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Finanzpolitische Umfrage: Mehr Umverteilung wagen

Politische Einstellungen zu Finanzpolitik, Steuern und Gerechtigkeit

 

Die globalen Krisen unserer Zeit haben die Menschen stark verunsichert und die soziale Ungleichheit weltweit verschärft. Regierungen müssen erhebliche Mehrausgaben in ihren Staatshaushalten aufbringen, um die Krisen bewältigen zu können.

 

  • Aber woher soll der Staat die dringend benötigten Mittel nehmen?
  • Durch mehr Staatsschulden? Durch höhere Steuern und Abgaben?
  • Durch Kürzung bestimmter Ausgaben?


Unsere Studie untersucht vor diesem Hintergrund, welches Wissen und welche Einstellungen und Bewertungen zu möglichen staatlichen Finanzierungsinstrumenten in der Bevölkerung vorhanden sind.

Hierzu führte die Meinungsforschungsagentur pollytix strategic research ein zweistufiges Erhebungsdesign durch. Zunächst wurden sechs qualitative Fokusgruppen befragt, darauf aufbauend erfolgte telefonische und online Befragung von 2.140 Wahlberechtigten in Deutschland.

Die Studie zum Download:

Ansprechpartner:innen zur Studie:  Catrina.Schlaeger(at)fes.de und  Martin.Guettler(at)fes.deReferat Analyse und Planung

 

Ansprechpartner für Presseanfragen: Johannes Damian, 030 26935-7038,  Presse(at)fes.de

Glaube an das Leistungsversprechen

Trotz aller Krisen erweist sich der Glaube an das Leistungsversprechen als erstaunlich konstant. Wer hart genug arbeitet, kann in Deutschland auch etwas erreichen – dem stimmen mit 58 Prozent Anfang 2023 noch immer sehr viele Bürger_innen zu. Allerdings zeigen sich soziodemografisch aufgeschlüsselt starke Unterschiede. Männer stimmen mit 62 Prozent etwas häufiger zu als Frauen mit 55 Prozent, Westdeutschemit 59 Prozent häufiger als Ostdeutsche mit 53 Prozent. Besonders ins Auge springt aber die Verteilung nach Alter und Einkommen. Bemerkenswerterweise glauben die Bürger_innen im Alter von unter 40 (62 Prozent) sowie über 60 Jahren (60 Prozent) am häufigsten an das Leistungsverspechen, während die 40- bis 59-Jährigen hier am skeptischsten sind (54 Prozent). Ein deutliches Gefälle zeigt zudem die Verteilung nach Einkommen. Während zwei Drittel der Bürger_innen mit hohem Einkommen an das Leistungsversprechen glauben (68 Prozent), ist es bei den Bürger_innen mit niedrigem Einkommen nicht mal ganz jede_r Zweite (47 Prozent).

Gerechtigkeitsempfinden

Aktuell stimmen nur 43 Prozent der Bürger_innen der Aussage zu, dass es in Deutschland alles in allem gerecht zugeht. Mit 40 Prozent stimmen der Aussage zur Gerechtigkeit in Deutschland jetzt fast genauso viele Bürger_innen explizit nicht zu. Der Aussage, dass es in Deutschland alles in allem gerecht zugeht, stimmen Männer mit 45 Prozent etwas häufiger zu als Frauen mit 40 Prozent, Westdeutsche mit 45 Prozent deutlich häufiger als Ostdeutsche mit gerade einmal 33 Prozent Zustimmung. Das ist der geringste Zustimmungswert der soziodemografischen Detailauswertung. Darüber hinaus zeigt sich, dass unter 40-Jährige mit 47 Prozent und über 60-Jährige mit 43 Prozent häufiger zustimmen als die mittlere Altersgruppe der 40- bis 59-Jährigen mit 37 Prozent. Wenig überraschend steigt die Zustimmung mit dem verfügbaren Einkommen – von 34 Prozent bei den unteren Einkommen auf 49 Prozent bei den hohen Einkommen.

Glaube an das Zukunftsversprechen

Anders als der Glaube an das Leistungsversprechen ist der Glaube an das Zukunftsversprechen keinesfalls intakt. Mit 18 Prozent stimmt nicht einmal jede_r Fünfte der Aussage zu, dass kommende Generationen es einmal besser haben werden als man selbst. Bemerkenswerterweise ist diese Zustimmung in allen soziodemografischen Subgruppen ähnlich gering – unabhängig von Geschlecht, Alter, Einkommen oder Ost-West.

