Wirkungsvolle politische Sprache und Framing

Ein Interview mit Dr. Elisabeth Wehling

Dr. Elisabeth Wehling, geboren 1981 in Hamburg, ist Kognitionswissenschaftlerin an der University of California, Berkeley, Autorin des SPIEGEL-Bestsellers „Politisches Framing“ (v. Halem, 2016) und eine weltweite Autorität auf dem Gebiet der kognitiven Verhaltensforschung. Als „Europas führende Expertin zu political framing“ (Deutschlandfunk) forscht sie unter anderem zur Verbreitung konservativer und progressiver Wertevorstellungen. Im Herbst 2016 machte sie sich einen Namen als eine der wenigen Wissenschaftler_innen, deren Forschung den Wahlsieg von Donald Trump in den USA vorhersagte.

MuP: Frau Wehling, der Begriff „Framing“ ist in aller Munde. Was steckt hinter politischem Framing? Wie funktioniert es?
Wehling: Framing ist ein Fachbegriff der Kognitionsforschung und bezeichnet nichts anderes als „Rahmen setzen“. Also: Über Sprache wird im Kopf eines Rezipienten ein Frame aktiviert, der das gesammelte Weltwissen zu einer Idee beinhaltet. Das Wort „zahlen“ etwa aktiviert einen Frame der ökonomischen Transaktion. Er inkludiert Konzepte wie Kunde, Kaufen, Ware oder Serviceleistung, Verkäufer, Profit, Preise und wirtschaftlichen Wettbewerb. Es ist dieses gesammelte Weltwissen, das dem Wort ‚zahlen’ in unserem Kopf eine Bedeutung gibt. Jedes Wort aktiviert einen Frame. Auch in der Politik aktiviert jedes Wort einen Frame. Zum Beispiel werden abstrakte politische Konzepte immer über metaphorische Frames gesprochen und gedacht. Beispiel: Weil unser Gehirn keinen direkten Zugang zu Steuern hat – wir können sie nicht anfassen, sehen, schmecken, hören – nimmt es einen Schleichweg. Es denkt die Idee innerhalb von Frames, die es aus der direkten Welterfahrung kennt. Wie etwa dem, der ökonomischen Transaktion! Wir sprechen davon, Steuern zu „zahlen“, haben den „Bund der deutschen Steuerzahler“. Damit wird das Beitragen von Steuern zu einer ökonomischen Transaktion – der Steuerzahler ist Kunde, der Staat ein Unternehmen mit staatlichen Dienstleistungen und einer Steuerkasse. Der Frame ebnet den Weg zu Privatisierung und zu Rufen nach weniger Steuern, nach dem Motto: Wieso soll ich für Dinge zahlen, die ich nicht in Anspruch nehme? An der Supermarktkasse zahlen wir auch nicht für den Einkauf anderer Kunden.

MuP: Bestimmen die richtigen Frames tatsächlich die Politik?
Wehling: Absolut. Sprache prägt das Denken, und unser Denken ist die Grundlage unserer Handlungen. In der Politik und anderswo. Beispiel: Wenn man Kriminalität als Viruskrankheit begreifbar macht, sprechen sich Bürger sofort stärker für präventive Sozialpolitik aus – man will das metaphorische gesellschaftliche „Immunsystem“ stärken! Fragt man dann, worauf die Entscheidung beruhte, deuten alle auf Fakten und Statistiken. Keiner nimmt bewusst wahr, dass das Framing die Entscheidung bedingte.

MuP: Wie beeinflussen Sprachbilder unser politisches Denken und Handeln?
Wehling: Indem sie unsere Wahrnehmung prägen. Kurzfristig und langfristig. Wenn Sie über Monate hinweg, etwa in einem Wahlkampf, bestimmte Sprachbilder propagieren, dann setzt bei Ihren Mitbürgern ein sogenannter Hebbian Learning Prozess ein: Ihre politische Perspektive wird zunehmend begreifbar für Ihre Mitbürger, denn sprachliche Wiederholung stärkt synaptische Verbindungen im Gehirn.

MuP: Wie kann man mit Framing Menschen besser erreichen? Und kann man mit Framing Emotionen wecken?
Wehling: Politisches Framing hat mit Emotionalisierung nichts zu tun! Die Idee, dass wir in einem „postfaktischen“ Zeitalter stecken, in dem Emotionen die Menschen für Fakten blind machen, ist irreführend. Politische Mobilisierung funktioniert primär über Ideologie: Wer das eigene Weltbild in aller Klarheit auf den Tisch legt, gibt seinen Mitbürgern die Chance, sich ideologisch zu identifizieren. Wer es versäumt, die moralischen Prämissen der eigenen Politik sichtbar zu machen, riskiert langfristig die Bindung zu jenen Mitbürgern, die die eigenen Werte potenziell teilen. Zu Recht übrigens. Eine ideologisch transparente Sprache ist aus meiner Sicht keine Option in der Politik, sondern ein Auftrag. Und mit den Emotionen ist es so: Anders als im Produktverkauf sind Emotionen in der Politik das Resultat ideologischer Differenzen. Also: Wenn ich ein autoritäres, sogenanntes „strenges“ Weltbild habe, glaube ich unter anderem an die Notwendigkeit kleiner und homogener Gemeinschaften mit Autoritäten, die klare Regeln vorgeben und hart durchgreifen. Werden diese Ideen in der Gemeinschaft gelebt, sind positive Emotionen das Resultat: Freude, Stolz, Begeisterung. Werden diese Ideen nicht gelebt, sind negative Emotionen das Ergebnis: Wut, Frust, Ekel, Angst. Soweit erst einmal. Dann gibt es aus Sicht der Ideologieforschung noch zu beachten, dass Persönlichkeitsmerkmale von Menschen bedingen, ob sie ideologisch eher „streng“ oder „fürsorglich“ ticken. Dazu gehört unter anderem, dass Empathie-Kompetenz eher fürsorgliche, progressive Politik bedingt und Aggressions-Kompetenz eher strenge, autoritäre Politik. Aggression und Empathie sind dabei zunächst einmal gleichermaßen wichtige Kompetenzen: Aggression hilft, sich abzugrenzen und zu behaupten. Empathie hilft, erfolgreich Bindungen mit anderen einzugehen und mit sich und anderen wohlwollend umzugehen.

