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Überprüfungsforum Internationale Migration: Staaten verabschieden im Konsens Erklärung über Umsetzungsfortschritte. Menschenrechtsberaterin Kate Sheill sieht darin einen großen Erfolg.
Überschattet vom russischen Krieg gegen die Ukraine, wurde im Mai 2022 in New York zum ersten Mal das Überprüfungsforum Internationale Migration (International Migration Review Forum – IMRF) abgehalten. Wie sehen die Ergebnisse dieser Überprüfung aus? Stehen sie im Einklang mit den Menschenrechten oder bleiben sie hinter den Hoffnungen und Erwartungen der Zivilgesellschaft zurück? Zum Anlass des 4. Jahrestreffens des UN Migrationsnetzwerkes wollen wir diesen Fragen nachgehen.
Im Globalen Pakt der Vereinten Nationen für eine sichere, geordnete und reguläre Migration, kurz UN-Migrationspakt (Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration – GCM), der 2018 verabschiedet wurde, ist eine alle vier Jahre stattfindende Überprüfung vorgesehen, beginnend 2022. An dem Überprüfungsforum (IMRF) wirken neben den UN-Mitgliedstaaten auch wichtige Akteure der Zivilgesellschaft und andere nichtstaatliche Träger mit. Jedes dieser Foren soll zum Abschluss eine Erklärung über die bei der Umsetzung erzielten Fortschritte (Progress Declaration – PD) verabschieden. Neben einer Bestandsaufnahme der weltweiten Fortschritte sollen darin die wichtigsten Probleme und Chancen benannt und handlungsorientierte Empfehlungen zur Umsetzung des Migrationspakts unterbreitet werden.
In Vorbereitung auf dieses Forum hat die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) eine Durchsicht der aufeinander folgenden Entwürfe der Fortschrittserklärung unter menschenrechtlichen Aspekten organisiert, um zivilgesellschaftliche und andere Akteure zu informieren und dazu zu befähigen, sich für eine rechtebasierte Erklärung einzusetzen. Nach einer Anhörung zahlreicher unterschiedlicher Akteure und Träger verabschiedete das Forum die endgültige Fortschrittserklärung im Konsens. Zwei Wochen später, am 7. Juni 2022, nahm auch die Generalversammlung diese Erklärung an, ebenfalls im Konsensverfahren.
Die Menschenrechtsberaterin Kate Sheill unternimmt in Zusammenarbeit mit dem Büro der Quäker bei den Vereinten Nationen (Quaker United Nations Office – QUNO) und mit Unterstützung der FES eine erste Analyse der verabschiedeten Erklärung unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte. Darin beleuchtet sie verschiedene Aspekte der Förderung der Menschenrechte durch die Umsetzung des UN-Migrationspakts (GCM).
Verabschiedung im Konsens – ein großer Erfolg
Die einvernehmliche Verabschiedung und Bekräftigung der Fortschrittserklärung durch die UN-Mitgliedstaaten ist in sich schon ein großer Erfolg – in einer Zeit, in der Migration wie auch Multilateralismus unter enormem politischem Druck stehen. Die Staaten haben erneut ihren kollektiven Willen zur Zusammenarbeit bekundet, um zu erreichen, dass Migration nutzbringend für alle ist, indem sie unter anderem die Menschenrechte aller Migrant_innen bekräftigten und betonten, das eine sichere, geordnete und reguläre Migration notwendig ist und dass alle diese Anstrengungen im Zuständigkeitsbereich der Vereinten Nationen stattfinden müssen. Die Erklärung geht nicht so weit, wie es notwendig wäre, um für alle Migrant_innen eine sichere, geordnete und reguläre Migration zu verwirklichen, und sie geht auch nicht so weit, wie QUNO es sich gewünscht hätte. Es ist erfreulich, dass verschiedene Staaten in ihren Erläuterungen zum Abstimmungsverhalten nach Verabschiedung der Erklärung diese Ansicht ebenfalls zum Ausdruck brachten.
Staaten stellen sich hinter den UN-Migrationspakt (GCM)
Es ist von großer Bedeutung, dass die Fortschrittserklärung den Migrationspakt von 2018 für eine sichere, geordnete und reguläre Migration und seine zehn Leitprinzipien bekräftigt. So soll sichergestellt werden, dass die auf dem Überprüfungsforum (IMRF) vereinbarten Maßnahmen die bestehenden Rahmenbestimmungen ergänzen und dass Elemente, die in der Erklärung nicht ausdrücklich erwähnt werden, nicht aus den künftigen Arbeiten ausgeschlossen sind. Diese Bekräftigung wurde zwar von einigen Staaten aus der Minderheitsgruppe, die dem Migrationspakt nicht beigetreten war, bestritten, aber es hätte keine Fortschritte geben können, wenn die Staaten es nicht geschafft hätten, den Migrationspakt nur vier Jahre nach seiner Verabschiedung zu bekräftigen.
