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Griechenland steht im Zentrum des EU-Migrationspakts, doch es fehlen Maßnahmen für eine nachhaltige Integration. Welche Schritte sind notwendig? Ein Gespräch mit Angeliki Dimitriadi von der Hellenic Foundation for European and Foreign Policy
Das Gespräch führte Jolina-Zoe Zarda mit Angeliki Dimitriadi im Rahmen der Internationalen Konferenz „Migration progressiv ausbuchstabieren“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Im September 2024 haben wir uns gemeinsam mit internationalen Vertreter_innen aus Politik, Zivilgesellschaft, Medien und Wissenschaft intensiv mit den drängenden Fragen und Herausforderungen menschlicher Mobilität beschäftigt und progressive Antworten darauf formuliert. Lesen Sie hier alle Beiträge dazu!
Der EU-Migrationspakt wird von einigen als Fortschritt wahrgenommen, von anderen jedoch als unzureichend kritisiert. Besonders Griechenland, als eines der europäischen Hauptankunftsländer für Schutzsuchende, steht im Fokus der Diskussionen. Laut Angeliki Dimitriadi, Leiterin des Migrationsprogrammes bei der Griechischen Stiftung für Europäische- und Außenpolitik (ELIAMEP), dient Griechenland als Pilotprojekt für die Umsetzung des Paktes. Doch was bedeutet das konkret für das Land?
Dimitriadi weist darauf hin, dass Griechenland bereits viele Aspekte des Pakts implementiert hat, doch das Fundament bleibt problematisch. „Der Pakt hält an den Dublin-Regeln fest, was bedeutet, dass die Verantwortung für Registrierung, Asylverfahren und Unterbringung weiterhin unverhältnismäßig auf den Schultern der Grenzstaaten lastet,“ erklärt sie. Diese Asymmetrie könnte bestehende Mängel im griechischen Asylsystem verstärken, anstatt sie zu beheben.
Obwohl Griechenland eine zentrale Rolle bei der Aufnahme von Schutzsuchenden spielt, bleibt der tatsächliche Schutz der Ankommenden oft unzureichend. Dimitriadi hebt hervor, dass Griechenland zwar in Bezug auf internationalen Schutz Fortschritte gemacht habe, jedoch mangele es an Maßnahmen für eine nachhaltige und holistische Integration.
Ein wesentlicher Grund dafür seien die Austeritätsmaßnahmen gewesen, die über ein Jahrzehnt hinweg die Wirtschaft weiter geschwächt haben. „Ohne den Arbeitsmarkt ist es schwierig, ein funktionierendes Integrationssystem zu schaffen, da ein Beschäftigungsstatus von entscheidender Bedeutung ist,“ erklärt Dimitriadi. Ein weiter Grund sei, dass im Land nie in Integration investiert wurde, und es somit wenig Fortschritte in den letzten Jahren gab.
Vor allem der Zugang zu Bildung für Kinder müsse verbessert werden. Außerdem sollte der Ausbau von sozialen Wohnungsbauprojekten und von Berufsausbildungsprogrammen angestrebt werden. Des Weiteren sei es wichtig, Kontrollmechanismen zu entwickeln, damit Fortschritte gemessen werden können und Herausforderungen frühzeitig erkannt werden.
NGO‘s können diese Prozesse erleichtern. „Letztendlich liegt dies jedoch in der Verantwortung des Staates, der auch dafür sorgen muss, dass im ganzen Land derselbe Ansatz angewendet wird,“ verdeutlicht Dimitriadi.
Ähnlich wie andere europäische Länder leidet Griechenland unter starkem Arbeitskräftemangel, insbesondere in der Landwirtschaft und der Tourismusbranche. Die Integration von Migrant:innen könnte eine Lösung darstellen, doch dazu braucht es zielgerichtete Maßnahmen.
Dimitriadi erläutert, dass Griechenland zunächst eine Bestandsaufnahme der Bedürfnisse des Arbeitsmarktes vornehmen müsse. Ohne eine klare Vorstellung davon, welche Berufe und Fähigkeiten am dringendsten benötigt werden, könnten keine wirksamen Synergieeffekte zwischen Arbeitsmarkt- und Integrationspolitik entwickelt werden. Ebenso ist entscheidend zu verstehen, wie sich diese Bedürfnisse zukünftig verändern werden.
Diese Einsichten sollten in Ausbildungsprogramme sowie in Maßnahmen zur Vermittlung und Anerkennung von Qualifikationen integriert werden. Außerdem plädiert sie für eine stärkere Einbindung des Privatsektors.
Die EU-Mitgliedstaaten können Griechenland bei der Bewältigung der Herausforderungen unterstützen. Laut Dimitriadi erfordert der Migrationspakt eine Neuausrichtung der Finanzmittel, damit Integrationsprojekte langfristig gefördert werden können. „Solidarität darf sich nicht nur auf den Schutz der Außengrenzen beschränken,“ betont sie.
Es bedürfe einer längerfristigen Finanzierung von Integrationsprojekten, die über den zweijährigen Förderzyklus des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) hinausgeht. Diese Mittel sollten gezielt auf bestimmte Regionen ausgerichtet und eng mit den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes verknüpft werden, erklärt Dimitriadi.
Deutschland könne hierbei eine wichtige Rolle spielen, da es über umfassende Erfahrung im Bereich der Berufsausbildung verfügt und somit zur Weiterentwicklung des griechischen Systems beitragen könnte.
Die Umsetzung des EU-Migrationspakts in Griechenland verdeutlicht, dass die Aufnahme von Schutzsuchenden und die Gewährung von Schutz nur der erste Schritt ist. Eine langfristige Lösung erfordert solide Integrationsmaßnahmen, die nicht nur auf dem Papier existieren, sondern praktisch umgesetzt werden und einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen.
Ohne ein funktionierendes Integrationssystem wird auch das Potenzial der Migrant:innen ungenutzt bleiben. Es braucht eine klare, langfristige Strategie, die sowohl auf nationaler Ebene als auch mit Unterstützung der EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt wird. Eine nachhaltige Integration kann dabei auch der Schlüssel sein, um den Arbeitskräftemangel abzumildern und den Schutzsuchenden eine langfristige Zukunft zu bieten.
Prof. Dr. Angeliki Dimitriadi ist Senior Research Fellow und Leiterin des Migrationsprogramms bei der Hellenic Foundation for European and Foreign Policy (ELIAMEP). Sie ist Politikwissenschaftlerin und interessiert sich für irreguläre Migration und Asyl, Migrationsaußenpolitik und das Zusammenspiel zwischen Migrationsbewegungen und Politiken der Abschreckung und des Schutzes. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Europa, insbesondere auf den Staaten an der Europäischen Außengrenze und Transitländern (bspw. Türkei). Sie ist Non-Resident Fellow am Global Public Policy Institute, wo sie von 2021 - 2022 als Research Fellow tätig war. Zuvor war sie Visiting Fellow in Residence für Migrations- und Asylpolitik beim European Council on Foreign Relations (ECFR) in Berlin.
Jolina-Zoe Zarda ist Masterstudentin in International Affairs mit Schwerpunkt International Security an der Hertie School, Berlin. Sie hat einen Bachelor in International Relations and Organisations von der Universität Groningen, Niederlande, wo sie ihre Bachelorarbeit über die Auslagerung von UN-Friedensmissionen schrieb. Jolina hat mehrere Monate als Praktikantin bei der FES Athen gearbeitet und arbeitet dort nun weiterhin im Bereich Social Media. Ihr besonderes Interesse gilt Südosteuropa und der MENA-Region.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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