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Dr. Uta Kletzing ist Director an der EAF Berlin, einer unabhängigen parteiübergreifenden und gemeinnützigen Beratungs- und Forschungsorganisation. Sie ist studierte Diplom-Psychologin und promovierte Politikwissenschaftlerin und verantwortet als Projektleiterin, Beraterin, Trainerin, Moderatorin, Forscherin sowie Vortragende die EAF-Projekte im Themenfeld „Demokratie und Partizipation“. Seit 2008 setzt die EAF Berlin in Zusammenarbeit mit dem BMFSFJ insbesondere Projekte für (Nachwuchs-) Kommunalpolitikerinnen um - seit 2014 auch mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit zur Frage der Notwendigkeit gesetzlicher Paritätsvorgaben, um Gleichberechtigung in der Politik zu erreichen.
MuP: Frau Kletzing, warum sollten sich mehr Frauen politisch engagieren und in die Politik gehen? Kletzing: ‚Für mich und für andere!‘ ist der Slogan, mit dem sich die vielen guten Gründe für politisches Engagement am besten zusammen fassen lassen. ‚Für andere‘ meint hier, dass politisches Engagement heißt, sich für das Gemeinwohl einzusetzen - für Interessen, die über den eigenen Tellerrand hinausgehen. ‚Für andere‘ heißt insbesondere für Frauen auch, dass sie zur repräsentativen Demokratie beitragen. Denn diese lebt davon, dass alle Bevölkerungsgruppen angemessen da vertreten sind, wo über sie entschieden wird: also in Politik und Parlamenten. Da sind aber gerade Frauen noch längst nicht entsprechend ihres Bevölkerungsanteils von über 50 Prozent vertreten.
Aus der diversity-Forschung wissen wir, dass Gremien bzw. Gruppen, die sehr homogen besetzt sind – also mit sehr ähnlichen Menschen – nicht die besten Entscheidungen treffen: zum einen, weil bestimmte Lebensrealitäten einfach gar nicht berücksichtigt werden, und zum anderen, weil man sich möglicherweise zu schnell einig ist. Wenn die bislang zahlenmäßig männerdominierten Parlamente also zukünftig paritätisch mit Männern und Frauen besetzt werden, werden sich sicherlich die politischen Entscheidungen verbessern. Nicht etwa, weil Frauen die „besseren Politikerinnen“ sind, sondern weil geschlechtergemischte Teamarbeit aus den genannten Gründen bessere Ergebnisse verspricht.
Wenn zahlenmäßig eine stärkere „Frauenpower“ vorhanden ist, können auch politische Themen, die eher die Lebensrealitäten von Frauen betreffen, einfacher auf die politische Agenda gesetzt werden. Und frauen- und gleichstellungspolitische Fortschritte werden politisch durchsetzbarer, weil fraktionsübergreifende Politikerinnenbündnisse möglich sind. ‚Für andere‘ heißt also auch ‚für alle‘ und: für eine repräsentative(re) Demokratie!
MuP: Und warum lohnt sich politisches Engagement auch ‚für mich‘? Kletzing: In unserer Studie „Engagiert vor Ort. Wege und Erfahrungen von Kommunalpolitikerinnen“ haben die über 1.000 befragten kommunalen Mandatsträgerinnen drei Dinge benannt, die ihnen an ihrem kommunalpolitischen Engagement gefallen: dass sie politisch Einfluss nehmen und nah an den Bürgerinnen und Bürgern die eigene Gemeinde mitgestalten können; dass sie sich durch das Engagement auch persönlich weiterentwickeln, dass sie z.B. neue Dinge lernen und ihr Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen steigern können; und nicht zuletzt, dass sie sich mit Themen auseinandersetzen und diese voranbringen können.
Zwar stammen diese Antworten alle von ehrenamtlichen Kommunalpolitikerinnen, denn kommunale Mandate werden ja nebenberuflich wahrgenommen. Aber gesellschaftliche Einflussnahme, persönliche Weiterentwicklung und politische Auseinandersetzung mit Themen sind auch entscheidende Motivationen für eine bezahlte politische Karriere.
