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Argentiniens Widerspruch

Argentinien bemüht sich um Gelder für die Energiewende, setzt aber weiterhin auf fossile Brennstoffe - ohne die Folgen für die Menschen zu berücksichtigen.



 

Im Oktober haben Lateinamerika und die Karibik im Vorfeld der COP28 in Dubai eine klare und unmissverständliche Forderung gestellt: Das jährliche 100-Milliarden-Dollar-Ziel muss erreicht und das internationale Finanzsystem reformiert werden, damit die Regionen besseren Zugang zu Geldern erhalten, die sie für die Anpassung an den Klimawandel und für dessen Eindämmung dringend brauchen. Im Vorfeld des bevorstehenden Klimagipfels steigen der Druck und die Dringlichkeit, diese Forderungen zu erfüllen und den globalen Klimaschutz wirksam voranzubringen.

Argentinien, das während der COP27 den Fokus stark auf die Finanzierungsfrage richtete, will seine Position auf dem diesjährigen Gipfel mit noch mehr Nachdruck vertreten.

„Die Finanzierungsmöglichkeiten für Entwicklungsländer sind dünn gesät“, betonte Umweltminister Juan Cabandié während der Klimawoche für Lateinamerika und die Karibik (LACCW), die im Oktober 2023 in Panama stattfand. Energieministerin Flavia Royón bekräftigte diese Einschätzung und forderte multilaterale Organisationen auf, den Transformationsprozess des Landes finanziell zu unterstützen.

Argentiniens Forderung nach finanzieller Unterstützung ist zwar mit Sicherheit berechtigt, denn das Land liegt in einer Region, die nur minimal zum Klimawandel beiträgt, aber unverhältnismäßig stark von ihm betroffen ist, doch es gibt dabei einen strittigen Punkt. Argentinien, das zuwiderlaufende Ziele unter einen Hut bringen muss, versucht seine Energiewende durch die Gewinnung von Kohlenwasserstoffen zu finanzieren. Das geht aus dem im Juli vorgelegten nationalen Energiewendeplan hervor.

In Übereinstimmung mit den nationalen Klimazielen (Nationally Determined Contribution, NDCs) setzt Argentinien ambitionierte Ziele: Unter anderem sollen bis 2030 die Nettoemissionen auf 349 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalent begrenzt und bis zum Ende des Jahrzehntes über 50 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden.

Der Finanzierungsplan, der mit Kosten von stolzen 86 Milliarden Dollar verbunden ist, steht und fällt mit den Einnahmen aus dem Export von unkonventionellem fossilem Gas und sieht einen deutlichen „Ausbau des Kohlenwasserstoffkomplexes“ vor. Dies steht im Widerspruch zur Verpflichtung der Regierung zu einer gerechten Energiewende.

 

Vaca Muerta und der „ungerechte“ Übergang

Der argentinische Energiemix setzt beinahe zu 60 Prozent auf Erdgas. Darum ist höchst umstritten, dass gerade Erdgas Teil der Strategie für die Energiewende sein soll. Für Luciano Caratori, der am Centre for Global Climate Change Studies forscht, widerspricht die Nutzung von Erdgas dem Prinzip einer echten Energiewende: „Eines bedeutet die Energiewende mit Sicherheit nicht: die Beibehaltung des Status quo“.

Vaca Muerta in Patagonien ist Argentiniens größte Schiefergaslagerstätte. Es gilt als zweitgrößte unkonventionelle Gasreserve und viertgrößte unkonventionelle Ölressource der Welt und nutzt Fracking - ein Verfahren, das einen hohen Wasser- und Chemikalienverbrauch, Luftverschmutzung, intensive Landnutzung und erhöhte seismische Aktivitäten verursacht. Letztere führen bereits zu Schäden an Wohnhäusern in der Umgebung.

Die Abbauaktivitäten in Vaca Muerta haben auch Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft. Laut einem Bericht der Stiftung für Umwelt und natürliche Ressourcen (FARN) sind die Lebenshaltungskosten für die lokale Bevölkerung „unverhältnismäßig stark gestiegen“. Als Grund wird die Anpassung der Preise an die Gehälter der Ölarbeiter genannt, von denen die meisten auf der Suche nach neuen Jobs aus anderen Provinzen oder aus dem Ausland kommen.

In Vaca Muerta leben 34 indigene Gemeinschaften. Das Nationale Institut für indigene Angelegenheiten (Instituto Nacional de Asuntos Indígenas, INAI) weist darauf hin, dass Unternehmen mit Hilfe staatlicher Konzessionen dieses Gebiet okkupieren, ohne dass die Bevölkerung beteiligt wird.

Nach Aussage der Mapuche-Konföderation von Neuquén, die die Interessen indigener Gemeinschaften vertritt, sind „alle Lebensformen vom Extraktivismus betroffen, nicht nur das menschliche Leben“. Den Gemeinschaften in der Region brächten die Abbauaktivitäten „keinerlei Nutzen“.

Ein markantes Beispiel ist die Situation in Añelo, der „Hauptstadt“ von Vaca Muerta, wo fast 60 Prozent der Einwohner_innen keinen Zugang zu Erdgas haben. Obwohl sich unter Añelo eines der größten Gasvorkommen der Welt befindet, profitiert die Bevölkerung davon nicht. Mehr als die Hälfte der Einwohner_innen ist zum Kochen und Heizen auf Brennholz oder Flaschengas angewiesen.

Ein Jahrzehnt nach Beginn der Abbauaktivitäten fordern die lokalen Gemeinschaften unnachgiebig ihre Rechte ein. Mit Blick auf den bevorstehenden Klimagipfel in Dubai erklärte die Mapuche-Konföderation, sie werde die Entwicklungen auf der COP28 zwar genau verfolgen, verspreche sich aber von dem Gipfeltreffen nicht viel.

Die argentinische Delegation reist mit einer widersprüchlichen Position im Gepäck zu der Konferenz. Einerseits bemüht sie sich um zusätzliche Gelder für eine „gerechte“ Energiewende. Andererseits unterstützt sie weiterhin die Erdgasgewinnung und weckt damit Zweifel, ob sie sich wirklich ernsthaft für positive Veränderungen für die betroffenen Gemeinschaften engagiert.

Wie mit diesem Dilemma auf der COP28 im Endeffekt umgegangen wird, wird den laufenden globalen Diskurs über nachhaltige Entwicklung beeinflussen und als Lackmustest in der Frage dienen, wie ernst es den Ländern ist mit dem Vorhaben, wirtschaftliche Interessen und Umweltgerechtigkeit miteinander in Einklang zu bringen.

 

Aus dem Englischen von Christine Hardung

 


Über die Autorin

Belén López Mensaque ist Multimedia-Journalistin und hat sich thematisch auf den Klimawandel spezialisiert. Sie arbeitet als Fernsehproduzentin, Autorin und Content Creator für soziale Netzwerke bei El Doce in Córdoba, Argentinien. Auch wenn ihr das journalistische Schreiben besonders am Herzen liegt, ist sie immer daran interessiert, sich neue Kommunikationswege zu erschließen.

 

In diesem Jahr arbeiten wir mit Climate Tracker zusammen und unterstützen die junge Journalistin Belén López Mensaque dabei, an deren Programm teilzunehmen. Sie wird von Climate Tracker weitergebildet, berichtet für uns über die COP28 und ist auch bei Veranstaltungen der Friedrich-Ebert-Stiftung dabei.

Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegelt nicht die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.


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