Zukunftskompetenz der Politik

Vertrauensverluste in Politik spiegeln sich in der Bewertung der Problemlösungsfähigkeit der Politik deutlich wider. Die Aussage, dass die Politik in Deutschland in der Lage ist, die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen, erhält mit 39 Prozent nur wenig Zustimmung. Soziodemografisch zeigt sich das schon oben gezeigte Muster auch hier: Die Zustimmung bei Männern (41 Prozent) ist tendenziell etwas größer als bei Frauen (37 Prozent), in Westdeutschland (40 Prozent) höher als in Ostdeutschland (34 Prozent) und in der mittleren Alterskategorie 40 bis 59 Jahre (35 Prozent) geringer als bei den unter 40- sowie über 60-Jährigen (jeweils 41 Prozent). Die im Vergleich größten Unterschiede sind entlang der Einkommenskategorien zu finden.

Zustimmung für mehr Umverteilung

Vor die Wahl gestellt werden, stimmen mit 78 Prozent die überwiegende Mehrzahl der Bürger_innen eher der Aussage zu: „Starke Schultern können mehr tragen, daher sollten Reiche sich auch stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls beteiligen.“ Die gegensätzliche Aussage findet entsprechend weniger Zustimmung. Gerade einmal 16 Prozent entscheiden sich für die Aussage „Reiche haben sich ihr Vermögen hart erarbeitet und sollten nicht durch hohe Vermögen- und Erbschaftsteuern bestraft werden“.

Beim expliziter auf Umverteilung und Ungleichheit formulierten Gegensatzpaar bestätigt sich dieser Befund. 73 Prozent entscheiden sich für eine Zustimmung zu der Aussage: „Für den sozialen Frieden ist es wichtig, dass es in einer Gesellschaft möglichst gerecht zugeht und die Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht all zu groß sind.“ Nur 23 Prozent wählen die Gegenaussage: „In einer freien demokratischen Gesellschaft ist es in Ordnung, wenn einige reiche Menschen sehr viel mehr haben als andere.“

Finanzielle Allgemeinbildung

Viele Bürger_innen schätzen ihr Wissen beim Thema „Steuern und Finanzen“ selbst als gering ein. So stimmen mit 68 Prozent rund zwei von drei Bürger_innen zu, dass das Thema häufig so komplex sei, dass sie nicht alles verstehen würden.Frauen stimmen mit 71 Prozent etwas häufiger zu als Männer mit 65 Prozent. Darüber hinaus steigt die Zustimmung von 67 Prozent bei den unter 40-Jährigen über die Altersgruppen leicht an bis auf 70 Prozent bei den über 60-Jährigen. Der größte Unterschied zeigt sich bei Bildung. Bürger_innen mit niedriger Bildung (74 Prozent) und mittlerer Bildung (73 Prozent) stimmen ähnlich häufig zu, Verständnisschwierigkeiten zu haben. Unter Bürger_innen mit hoher Bildung fällt die Zustimmung deutlich geringer aus, aber mit 60 Prozent immer noch deutlich mehrheitlich.

 

Angesichts der weit verbreiteten Selbsteinschätzung, bei Steuern und Finanzen häufig Verständnisschwierigkeiten zu haben, überrascht es nicht, dass vielen infolgedessen auch eine Positionierung und Bewertung eher schwerfällt. 57 Prozent der Bürger_innen stimmen zu, bei Steuern und Finanzen schwer beurteilen zu können, was gerecht und was ungerecht ist. Frauen geben mit 60 Prozent häufiger als Männer mit 55 Prozent an, sich mit einer Beurteilung schwer zu tun. Die Zustimmung steigt über die Altersgruppen von 56 Prozent bei unter 40-Jährigen und 55 Prozent bei den 40- bis 59-Jährigen an auf 61 Prozent der über 60-Jährigen. Bürger_innen mit niedriger (61 Prozent) und mittlerer Bildung (60 Prozent) stimmen ähnlich häufig zu, Bürger_innen mit hoher Bildung am seltensten, aber mit 51 Prozent immer noch mehrheitlich.

