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Wir brauchen öffentlichen Druck!

Interview mit Eter Hachmann

 

 

Eter Hachmann studierte Politik- und Rechtswissenschaften in Tbilisi, Göttingen und Dresden. Sie ist seit vielen Jahren im Bereich der Migrationspolitik tätig. Hauptamtlich ist sie Dezernentin für Soziales, Bildung, Jugend und Senioren in Dessau-Roßlau. Ehrenamtlich ist sie Vorstandsvorsitzende von DaMOst, dem Dachverband der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland.

MuP: Vor welchen Herausforderungen stehen Migrant*innenorganisationen, insbesondere im Osten Deutschlands?

Eter Hachmann: Ich vertrete die Interessen vom DaMOst, dem Dachverband der Migrant*innenorganisationen im Osten. Wir sind in fünf Bundesländern aktiv, sind also recht groß. Insgesamt vertreten wir über 400 migrantische Vereine, und werden als deren Stimme gesehen und akzeptiert. Herausfordernd ist vor allem der Aufbau der Strukturen. Die Vereine existierten erstmal für sich als Subkulturen, meistens im kulturellen oder sozialen Bereich. Eine politische Stimme konnte sich lange nicht herausbilden, weil es keine Netzwerke gab. Wenn man sich die Vereinshistorie im Osten anschaut, die Konditionen und die Möglichkeiten, dann wird deutlich, dass der Staat und die Bundesländer gar nicht wollten, dass sich Netzwerke bilden und die Strukturen politisch werden.

Diese Politisierungsprozesse sind erst seit den 2000er Jahren entstanden. Die ersten Arbeitnehmer*innen sind in den 60er Jahre aus unterschiedlichen Ländern nach Sachsen und die anderen östlichen Bundesländer gekommen. In den 40 Jahren danach ist kaum etwas passiert. Politisch waren diese Menschen weder als Wähler*innen noch als Bürger*innen relevant. Und genau das versuchen wir jetzt zu beheben. Im Osten haben wir immer noch mit schwindenden Strukturen zu tun. Wir haben enorm viele Generationskonflikte und es kommt erschwerend dazu, dass wir einen Topf an Geldern und Ressourcen haben, den wir alle miteinander teilen müssen. Also ist Konkurrenzkampf ein ständiger Begleiter unserer Arbeit. Und das macht es sehr schwer im Osten für uns als Dachverband.

MuP: Der Dachverband Sächsischer Migrant*innenorganisation (DSM) musste nach einem Sonderbericht durch den Sächsischen Rechnungshof Insolvenz anmelden. Wie kam es dazu und was bedeutet das für die Arbeit von DaMOst?

Eter Hachmann: Politische Arbeit braucht politische Unterstützung und politische Unterstützung beginnt natürlich mit Ressourcen und Geld. Und wenn dieser politische Wille nicht zu erkennen ist und noch mehr: Wenn wir merken, dass wir gezielt bekämpft werden – und letztendlich war diese Prüfpraxis ja bundesweit einmalig, das haben Rechtsexpert*innen so bestätigt – da stellen wir uns als Dachverband schon die Frage, ob wir überhaupt erwünscht sind.

Und wenn ich mir die sächsische Landespolitik anschaue, sei es im Energiebereich, im Wirtschaftsbereich oder auch im kommunalen Bereich, da frage ich mich zudem, ob es in Sachsen keine anderen drängenden Fragen gibt, als die Förderpraxis des Sozialministeriums so unter die Lupe zu nehmen und damit den Dachverband zu vernichten. Und ich verwende auch gezielt dieses Wort ‚vernichten‘. Wir haben das nicht ohne Grund als Bauernopfer beschrieben. Das ist doch Taktik, die vermeintlich Schwachen anzugreifen. Der Dachverband hatte sich ja 2017 erst gebildet und jeder weiß, dass der Aufbau von Strukturen Zeit braucht.

