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Onlineveranstaltung 24.11. 2022, 18.00 - 19.30 Uhr
Ziel einer feministischen Entwicklungspolitik
Frauen, Männer und Menschen mit anderen Geschlechtsidentitäten sollen gleichberechtigt an Entwicklungsprozessen teilhaben. Mit diesem Anspruch ist das BMZ in die neue Legislaturperiode gestartet. Im Koalitionsvertrag ist der feministische Ansatz im Bereich der Außen-, Verteidigungs-, und Entwicklungspolitik im Sinne des Leitbildes einer Feminist Foreign Policy verankert. Geschlechterungerechtigkeiten sollen aktiv angegangen werden, und Frauen, Mädchen und marginalisierte Gruppen gezielt gefördert werden. Aber was heißt das konkret?
Svenja Schulze, Ministerin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung machte eingangs deutlich „Ziel einer feministischen Entwicklungspolitik ist es, gleiche politische, wirtschaftliche und soziale Teilhabe aller Menschen anzustreben, unabhängig von Geschlecht, Geschlechtsidentität, und sexueller Orientierung.“
Dabei knüpft sie in ihrer Arbeit an eine andere Sozialdemokratin an, die ehemalige schwedische Außenministerin Margot Wallström. Sie habe die 3 R geprägt, die immer noch gelten: mehr Ressourcen und Rechte für Frauen*und bessere Repräsentanz.
„Wie setzt man das um?“ Wirkungsvolle Lieferkettengesetze seien Teil einer Feministischen Entwicklungspolitik. Am Anfang unserer Lieferketten stünden indes schlimme Zustände, von den insbesondere Frauen betroffen sind: prekäre Arbeitsverhältnisse, Gewalt am Arbeitsplatz, Diskriminierung. Eine Regulierung sei enorm wichtig, und komme Anfang 2023 mit dem Lieferkettengesetz, das dann in Kraft trete. Das reiche aber nicht allen, sondern muss auf europäischer Ebene ebenfalls reguliert werden, damit sich die Situation der Frauen verbessere.
Aber die Herausforderungen für eine echte Gleichstellung weltweit sei enorm, so die Ministerin in ihrem Eingangsstatement. Im Durchschnitt verfügen Frauen weltweit nur über 2/3 der gesetzlichen Rechte, die Männern zustehen. Rechtliche Hindernisse z.B. Zugang zu Landrechten oder Zugang zur Erwerbsarbeit, schränken Frauen sehr ein. Auch ökonomische Aktivitäten sind weit weg von Gleichstellung. Eine Milliarde Frauen haben keinen Zugang zu formellen Finanzsystemen, also keinen Zugang zu einem Konto oder die Möglichkeit eines Kredites, eine enorme Einschränkung.
„Ich will hier Mut machen.“
Es lohne sich, den Weg zu gehen. Es sei nachgewiesen, dass Volkswirtschaften erfolgreicher sind, wenn Frauen gleichberechtigter sind. Schulze will sich aktiv weltweit dafür einsetzen, dass Frauen endlich den gleichberechtigten Zugang bekommen. Davon profitieren alle, wenn Frauen Ihr Wissen, ihr Knowhow und ihre Power einbringen können. Wenn man Gesellschaften weiterbringen solle, dann nur mit Beteiligung von Frauen. Es könne nicht auf die Hälfte des Sachverstandes verzichtet werden.
Dabei gehe es um Rechte und Ressourcen, aber auch um Repräsentanz. ‚Warum ist das so wichtig?‘ Es gehe um Mitsprache, um Handlungsfähigkeit, um Beteiligung an den vielen wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen, die schließlich auch Frauen betreffen würden. Und am Ende gehe es darum, Machtstrukturen aufzubrechen, patriarchale Machtstrukturen. „Wenn wir etwas verändern wollen, brauchen wir starke Stimmen und starke Netzwerke.“ Aber damit es nicht abstrakt bleibe, sondern am Ende konkret messbar ist: Am Ende der Legislaturperiode sollen über 90 Prozent aller Projekte im BMZ Gleichstellung zum Thema haben. Projekte, die sich gezielt vorrangig um Gleichstellung kümmern, sollen sich verdoppeln. Das BMZ erarbeite gerade eine Strategie der feministischen Entwicklungspolitik. Wichtig sei es zudem mit NGOs (Nichtregierungsorganisationen) und Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten. Sie sind es, die vulnerable Gruppen besser erreichen. „Was uns alle eint, ist es, die Strukturen zu verändern.“
Diese Ziele können viele unterschreiben. Die Moderatorin des Abends, die Journalistin Cosima Gill, hakt an der Stelle nach:
„Was fehlt? Was greift zu kurz? Was heißt das konkret?“
Mit diesen Fragen leitet sie an die beiden weiteren Referentinnen weiter.
