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Wie sich struktureller Rassismus in der Krise zeigt.
Bild: von April-Mediengruppe
Anfangs dachten viele Menschen, COVID-19 sei ein Gleichmacher, weil das Virus beim Infizieren nicht nach Berufsstand oder Herkunft unterscheidet. Doch eine Infektionskrankheit ändert nichts an den institutionellen und strukturellen Gegebenheiten. Deswegen trifft die Pandemie keineswegs alle Menschen gleich, auch nicht innerhalb der jeweiligen Altersgruppen. Vielmehr macht die Corona-Krise Privilegien sichtbar, die einem vorher gar nicht bewusst waren, wie eine Krankenversicherung, eine gute Internetverbindung, einen Bildungsgrad, mit dem man den Kindern beim „Homeschooling“ helfen kann, Geld für gesunde Ernährung, ein eigenes Büro oder die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Solidarität heißt in diesem Kontext auch, einen Blick auf die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft zu werfen, die sich beim Lockdown und danach besonders bemerkbar machen. Die Corona-Zeit im Einwanderungsland Deutschland macht vor allem zwei Punkte deutlich:
Bei gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit denken viele vor allem an Antisemitismus oder an Rassismus, der sich gegen Muslime, Schwarze Menschen und Geflüchtete richtet. Antiasiatischer Rassismus dagegen war vielen gar kein Begriff. Nachdem sich das COVID-19-Virus von China aus verbreitet hatte, zeigte sich jedoch schnell, wie beliebig die Zielgruppe wechseln kann: Asiat_innen – ganz egal, ob tatsächlich mit Bezug zu China – wurden plötzlich öfters auf der Straße angepöbelt, für unrein, infektiös und gefährlich erklärt und rassistisch abgewertet. Zahlreiche Menschen haben weltweit in sozialen Medien unter dem Hashtag #ichbinkeinVirus auf stereotype Berichterstattung und rassistische Anfeindungen aufmerksam gemacht, auch in Deutschland. Wie beliebig rassistische Kategorien funktionieren, zeigt sich auch daran, dass die Klischees über Asiat_innen bisher gegenteilig lauteten, nämlich: fleißig, reinlich und höflich. In Internetforen las ich oft: „Warum gibt es eigentlich nie Probleme mit Asiaten und immer nur mit Muslimen?“ Diese Erzählung, die migrantische Gruppen gegeneinander ausspielen soll, haben viele vergessen, als plötzlich gegen Asiat_innen und das „chinesische Virus“ Stimmung gemacht wurde. Rassismus, die Abwertung der Anderen, wird flexibel angepasst.
Um Infektionen zu vermeiden, wurden Schulen über Monate hinweg geschlossen – für alle. Doch auch hier sind die Ausgangsbedingungen und damit die Folgen sehr unterschiedlich: Für manche Kinder und Jugendliche ist das Lernen zu Hause machbar, für andere nicht. Besonders hart ist die Schulschließung für Kinder mit speziellem Förderbedarf und Behinderungen sowie für Kinder aus ökonomisch benachteiligten Haushalten, in denen technische Ausstattung fehlt. Kinder aus zugewanderten Familien, die überproportional oft in ärmeren Verhältnissen leben, haben doppelt das Nachsehen, wenn ihre Eltern nicht genug Deutsch können, um beim Lernen zu helfen. Die dringend notwendige flächendeckende Unterstützung von benachteiligten Kindern fehlt bislang. Aufschlussreich ist auch die Frage, welche Bevölkerungsgruppen besonders häufig in systemrelevanten Jobs arbeiten. Im Lebensmittelgewerbe, in der Nahversorgung, in der öffentlichen Infrastruktur, in Pflege- und Gesundheitsberufen finden sich besonders oft Migrant_innen. Je prekärer die Arbeit, desto höher die Infektionsrate, wie die Situation von Leiharbeiter_innen in Fleischereibetrieben gerade deutlich macht, wo die hygienischen Mindestanforderungen aus Profitgründen teilweise nicht eingehalten werden. Obwohl gerade Migrant_innen das System mit am Laufen halten, kommen sie in den öffentlichen Debatten zu Gesundheitssystem, Wirtschaft und Arbeitsmarkt selten zu Wort. Auch das, fehlende Sichtbarkeit und Empathie, sind aktuelle Hinweise auf strukturelle Diskriminierung von Minderheiten in Deutschland.
Ungleichheit von Bildungschancen, ausbeuterische Arbeitsbedingungen, rassistische und klischeehafte Berichterstattung, Nachteile durch den Aufenthaltsstatus – obwohl Migrant_innen und People of Color vor allem von strukturellem Rassismus betroffen sind, wird Rassismus oft noch mit individuellem Fehlverhalten gleichgesetzt. Die Corona-Krise manifestiert dieses Problem und bietet eine Gelegenheit, diesen wichtigen Aspekt ins Bewusstsein zu rücken: Nur wenn wir die strukturelle Dimension von Rassismus erkennen, können wir Lehren aus der Krise ziehen und die Probleme angehen. Medien können hier einen wichtigen Beitrag leisten und Migrant_innen, ihre Leistungen und Benachteiligungen sichtbar machen.
Über die Autorin
Ferda Ataman ist Publizistin und engagiert sich für eine rassismuskritische Debatte. Sie ist Sprecherin des postmigrantischen Netzwerks "neue deutsche organisationen“ und Vorsitzende der „Neuen deutschen Medienmacher*innen“, der bundesweit größten Vereinigung von Journalist*innen of Color. 2019 hat sie die Streitschrift „Hört auf zu fragen.
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