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Ein neuer Gesellschaftsvertrag als Schlüssel für gerechten Klimaschutz. Ein Hintergrundbeitrag zur Just Transition von Solveig Dinda und Max Ostermayer
Parallel zum Auftakt der 27. UN-Klimakonferenz in Ägypten kam die SPD am letzten Wochenende zu einem Debattenkonvent in Berlin zusammen. Diskutiert wurde vor allem auch die Transformation zu einer klimagerechten Wirtschaft. Die gesellschaftliche Grundlage für eine ambitionierte Klima- und Transformationspolitik ist eigentlich gegeben: Klimawandel, die Übernutzung natürlicher Ressourcen und Artensterben werden aufgrund ihrer signifikanten Auswirkungen auf alle Lebensbereiche zunehmend als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen. Politische Meinungsumfragen der zurückliegenden Jahre belegen konstant, dass der Bekämpfung des Klimawandels von einer großen Mehrheit der Bevölkerung ein hoher Stellenwert eingeräumt wird.
Trotz dieses Bewusstseins und der signifikanten Risiken durch den Klimawandel, die nicht nur ökologischer Natur sind, sondern auch vermehrt zu sozialen und (sicherheits-)politischen Spannungen führen werden, erscheint das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, laut zahlreicher Stimmen aus der Wissenschaft zunehmend schwerer zu erreichen. An konkreten Politikvorschlägen für einen erfolgreichen sozial-ökologischen Wandel mangelt es nicht. Dass die deutsche Sozialdemokratie das Thema als einen Eckpfeiler für eine zukunftsorientierte Politik begreift und darüber engagiert diskutiert, kann als Beleg dafür gelten.
Aber: Wir stehen gesellschaftlich vor einem Verteilungs- und Koordinationsproblem. Einerseits unterstützen viele Menschen die notwendige Transformation und erwarten entschlossenes Handeln. Gleichzeitig sind viele Menschen nicht gewillt, das eigene Verhalten grundlegend zu ändern und gegebenenfalls sogar zu verzichten, solange sie den Eindruck haben Teil einer kleinen Minderheit zu sein, während andere weiterhin die Vorzüge eines CO2-intensiven Lebens genießen. Manche wiederum befürchten, aufgrund ihrer Anstrengungen zu den Verlierer_innen zu gehören, während andere von den Kosten der Transformation verschont bleiben oder vielleicht sogar davon profitieren.
Gesamtgesellschaftlich befinden wir uns daher in einem Gefangenendilemma. Als Einzelperson hat man zwei Entscheidungsmöglichkeiten: kooperieren oder nicht kooperieren. Ersteres bedeutet, einen Beitrag zur Dekarbonisierung zu leisten, die eigenen Verhaltensweisen und Konsumentscheidungen so zu gestalten, dass sie – würden alle anderen ebenso handeln – das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 Wirklichkeit werden ließen. Alternativ besteht die Möglichkeit, keine grundlegenden Änderungen vorzunehmen und somit nicht nur Mehrkosten, sondern auch Einschränkungen zu vermeiden, welche mit einer wirkungsvollen Dekarbonisierung verbunden wären. Das Dilemma liegt darin begründet, dass eine erfolgreiche Kooperation allen zugutekommt – auch denjenigen, die keinen Beitrag zum Klimaschutz geleistet haben. Im Falle eines Kooperationsversagens kommt es demgegenüber zu einem großen Schaden für alle, auch für diejenigen, die kooperiert haben.
Für viele Haushalte ist der Umstieg auf klimafreundliche Alternativen beispielsweise in den Bereichen Wohnen und Mobilität zunächst mit hohen Investitionen verbunden, die oft finanziell kaum gestemmt werden können. Würden die Klimaziele wegen mehrheitlichem Kooperationsversagens verfehlt werden, hätten jene Haushalte nicht nur vergebens Mehrkosten auf sich genommen – sie wären zudem in einer noch schlechteren Lage, die negativen Folgen des Klimawandels abzufedern: Investitionen in klimafreundliche Alternativen würden ihren finanziellen Spielraum stark einschränken, sodass zusätzliche Belastungen durch Material- oder Gesundheitsschäden und durch Verteuerungen der Grundversorgung von ihnen nicht getragen werden könnten. Vor diesem Hintergrund verwundert es wenig, dass sich die mittlerweile weitverbreitete Besorgnis bezüglich des Klimawandels noch nicht mehrheitlich in Verhaltensänderungen äußert.
