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„Wir können die Antworten auf die Krise nicht unter uns ausmachen“

Interview mit Paulina Fröhlich

 

 

Paulina Fröhlich ist stellvertretende Geschäftsführerin und verantwortet den Schwerpunkt „Resiliente Demokratie“ des Berliner Think Tanks Das Progressive Zentrum. Als politische Kommentatorin ist sie zudem regelmäßig bei Deutschlandfunk Kultur und Radio3 zu hören. Im Wintersemester 22/23 lehrte sie als Gastdozentin an der Universität der Künste und wurde 2023 ins Forum #Zukunftsstrategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung berufen. Mit ihr sprechen wir über Allianzen, Netzwerke und Bündnisse und welche Fehler im Vorfeld vermieden werden können.

MuP: Warum ist es besonders im NPO-Bereich wichtig, sich mit anderen zu vernetzen?

Paulina Fröhlich: Non-Profit-Organisationen starten oft mit einem strukturellen Nachteil gegenüber profitorientierten Akteuren, da sie in der Regel mit begrenzten finanziellen Mitteln arbeiten. Zwar gibt es einige finanzstarke Non-Profits, doch viele agieren mit knappen Ressourcen oder arbeiten unter prekären Bedingungen. Hier kann die Arbeit in Allianzen enorm wertvoll sein, da sie Zugang zu Ressourcen ermöglicht, die sonst kostspielig wären. Durch Allianzen kann Wissen geteilt und erworben werden, das andernfalls aufwändig eingekauft oder angelernt werden müsste. Wenn sich Organisationen zusammenschließen und jede das einbringt, worin sie am besten ist, können Arbeit und Ressourcen geteilt werden. Das ist ein wesentlicher Vorteil für NPOs.

Zudem sind NPOs häufig ideell ausgerichtet, was oft politische oder gesellschaftspolitische Ziele umfasst. In der Demokratie wird dann nach Mehrheiten gesucht, um etwas politisch verändern oder Gedanken beeinflussen zu können. Allianzen ermöglichen hier, sich zusammenzutun und aus verschiedenen Perspektiven auf ein Ziel hinzuwirken.

 

MuP: Wie schätzen Sie die Rolle von Netzwerken und Allianzen im NPO-Bereich angesichts des Aufstiegs rechtsextremer und rechtspopulistischer Bewegungen ein? Gibt es eine veränderte Bedeutung oder einen besonderen Bedarf, vor allem im Hinblick auf Themen wie Shrinking Spaces und resiliente Demokratie?

Paulina Fröhlich: Der zunehmende Einfluss der extremen Rechten und andere Krisenphänomene erzeugen Druck auf die Gesellschaft und damit auch auf die Zivilgesellschaft und den NPO-Bereich. Dieser Druck zeigt sich auf zwei Ebenen in Allianzen. Zum einen arbeitet man in Allianzen ja mit anderen Organisationen zusammen, die vielleicht eine ganz andere Organisationskultur haben, oder auch ein leicht anderes ideelles Netz oder Gerüst. Der Druck kann dann dazu führen, dass die Grenzen der eigenen Kooperationswilligkeit schneller erreicht werden. Das ist eine große Herausforderung. Zum anderen steigt der Druck, effektiv zu sein, unter der Bedrohungslage enorm an. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Unter diesem Druck kann schnell der Eindruck entstehen, dass uns die Zeit fehlt, uns in aller Unterschiedlichkeit abzusprechen oder auch eine Fehlerkultur in der Zusammenarbeit zu etablieren. In Krisenzeiten haben wir zusätzlich wenig Spielraum für Fehler, da Allianzen effizient agieren und schnell Botschaften setzen müssen, um ihre Wirkung zu entfalten. Dies erschwert die Abstimmung, erhöht aber zugleich die Notwendigkeit einer zielgerichteten und effektiven Zusammenarbeit.

