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„Wir haben keine Atempause“

Klimakrise und Zeitenwende treten gleichzeitig auf. Wieso wir uns deshalb auf den Nexus von Klima und Sicherheit fokussieren müssen, was Geopolitik damit zu tun hat und welche Schritte nun zu gehen sind, erklärt die Leiterin des FES-Kompetenzzentrums „Just Climate“, Claudia Detsch.

Die Fragen stellte Felix Kösterke.

 

Sie haben kürzlich beim Bled Stategic Forum ein Panel zu den Themen Klimasicherheit und Klimagerechtigkeit moderiert. Was ist überhaupt Klimasicherheit? Wie hängen Sicherheit und Klimakrise zusammen?

 

Claudia Detsch: Die beiden Themen hängen sehr eng zusammen. Beim Bled Strategic Forum unter dem Motto „Solidarity For Global Security“ sieht man das deutlich. Es gab in diesem Jahr gleich mehrere Panels, die sich dem Klimawandel und seinen Auswirkungen auf die menschliche Sicherheit gewidmet haben. Vor 10 Jahren hätte das noch Staunen hervorgerufen. Das hat sich klar geändert. Slowenien hatte wenige Wochen vor der Konferenz massive Überschwemmungen, die wegen der immensen Schäden immer noch ein Megathema sind. Da braucht man ohnehin niemandem mehr nahebringen, was der Klimawandel für die menschliche Sicherheit bedeutet. Auf dem Panel, das ich auf dem Forum moderiert habe, saß auch Ann Linde, die in ihrer Zeit als Außenministerin von Schweden den OSZE-Vorsitz innehatte, als dort das Thema Klimawandel als Sicherheitsrisiko auf die Agenda gesetzt wurde. Die USA sind ein weiteres Beispiel. Während die Republikaner den Klimawandel nach wie vor oft leugnen oder ignorieren, sagt mittlerweile das Militär: Das wird eine unserer massivsten Sicherheitsherausforderungen in der Zukunft sein.

 

Wenn man diese Fragen früher diskutierte, ging es oft eher um Themen wie die Wasserproblematik im Nahen Osten oder Konflikte um Landnutzung in Afrika. Europa hatten selbst die Europäer_innen weniger im Blick.  Mittlerweile wird auch hier deutlich, dass Klimasicherheit eine massive Herausforderung ist. Und dabei geht es nicht nur um Wetterphänomene wie Überschwemmungen, Waldbrände, Dürren. Es gibt noch viele weitere, auf einem zweiten Level angesiedelte Themen. Ernährungssicherheit ist ein großes Thema, die Wasserversorgung, auch politische Stabilität und unser Verhältnis zu anderen Regionen der Welt. Viele Experten und Expertinnen sehen es als sehr wahrscheinlich an, dass wir durch den Klimawandel große Migrationsbewegungen in in Richtung Europa haben werden. Das kann staatliche Strukturen unter Druck setzen oder dem Rechtspopulismus weiter Auftrieb geben. Das sind sekundäre Effekte.

 

Und auch die globalen Handelsbeziehungen werden von den Klimaphänomenen betroffen sein. Man braucht nur die politische Situation in vielen rohstoffreichen Ländern anzuschauen und kann sich ausmalen, wie deren Stabilität durch die wirtschaftlichen Auswirkungen von Klimakatastrophen ins Wanken geraten könnte. Davon wären wir in Europa mit unseren globalisierten Wirtschaftsbeziehungen wieder massiv betroffen. Es ist also nicht von der Hand zu weisen, wie sehr Klima, Geopolitik und Sicherheit zusammenhängen.

 

Sie haben das Motto des Bled Forums „Solidarity für Global Security“ angesprochen. Laufen wir momentan Gefahr, dass Deutschland und Europa sich im Rahmen der Zeitenwende zu sehr auf sich selbst fokussieren und die globale Solidarität hinten runterfällt?