Ich habe ja davon gesprochen, wie lange die Selbstvertretung von Migrant*innen im Osten als irrelevant erachtet wurde. Und dann wird erwartet, dass sich der Dachverband innerhalb weniger Jahre als juristisches Organ so entwickelt, dass man wirklich hundertprozentig alles richtig macht? Grundsätzlich verstehe ich sogar die Erwartungshaltung, es geht ja auch um viel Geld. Aber der Umgang, die Rhetorik dahinter, die Strategie der Landesregierung – das ist für mich ein Zeichen aus der Politik. Wir sind nicht erwünscht. Unsere Arbeit ist nicht relevant. Wir werden nicht gebraucht. Und letztendlich werden wir als Belastung für die Gesellschaft wahrgenommen. So kommt es dann zu der Aufforderung, 150.000 Euro für den Zeitraum von vier Jahren zurückzuzahlen. Jeder, der sich im Vereinswesen auskennt, weiß, was diese Summe bedeutet und der DSM hatte ja insgesamt 66 Mitglieder. Das Geld hätte man niemals zusammenbekommen können. Und schon daran merkt man, dass das eigentlich eine subtile Tötung des Dachverbandes war. Gezielt, gewollt, strategisch, geplant.

MuP: Was bedeutet das für die Lage in Sachsen, wenn die Arbeit des DSM nicht weiter gefördert wird? Wie kann die Arbeit dennoch weiter fortgesetzt werden?

Eter Hachmann: Im Bereich der politischen Bildung gibt es ja noch die Friedrich-Ebert-Stiftung mit ihren Landesbüros, die Heinrich Böll Stiftung, die Konrad Adenauer Stiftung, die Friedrich Naumann Stiftung und so weiter. Das reicht aber nicht aus. Die Zeiten, in denen migrantische Vereine für sich bleiben, ausschließlich Kulturveranstaltungen ausrichten und Feste feiern, sind glücklicherweise vorbei. Wir haben eigene Interessen und vor allem Interessen, die auch für die Bundesrepublik eine Relevanz haben. Beispielsweise wenn es um das Staatsangehörigkeitsgesetz geht. Wir kämpfen auch für Gleichberechtigung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt.  Das sind alles politische Forderungen. Diese Arbeit ist momentan jedoch auf Eis gelegt, weil wir nicht wissen, wie die Strukturen miteinander vernetzt werden sollen.

In Sachsen kommt noch dazu, dass sich in den Ortschaften wie Bautzen und Heidenau Neonazis formieren und die Strukturen vor Ort sehr starr sind. Es wäre recht naiv anzunehmen, dass sich ohne gezielte politische Arbeit Der Dritte Weg und andere Vereinigungen, die definitiv aus dem Spektrum Rechtsextremismus kommen, schon irgendwie beruhigen werden. So ist es nicht. Diese Strukturen wachsen und bekommen immer mehr Zuspruch.

Und zur Frage, wie die Arbeit fortgesetzt werden kann: Wir als DaMOst versuchen einen Förderverein in Sachsen zu gründen, um so schnell wie möglich den Dachverband neu gründen zu können. Das ist unser Weg. Wir brauchen aber natürlich Unterstützung dabei. Die Zivilgesellschaft muss darauf aufmerksam machen, wie falsch das alles gelaufen ist. Aus dem politischen Bereich gab es sehr wenig Feedback, das traute sich so kurz vor den Wahlen niemand. Das ist aus unserer Sicht enttäuschend und feige. Dachverbände und migrantische Strukturen brauchen gezielte politische Unterstützung!

MuP: Welche Folgen haben diese Entwicklungen für das haupt- und ehrenamtliche Engagement in den Mitgliedsorganisationen des DSM?

Eter Hachmann: Die meisten Vereine sind in den letzten 15 bis 20 Jahren entstanden. Sehr, sehr wenige der sächsischen Vereine haben eine lange Historie. Und meistens ist das dann eine Historie, die durch diverse Defizite, Probleme und Bürden gekennzeichnet ist. Ein aktuelles Problem ist, dass wir Fachpersonal verlieren. Diejenigen, die was gelernt, studiert und gearbeitet haben, müssen nicht lange drauf warten, eine neue Stelle zu bekommen. Wir haben in diesen Strukturen sowieso immer befristete Verträge gehabt, also prekäre Arbeitsbedingungen. Wir wussten nie, ob der Vertrag nach zwei Jahren verlängert wird oder nicht. Die Menschen hatten das sowieso satt, um es mal auf den Punkt zu bringen. Die meisten Arbeitskräfte, die nicht nur Sozialkompetenz, sondern auch viel Fachwissen mitbringen, die werden wir verlieren.

