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Julian Fischer ist Bereichsleiter Ideenförderung bei Wikimedia Deutschland. Zuvor war er für verschiedene Nicht-Regierungsorganisationen tätig, unter anderem als Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz.
MuP: Herr Fischer, warum ist digitales Engagement wichtig? Und warum sollte es überhaupt mehr Anerkennung bekommen? Fischer: Ehrenamtliches Engagement macht unsere Gesellschaft lebenswerter, vielfältiger und demokratischer. Dies trifft ebenso auf digitales Engagement zu. Die deutschsprachige Wikipedia hat durch dieses Engagement über zwei Millionen Artikel. Dies ist ein enormer Wissensschatz, auf den alle Menschen frei zugreifen können. Oder die Freifunker, die freie Internetzugänge schaffen. Für Flüchtlinge, die vor allem über das Internet mit den Familien in ihrer Heimat kommunizieren, ist das beispielsweise enorm wichtig, da sie sonst von ihren Familien teilweise ganz abgeschnitten sind. Es ist an der Zeit, dass sowohl Politik als auch Gesellschaft die enorme Bedeutung des digitalen Engagements verstehen und auch gegenüber den Ehrenamtlichen zum Ausdruck bringen. Hier wurde bereits zu lange die Realität ignoriert.
MuP: Was ist für Sie digitales Engagement? Fischer: Eine anerkannte Definition von digitalem Engagement ist erst noch zu entwickeln. Ich gehe von einem weiten Verständnis von digitalem Engagement aus und möchte den Diskurs dazu auch in gesellschaftlicher Breite führen. Nach einer Studie von Fraunhofer Fokus (2014) werden fünf Engagementformen unterschieden, die das weite Verständnis vom digitalen Engagement illustrieren:
MuP: Das wohl bekannteste Beispiel für digitales Engagement ist die Wikipedia. Wie kann ein so großes ehrenamtliches Projekt so lange Zeit laufen? Wer steckt hinter Wikipedia und wie wird die Arbeit organisiert? Fischer: Alle Inhalte werden von Ehrenamtlichen geschaffen und gepflegt. Die Wikimedia Foundation betreibt die Server, entwickelt die Software und bildet das internationale Dach. Wikimedia Deutschland unterstützt die Ehrenamtlichen bei ihrem Engagement, entwickelt Software in Teilbereichen und setzt sich für freie Inhalte ein.
Ich denke, dass die Wikipedia deshalb so gut funktioniert, da sich jede und jeder beteiligen kann und Raum für eigene Interessen hat. In der Wikipedia entfalten diese teilweise Nischeninteressen durch die Zusammenarbeit mit vielen anderen einen hohen Nutzen für die Leserinnen und Leser.Ein weiterer wesentlicher Faktor für den Erfolg ist, dass die Inhalte jede und jeder frei verwenden und weiterbearbeiten kann.
Zudem ist die Autonomie der Community wichtig. Denn nicht eine Organisation wie Wikimedia Deutschland entscheidet über Inhalte, sondern die Ehrenamtlichen selbst. Dies führt zu einer hohen Identifikation mit der Wikipedia als Enzyklopädie-Projekt und die Ehrenamtlichen bringen eine sehr hohe Eigenmotivation für die Weiterentwicklungdes Projektes ein.
MuP: Wie gelingt es euch, Qualität z.B. von Wikipedia-Beiträgen zu sichern und dieses Engagement zubündeln? Fischer: Die Qualitätssicherung übernehmen die Ehrenamtlichen der Wikipedia selbst, die auch für alle Inhalte der Wikipedia verantwortlich sind. Zunächst ist der neutrale Standpunkt der Ausgangspunkt für alle enzyklopädischen Artikel und alle Fakten sind zu belegen. Für die Auswahl von Artikeln gibt es Relevanzkriterien, anhand derer entschiedenwird, ob eine Person, eine Organisation, ein Sachverhalt oder ein Gegenstand überhaupt in der Enzyklopädie abgebildet sein sollte. Über verschiedene Rollen (von Erstautoren über Sichter bis hin zu Administratoren) und Aufgabengebiete (beispielsweise Ehrenamtliche, die sich auf defekte Links oder Vandalismus spezialisieren) können dann Fehler oder nicht korrekte Informationen behoben werden: genauso und noch wichtiger, gemeinsam Belege, Links und weitere Informationen ergänzt werden. Hier helfen die vielen Hände und unterschiedlichen Fähigkeiten, um die Qualität von Artikeln zu verbessern. Es gibt aber auch technische Tools im Hintergrund, die die Qualitätssicherung der einzelnen Autorinnen und Autoren erleichtern. Mehr Infos zur Qualitätssicherungfinden Sie auch im Artikel: »Freiwilligenprojekt Wikipedia – Einblicke in die Qualitätssicherung« von mir und Nicolas Rück.
