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9 Euro Ticket - Und warum eine Mobilitätswende ökologisch und feministisch sein muss


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Das 9-Euro-Ticket – Warum eine Verkehrswende ökologisch und feministisch sein muss

Die Welt steht vor den Herausforderungen der Klimakrise. Der Verkehr ist einer der größten Verursacher von Treibhausemissionen und dennoch ist Deutschland weiterhin ein „Autoland“: Es gibt 48,5 Millionen Fahrzeugzulassungen, das sind knapp 720 Fahrzeuge auf 1000 Einwohner*innen. Das 9-Euro-Ticket, nur ein Instrument zur Verwirklichung einer ökologischen Verkehrswende, wurde trotz der hohen Verkaufszahlen kontrovers diskutiert. Es brachte so befristet Berufspendler*innen bislang nicht dazu auf das Auto zu verzichten, ermöglichte jedoch Menschen, die sich den ÖPNV sonst nicht leisten konnten, kostengünstige und flexible Mobilität. Unterschiedliche Personengruppen haben unterschiedliche Perspektiven auf das Thema Mobilität. Warum eine Verkehrswende nicht nur ökologisch, sondern auch feministisch sein muss, wurde am 13.09.2022 im Live-Chat des NRW-Landesbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung diskutiert. Moderatorin und Coach, Sina Vogt, führte durch die aufgrund der Corona-Pandemie online durchgeführte Veranstaltung.

Was bedeutet es, die Verkehrswende feministisch zu gestalten? Einen Einblick dazu bot zu Beginn Meike Spitzner von der Abteilung Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik/Wissenschaftliche Koordination „Gender“ sowie des Forschungsbereiches Mobilität und Verkehrspolitik des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie gGmbH. Sie machte deutlich, dass die Verkehrs- und Stadtplanung häufig eine Perspektive einnehme, die sich an einem dominanten gesellschaftlichen Männlichkeits-Modell orientiere (Androzentrismus), damit partikular fokussiert ist statt auf die Vielfalt der Bedürfnisse in der Gesellschaft. Problematisch sei dies vor allen Dingen deshalb, weil gleichzeitig Geschlechtsneutralität, Objektivität und Rationalität von dieser beansprucht werde. Während etwa die Mobilität im Gesamt-Arbeits-Alltag, bei dem die Sorgearbeit nicht abdelegiert wird an andere (meist Frauen) und ausgeblendet werden kann, verschiedenste Wege, räumliche Ziele und Zeiten, zudem mehrerer Personen integrieren muss (z.B. zu Kita, Schule, Erwerbsarbeit, Supermarkt und Abholen eines Kindes von der Schulfreund*in o.ä.), ist die zugrundeliegende Logik von Verkehrsplanung und –politik eine andere, wesentlich schlichtere: Optimierung von Mobilität fokussiert auf vermeintlich „wichtigste“ Strecken (zu Vollerwerbsarbeit, Metropolen, kommerzielle Zentren), auf nicht an Ziele und Zeiten anderer Menschen gebundene Personen, auf nur ein einzelnes, das „wichtigste“ motorisierte Verkehrsmittel. Die implizite Einseitigkeit der ‚normalen’ androzentrischen Sichtweise hat eine unsachgemäße Wahrnehmung und Bearbeitung der Probleme zur Folge. Diese gender-bedingte Belastung von Verkehrsplanung und -politik trifft dadurch alle in der Gesellschaft. Und der Androzentrismus präge zugleich auch die Lösungsstrategien, die auf die Klimakrise reagieren sollen. Die Folge sind irreführende Prioritäten und fehlsteuernde politische Instrumente. Beispielsweise gibt es das Dienstwagenprivileg und die Pendler*innenpauschale für Erwerbsarbeitende, während auf der anderen Seite die ÖPNV-Preise weiter überproportional steigen und es noch immer keine Finanzierungsverantwortung seitens Politik und Wirtschaft für die gesellschaftlich unverzichtbare jährlich erbrachte Versorgungsarbeit gibt, die Frauen un- und unterbezahlt in Deutschland erbringen, welche pro Jahr einem Wert von 825 Milliarden Euro entspreche. „Wäre demnach nicht eine Versorgungspauschale passender als eine Pendler*innenpauschale?“, stellte Spitzner als Frage in den Raum. Das Gender-Mainstreaming, also die geltende rechtlich geregelte Verantwortlichkeit aller professionellen Akteure für aktive Gender-Responsivität, verpflichtet gesetzlich ohnehin zu einer nachhaltigen und feministischen Verkehrswende.

Im Anschluss an diesen wissenschaftlichen Einblick brachte Ye-One Rhie, MdB und mobilitätspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Aachen eine politische Perspektive in die Diskussion ein. Sie wertete das 9-Euro-Ticket als Erfolg, auch, weil jede fünfte Nutzer*in sich vorher nicht mit dem ÖPNV bewegte und die „Flexibilität der Nutzung“ (Nutzbarkeit über alle Tarifgebietsgrenzen hinweg) nach dem günstigen Preis in einer Umfrage als zweithäufigster Grund für den Kauf genannt worden sei. Dies mache deutlich, dass gerade Frauen und Menschen mit geringem Einkommen von dem Ticket profitiert haben. Neben dem besonderen Wegeprofil der Care-Leistenden nannte Rhie auch das subjektive Sicherheitsempfingen von Frauen als einen Grund für eine feministische Verkehrspolitik. Zudem sollten auch Menschen mit Behinderungen und auch Kinder in die Verkehrsplanung miteinbezogen werden. Ein Punkt, den sie abschließend stark machte, bezog sich auf die eingebrachten Perspektiven auf politischer Ebene:. „Es braucht mehr Frauen, die Mobilitätspolitik machen!“.  