Die wichtigsten Spannungen
In der Fortschrittserklärung spiegeln sich einige der großen Spannungsfelder wider, die derzeit im Bereich der Migrationssteuerung zu beobachten sind. Besonders deutlich ist der Gegensatz zwischen der Ansicht bestimmter Herkunfts- und Zielstaaten, Migration stelle eine positive Kraft dar, die es zu fördern gelte, und der Ansicht anderer Zielstaaten, Migration, insbesondere auf irregulären Wegen, sei eine Herausforderung, die es einzuschränken oder zu verhindern gelte. Diese Gegensätze – Fokussierung auf Einzelpersonen/Migrant_innen einerseits und Fokussierung auf den Staat andererseits – ziehen sich durch die gesamte Erklärung hindurch.
Eine auf den Menschenrechten basierende Erklärung?
Sicherzustellen, dass die Fortschrittserklärung sich auf die Menschenrechte stützt, war ein vorrangiges Anliegen von QUNO, und auch einige Staaten betonten dies im Verlauf der Verhandlungen. Die daraus hervorgegangene Erklärung bekräftigt, dass alle Migrant_innen Träger_innen von Rechten sind und dass sie in der Lage sein sollten, ihre Menschenrechte ungeachtet ihres Migrationsstatus wahrzunehmen. Außerdem wurde die Verpflichtung der Staaten zur Achtung, zum Schutz und zur Verwirklichung ihrer Menschenrechte und Grundfreiheiten bekräftigt.
Ferner wird in der Erklärung anerkannt und bekräftigt, dass die maßgebliche Beteiligung von Migrant_innen von zentraler Bedeutung für ein rechtebasiertes Vorgehen und unverzichtbar ist, um sicherzustellen, dass die ergriffenen Politikmaßnahmen den vielfältigen und unterschiedlichen Bedürfnissen der Migrant_innen Rechnung tragen. Dazu gehört auch die umfassende, gleichberechtigte und aktive Beteiligung von Frauen an Politikdiskussionen, Durchführungsmaßnahmen und Überprüfungen in allen sie betreffenden Angelegenheiten. Die Erklärung enthält jedoch auch Elemente, die verstärkt auf das Entwicklungspotenzial von Migration für einzelne Staaten oder einen Ansatz der „Versicherheitlichung“ abzielen.
Rassismus, Prekarität und Regularisierung
Die Fortschrittserklärung hätte hier zwar etwas deutlicher sein können, aber immerhin wird der im Migrationspakt behandelte Zusammenhang zwischen Migrationssteuerung und Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängender Intoleranz ausgeweitet durch neue Hinweise auf systemischen Rassismus. Hinzu kommt, dass in den Formulierungen der Erklärung der seit Jahren erhobenen Forderung von Aktivisten Rechnung getragen wird, dass die Prekarität, der Migrant_innen ausgesetzt sind, (vor und während der Migration, auch im Transit zwischen einzelnen Stationen), im Wesentlichen als situationsbedingt zu betrachten ist und nicht als inhärentes Merkmal von Migration. Zunehmend verstehen und akzeptieren die Staaten, welche Rolle sie bei der Entstehung und Verschärfung solcher Situationen besonderer Vulnerabilität spielen und wie sie diese verhindern und abmildern können. Erwähnenswert ist auch, dass die Erklärung weiter geht als der Migrationspakt, weil sie im Hinblick auf den Ausbau und die Diversifizierung der Migrationswege von Regularisierung spricht – ein Begriff, der im Migrationspakt fehlt.
Noch ausstehende Fortschritte
Trotz der Dialoge im Vorfeld des Überprüfungsforums und einer nachdrücklichen Aufforderung seitens des UN-Generalsekretärs in seinem Bericht taten sich die Staaten schwer damit, sich auf konkrete Handlungsverpflichtungen zur weiteren Umsetzung des Migrationspakts zu einigen. Sie sahen sich auch nicht in der Lage, für die Migrationssteuerung wichtige Begriffe zu benennen, insbesondere „Firewalls“, Non-Refoulement, Ausschiffung und Bemühungen um die Beendigung von Einwanderungshaft.