Steuergerechtigkeit

Dass die Einkommensteuer in Deutschland progressiv gestaltet ist, findet als einzige abgefragte Eigenschaft große Zustimmung: 78 Prozent der Bürger_innen finden es eher oder sehr gerecht, dass je höher das Einkommen ist, desto höher die Einkommensteuer ist. Anders fällt die Beurteilung zur Besteuerung von Vermögen aus. Hier bewerten es 56 Prozent als eher oder sehr ungerecht, dass es keine Vermögenssteuer gibt. Noch ausgeprägter ist das Ungerechtigkeitsempfinden bei der ungleichen Erbschaftsteuer. 71 Prozent finden es eher oder sehr ungerecht, dass sehr hohe Erbschaften in Deutschland niedriger besteuert werden als kleine Erbschaften, die über den Freibeträgen liegen. Ganz ähnlich verhält es sich bei der unterschiedlichen Besteuerung von Kapital und Arbeit. Auch hier geben 72 Prozent an, es eher oder sehr ungerecht zu finden, dass im Durchschnitt Einkommen durch Erwerbsarbeit in Deutschland höher besteuert wird als Gewinne am Finanzmarkt.

Erbschaftsteuer

Mit 74 Prozent finden die meisten Bürger_innen überzeugend, dass es wichtig ist, große Erbschaften zu besteuern, um der wachsenden Ungleichheit in Deutschland entgegenzuwirken. Dies ist konsistent zu dem oben schon erläuterten Befund, dass für die Mehrheit der Bürger_innen eine zu weit auseinandergehende soziale Schere als problematisch gilt.

Mit 70 Prozent überzeugt ebenfalls eine deutliche Mehrheit, dass von einer Finanzierung von Pflege, Bildung und Klimaschutz mittels wenn mit einer Erbschaftsteuer alle statt nur Einzelne profitieren. Hier dient der Ausgabenzweck, der sich mit den schon erörterten zentralen Herausforderungen und Investitionsbedarfen deckt, zur Legitimation und stärkt die Überzeugungskraft.

Das überzeugendste Argument gegen eine Erbschaftsteuer ist die Möglichkeit der Kapitalflucht. 60 Prozent sind überzeugt: Wenn Superreiche mehr Erbschaftsteuer zahlen müssen, fliehen sie ins Ausland. In den Fokusgruppen erzeugte dieses Gegenargument noch mehr Überzeugungspotenzial, wenn es von meinungsstark auftretenden Personen vorgetragen wurde.

Vermögensteuer

79 Prozent der Bürger_innen finden es überzeugend, dass alle statt nur Einzelne profitieren, wenn mit einer Vermögensteuer Pflege, Bildung und Klimaschutz finanziert werden. Auch in den Fokusgruppen überzeugen Vermittlung klarer Wirkkräfte sowie der richtigen Rahmung für eine Vermögensteuer. Um das Potenzial der Vermögensteuer greifbar zu machen, bedarf es (alltagsnaher) Beispiele. Wenn deutlich gemacht wird, was durch diese Einnahmen finanziert werden kann, wird zudem ein konkreter Gegenwert salient gemacht, um den Nutzen auch für die Bürger_innen zu verdeutlichen. Klare Kommunikation der Begrenzung und (ausführlich erklärter) niedriger Steuersatz helfen darüber hinaus, möglichen Bedenken zu begegnen und Gegenargumente zu entkräften.

Das Argument, dass ein Prozent Steuern auf sehr hohe Vermögen niemandem wehtut, überzeugt in der repräsentativen Befragung 76 Prozent. Das Argument zu wachsender Ungleichheit ist hier ähnlich überzeugend wie schon bei der Erbschaftsteuer. 74 Prozent geben an, es ist überzeugend, dass die Besteuerung sehr hoher Vermögen wichtig ist, um der wachsenden Ungleichheit in Deutschland entgegenzuwirken.

Hinweise zur Methodik

Die Ergebnisse dieser Studie basieren auf einem mehrstufigen Forschungsprozess, bestehend aus qualitativen und quantitativen Methoden.

In einem ersten Schritt wurden zur Exploration sechs qualitative Fokusgruppen mit unterschiedlichen Zielgruppen und unterschiedlicher Zusammensetzung durchgeführt. Daran anschließend und darauf aufbauend erfolgte in einem zweiten Schritt zur Validierung und Quantifizierung eine bundesweite repräsentative quantitative Befragung vom 7. bis zum 19.1.2023. Die Grundgesamtheit bildete die wahlberechtigte Bevölkerung ab 18 Jahren. Befragt wurden insgesamt 2.140 Personen. Die Daten wurden mittels einer Kombination aus telefonischer und Onlinebefragung erhoben (hybrider Erhebungsansatz). Durchgeführt wurde die Erhebung von pollytix strategic research.


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