MuP: Wieso sind Frauen in der Politik und in politischen Parteien unterrepräsentiert? Warum ist politisches Engagement oder ein Amt für Frauen eher unattraktiv? Kletzing: Das sind zwei unterschiedliche Fragen. Die Frage nach der Unattraktivität von Politik – im Übrigen nicht nur für Frauen, sondern auch für andere unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen – zielt vorrangig auf die Gründe ab, warum Frauen nicht in die Politik und in die politischen Parteien wollen. Ja, auch diese Frauen (und Männer) gibt es, die den Preis nicht zu zahlen bereit sind, den ehrenamtliches oder hauptamtliches politisches Engagement mich sich bringt.
Lässt sich dieser „Preis“ verringern? Lässt sich Ehrenamt, insbesondere in Parteien und Kommunalvertretungen, anders gestalten, damit es z.B. vereinbarer ist mit anderen Lebensbereichen wie Beruf und/oder Fürsorge? Lässt sich das nützliche Engagement auch angenehm bzw. möglichst wenig unangenehm gestalten, damit es auch Spaß macht und den Engagierten etwas bringt? Die Attraktivitätsfrage ist eine zentrale, weil sie die persönliche Kosten- Nutzen-Rechnung für Engagement von Menschen ins Visier nimmt. Diese muss auch immer ein Stück mit dem gesellschaftlichen Zeitgeist mitschwingen, um den jeweils passenden modernen Rahmen für unverändert vorhandene demokratische Mitbestimmungs- und Mitbestimmungsbedürfnisse von Frauen wie von Männern zu schaffen.
MuP: Warum greift der Blick auf die Unattraktivität von politischem Engagement Ihrer Meinung nach zu kurz? Kletzing: Weil wir es uns zu einfach machen, wenn wir sagen: Frauen sind unterrepräsentiert, weil sie sich nicht für Politik interessieren oder sich nicht politisch engagieren wollen. Ich höre im Rahmen unserer wissenschaftlichen Studien und unserer praktischen Angebote für Politikerinnen bzw. Nachwuchspolitikerinnen einfach zu viele persönliche Geschichten über Erfahrungen des Ausgebremst- und Verhindert-Werdens von politisch ambitionierten wie fähigen Frauen. Auch die aktuellen Erkenntnisse aktueller politikwissenschaftlicher Gender-Forschung verdichten sich dahingehend, dass nicht der politische Einstieg, sondern der politische Aufstieg von Frauen der Knackpunkt ist. Und dass dieser maßgeblich an den Binnenstrukturen und -kulturen von Parteien bzw. Wählergemeinschaften hängt – und eben auch daran scheitert. Es ist die hier übliche politische Kultur, die maßgeblich steuert, ob Frauen es überhaupt schaffen, für Wahllisten bzw. für Direktmandate nominiert zu werden, also die innerparteiliche Personalauswahl erfolgreich zu durchlaufen.
Die Frage nach den Möglichkeiten des politischen Aufstiegs von Frauen würde ich also der Frage nach der Unattraktivität von politischem Engagement unbedingt nebenan stellen.
MuP: Woran liegt’s? Kletzing: Rekrutierungs- und Nominierungsprozesse von Parteien gelten in der Politikwissenschaft als black box. Aber die wenigen Studien dazu sind sich einig, dass Personalien in Parteien sehr informell und sehr eigeninteressengeleitet gehandhabt werden und - angesichts der Männer- und Männlichkeitsdominanz des politischen Raumes nicht überraschend – weitgehend von männlichen EntscheidungsträgERn „ausgekungelt“ werden. Innerparteiliche Führungszirkel gelten als die Gatekeeper, in deren Händen es liegt, Frauen Aufstiegschancen zu eröffnen oder vorzuenthalten. Aber auch die gängigen Spielregeln von Politik dafür, wem Durchsetzung gelingt und wem nicht – im Kern Überzeugungskraft, Mehrheitsbeschaffung und Omnipräsenz – unterliegen einem gender bias, der Männer bzw. „Männlichkeit“ privilegiert und Frauen bzw. „Weiblichkeit“ benachteiligt.