Das überträgt sich auch auf die Entscheidung an der Wahlurne, wodurch das Gefangenendilemma sich unmittelbar auf die politische Ebene auswirkt. Die Herausforderung auf politischer Seite ist demnach nicht nur, eine plausible und klimakonforme Lösungsstrategie zu erarbeiten. Es muss gelingen, sie so auszugestalten und zu kommunizieren, dass sie eine faire Verteilung von Transformationskosten und -gewinnen glaubhaft vermittelt und so eine starke Resonanz in der Bevölkerung findet.
Damit Kooperation im nötigen Maße stattfindet, muss der Umstieg auf klimafreundliche Alternativen für die Einzelperson mehr Vorteile bringen, als sich den Anstrengungen zu enthalten – unabhängig davon, was die anderen tun. Als effektivstes Mittel für eine Verschiebung der Anreize gilt, wenig überraschend, die Steuerung durch den Staat. Bekanntermaßen führen Verordnungen in Form von Gesetzen, Auflagen, Steuern und Subventionen dazu, dass bestimmte Handlungen an Attraktivität verlieren oder gewinnen. Klimaschutz geht schon heute einher mit einer Vielzahl an Regulierungen – die CO2-Bepreisung ist dafür ein prominentes Beispiel. Doch wie wir feststellen müssen, reichen die bisherigen Maßnahmen nicht aus, um die nötigen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen ausreichend voranzutreiben und damit die Ausfahrt aus dem zerstörerischen Kreisverkehr zu nehmen. Wir blinken bereitwillig, haben aber unser Lenkrad immer noch auf den falschen Kurs gestellt. Eine eindeutigere und beherztere staatliche Regulierung kann zwar dafür sorgen, dass Klimakosten konsequent internalisiert werden, und sie ist dementsprechend dringend notwendig. Für eine erfolgreiche Kooperation bedarf es jedoch neben der regulatorischen Aktivität mehr sozialstaatlicher Aktivität, die dafür sorgt, dass Klimaneutralität und soziale Gerechtigkeit zusammengedacht werden.
Der gesellschaftliche Zusammenhalt als Basis für gesamtgesellschaftliche Kooperation ist kein Selbstläufer und wird durch gegenwärtige und zukünftige Spannungen zunehmend auf die Probe gestellt. Entscheidend ist also die Frage sowohl nach der Verteilung der Kosten klimafreundlichen Handelns als auch der möglichen Gewinne. Auf der Kostenseite ist deutlich, dass die Internalisierung von CO2-Kosten zunächst reale, sich durch fast alle Lebensbereiche ziehende Preissteigerungen zur Folge haben wird. Davon sind besonders Menschen mit geringen Einkommen betroffen, deren Ausgaben für die Grundversorgung anteilig an ihrem Einkommen deutlich ansteigen werden, wie es bereits in der derzeitigen Gaspreiskrise stark der Fall ist. Wenngleich sich technologischer Fortschritt langfristig mildernd auswirken kann, ist es dennoch eher eine Wunschvorstellung als eine realistische Annahme, dass kurz- bis mittelfristig die enormen Kosten, die bisher (an andere Staaten/in die Zukunft) ausgelagert wurden, vollständig durch Effizienzsteigerungen und andere technologische Lösungen ausgeglichen werden können. Die Frage ist also nicht, ob Kosten steigen werden. Die Frage lautet: Wer trägt sie? Solange ein Ungleichgewicht bei der Verteilung der Kosten zulasten von Bürger_innen der mittleren und unteren Einkommensbereiche besteht, wird ein substanzieller Teil von ihnen sich nicht am Klimaschutz beteiligen wollen, geschweige denn können. Dazu kommt, dass viele Haushalte sich in einer Zwickmühle wiederfinden: Einerseits fehlen ihnen kurzfristig die nötigen Mittel, um in klimafreundliche Alternativen zu investieren, andererseits können sie langfristig die steigenden Kosten ihrer CO2-intensiven Lebensgrundlagen nicht mehr tragen. Eine gerechte Verteilung der anfallenden Belastungen innerhalb der Gesellschaft ist daher entscheidend, um auch Haushalte mit mittleren und kleineren Einkommen für die Transformation zu gewinnen – ohne sie ist eine ambitionierte Klimapolitik nicht mehrheitsfähig.