Gisela Burckhardt ist Aktivistin, Gründerin und Vorstandsmitglied von Femnet e.V. und Autorin. Femnet arbeitet vor allem in Bangladesh und Indien. Das seien sehr patriarchale Gesellschaften. Machtstrukturen sind dort in der Hand von wenigen Eliten. Breite Massen hingegen hätten wenig von einer Entwicklung. Im Bereich der Textilindustrie, und hier arbeiten vor allem Frauen in den Produktionsstätten, werden Arbeiter*innen ausgebeutet. Der Lohn ist viel zu wenig, geschlechtsspezifische Gewalt und Kinderarbeit sind keine Seltenheit. Hinzu komme, dass Gewerkschaftsrechte nicht eingehalten werden. ‚All das sehen wir‘, bedeutet, dass wir uns hier sehr wohl der Arbeitsverhältnisse des globalen Südens bewusst sind.
Feministische Entwicklungspolitik muss etwas dagegensetzen, so die klare Forderung von Burckhardt. NGOs und Gewerkschaften müssen vor Ort gefördert werden.
Ihre Ansicht nach werde in den Leitlinien des BMZ zu wenig beachtet, welche Konfliktlinien es gibt. Und diese Konflikte gebe es. Ja, wir hätten zwar ein Textilbündnis, aber wir haben eben auch eine starke Wirtschaftsseite, die u.a. die Unternehmen unterstütze, dort produzieren zu können, und gleichzeitig werden die Frauen ausgebeutet. Das sei ein Widerspruch. Deutsche Unternehmen lassen doch gerade deshalb dort produzieren, weil die Löhne so gering sind, und Sozialstandards sowie Umweltstandards niedriger sind. Das Lieferkettengesetz werde in den Leitlinien des BMZ kaum erwähnt. Das sei aber gerade wichtig. Auch gebe es keine Referenz zur ILO Konvention 190. Diese Konvention gegen geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz wurde bereits vor drei Jahren von der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) unterzeichnet. Die deutsche Bundesregierung habe diese leider noch nicht unterzeichnet. Indes ist die Ratifizierung Teil des Koalitionsvertrages der Ampelregierung.
Burckhardt weist abschließend darauf hin, dass es wichtig sei, dass Entwicklungspolitik keine Worthülse bleibe, sondern sich wirklich was verändere. Die Hoffnung darauf und Erwartungen sind hoch. Bei Projekten des BMZ oder die vom BMZ gefördert werden, sollten Stakeholder vor Ort einbeziehen werden, und zwar auch bereits in die Planung, Das bedeute die wichtige Mitsprache von Anfang an.
Postfeminismus und Dekolonialisierung
Das ist auch ein wichtiges Anliegen von Prof. Christine Löw. Sie ist Professorin an der Universität Gießen, und arbeitet u.a. zu Postfeminismus, Gender Forschung und Dekolonialisierung.
Postkolonialer Feminismus untersuche Intersektion von Neokolonialismus mit Geschlecht, Nationalismus und Sexualität in verschiedenen Bereichen wie Arbeit, Subjektstatus, aber auch Sexualität und Rechten. Diese etwas sperrige Formulierung bedeute nichts anderes als eine radikale Umkehrung von Sichtweisen intersektional benachteiligter Frauen. Seit ca. 30 Jahren gebe es eine starke Verknüpfung zwischen neoliberaler Entwicklung, Verarmung, Militarisierung, aber auch religiösen Fundamentalismen, Ökologiefragen und Demokratie. Frauenempowerment und transformative Visionen analysieren dies, schaffen aber auch neue Vorstellungen von Gesellschaft und Demokratie. Diese Umkehrung von Sichtweisen fehle bisher.
Weitere Kritik gebe es zudem an dem Entwicklungsbegriff selbst. Es sei zu sehr einem linear gerichteten Prozess geschuldet, oft mit dem Westen als Maßstab. Her stellt sich die Frage der Machtasymmetrien: Wer entwickelt wen und wohin?
Und schließlich gebe es aus feministischer Perspektive Kritik an dem Bild der Frau im globalen Süden, das oft reproduziert wird: arm ungebildet und unterdrückt, oder wenn es um Klimawandel gehe als Retterin von Umwelt und Ökosystem. Diese Bilder werde den differenzierten Lebensrealitäten oft nicht gerecht.