MuP: Können Sie dafür ein Beispiel nennen? Ein paar Beispiele aus meiner Dissertation, in der ich mittels Interviews mit hauptamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern ebendies herausfinden wollte: Woran liegt’s?
Sehr pointiert zusammengefasst, wird die Eignung der weiblichen Kandidatinnen, die im Übrigen später alle gewählt und alle wiedergewählt werden, zum Zeitpunkt ihrer Kandidatur zunächst sehr infrage gestellt. Sie dürfen vor allem kandidieren, weil es sich um „Verlegenheitssituationen“ handelt. Das heißt: Die anstehende Bürgermeister_ in-Wahl gilt aus Sicht der Ortspartei als aussichtslos, deshalb will kein Mann kandidieren, und die Partei ist um einen KandidatEN verlegen – und nur deshalb schlägt die Stunde der vom „Normalfall“ Kandidat abweichenden Kandidatinnen. Diese gewinnen dann überraschend die Wahl – nicht wegen ihrer, sondern trotz ihrer Partei – üben ihr Amt dann allerdings mit vergleichsweise schwacher parteipolitischer Rückendeckung aus, u.a. weil die Kommunalvertretung von der Gegenpartei dominiert wird (aber auch, weil die eigene Ratsfraktion die unterstützende „politische Heimat“ verweigert). Klar, sie haben zwar den Rathauschefinsessel gewonnen, aber ihre Parteikolleg_ innen leider nicht die Mehrheit im Rat – das war ja angesichts der für aussichtslos erklärten Wahl eigentlich von vornherein absehbar, macht es den Bürgermeisterinnen in dieser Mehrheitskonstellation aber einmal schwerer.
Diese Forschungsergebnisse auf Repräsentativität zu überprüfen, steht zwar noch aus, aber auch jetzt stecken da in jedem Fall auch für mich nochmal sehr eindrückliche Ansatzpunkte für den notwendigen Kulturwandel in Parteien drin – auch für die mit parteiinternen Quoten.
MuP: Welche gesellschaftlichen Veränderungen könnten dazu führen, dass sich mehr Frauen politisch engagieren? Kletzing: Die genannten Stichwörter „Vereinbarkeit“ und „Kulturwandel“ sind eigentlich schon die zentralen, wenn wir über notwendige gesellschaftliche Veränderungen reden. Beides erfordert mutige und innovative Pionierarbeit. „Patentrezepte“ für die Umsetzung der zahlreichen in Papiere gegossenen Handlungsempfehlungen einerseits für Zeitpolitik, um politisches Engagement vereinbarer und effektiver zu gestalten, und andererseits für die Veränderung von herkömmlichen Gepflogenheiten in der Politik, die bestimmte Gruppierungen systematisch privilegieren und andere benachteiligen, gibt es bislang nicht. Die müssen in Ortsvereinen mit Unterstützung der Landes- und Bundesverbände der Parteien, aber auch in den Parlamenten mit Unterstützung der jeweiligen Parlamentsverwaltungen entwickelt und erprobt werden.
Die Rolle der Parteien ist hierbei eine interessante: Einerseits könnte man meinen, dass sie im Rahmen ihrer Reformüberlegungen gesamtgesellschaftliche Geschlechterverhältnisse nur in begrenztem Maße überholen können, z.B. was die strukturellen und kulturellen Rahmenbedingungen für Frauen und Männer bzgl. Fürsorge- und Erwerbsarbeit betrifft. Diese spielen ja zwangsläufig in die Vereinbarkeitsprobleme und -lösungen von Beruf, Fürsorge und politischem Ehrenamt hinein, mit denen sich Parteien befassen sollten.