Während es „Kostenaussichten“ für fast alle Teile der Gesellschaft, besonders für die Geringverdienenden gibt, beschränken sich Gewinnaussichten vorwiegend auf die Vermögenden. Investor_innen und Unternehmer_innen können enorme Gewinne in einer vom Wandel geprägten Marktlage erwirtschaften. Neue Technologien und der daran gekoppelte Absatz neuer Produkte spielen bereits heute eine große Rolle in der Transformation – und der Wandel befindet sich wohlgemerkt erst am Anfang. Rohstoffknappheiten, bedingt durch ökologische und politische Verwerfungen, werden verstärkt auftreten und Spekulationsgewinne für Investor_innen ermöglichen. Die Liste der Gewinnaussichten ist endlos, endlich ist jedoch die Toleranz der Bevölkerung gegenüber dem weiteren Anstieg der Einkommensungleichheiten. Nur wenn durch gesetzliche Regelungen eine sichtbare Gewinnumverteilung stattfindet, die zu einer Minderung der entstehenden Mehrkosten von klimafreundlichem Verhalten und einer spürbaren Entlastung der besonders betroffenen Bevölkerungsschichten führt, wird Kooperation auf allen gesellschaftlichen Ebenen mehrheitlich stattfinden. Die Umleitung von Gewinnströmen wird allerdings nicht genügen, es müssen auch Gewinne direkt dort entstehen, wo klimafreundliches Verhalten stattfindet.
Das Problem dabei ist, dass Dekarbonisierung oft damit einhergeht, etwas anders zu tun, als man es bisher gewohnt ist: die Bahn nehmen statt des Flugzeugs, auch mal zur vegetarischen Alternative greifen, nicht jedes Jahr ein neues Handy kaufen. Die gute Nachricht ist: Sofern Verhaltensänderungen auf individueller Ebene möglich sind, führt das oft direkt zu einer finanziellen Ersparnis. Der Tausch einer internationalen Flugreise gegen den Urlaub im Inland oder das Weglassen eines Wochenendtrips bringt einen unmittelbaren finanziellen Vorteil. Solange jedoch der empfundene Verzicht stärker wiegt, werden viele Menschen ihr Verhalten trotz der Einsparungen nicht ändern. Hier wiederum muss die staatliche Rahmensetzung greifen und dafür sorgen, dass die Einsparungen nicht nur marginal sind, sondern in der Summe spürbar Gewicht haben. Eine Möglichkeit dafür ist: Klimafreundliches Verhalten muss signifikant günstiger werden, beispielsweise durch eine nachhaltige Mehrwertsteuerreform.
Es ist deutlich, dass spürbare Änderungen in der Kosten- und Gewinnverteilung erforderlich sind – nur so kann Klimaschutz zur dominanten Strategie werden, und nur so können enorme Schäden infolge eines ungebremsten Klimawandels abgewendet werden. Auch wenn solche Änderungen über Vergünstigungen anstatt über Verteuerung funktionieren können, erfordern sie auch eine starke Umverteilung zur Mobilisierung der dafür notwendigen Mittel. Aufgrund ihrer deutlichen Auswirkungen auf alle Teile der Gesellschaft stellen sie deshalb einen starken politischen Eingriff dar, der nur akzeptiert wird, wenn Menschen aller Gesellschaftsschichten bei der politischen Entscheidungsfindung aktiv beteiligt werden.
Für eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz müssen Top-down- und Bottom-up-Prozesse ineinandergreifen. Initiativen vonseiten der Regierungsebene wie beispielsweise die Allianz für Transformation sind richtig und wichtig. Der Austausch mit den Spitzen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften und Verbänden zum Thema Transformation und Zukunftsgestaltung bringt unterschiedliche Perspektiven an einen Tisch und verbessert die Aussicht auf Kooperation all derjenigen, die von den Dialogpartner_innen vertreten werden. Allerdings finden in solchen Formaten die Stimmen von Menschen, deren Perspektive nicht ausreichend im gesellschaftlichen Diskurs schon vertreten ist, wie beispielsweise die von Bürger_innen strukturschwacher Regionen, kaum Gehör. Somit haben sehr viele Menschen keine Gelegenheit, die politische Entscheidungsfindungsphase aktiv zu begleiten – stattdessen werden sie mit Ergebnissen konfrontiert, was sich negativ auf ihre Kooperationsbereitschaft auswirken kann. Deshalb braucht es einen Rahmen, der allen die Möglichkeit bietet, sich einen Überblick über die wissenschaftlichen Erkenntnisse und ökologischen Tatsachen zu verschaffen, die eigene Perspektive in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen und somit an der Gestaltung einer Transformationsvision teilzuhaben. Verschiedene Dialogformate wie zum Beispiel Bürgerdialoge und Bürgerräte werden lokal, aber auch in größerem Umfang erprobt und erfolgreich veranstaltet. Fragen nach Form, Konkretisierungsgrad und Umfang des Transformationsdialogs kann und soll dieser Text zwar nicht beantworten. Klar ist jedoch: Bearbeitet werden müssen Fragen zur Verteilung von Lasten und Gewinnen, bezüglich der Rolle des Staates als lenkender Kraft und der Rolle jedes und jeder Einzelnen in der Gesellschaft.