 

Claudia Detsch: Ich würde es tatsächlich eher ein bisschen andersrum sehen. Ich glaube, durch den russischen Einmarsch in die Ukraine und die Erkenntnisse, die wir daraus gewonnen haben, wird noch mal deutlicher, wie sehr wir auf die Länder des sogenannten globalen Südens angewiesen sind. Wenn es jetzt um eine Diversifizierung von Rohstofflieferungen geht etc., dann schaffen wir das gar nicht ohne diese Länder. Gleichzeitig hat viele Menschen in Europa irritiert, dass die Sicht auf den Krieg in vielen Ländern des Südens etwas anders ist als unsere. An den Sanktionen beteiligen sich viele dieser Länder nicht. Da müssen wir besser zuhören. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wenn es in anderen Regionen Krisen und Konflikte gibt, interessiere es „den Westen“ ja häufig auch nicht, das wird oft geäußert. Das schildern uns auch lokale FES-Kolleg_innen aus anderen Regionen. Das sind unangenehme Wahrheiten. Die Frage ist, haben wir die richtigen Schlüsse daraus gezogen, beziehungsweise setzen wir diese schon praktisch um? Wir reden zwar jetzt viel über Beziehungen auf Augenhöhe. Ich glaube aber, dass oft noch eine gehörige Portion Misstrauen vorherrscht, ob es diesmal über die rhetorische Ebene hinausgehen wird.

Ein zweiter Punkt: Wir hatten die Pandemie mit ihren wirtschaftlichen Auswirkungen, wir leisten militärische und finanzielle Unterstützung für die Ukraine. Wir haben noch immer eine hohe Inflation. Die Regierungen haben versucht, den Anstieg der Energiepreise für Bevölkerung und Wirtschaft abzufedern. Wir müssen viele Investitionen tätigen, um tatsächlich klimaneutral zu werden. Für all das brauchen wir finanzielle Mittel. Und es besteht die Gefahr, dass die versprochene finanzielle Unterstützung für die Energiewende und die Klimaanpassung im sogenannten globalen Süden hinten runterfällt. Das wäre fatal, denn dann kommt wieder das, was ich vorhin gesagt habe: Rhetorisch sind wir ganz weit vorne und praktisch kommt dann zu wenig. Das ist eine Gefahr.

 

Was sind die aktuellen Trends in der Klimaaußenpolitik und Klimasicherheitspolitik?

 

Claudia Detsch: Auf der einen Seite steht klar die Club Governance. Die UN-Mechanismen sind teilweise durch das Einstimmigkeitsprinzip blockiert. Da suchen wir uns zunehmend Vorreiterallianzen und denken, wenn solche Allianzen gute Ergebnisse liefern, dann werden andere folgen. Das wird derzeit noch mal intensiviert durch Klimapartnerschaften und Partnerschaften für eine gerechte Energiewende. Aber da stehen wir natürlich noch am Anfang. Es kommt auf die nächsten Jahre an. Die Zusagen müssen eingehalten werden. Das gilt für die finanziellen Zusagen und das gilt für den nötigen Technologietransfer. Wir sehen zum Beispiel derzeit bei der Partnerschaft mit Indonesien, dass unterschiedliche Ansichten dazu herrschen, wie die konkrete Umsetzung laufen soll. Die Crux wird die Praxis sein. Wir sind da meiner Ansicht nach mit dem Abschluss solcher Partnerschaften auf einem guten Weg, aber gleichzeitig ist nur mit den Abschlüssen noch nicht viel gewonnen. In den nächsten Jahren müssen wir bei der Umsetzung konkret beweisen, dass sich die Versprechungen auch erfüllen.

 

Kann die zunehmende geopolitische Konkurrenz somit durchaus als Chance betrachtet werden, weil manche Staaten regelrecht umworben werden und Kooperationen somit gleichberechtigter werden könnten?

 

Claudia Detsch: Ich denke, für viele Staaten beispielsweise in Asien, Afrika und Lateinamerika stellt die aktuelle Situation auch eine Chance dar. Sie sind sehr gefragt. Es ist völlig klar, dass unsere Energiewende in Europa oder auch in den USA nur mit den entsprechenden Rohstoffen aus diesen Staaten gelingen kann. Sie können sich ihre Partner praktisch aussuchen. Und deswegen glaube ich, sind sie geopolitisch in dieser Hinsicht in einer komfortableren Situation. Für uns in Europa ist das ein bisschen zwiespältiger, würde ich sagen. Wir wollten die Energiewende mit Erdgas als Brückentechnologie auf den Weg bringen. Das wäre einfacher und kostengünstiger geworden. Das ist jetzt schwieriger. Man sieht das beispielsweise an der aktuellen Debatte rund um die Industriepolitik.  

Gleichzeitig besteht auch die Gefahr, dass die guten Ansätze, die wir in den letzten Jahren hatten, durch wachsende Spannungen und geopolitische Konflikte wieder zunichte gemacht werden. Die Zusammenarbeit bei der Bewältigung von Sicherheitsrisiken durch den Klimawandel ist da ein Beispiel.

 

Ihr Projekt hat in den letzten Wochen unter dem Titel „Keep Cool and Change Course“ für eine andere Politik zu geworben. Welche Kursänderungen müssen wir angehen?

