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Dienstag, 01.10.19 18:00 - Volkshochschule Düsseldorf

Das Kapital sind wir: Zur Kritik der digitalen Ökonomie


Terminexport im ICS-Format

Lesung und Podiumsdiskussion

am Dienstag, den 1. Oktober 2019 in der Volkshochschule Düsseldorf

mit Timo Daum, Autor des Buchs "Das Kapital sind wir", und Alexander Vogt, MdL und Sprecher im Ausschuss für Kultur und Medien.

 

FES

Bild: FES

Ruf nach Digitalwende: „Das Proletariat des digitalen Kapitalismus sind wir alle“

Die digitale Technologie hat sich zur maßgeblichen Größe unseres Alltages entwickelt. In Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und für beinahe alle Individuen sind digitale Kommunikationsmittel praktisch nicht mehr wegzudenken. Die Digitalisierung ist im Zuge des rasanten Fortschritts längst schon zum bestimmenden Wirtschaftsfaktor erwachsen und beeinflusst maßgeblich Handlungen, Gedanken sowie Gefühle gleichermaßen.

Zudem revolutioniert die Digitalisierung unser Wirtschaftssystem. Digitale Plattformen wie Google, Amazon und Facebook gehören längt zu den weltweit führenden Wirtschaftsunternehmen. Im digitalen Kapitalismus schafft nicht mehr nur die Produktion industrieller Waren die Grundlage für Kapitalvermehrung, sondern die Macht über Daten und ihre algorithmen-basierte Nutzung durch allgewaltige Internet-Monopolisten. Digitale Plattformen wie Google, Amazon und Facebook gehören längt zu den weltweit führenden Wirtschaftsunternehmen.

In der Lesung aus seinem preisgekrönten Buch „Das Kapital sind wir - zur Kritik der digitalen Ökonomie“ zeichnete Timo Daum im Saal der Volkshochschule Düsseldorf einschneidende Veränderungen auf dem Weg in die neue Ära eines auch postfossilen Kapitalismus nach: Algorithmen werden zu seinen wichtigsten Maschinen, Daten zu deren essenziellen Rohstoffen und Informationen zur begehrten Ware. Ziel ist nicht mehr der gewinnbringende Verkauf von fabrikmäßig hergestellten Produkten, sondern die Organisation von Zugängen zu Wissen und möglichst umfangreichen Informationen über möglichst alles.

Daum skizzierte auf der Veranstaltung des Landesbüros NRW der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Volkshochschule Düsseldorf die Folgen der schon entstandenen Machtkonzentration von Internet-Giganten und warnte vor den entsprechenden Gefahren praktisch nicht zu kontrollierender Auswüchse. Im Gespräch mit dem Landtagsabgeordneten und Sprecher im Ausschuss für Kultur und Medien Alexander Vogt und dem Publikum stellte der Autor unter der Moderation von Katrin Schömann zudem Ideen und Gedanken zu einer positiven, gemeinwohlorientierten  Nutzung von Daten und Technologien in einer weiterhin selbstbestimmten Gesellschaft zur Diskussion.

Das entsprechende Bedürfnis gerade nach Schutz vor „Datenkraken“  verdeutlichte Barbara Kokoska-Thiemann von der ausrichtenden VHS Düsseldorf in ihrem Begrüßungswort: „Ich lebe in einer Welt, von der ich glaube, dass ich bestimmte Prozesse immer noch beeinflusse, und ich möchte das auch weiterhin können.“

Henrike Allendorf von der FES stimmte daraufhin mit der Begründung für die Auszeichnung von Daums Werk als „Das politische Buch 2018“ der Friedrich-Ebert-Stiftung für „Literatur, die sich kritisch mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen auseinandersetzt und richtungsweisende Denkanstöße gibt“, auf den anschließenden Vortrag des Autors ein: „Das Buch ist ein Appell, kritisch zu denken und politisch zu handeln, um den demokratischen Gestaltungsanspruch zu verteidigen.“

Daum leitete mit einer Zeitreise durch die Epochen von Karl Marx im industriellen Frühkapitalismus des 19. Jahrhunderts, des österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter und dessen Theorie von der „schöpferischen Zerstörung“  Mitte des vergangenen Jahrhunderts sowie von der Disruptions-These des US-Wirtschaftswissenschaftler Clayton Christensen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert in die Thematik ein. Der Physiker erläuterte, dass der Kapitalismus schon immer „anders als ein fester Kristall als ein sich wandelnder Organismus entwickelt und selbst transformiert, überraschend wandlungsfähig ist und an Krisen wächst und erstarkt“. Trotz seiner heutzutage abermals „radikalen Veränderung“ sei der Kapitalismus „in seinem Kern gleichgeblieben durch den Drang des Kapitals zu seiner Vermehrung, seine ständigen Suche nach neuen Möglichkeiten und der Veränderung seiner Erscheinungsform“.

