant_innen und der Anerkennung, dass das Phänomen Migration enge Zusammenarbeit erfordert. Zu den 23 Zielen gehört die „Verpflichtung, alle Formen der Diskriminierung, einschließlich Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz, gegenüber Migranten und ihren Familien zu beseitigen“.
Kritische Stimmen werden lauter und erfolgreicher in ihrem Kampf gegen Diskriminierung und seiner Verbindung mit den Rechten von Migrant_innen. Es handelt sich dabei um die Stimmen vieler junger Menschen, die sich zusammenfinden und selbst organisieren, beispielsweise in der Black-Lives-Matter-Bewegung, mit klaren globalen Forderungen bezüglich der Anerkennung historischen Unrechts und ihrer Rolle in der fortdauernden Diskriminierung und Ungleichheit von People of Colour. Diese abweichenden Stimmen gehen häufig über westliche, liberale Narrative der Beendigung der Diskriminierung hinaus, indem sie den mangelnden Zugang von People of Colour zu Rechten in einen historischen Kontext setzen.
COVID-19 hat eine noch nie dagewesene Situation geschaffen: Europäische Politiker_innen loben die ansonsten meist vergessenen und ausgebeuteten migrantischen Arbeitskräfte für ihre Mühen; ihre rassifizierten Migrationspolitiken überlagern sich mit Grenzschließungen, während die Leichen Schwarzer Menschen weiterhin an europäischen Stränden angeschwemmt werden; Fortschritte im Teilen von Verantwortung auf globaler Ebene, besonders die Globalen Pakte, erlangen neue Bedeutung; und Bewegungen im Kampf gegen Diskriminierung führen zu Protesten gegen tief verwurzelte Ungleichheiten, die aufgrund von COVID-19 deutlicher zu Tage treten; bei den Bemühungen zur Eindämmung der Krankheit werden die Grenzen zwischen dem Schutz der Bevölkerung und der Kontrolle von Minderheiten verwischt.
Erst im Laufe der Zeit wird sich zeigen, ob dieses Bündel an plötzlichen Veränderungen und Verschärfungen tatsächlich eine Möglichkeit für Entwicklungen zum Positiven darstellen. Dennoch ist deutlich, dass COVID-19 die Notwendigkeit eines klaren und unzweideutigen Weckrufs zum Handeln im Kampf gegen Diskriminierung von Migrant_innen verstärkt, und zwar dadurch, dass die Krankheit anders als alle anderen Krisen der jüngeren Geschichte das Ausmaß der Diskriminierung offenlegt, und dass sie in einem Narrativ der Migration, das zum Thema Rassismus häufig schweigt, erste Anzeichen der Anerkennung hervorruft.
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Autorin:
Nunu Kidane ist Direktorin von Priority Africa Network, einer gemeinnützigen Organisation in den USA, Gründungsmitglied des Pan African Network in Defense of Migrant Rights, des Black Immigration Network und eine Global Ambassador für Africans Rising for Justice, Peace and Dignity. Sie lebt in den USA und Äthiopien und arbeitet zu den Themen Migration in Afrika, afrikanische Migrant_innen und Diasporagemeinschaften in den USA sowie zu den Überschneidungen von race, Geschlecht und Migration. 2012 wurde sie von der Obama-Administration wegen ihrer Arbeit in Diasporagemeinschaften als „Champion of Change“ gewürdigt.
[1] Der englische Begriff ‚race‘ hat, im Gegensatz zum deutschen Wort ‚Rasse‘ eine andere Bedeutung. In den USA hat sich die Nutzung von ‚race‘ als Selbstzuschreibung in einen gängigen Begriff im Kampf gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung verwandelt. Da diese sprachliche Wandlung bei dem deutschen Begriff ‚Rasse‘ ausgeblieben ist und der Begriff weiter biologische Fremdzuschreibung betont ist das Wort ‚race‘ leider nicht sinngemäß ins Deutsche zu übersetzen. Deswegen verwendet dieser Artikel den Begriff ‚race‘.
Dieser Artikel ist Teil einer Serie der Global Coalition on Migration und der Friedrich-Ebert-Stiftung über internationale Migration während der COVID-19-Pandemie. Sie analysiert die Auswirkungen der Pandemie auf den Schutz internationaler Migrant_innen; Schwerpunkte sind dabei verschiedene Instrumente der Menschenrechte, internationales Recht, der Globale Pakt sowie internationale Übereinkommen, die die Rechte von Migrant_innen schützen. Die Artikel behandeln verschiedene Themen, u.a. Geschlecht, Arbeit, Regularisierung, Rasse, Fremdenfeindlichkeit, Sicherheit, Grenzen, Zugang zu Dienstleistungen sowie Inhaftierung.
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