 

Claudia Detsch: Unsere Aktion richtet sich besonders darauf, Zweifel in der Bevölkerung aufzugreifen. Kann man das wuppen? Wird das nicht viel zu teuer? Da bleibt ja kein Stein auf dem anderen. Wir wollen Sensibilität schaffen und sagen: Nichts zu machen, da bliebe erst recht kein Stein auf dem anderen und das würde noch viel teurer. Nichts tun ist wirklich keine Alternative, weil die Folgen massiv wären. Wir wollen die Folgen für uns alle in unserem Alltag und die Auswirkungen auf Arbeit, Verkehr, Wohnen etc. ganz konkret an einigen Beispielen zeigen. Ich finde es wichtig, dabei ehrlich zu sein, nicht das Blaue vom Himmel herunter zu versprechen. Das wird anstrengend und das wird teuer. Aber es wird weniger anstrengend und weniger teuer als nichts zu tun. Zusätzlich zeigen wir, dass es auch positive Effekte geben wird. Wir müssen zum Beispiel unsere Städte umbauen, damit sie besser mit extremen Wetterphänomen klarkommen und zudem weniger Emissionen verursachen. Aber im Ergebnis könnten sie dann auch grüner und lebenswerter sein. Und natürlich müssen Maßnahmen, die wir klimapolitisch anstreben, eng verzahnt werden mit Maßnahmen für mehr soziale Gerechtigkeit. Sonst wird das alles nicht funktionieren. Das sind nicht irgendwelche vereinzelten Stellschrauben. Das betrifft jetzt jede und jeden und natürlich sind die Leute auch verunsichert. Es ist absolut zentral, dass die mit dem schmaleren Geldbeutel nicht allein gelassen werden. Sonst würde die soziale Ungleichheit noch steigen und das Ganze fliegt uns um die Ohren.

 

Aber vielleicht ist auch hier gerade eine Verbindung zum zentralen Punkt der Zeitenwende. Realitäten müssen anerkannt werden. Das ist unbequem und verlangt entschlossenes Handeln.

 

Claudia Detsch: Das auf jeden Fall. Ich glaube, das ist wirklich die große Herausforderung jetzt. Wir reden immer von der Multikrise. Die Leute sind erschöpft. Wir haben aber keine Atempause, sondern es muss mit viel Power weitergehen. Der Klimawandel tritt ja auch immer massiver zu Tage, man schaue sich nur mal die Fülle an Meldungen über Überschwemmungen, Waldbrände, Hitzerekorde der letzten Monate an. Da kann einem schwindlig werden. Diese Herausforderung, auf der einen Seite ehrlich zu bleiben und auf der anderen Seite auch eine positive Vision zu bieten, die ist schon massiv. Wenn die Leute das Gefühl haben, es geht ungerecht bei diesen Veränderungen zu, dann werden sie das nicht mittragen. Wenn sie aber gleichzeitig das Gefühl haben, das kann auch positiv sein, das verändert sich was für mich und ich kann vor Ort Einfluss nehmen, dann setzt man etwas Positives in Gang.

 

Wenn wir von den nötigen Handlungen sprechen, was sollte dabei im Zentrum stehen?

 

Claudia Detsch: Wir müssen beides machen – gegensteuern und uns gleichzeitig vorbereiten Wir müssen uns tatsächlich an den Klimawandel, an den Temperaturanstieg anpassen. indem wir beispielsweise unsere Infrastruktur umbauen und krisenfester machen etc. Auch die Bevölkerung muss besser darauf vorbereitet werden, mit möglichen Katastrophen umzugehen. Diese Frage der Katastrophenvorsorge hat man ja für Europa ganz lange gar nicht großartig diskutiert. Diese Bequemlichkeit ist weg und kommt erst mal nicht wieder. Gleichzeitig dürfen wir natürlich auch in den Anstrengungen zur Emissionsvermeidung nicht nachlassen. Es macht schließlich immer noch einen Riesenunterschied, ob wir einen Temperaturanstieg von 1,7 Grad oder von 3,4 Grad haben werden. Wir sind hier wirklich auf zwei Feldern gleichermaßen stark gefordert. Wir müssen beides machen, zur selben Zeit und unter einem hohen Zeitdruck.

Claudia Detsch leitet das FES-Kompetenzzentrum für Klima und soziale Gerechtigkeit mit Sitz in Brüssel. Zuvor war sie u.a. als Chefredakteurin des IPG-Journals in Berlin und als Leiterin der Nueva Sociedad in Buenos Aires tätig.


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