Ehrenamtler*innen fühlen sich auch diskreditiert, weil viele sagen: „Ich habe das in meinem Ehrenamt gemacht, in meiner Freizeit. Was bekomme ich dafür? Nicht mal politische Unterstützung? Vielen Dank auch.“

Was ich ganz schlimm finde, ist die Diskreditierung der Dachverbände und migrantischen Organisationen. Ich habe in den letzten Monaten sehr oft gehört, dass so viel Geld geflossen sei und warum es dann nicht möglich gewesen war, sauber zu arbeiten etc. Ich möchte hier ganz deutlich sagen: Die Fehler, die gemacht worden sind, lagen nicht auf der Seite des Dachverbandes. Wenn die Rahmenbedingungen und Förderkriterien nicht klar sind, kann man nicht einem Dachverband die Schuld geben, sondern da muss grundsätzlich das politische System infrage gestellt werden. Ich finde es beschämend und schrecklich, dass Menschen, die sich im Dachverband eingebracht haben, letztendlich als Schuldige dargestellt werden. Und sie wurden auch nie direkt danach gefragt.

Ich möchte mich jedenfalls bei allen Mitarbeiter*innen des DSM für die schöne Zusammenarbeit bedanken. Der Dachverband hat eine wunderbare Arbeit geleistet. Die Ministerin Frau Köpping hatte sich ausdrücklich auch beim Dachverband bedankt. Aber das, was bei den Menschen angekommen ist, ist was anderes. Die Diskreditierung der Mitarbeiter*innen und des Dachverbandes werfen nun einen Schatten voraus und ich frage mich tatsächlich, wer eigentlich noch dabei sein wird, wenn wir einen neuen Dachverband gründen. Und gerade deshalb bitte ich alle, die in Sachsen tätig sind: Macht bitte mit, wenn es wieder so weit ist. Alles, was bisher geschah, hatte nichts mit dem Dachverband oder mit unserer Politik zu tun, sondern mit sehr fragilen politischen Strukturen in Sachsen.

MuP: Was nehmen Sie aus den Erfahrungen mit? Was würden Sie anderen Organisationen empfehlen, die in ihrer Existenz bedroht sind?

Ich glaube, unser allergrößter Fehler beim DSM war, dass wir die Informationen lange für uns behalten hatten und nicht sofort an die Öffentlichkeit gegangen sind. Das würde ich aus heutiger Perspektive anders machen. Und ich weiß, dass das die Politiker*innen überhaupt nicht gern hören, aber letztendlich ist das Einzige, das hilft, der öffentliche Druck. Heute würden wir deutlich schneller reagieren, sobald wir Gegenwind bekommen. Und wir würden mit und in der Öffentlichkeit darüber sprechen wollen und nicht so, wie es vor zwei Jahren geschah, nur hinter verschlossenen Türen. An unseren Themen wird sich aber nichts ändern. Wir werden weiterhin die politische Stimme in Sachsen sein. Wir werden weiterhin Rechtsextremismus und rechtsextreme Parteien bekämpfen. Und wir werden weiterhin dafür sorgen, dass die Rechtsprechung demokratisch bleibt, egal von wem diese Rechtsprechung kommt.

Und Generell: Sobald wir Ungerechtigkeit irgendwo begegnen, müssen wir dagegen vorgehen. Und ich weiß, dass das schwer ist, also gerade, wenn es sprachliche Hürden gibt oder die Menschen im Verein noch nicht so lange in Deutschland sind. Es ist nicht einfach, einen Anwalt auszusuchen oder direkt eine Beschwerde zu schreiben. Aber dafür gibt es Opferschutz, dafür gibt es andere Institutionen, Ausländerräte, Flüchtlingsräte oder auch Stiftungen, bei denen man Unterstützung bekommen kann. Und wichtig ist, Menschen anzusprechen und Ungerechtigkeit nicht einfach hinzunehmen. Diese Zeiten sind vorbei. Wir müssen uns nicht alles gefallen lassen. Und gerade die Verfassung, unser Grundgesetz gilt ja für alle Menschen, die hier in der Bundesrepublik leben. Und wenn es Menschen gibt, die sagen, dass wir migrantische Vereine nicht brauchen, dann müssen wir aktiv werden. Das sind Alarmsignale, die wir aus der Geschichte kennen. Und die sind nicht gut.

MuP: Was wünschen Sie sich konkret von politischer Ebene? Was brauchen Migrant*innenorganisationen und NPOs in den aktuellen Zeiten besonders?