Andererseits sind es gerade die Akteur_innen des politischen Raumes – also Parteien, Parlamente, teilweise auch Verwaltungen – die den Anspruch haben sollten, genau diese gesamtgesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse zu beeinflussen und zu verändern – und nicht einfach so hinzunehmen bzw. sogar als „außerhalb ihrer Zuständigkeit“ zu beklagen. Wer, wenn nicht sie, sollte als Vorbild agieren, klassische Geschlechterrollen aufbrechen, zeitgemäße und gleiche Teilhabemöglichkeiten schaffen, also ganz bewusst und öffentlichkeitswirksam gegenwärtige Geschlechterverhältnisse aushebeln?
MuP: Welche Erfahrungen machen Sie in Ihrer Arbeit? Was ist das Helene Weber Kolleg? Kletzing: Alles, was ich bisher erzählt habe, sind Erfahrungen aus meiner Arbeit mit Politiker_innen und Nachwuchspolitiker_ innen, aber auch mit Kommunen und Parteien – also mit den politischen Kontexten dieser Frauen und Männer. Glücklicherweise habe ich durch die Praxisstudien, mit denen die EAF beauftragt wird, immer wieder Gelegenheit, diese Arbeitserfahrungen wissenschaftlich zu sortieren und zu reflektieren. Oder auch umgekehrt: Das Helene Weber Kollegist ein Beispiel, wo die bereits erwähnte Studie „Wege und Erfahrungen von Kommunalpolitikerinnen“ den Grundstein legte für Maßnahmen, die dann in die Angebote des Helene Weber Kollegs einflossen. Das Helene Weber Kolleg (www.frauen-macht-politik.de) ist die erste bundesweite und parteiübergreifende Plattform für engagierte Frauen in der Politik. Das Kolleg wurde 2011 ins Leben gerufen, um mehr Frauen für die (Kommunal-)Politik zu gewinnen und ihre Einstiegs- und Aufstiegschancen zu verbessern sowie um den bundesweiten wie internationalen Austausch und die Zusammenarbeit von (Kommunal-)Politikerinnen zu fördern. Eine tragende Säule des Kollegs ist das Helene Weber Netzwerk, der Zusammenschluss der Helene Weber Preisträgerinnen.
So wichtig ich das Helene Weber Kolleg und Helene Weber Netzwerk finde: Viele Frauen wurden durch die Angebote empowert und sind in die (Kommunal-)Politik gegangen – zwei Helene Weber Preisträgerinnen sind ganz frisch in den 19. Deutschen Bundestag eingezogen. Meine Arbeit bringt aber auch zunehmend die Erfahrung mit sich, dass Empowerment-Maßnahmen für Frauen zwar notwendig sind, aber nicht hinreichend sein werden, um Parität in der Politik zu erreichen
MuP: Warum? Kletzing: Empowerment-Maßnahmen, wie z.B. Mentoring-Programme, können durch gezielte Information, Bestärkung und Vernetzung von Frauen zwar den Pool an Frauen vergrößern, die für politische Mandate und Ämter zur Verfügung stehen. Sie können aber nicht bzw. zu wenig die gesellschaftlichen Veränderungen bewirken, über die wir zuvor gesprochen haben. Empowerment kann bewirken, dass Frauen diese Veränderungen einfordern oder als Entscheidungsträgerinnen selbst diese Veränderungen anstoßen – aber der schnellere Weg dahin muss die GatekeepER unmittelbar und jetzt adressieren.
Diese Bilanz unserer über 20-jährigen Arbeit führt zwangsläufig zu der Schlussfolgerung, dass irgendetwas den Kulturwandel in Parteien und Parlamenten überhaupt in Gang bringen und beschleunigen muss: Und da liegen – wie auch in der Wirtschaft 2015 – gesetzliche Maßnahmen nahe, die Parteien zu einer paritätischen Aufstellung von Wahllisten bzw. Direktmandaten verpflichten. Die Zeiten, wo der notwendige Kulturwandel bzw. die politischen Aufstiegschancen für Frauen allein dem „guten Willen“ der Parteien überlassen werden sollten, sind vorbei. Es ist Zeit für ein Paritätsgesetz! – Wann, wenn nicht jetzt, zum bevorstehenden 100jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts?
Wir bedanken uns für das Interview! Hinweis: Die Äußerungen unserer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder.
Bonn, 2016