Das sind die Schwierigkeiten, die mir sofort einfallen. Gleichzeitig ist es natürlich gerade jetzt besonders wichtig, gemeinsam zu agieren. Die Polykrise zeichnet sich ja dadurch aus, dass die Krisenphänomene miteinander verbunden sind und einander bedingen. Und eigentlich ist es nur die natürliche Antwort, verbunden darauf zu reagieren und nicht vereinzelt. Wenn die Klimakrise nun mal mit der Krise der Ungleichheit zusammenhängt, dann können wir unsere Antworten darauf nicht vereinzelt unter uns ausmachen.

 

MuP: Was sind die Unterschiede von Netzwerken, Allianzen, Bündnissen, Kooperation?

Paulina Fröhlich: Eine klare in der Wissenschaft oder in der Praxis vereinbarte Definition gibt es nicht. Aber wir gehen in unserer Arbeit und unseren Überlegungen davon aus, dass Netzwerke eher losere Zusammenschlüsse bedeuten, also lose Verbindungen von Akteur*innen, die sich vor allem nach Austausch von Wissen und Ressourcen ausrichten. Die Mitglieder dieses Netzwerks sind eigenständig, auch wenn sie miteinander verbunden sind und sich gegenseitig informieren.

Bündnisse sind oft formalisierter und haben klare Vereinbarungen und gemeinsame Aktionen. Anders als Allianzen müssen Bündnisse nicht auf Zeit ausgerichtet sein und sie verfolgen nicht unbedingt ein klares politisches Ziel. Es kann auch ein offenes Wertebündnis sein, ohne Zielmarke.

Eine Kooperation beschreibt für mich eine Arbeitsbeziehung, bei der in gewisser Weise ein Leistungsaustausch stattfindet für ein gemeinsames Etwas. Wir wollen zum Beispiel zusammen eine Demo machen und du hast schon mal eine Demo organisiert und weißt, wie es geht. Ich bringe dafür finanzstarke Partner mit. Eine Kooperation braucht kein großes, ideelles Ziel, es beschreibt eher ein gemeinsames Projekt.

Die Allianz ist für mich vermutlich dem Bündnis noch am nächsten. Es geht hier um gemeinsame Ziele, auch wenn der Weg dorthin und die Werte, die einen auf dem Weg begleiten, unterschiedlich sein können. „Strategische Partnerschaft“ wäre für mich vermutlich die treffendste, wenn auch verkopfteste Übersetzung von dem Wort Allianzen. Das ist eine strategische Partnerschaft, die ich eingehe, in der Regel auf Zeit.

Bei Allianzen ist eine gegenseitige Solidarität auch keine Voraussetzung. Es gibt ja Formen der Kooperation und Solidarität, bei denen es mehr darum geht, dass ich deine Bedürfnisse im Blick habe und für dich mit aufstehe. Das ist aus meiner Sicht nicht das, was ich unter einer Allianz verstehe. Es geht mehr darum, dass wir ein Ziel erreichen wollen, auf das wir in unserer Unterschiedlichkeit einzahlen. Das geht häufig mit Solidarität einher, muss aber nicht. Dadurch gibt es eben Allianzen in der Gesellschaft, die über derart politische Spektren verfügen, wie es beispielsweise ein Solidarbündnis gar nicht könnte.

 

MuP: Wie verändert das Arbeiten in Netzwerken die Organisation? Was sind die Herausforderungen und Potenziale der gemeinsamen Netzwerkarbeit?

Paulina Fröhlich: Das hängt natürlich von der einzelnen Organisation ab. Häufig setzen zwei Effekte ein: Zuerst verkompliziert sich alles. Mehr Absprachen, mehr Transparenz, mehr Kommunikation, mehr Abstimmung und vielleicht auch mehr Arbeit.