Im nächsten Schritt ist es wichtig, dass die Ergebnisse aus den einzelnen Gruppen mit in die politische Transformationsgestaltung einfließen – nicht als interessante Nebeninformation für die Entscheidungsträger_innen, sondern als wichtige Basis für ihre politischen Strategien. Denn ein derart umfassender Austausch mit der Bevölkerung ist eine große Chance: Er verdeutlicht, welche politischen Rahmenbedingungen tatsächlich das Potenzial haben, Kooperation zur dominierenden Strategie in der Bevölkerung zu machen, und unter welchen Bedingungen eine breite Allianz von Politik und Gesellschaft möglich wird. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein solcher Gesellschaftsaustausch enorm aufwändig ist, wenn er möglichst allen interessierten Menschen die Möglichkeit bieten soll, sich zu beteiligen. Allerdings ist angesichts der massiven ökologischen und sozialen Folgen, die im Falle eines Kooperationsversagens auf uns zukommen, jede gemeinsame Anstrengung zur Überwindung des Gefangenendilemmas von größter Bedeutung.
Der Schlüssel zu mehrheitlicher Kooperation für einen erfolgreichen Klimaschutz setzt sich folglich aus drei Komponenten zusammen: Erstens müssen klimafreundliche Handlungen durch stärkere staatliche Regulierung attraktiv gemacht werden, sodass klimafreundlicher Konsum auch geldbeutelfreundlich wird. Als Zweites muss durch einen umfassenden Gewinn- und Kostenausgleich dafür gesorgt werden, dass einkommensschwache Haushalte sowohl die notwendigen Investitionen zur Reduktion ihres CO2-Fußabdrucks tätigen als auch dauerhaft erhöhte Kosten tragen können. Zugleich wird durch einen sozial-gerechten Ausgleich sichergestellt, dass keine Gewinne auf Kosten anderer erwirtschaftet werden können und dass die Kooperationsbereitschaft bei Menschen aus den mittleren und unteren Einkommensschichten steigt. Damit stärkere Regulierung und Kostenumverteilung von einer möglichst breiten Allianz unterstützt wird, bedarf es drittens eines gesamtgesellschaftlichen Dialogs. Je mehr Menschen sich aktiv an dem Gestaltungsprozess beteiligen, je breiter der Gesellschaftsvertrag angelegt ist, desto mehr Menschen werden auch die verhältnismäßig starken politischen Eingriffe unterstützen und sie in individuelle Verhaltensänderungen übersetzen. Wir sind gefangen im Dilemma, solange wir nur in kleinen Kreisen reden und in kleinem Maße unser Verhalten ändern. Alle drei Aspekte – ein proaktiver Staat, soziale Gerechtigkeit und eine aktive Rolle der Bürger_innen – sind Kernanliegen der Sozialen Demokratie. Gerade deshalb und auch aufgrund ihrer breiten Verankerung in unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus kommt der Sozialdemokratie im Transformationsprozess eine Schlüsselrolle zu. Ihr muss es jetzt gelingen, ihre Grundüberzeugungen in faire Politikkonzepte und eine glaubhafte Kommunikation zu übersetzen und darüber in einen breiten gesellschaftlichen Diskurs einzusteigen.
Die ursprüngliche Version des Gefangenendilemmas, der es seinen Namen verdankt, beschreibt folgende Situation: Zwei Gefangene werden einer Straftat beschuldigt, und die Länge ihrer jeweiligen Haftstrafe richtet sich nach ihren Aussagen in getrennten Verhören. Sollte nur ein Gefangener den anderen beschuldigen, bekommt der Beschuldigte zehn Jahre Haft, während der andere freigelassen wird. Im Falle einer beiderseitigen Beschuldigung bekommen beide eine fünfjährige Haftstrafe. Wenn die Gefangenen jedoch kooperieren und ihre gegenseitige Unschuld bekunden, müssen beide nur ein Jahr lang bleiben. Für beide Gefangene ist es besser, sich gegenseitig zu beschuldigen, unabhängig davon, was der andere Gefangene tut. Die individuell vorteilhaften Entscheidungen der Gefangenen führen jedoch zu einem für sie beide schlechten Ergebnis: Beide müssen für fünf Jahre in Haft – ein Ergebnis, was unerwünscht und doch unter besagten Umständen unvermeidbar ist.
Solveig Dinda studiert Politics, Philosophy and Economics an der University of Exeter.
Max Ostermayer ist Referent für Klima-, Energie- und Umweltpolitik im Referat Beratung der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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