Im Zeitalter der Digitalisierung jedoch, sagte Daum weiter, habe sich das grundlegende Szenario verändert: Die Maschinen von einst seien nunmehr Algorithmen, und die frühere Arbeit unzähliger tausend Menschen als Quelle des Mehrwerts für das Kapital würde heute im Netz von Milliarden rund um den Globus durch die Schaffung von Inhalten und Bereitstellung von Wissen geleistet. Dieses gemeinschaftliche Werk der Weltbevölkerung, deren Mitglieder in einer Doppelfunktion als Produzenten und Konsumenten agieren würden, sei die von nur wenigen Personen verwaltete Hauptressource aller Internet-Giganten wie Google, Amazon oder Facebook. „Das öffentliche Gut“,  schlussfolgerte Daum, „ist kolonialisiert.“

„Das Proletariat des digitalen Kapitalismus sind wir alle“, so Daum. Durch den technischen Fortschritt habe der digitale Kapitalismus einen neuen Gesellschaftsvertrag etabliert: Statt Arbeit gegen Geld heiße heute die Devise Daten gegen Bequemlichkeit. Daum bezeichnete die Entwicklung als „Grund für eine Debatte über Alternativen“ und schloss seine Analyse mit der Forderung: „Wie eine Verkehrs- und Energiewende brauchen wir auch eine Datenwende. 75 Prozent der Daten entstehen durch uns User, aber wir wissen nichts darüber, und sie gehören uns auch nicht - wir brauchen eine Kritik der Datengesellschaft.“

So rasant die Entwicklung voranschreitet, so schleppend verläuft noch die Bewusstseinsbildung für die Gesamtproblematik, meinte Daums Gesprächspartner Vogt zu Beginn der anschließenden Podiumsdiskussion. Die wirkenden Mechanismen könnten für alle Folgen haben, die noch gar nicht bedacht seien und noch keine Konsequenzen nach sich gezogen hätten. Auch wenn die Digitalisierung nach und nach durchdringe und die Politik sich Gedanken mache, hinkten die Reaktionen den Prozessen noch hinterher.

Daum nutzte die Debatte zu einem Plädoyer für eine staatlich ermöglichte Nutzung der Daten durch die Gesellschaft selbst. „Eine öffentliche Governance über unsere Daten wäre gut, nach dem Motto: ‚Unsere Daten gehören uns‘. Es geht darum, wie wir die Schätze der riesigen Daten für uns nutzbar machen und gleichzeitig dem Profitkalkül der großen Firmen entziehen. Zur Regulierung wären die EU oder globale Organisationen die richtige Ebene.“ Vogt regte in diesem Zusammenhang außerdem Überlegungen an, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durch Plattformen und Produkte in Konkurrenz zu Facebook und Co. treten zu lassen: „Wir sind nicht handlungsunfähig.“

Daums Dystopie von der Ersetzung der Lohnarbeit als Endziel des digitalen Kapitalismus durch Geschäftsbeziehungen von zig Millionen „Micro-Unternehmern“ zu diversen Plattformen setzte Vogt die Hoffnung auf eine Wiederbelebung des gesellschaftlichen Zusammenhalts entgegen. „Seit den Nuller-Jahren soll zwar alles schneller werden, aber dadurch ist nicht alles auch besser geworden. Eine Lösung kann nur gemeinsam gelingen, und es kann ja auch wieder modern werden, sich zu solidarisieren.“

Eine nachhaltige Renaissance beispielsweise der Arbeiterbewegung hält Daum jedoch nur unter einer Bedingung für möglich: „Die Gewerkschaften können dann progressiv eine gesellschaftliche Rolle spielen, wenn sie sich zu Protagonisten einer Nachhaltigkeitsrevolution entwickeln.“

 

Autor: Dietmar Kramer

Redaktion: Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro NRW


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