Die anschließende Diskussion mit den Teilnehmenden im digitalen Raum drehte sich unter anderem um die Frage, warum das Auto immer noch als das dominante Verkehrsmittel gehandelt wird. Meike Spitzner kritisierte, dass staatliche Förderprogramme zur E-Mobilität nicht auf systematischen Ausbau der klassischen E-Mobilität: des ÖPNV ziele, sondern schlicht auf nur E-Auto-Mobilität, nicht mal Rollstühle-Ladestationen, Aufzüge oder Ähnliches (der Erfolg der E-Fahrräder kam gar „überraschend“ für die Politik). Auch das Dienstwagenprivileg nannte sie als einen möglichen Grund, weshalb das Auto noch immer als Statussymbol gelte und dessen überproportionale Relevanz-Zumessung politisch fortgeschrieben wird. Ye-One Rhie machte deutlich, dass das 9-Euro-Ticket ein wichtiger Ansatzpunkt war, eine Alternative zum Auto zu stärken. „Mit mehr Nutzer*innen ist es für die Politik auch einfacher, Verbesserungen durchzusetzen, weil es am Ende eben auch relevanter für die Wähler*innen ist“, beschrieb sie. Auch Chancen und Risiken der Digitalisierung im Bereich der Mobilität wurden kontrovers diskutiert.

Rhie machte sich dafür stark, dass die Digitalisierung ein gutes Instrument sei, um verschiedene Perspektiven mit einbinden zu können (bspw. durch Auswertung von Bewegungsprotokollen), betonte aber gleichzeitig, dass der Liefer- und Lastverkehr rasant zugenommen habe. „Unser Einkaufsverhalten hat also eine verkehrspolitische Ebene“, so Rhie.  Spitzner sieht die Politik in der Pflicht, entsprechende Instrumente einzuführen, um die strukturelle Erzeugung von Verkehrsaufwand, den die Haushalte und Bürger*innen bewältigen müssen, – Verkehr sei als Aufwand/ Kosten, nicht als Nutzen zu begreifen – aktiv zu reduzieren zugunsten deren Bewegungsfreiheit. Dazu gehören die Verkehrserzeugungsabgabe durch Unternehmen, die Transportwürdigkeitsprüfung, die Verkehrsauswirkungsprüfung und ein emanzipatives Suffizienzrecht der Haushalte als bürgerliches Klimarecht. Lieferverkehr kann genau Hausarbeit entlasten, wenn es um versorgungsrelevante Güter geht. Bisher fehlen hier aber Regulationen, wie zum Beispiel eine Zeitpolitik, die Bündelungen vorschreibt und für nicht-versorgungsrelevante Güter die Auslieferung am gleichen Tag der Bestellung untersagt. Laut Ye-One Rhie könnte ein mögliches Nachfolgeticket für das 9-Euro-Ticket und die dazu zugesagten Subventionen des Bundes den Ländern und Kommunen Spielräume verschaffen um Infrastruktur auszubauen und „Experimentierspielräume“ für kreative Lösungen zu nutzen. Sie machte sehr stark, dass der öffentliche Druck einen großen Einfluss habe und auch die Anstrengungen zu einer feministischen Verkehrswende der SPD unterstützen könne. „Jede Mail oder jede Nachricht auf Instagram, Twitter und Co. führt dazu, dass man zumindest daran erinnert wird, dass Menschen gerne etwas hätten“.

Auch im Laufe der angeregten Diskussion mit vielen Beiträgen über den Live-Chat wurde wieder deutlich, dass die Debatte sich häufig um die Verkehrsmittel dreht und weniger die Bewegungsfreiheit der Menschen in den Mittelpunkt stellt. Ziel einer feministischen Mobilitätswende ist eine nachhaltige Mobilität für alle, und der Abbau von Machtasymmetrien. Für eine nachhaltige und (geschlechter-)gerechte Verkehrswende sind ein kostengünstiger ÖPNV, weniger Verkehrsaufkommen auf den Straßen sowie eine bessere Fahrrad- und Fußgänger*inneninfrastruktur dringend notwendig. Der von Autos dominierte Raum in den Städten muss zumindest in Teilen für Bäume, Straßencafés und Bänke für Begegnungen umgewidmet werden. Eine Teilnehmerin aus dem Chat brachte es zum Abschluss auf den Punkt: „Herzlichen Dank, dass die Veranstaltung online war. Ein ÖPNV-Ticket hätte mich mehr als 30 Euro gekostet.“

Bericht: Theresa Wagner

 


Präsentation

Bild: Header 9 Euro Ticket 3 zu 2


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