MuP: Welche Kompetenzen brauchen Menschen überhaupt, um sich digital engagieren zu können? Fischer: Jede und jeder kann in der Wikipedia mitmachen. Eine Änderung in einem Wikipedia-Artikel vornehmen,das ist technisch nicht schwer. Allerdings die Community-Kultur und alle Regeln zu verstehen, dafür ist schon etwas Zeit notwendig. Denn gemeinsames Wirken im digitalen Raum ist nicht immer trivial. Und bei unterschiedlichen Vorhaben variieren dann auch die notwendigen Kompetenzen.
Für das Arbeiten beispielsweise mit offenen Daten der eigenen Stadt, um so vielleicht anhand von Bevölkerungszahlen den Bedarf an Krankenhäusern zu simulieren, sind häufig schon sehr viel Technikkompetenz und teilweise auch Programmierkenntnisse notwendig. Oder für eine Kampagne im digitalen Raum ist ein hohes Verständnis von sozialen Medien sehr hilfreich. Die fehlende Technikkompetenz stellt gerade für ältere Menschen leider tatsächlich eine Hürde da, um sich im digitalen Raum zu engagieren.
Aus Perspektive der Förderung des digitalen Engagements wäre es erfreulich, wenn auch in der Schule vermittelt wird, wie das Netz, Software und Daten für die positive Gestaltung der Gesellschaft genutzt werden können. Die Wikipedia selbst ist aber auch ein Lernort. So hat beispielsweise die aktuelle Studie (2017) »What studentslearn from contributing to Wikipedia« der Wiki Education Foundation gezeigt, dass das Mitschreiben in der Wikipediadie Digital Literacy, medienkritische Kompetenzen und die Fertigkeiten einer guten Zusammenarbeit fördert!
MuP: Was fordern Sie von Seiten der Politik? Fischer: Von Politik, Behörden und Verbänden wünschen wir uns eine gleichberechtigte Anerkennung des digitalen Engagements auf Augenhöhe mit anderen Arten ehrenamtlicher Tätigkeiten. Zudem sollte Vielfalt und Partizipation aller Bevölkerungsgruppen im Netz noch stärker unterstützt werden. Ein zentraler Punkt ist die Gewährleistung der Verfügbarkeit freier Inhalte, um offene Zugänge zu Wissen, Mediendateien und Daten zu erreichen und gemeinsames Engagement zu erleichtern. Zudem sind die Weiterentwicklung und der Aufbau staatlicher Förderprogramme sowie Ausbau der Forschung zum digitalen Engagement wichtige Hebel, die die Politik in Gang bringen kann.
MuP: Was müssten Organisationen wie NPO, Parteien, Gewerkschaften und einzelne Engagierte für mehr Anerkennung von digitalem Engagement tun? Fischer: Hier schlage ich vor, die Perspektive zu ändern. Die Frage lautet dann wie folgt: Wie kann durch digitales Engagement die Gesellschaft positiv gestaltet werden? Das heißt, aus der Sicht einer Nicht-Regierungsorganisation ist zu überlegen, welche Möglichkeiten bestehen, mit digital Engagierten wirksam zum eigenen gemeinnützigen Zweck beizutragen. Um dann im zweiten Schritt, dafür die notwendigen Ressourcen zu organisieren, falls das überhaupt sinnvoll ist. Ich möchte den gemeinnützigen Organisationen gerne Mut machen, neue Wege zu gehen und aus kleineren Projekten zu lernen. Im Endeffekt profitieren wir alle davon, wenn NPOs noch wirksamer werden.
Wir bedanken uns für das Interview! Hinweis: Die Äußerungen unserer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder.
Bonn, 2017