Bedauerlicherweise finden sich in der Fortschrittserklärung mehrere Fälle schädlicher, gegen Migrant_innen oder ihre Rechte gerichteter Narrative. Obwohl die Staaten darin die Notwendigkeit eines faktenbasierten öffentlichen Diskurses und der Vermeidung irreführender Narrative bekräftigten, stellten einige von ihnen generell eine Verbindung zwischen Migration und Kriminalität her und nutzten im Hinblick auf die Klimakrise das Schreckensszenario großer Migrationsströme. Entsprechend wird zwar die Gendergerechtigkeit als Leitprinzip des Migrationspakts bekräftigt, aber es fehlt ein Paragraph, der sich ausschließlich mit Migrantinnen beschäftigt. Dass es in der Erklärung nicht gelungen ist, in adäquater Weise auf Migrantinnen einzugehen, ist besonders auffällig, weil darin ja anerkannt wird, dass die Hälfte der offiziell erfassten Zahl von Migrant_innen Frauen sind. Wenn in der Erklärung von Migrantinnen die Rede ist, dann in einer Art und Weise, die den Bemühungen um die Verwirklichung der Rechte und Handlungsmöglichkeiten von Frauen eher schadet, etwa, weil sie als Ausnahme hervorgehoben werden, ihre Mutterrolle in den Vordergrund gestellt oder eine auf Rechtsverletzungen basierende Verwundbarkeitsrhetorik bemüht wird. Allerdings ist die Feststellung wichtig, dass zwar die Aussagen zu Diversität in der Erklärung schwach formuliert sind, dass jedoch der Hinweis auf vielfältige und sich überschneidende Formen der Diskriminierung beibehalten wurde.
Ferner enthält die Erklärung keine ausreichende Verpflichtung der Staaten zur Beendigung der tödlichen Nichtbeachtung von Migrant_innen auf ihrer Migrationsroute. Dadurch wird die Aufgabe, Hilfe zu beschaffen, den einzelnen Migrant_innen aufgebürdet, anstatt die rechtlichen Verpflichtungen des jeweiligen Staates hervorzuheben.
Was die Klimakrise betrifft, so wiesen mehrere Staaten zwar in ihren Reden und Zusagen auf den Klimawandel hin, und es gab während des Überprüfungsforums zahlreiche Begleitveranstaltungen zu diesem Thema. Dennoch war kein gemeinsamer Wille erkennbar, bei der Auseinandersetzung mit den vielfältigen Zusammenhängen zwischen nachteiligen Folgen der Klimakrise und Migration beziehungsweise Migrant_innen Fortschritte erzielen, zum Beispiel durch Aussagen über Ausgleich für erlittene Verluste und Schäden.
Fazit
Die Fortschrittserklärung wird den Erwartungen der zivilgesellschaftlichen Akteure nicht gerecht. Sie hatten sich eine Erklärung erhofft, die auf dem UN-Migrationspakt aufbaut und dabei nicht nur die während seiner vierjährigen Umsetzung gewonnenen Erkenntnisse einbezieht, sondern auch die Herausforderungen durch die globale Pandemie sowie klare Zusagen der Staaten, Defizite bei der Umsetzung durch gezieltes Handeln zu beheben. Da viele der empfohlenen Maßnahmen nur vage formuliert sind und konkrete Zeitvorgaben fehlen, lässt sich weniger klar erkennen, was die Staaten tatsächlich tun werden. Allerdings bietet dies auch eine Chance für die Akteure der Zivilgesellschaft, die empfohlenen Maßnahmen der neuen Erklärung und auch die weiteren Arbeiten im Rahmen des Migrationspakts entsprechend auszulegen und mitzugestalten.
Die längere Originalversion dieser Analyse wurde im August 2022 auf der Website von Quaker United Nations Office veröffentlicht.
Kate Sheill, die den Text für QUNO verfasst hat, ist eine unabhängige Beraterin mit über 20 Jahren Erfahrung in der internationalen Menschenrechtsarbeit. Sie ist Forscherin und Aktivistin mit Fachkenntnissen in den Bereichen Frauenrechte, sexuelle Rechte und Migrant_innenrechte. Sie hat für die Global Alliance Against Traffic in Women (GAATW), Amnesty International (Internationales Sekretariat) und Anti-Slavery International gearbeitet und war als Beraterin für NRO und internationale Organisationen wie die ILO, das UNDP und das OHCHR tätig.
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