Eter Hachmann: Ich habe über 13 Jahre in Sachsen gelebt und ich habe noch nie von unserem Ministerpräsidenten gehört, dass Migrant*innen in Sachsen erwünscht sind. Ich habe sehr oft gehört, wie wichtig ausländische Fachkräfte für den Wirtschaftsbereich sind. Ich habe sehr oft gehört, dass Sachsen Arbeitsmigrant*innen braucht. Aber ich habe noch nie gehört, dass jemand direkt gesagt hätte „Wir brauchen dich in Sachsen“. Und ich war viele, viele Jahre im politischen Bereich tätig. Wir brauchen dieses klare Bekenntnis dazu, dass wir gebraucht und unterstützt werden.

Und jedes Mal, wenn es um die Kommunalwahlen oder Europawahlen geht, kommt das Thema Wahlrecht wieder auf. Wer darf überhaupt wählen? Die Frage wird nicht nur in Sachsen, sondern auch bundesweit kaum behandelt. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen, die seit vielen, vielen Jahren in der Bundesrepublik leben, auch das Wahlrecht bekommen.

Und was ich vor allem in Sachsen sehr stark empfunden habe: Die ländlichen Gebiete sind gerade für Migrant*innen nicht attraktiv. Einzelne junge Familien entscheiden sich für ländliche Gebiete, weil sie dort vielleicht ein Haus mit einem Garten haben können. Aber grundsätzlich ist Mobilität ein großes Thema. Bilingualität auf dem Land ist ein riesengroßes Thema. Muttersprachlicher Unterricht ist ein riesengroßes Thema. Wenn ich beispielsweise als Pflegekraft irgendwo in Bautzen arbeite, dann kann ich mir kein Auto leisten. Und dabei bin davon abhängig, dass ich mobil bin. Und die Infrastruktur an sich ist auf dem Land sehr mangelhaft. Und da wünsche ich mir, dass die Politik nicht nur immer an sich oder in Richtung Sachsen gerichtet ist, sondern auch Richtung Arbeitskräfte und somit auch Migrant*innen gezielt angesprochen werden.

MuP: Welche Tipps können Sie NPOs angesichts dieser Bedrohungslage – dieser Shrinking Spaces – mit auf den Weg geben?

Eter Hachmann: Punkt Nummer eins: Wer wählen kann, muss auch wählen gehen. Alle Migrant*innen sollen bitte demokratische Parteien wählen. Mir ist egal welche, aber Hauptsache eine demokratische Partei. Und das meine ich tatsächlich genau so. Punkt Nummer zwei: Wenn man gewählt werden kann, wenn man sowohl passives als auch aktives Wahlrecht besitzt, dann muss man auch davon Gebrauch machen. Und zwar egal, ob im Stadtrat, ob im Kreistag, im Landtag oder im Bundestag. Und wenn Migrant*innen ein passives sowie aktives Wahlrecht besitzen, dann bitte kandidieren. Weil eine politische Stimme selbst erzeugt werden muss. Und wir sind, wie gesagt, jetzt schon raus aus dieser Phase, wo wir als Migrant*innen nur darum gekämpft haben, Aufenthaltstitel zu bekommen. Wir gehören zur Bundesrepublik und ohne Migration wäre die momentan ganz schön arm und einsam. Punkt Nummer drei: Arbeitet mit Journalist*innen, mit anderen Vereinen, mit Forschungsinstitutionen, mit Stiftungen zusammen. Sucht euch Wege und Verbündete. Es gibt ganz viele, die von euch nichts wissen. Es gibt viele, die gar nicht wissen, was zum Beispiel der Afghanische Verein in Dresden macht oder der Ukrainische Verein. Für etwas kleinere Vereine ohne Dachverbände ist es wichtig, sich Institutionen zu suchen. Schreibt einfach Menschen an, trefft euch mit denen und sprecht miteinander. Und ganz wichtig, gerade für diejenigen, die im Osten wohnen und leben: Kommt zu uns! Wir sind offen für alle Vereine, egal wie viele Mitglieder, ob zwei oder 20 oder 200. Wenn ihr Strukturen braucht und Unterstützung, sind wir für euch da. Wichtig ist aber, dass wir miteinander sprechen. Für viele Migrant*innen ist Sprache eine Hürde und die muss überwunden werden. Schreibt, so wie ihr könnt, ruft an, wenn ihr lieber telefonieren wollt, Hauptsache ihr macht euch bemerkbar.

Wir bedanken uns für das Interview!       
Hinweis: Die Äußerungen unserer Gesprächspartner*innen geben deren eigene Auffassungen wieder.

Dieses Interview wurde verschriftlicht und redaktionell überarbeitet. Bonn, 2024

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