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Die Verbindung von jüdischen Menschen und der Arbeiter_innenbewegung mag sich vielen nicht direkt erschließen. Die Berührungspunkte ergeben sich jedoch aus einer Betrachtung der Emanzipationsbewegungen, die sich im Zuge der Industrialisierung in Deutschland bildeten und zeitlich zusammenfielen – die jüdische, die feministische und die proletarische.
Für Jüdinnen und Juden ließen sich die freiheitlich-demokratischen Ideale der 1848er-Revolution neben dem politischen Liberalismus vorzugsweise in der Arbeiter_innenbewegung umsetzen, deren progressiver Anspruch nach einer egalitären Gesellschaftsordnung die eigene Emanzipation ermöglichen sollte. Auch die Frauenbewegung bildete hier erhebliche Schnittmengen mit jenen emanzipatorischen Forderungen. In diesem Sinne ist die kollektive wie individuelle Diskriminierungslage jüdischer Männer und Frauen hier der zentrale motivische Ausgangspunkt der betrachteten Entwicklung.
Jüdische Sozialist_innen
Frühe Sozialisten wie Moses Hess und Karl Marx – später auch Rosa Luxemburg oder Eduard Bernstein – sind wohl einige der prominentesten Namen jüdischstämmiger Intellektueller, die zur Entstehung und Entwicklung sozialistischer Theorie beigetragen haben. Doch während die Liste jüdischer Protagonist_innen in der Arbeiter_innenbewegung vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart fortgeschrieben werden kann, muss bemerkt werden, dass der religiöse Bezug auf das Judentum für die jeweiligen Personen häufig nicht von Relevanz war. Die einen sahen sich als Deutsche, die anderen als Sozialist_innen, wieder andere definierten sich über ihren Beruf. Ihr Jüdischsein war dagegen in den meisten Fällen lediglich ein „rein konfessionelles Anhängsel oder (…) ehrwürdiges Überbleibsel einer Familientradition“ (M. Brenner). Dennoch lassen sich die Einstellungen gegenüber der jüdische Herkunft hier nicht verallgemeinern, so handelte es sich beispielsweise bei den Jüdinnen und Juden in der Weimarer Republik doch um eine sehr differenzierte Gruppe: zum einen durch den Unterschied von meist bürgerlich geprägten und assimilierten „deutschen Juden“ zu häufig proletarischen und traditionellen „Ostjuden“, zum anderen durch sehr heterogene politische wie religiöse Positionen innerhalb einzelner Familien.
Während eine jüdische Identität dennoch tendenziell nur von wenigen in der Sozialdemokratie aktiv kultiviert worden war, war die Wieder- oder Neubeschäftigung mit der eigenen jüdischen Herkunft für viele ab einem gewissen Punkt unausweichlich: Sie erfolgte vor allem ex negativo als Produkt des in der Gesellschaft vorherrschenden Antisemitismus. Dieser fand mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und in der Shoah seinen traurigen Höhepunkt und besiegelte das Ende des deutschen Judentums, wie man es einst kannte.
Historische Anziehungskräfte
Es ist nicht verwunderlich, dass das dominierende Narrativ zur Geschichte des deutschen Judentums bis in die Gegenwart vor allem als jene Geschichte des Antisemitismus und der Shoah erzählt wird. Aber auch nach der fast völligen Auslöschung des deutsche Judentums kam es zu einem sehr heterogenen „neuen deutschen Judentum“, zum einen durch deutsch-jüdische Überlebende sowie Rückkehrende aus dem Exil, zum anderen durch displaced persons, die nach der Befreiung in Deutschland geblieben sind. Ebenso erfolgte zu Beginn der 1990er-Jahre ein massiver Zuzug osteuropäischer Jüdinnen und Juden nach Deutschland, der die jüdische Kultur in Deutschland bis in die Gegenwart entscheidend prägt.
Insgesamt engagierten sich auch nach dem Nationalsozialismus Jüdinnen und Juden politisch-kulturell und auf vielfältige Weise, sei es zugunsten der Interessen der jüdischen Minderheit in Deutschland, etwa durch die Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland 1950, oder zur Umsetzung individueller Präferenzen: So zeigt das Engagement jüdischer Personen in der SPD bzw. im gewerkschaftlichen Kontext auch nach 1945, dass die Arbeiter_innenbewegung ihre historische Anziehungskraft auf jüdische Personen in Deutschland nicht verloren hatte. Dies wird letztlich durch die Gründung des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen (AKjS) deutlich, der 2007 als erster offizieller jüdischer Zusammenschluss in einer Partei seit der Zeit des Nationalsozialismus gegründet wurde.
1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland
Anlässlich des Jubiläumsjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ trägt das Archiv der Sozialen Demokratie (AdsD) mit einer Blog-Serie dazu bei, den Kohäsionskräften zwischen jüdischem Leben und Arbeiter_innenbewegung auf den Grund zu gehen. Es geht dabei nicht darum, das zu oft in Kultur und Politik heraufbeschworene „jüdische Element" zu identifizieren; dies wäre vermutlich eine Sackgasse. Entscheidender wird hier die Frage danach, welche Motive Jüdinnen und Juden zu bestimmten Zeitpunkten an die Arbeiter_innenbewegung gebunden haben. War es der aus der eigenen Diskriminierung heraus entstandene Wille nach politischer Gleichstellung oder gar ein daraus erwachsenes allgemeines Empfinden gegen Ungerechtigkeit und für Demokratie? War es der Kampf gegen rechte Kräfte oder den Antisemitismus? Oder war es schließlich die einzig noch rational vertretbare Bewegung in Deutschland nach 1945, in der Jüdinnen und Juden politisch aktiv werden wollten?
Jene Kohäsionskräfte, die zwischen jüdischer und proletarischer Emanzipation gewirkt haben, und die je nach Biografie und Epoche teils sehr unterschiedlich ausgeprägt waren, werden Inhalt der Blog-Serie sein, die in den kommenden Monaten bei FEShistory erscheint. Die Beiträge erstrecken sich dabei facettenhaft über verschiedene Themenschwerpunkte: von der Konfrontation mit dem Antisemitismus über den Einsatz für politische und gesellschaftliche Gleichstellung bis hin zu Idealen der Solidarität und dem Streben nach einer gerechteren Gesellschaft im Gesamten. Die Betrachtungen sind dabei lediglich als Ausschnitte eines bisher wenig erforschten Themenkomplexes zu verstehen und sollen gleichsam eine Anregung für weitere Forschung und Reflexion sein.
Jacob Hirsch
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