Realitycheck
Schulze weist auf die Frage nach dem Realitycheck und den 3 ‚R‘ darauf hin, dass Entwicklungspolitik nicht kurzfristig arbeite. Das sei alles nicht innerhalb eines Jahres umzusetzen. Was aber machbar sei, dass Projekte umgesteuert werden, und stärker darauf geachtet wird, sie an Frauen zu adressieren. Es gebe schon jetzt gute Beispiele, wie in Kolumbien.
80 Prozent der Menschen leben in Autokratien. Wie ist die Reaktion dieser Regierungen, wenn man die 3 R einfordere?
Nicht mit Regierungen, sondern mit NGOs werde dann in den Ländern zusammengearbeitet, um sie zu stärken. Auch Landwirtinnen könne man unterstützen, so Schulze weiter. Solche Projekte seien möglich, ohne Einfluss des Staates.
Frauen müssten bei Projekten ganzheitlich wahrgenommen werden, ergänzt Gisela Burckhardt. Frauen in den Textilfabriken sind zwischen 15 und 30 Jahre alt. Sie sind danach so ausgelaugt, weil sie oftmals 60 Stunden und mehr in all den Jahren arbeiten müssten. Auch die Care Arbeit, d.h. die Fürsorgearbeit für Kinder oder ältere Menschen, müsste mehr in den Blick genommen werden. In jedem Fall sei es wichtig, auf die Bedürfnisse der Frauen zu schauen.
Svenja Schulze berichtet von der Weltklimakonferenz in Ägypten, bei der sie vor Ort war. Frauen leiden mehr unter Klimawandel, und sind vielmehr bei Klimakatastrophen betroffen.
Wie war das Thema bei der Klimakonferenz?
Es stellt sich hier die Frage, wie gehen wir mit den Veränderungen, die jetzt schon da sind, um. Der Begriff ‚Loss and Damage‘, also zu deutsch Verlust und Schaden, erläutert die Ministerin, sei ein wichtiges Thema der Konferenz gewesen. Von der stärksten Erwärmung, Fluten und Trockenheit seien oftmals Länder betroffen, die am wenigstens zum Klimawandel beigetragen hätten. Mit diesen Staaten, den sogenannten V 20 (‚Vulnerable Twenty‘), werde ein gemeinsames Instrumentarium entwickelt, wie man es schaffen kann, soziale Sicherungssysteme zu installieren.
Die G7 -Staaten haben sich mit der V20 – insgesamt 58 Länder - verständigt, einen globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken aufzubauen. Hier gehe es zunächst um Daten, diese auszuwerten, und so aufzubereiten, dass man die Bevölkerung früher warnen kann. Zudem gehe es um ein Sozialsystem, z.B. in Pakistan.
Schlussstatements
Giesela Burckhardt verwies zum Schluss noch einmal auf das deutsche Lieferkettengesetz. Genderaspekte seien dort nicht erwähnt. Das sei ein Manko, es müsse hier nachgearbeitet werden. ‚Ein Lieferkettengesetz ist ein Gesetz‘, und damit nicht freiwillig, so der große Vorteil. Wichtig sei ihr, dass solche gesetzliche Strukturen kommen. Es gehe immer noch um Rechte, Repräsentanz und Ressourcen, so Schulze zum Abschluss.
Burckhardt wünscht sich für die Entwicklungspolitik zudem, dass sie machtkritisch und auch systemkritisch ist, und bestenfalls auch rassismuskritisch.
Auch Löw weist abschließend auf den machtkritischen Bezug hin, und den Ansatz des Intersektionalen Feminismus weiter zu verfolgen. Feministische Entwicklungspolitik eröffne dabei Diskursräume. Sie plädiert zudem dafür, mit sozialen Bewegungen im Globalen Süden zusammenzuarbeiten, und Gelder umzuschichten.
Die Veranstaltung hat auch deutlich gemacht, dass feministische Diskurse durchaus kontrovers sein können. Es sind unterschiedliche Wege zum gleichen Ziel: die Welt besser zu machen. Deutschland kann eine große Rolle international einnehmen, feministische Entwicklungspolitik zu gestalten und dabei große Veränderungen anzustoßen.
BMZ/Feministische Außenpolitik:
FES: Wie feministisch ist feministische Außen- und Entwicklungspolitik
Stellungnahme von FEMNET:
Veröffentlichungen Prof. Christine Löw:
UN:
Erwartungen/VENRO:
TAZ-Artikel:
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