Der andere Effekt ist eine Stärkung. Wir erzählen uns nicht mehr nur intern, dass wir das richtige tun, sondern wir erleben den Zusammenschluss mit anderen und erhalten eine externe Bestätigung, dass das Ziel das Richtige ist. Dass wir an etwas Wichtigem arbeiten. Dazu kommt natürlich auch die Bestätigung, dass die Organisation einen Wert hat, weil andere Menschen mit uns zusammenarbeiten, kooperieren oder eine Allianz eingehen wollen. Dem folgt auch oft eine Öffentlichkeit, wir sprechen darüber.  Am Anfang ist es also Arbeitsaufwand und gleichzeitig eben auch eine ideelle Stärkung.

Und typische Herausforderungen sind ganz klar ein Mangel an Kommunikation und Transparenz. Dazu kommen unterschiedliche Arbeitskulturen und Prioritäten. Wir hatten in unseren Interviews ein schönes Beispiel, bei dem eine Klimaaktivistin sagte, dass sie einen Entschluss per Chatgruppe in 24 Stunden bundesweit haben. Ihr Allianzpartner einer größeren, älteren Organisation aber meinte, dass der Vorstand erst in zwei Wochen tage. Hier treffen Arbeitskulturen aufeinander, die ihren Sinn und Zweck haben aber einfach unterschiedlich sind. Wenn Allianzpartner rausfinden, wie sie diese Unterschiedlichkeiten nutzen können, ist das eine große Stärke. Diejenigen, die größer und älter und schwerer sind, machen dann Arbeiten, für die man diese Erfahrenheit und diese Gravitas vielleicht auch braucht, während der agilere, dynamischere, kleinere Partner, Arbeiten übernimmt, für die diese Agilität und Schnelligkeit besonders wichtig ist. Wenn Allianzpartner es schaffen, diese Unterschiedlichkeit wertzuschätzen, und sie sich zunutze zu machen, dann gewinnen sie das Doppelte an Stärke. Eine weitere Herausforderung sind auch unklare Verantwortlichkeiten. Wer kommuniziert jetzt eigentlich? Wer organisiert? Wer macht die Administration?

Die Potenziale, die aus so einer Allianzarbeit hervorgehen, sind in erster Linie die Erweiterung von Einfluss und Wirkung, was natürlich ein Motivationsbooster ist. Das spürt man sehr, sehr schnell. Und ich glaube, diese Stärkung ist wichtig. Das gemeinsame und effizientere Nutzen von Ressourcen kommt auch noch dazu. Und natürlich die Förderung von Innovationen durch den Austausch verschiedener Perspektiven. Durch die enge Zusammenarbeit mit völlig anderen bekommt man eine ganz andere Art zu arbeiten, zu denken oder zu schreiben mit. Als hätten wir einen neuen Mitarbeiter auf Zeit oder einen Arbeitskollegen-Paten, der einem einfach mal erzählt, wie man es anders macht. Und das führt, glaube ich, auch zu einer nicht zu verachtenden Innovationsmöglichkeit.

 

MuP: Gibt es Schlüssel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit? Welche Fehler können vermieden werden?

Paulina Fröhlich: Es gibt unbequeme Themen, über die man nicht so gerne spricht. Die Suche nach Gemeinsamkeiten ist erstmal einfacher. Das kann aber dazu führen, dass ganz wichtige Unterschiedsfragen am Anfang nicht adressiert werden. Und diese werden früher oder später sichtbar. Zum Beispiel weil irgendein Weltgeschehen passiert, die Allianz sich dazu äußern will und das plötzlich zu Konflikten führt. Also die grundlegenden No-Gos, Red Lines oder auch grundlegende, wichtige Werte müssen angesprochen werden. Und zwar nicht mit dem Ziel oder der Erwartung, dass wir überall übereinstimmen, sondern dass wir sie kennen und entscheiden können, ob wir sie akzeptieren. Aktuell kann ich mir zum Beispiel vorstellen, dass der Umgang mit dem Nahostkrieg adressiert werden müsste, wenn die Organisation auf dem Feld von Kultur und Religion unterwegs ist und die Allianz diese Themenfelder berührt. Wir müssen anfangs darüber sprechen, wie wir damit umgehen wollen.