MuP: Wie kann man für die „gute Sache“ (Anliegen von zivilgesellschaftlichen Organisationen) mobilisieren? Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Wehling: Das, was Sie als „gute Sache“ bezeichnen, ist das, was aus Ihrer Weltsicht heraus das Richtige und Wichtige im menschlichen Miteinander ist. Das ist in Ihrem Falle eine Politik, die auf dem fürsorglichen Weltbild basiert, mit Kernwerten wie Empathie, Schutz und Fürsorge für sich und andere. Steuern sind ein Instrument des kollektiven Schutzes und der gegenseitigen Befähigung. Wer diese moralische Prämisse von Steuern begreifbar machen will, der sollte nicht davon sprechen, Steuern zu „zahlen“, sondern davon, Steuern „beizutragen“. Beitragen kann man nur zu gemeinschaftlichen, prosozialen Handlungen. Wenn ich sage, ich habe zum Design unserer neuen Studienreihe beigetragen, wissen Sie, dass andere aus meinem Team beteiligt waren – wir ein kollektives, über das Eigeninteresse hinausgehendes Ziel haben, das nur kollektiv und nicht von einem einzelnen Forscher im Alleingang erreichbar ist. Das ist Framing.

MuP: In welche „Sprachfallen“ sollte man nicht tappen?
Wehling: Man sollte die Sprache politischer Gegner meiden, denn sie basiert auf den moralischen Prämissen des Gegners – zumindest, wenn er gutes Framing macht. Auch wenn Sie Ideen negieren, aktivieren Sie die assoziierten Frames. Versuchen Sie es einmal: Denken Sie nicht an die Lügenpresse!

MuP: Wie kann man eigene sprachliche Frames identifizieren?
Wehling: Frames identifiziert und schafft man über neurokognitive Analysen und Sprachentwicklung. Dabei kommen eine ganze Reihe von Methoden und Instrumente der kognitiven Linguistik, Ideologieforschung und Gehirn- und Verhaltensforschung zum Tragen. Anders als die Produktwerbung baut das politische Framing dabei stark auf Erkenntnisse und Methoden der Ideologie- und Werteforschung auf. Für einen schnellen, ersten Zugang kann man aber auch als Laie viel bewirken. Machen Sie sich bewusst, dass jedes Wort einen Frame aktiviert. Nicht nur der „Flüchtlingsstrom“ ist ein Framing, auch der „Steuerzahler“. Überlegen Sie, was die Begriffe im alltäglichen Denken nach sich ziehen. Ein Strom ist eine Naturgewalt, nicht menschlich. Naturgewalten haben keine Menschenrechte und wir empfinden keine Empathie mit ihnen. Und so weiter. Und wenn es um das Begreifbarmachen der eigenen Politik geht, dann machen Sie immer die moralische Prämisse ihrer Vorschläge zur sprachlichen Priorität – nicht Fakten an und für sich oder Listen Ihrer Positionen zu Themen wie Arbeit, Umweltschutz oder Steuern. Politische Positionen sind keine Werte, sie bedingen sich aus Werten.

MuP: Was können Sie Menschen in Bezug auf Sprache und Kommunikation empfehlen, die sich wirkungsvoll für gesellschaftliche Anliegen und demokratische Werte engagieren?
Wehling: Eine ehrliche Sprache nutzen, die die eigene Ideologie transparent macht und propagiert. Das ist harte Arbeit. Ich gebe Ihnen ein letztes Beispiel. In den USA ist das Recht auf Abtreibung unter Beschuss. In manchen Ländern in Europa übrigens auch. Männer und Frauen, die davon betroffen sind und sich gegen Abtreibungsverbote einsetzen, sollten aufhören, von Pro-Choice zu sprechen. Es ist schön, wenn man im Leben eine Wahl hat. Aber es macht die moralische Dringlichkeit der Sache nicht fassbar: Man will frei sein von Zwang und Dogma, will nicht genötigt werden, nach den Überzeugungen der Abtreibungsgegner sein Leben zu gestalten. Männer und Frauen, die an das Recht auf Abtreibung glauben, sollten das Problem beim Namen nennen: Es geht nicht um Pro-Choice, sondern um den Schutz vor Reproductive Coercion – zu Deutsch also dem Schutz vor reproduktivem Zwang bzw. reproduktiver Nötigung. Das ist ideologisch transparente Sprache. Der Mitbürger weiß sofort, wo sein Gegenüber das moralische Problem sieht – und kann sich dann entscheiden, ob er die Perspektive teilt. Oder ihr widerspricht, weil er das moralische Problem woanders sieht. In dem Fall können dann beide in einen gesunden, ehrlichen, fairen und lautstarken ideologischen Kampf einsteigen – wer den Kampf gewinnt, hängt erheblich davon ab, wer sich besser über sprachliche Framings begreifbar macht.

Wir bedanken uns für das Interview!
Hinweis: Die Äußerungen unserer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder.

Bonn, 2017

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