Ein weiterer Faktor einer erfolgreichen Zusammenarbeit ist aus meiner Sicht Flexibilität.  Alle Partner*innen sollten eine gewisse Bereitschaft zur Anpassung und Veränderung von Plänen mitbringen. Wichtig ist es auch, Zwischenziele zu setzen. Zwischenziele, die eine klare Verbindung zum Hauptziel haben, können zwischendrin als Fortschritt gefeiert werden und Motivationstiefs überbrücken. Das wurde uns in den Interviews relativ häufig erzählt.

 

MuP: Wie können in der Zusammenarbeit Werte der sozialen Gerechtigkeit umgesetzt werden, z.B. im Umgang mit Macht und Hierarchien?

Paulina Fröhlich: In dieser kritischen Anfangsphase, in der wir über Werte oder Einstellungen sprechen, geht es nicht nur darum, uns gegenseitig zu sagen, was für uns nicht funktioniert. Im besten Fall finden wir auch heraus, was unser gemeinsames Fundament ist, auf das wir uns in Krisenzeiten zurückziehen können. Für eine wertegeleitete Zusammenarbeit ist es sehr wichtig, so ein Fundament zu haben.

Ansonsten brauchen wir klare Visionen und gemeinsame Ziele. Verlässlichkeit und Vertrauen ist natürlich ebenfalls enorm wichtig und sowas geht natürlich nur durch einen langsamen, langfristigen Aufbau der Beziehung. Die Zusammenarbeit muss in die Organisationskultur mitreinwachsen. Schwierig wird es, wenn es in einer großen Organisation nur einen Allianzbeauftragten gibt, der in den Urlaub gehen oder kündigen kann.

 

MuP: Welche Tipps haben Sie für NPOs, die gemeinsam mit anderen NPOs gesellschaftspolitische Veränderungen bewirken wollen? Wie können Netzwerke strategisch geplant und aufgebaut werden?

Paulina Fröhlich: Der Aufbau von Beziehungen ist nicht so schnell gemacht, da sollte wirklich Zeit eingeplant werden. Oft wird der Zeitaufwand unterschätzt, den es braucht, sich zu finden, sich wirklich kennenzulernen, und zu klären, ob wir tatsächlich gute Allianzpartner sind oder das nur glauben. Sinnvoll ist es auch, im Vorfeld abzuklären, ob wir wirklich eine Allianz oder ein Netzwerk gründen müssen oder ob wir auch einfach bestehenden Strukturen beitreten können. Das ist auch eine Ressourcenfrage.

Und von dem, was ich bereits genannt habe, möchte ich nochmal die Aufgaben- und Verantwortungsteilung rausheben. Das ist ein ganz häufiger Stolperstein. Übernehme ich wirklich das, worin ich gut bin und was ich am besten kann? Wenn Aufgaben anfallen, die niemand übernehmen will, die aber gemacht werden müssen, dann kann man sich vielleicht eine geringfügige Entlohnung oder irgendeinen kleinen Handel überlegen. Eine größere Abbildung des Logos vielleicht oder was auch immer den Organisationen eben wichtig ist. Hauptsache die Aufgaben werden vergeben. Wenn sie nicht übernommen werden, dann gelingt das Ganze nicht. Dann verheizen sich vielleicht drei, vier Leute, die viel Arbeit reinstecken und am Ende extrem enttäuscht sind. Und auch ganz wichtig: Es geht nicht darum, seinen Zwilling zu finden. Wir müssen die Bereitschaft mitbringen, unsere Unterschiedlichkeit zu akzeptieren

 

Wir bedanken uns für das Interview!       
Hinweis: Die Äußerungen unserer Gesprächspartner*innen geben deren eigene Auffassungen wieder.

Dieses Interview wurde verschriftlicht und redaktionell überarbeitet. Bonn, 2024

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