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Keine Freiheit ohne Gleichheit! Ein Beitrag von Oliver Schmolke, Abteilungsleiter Leitung und Planung im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
Dieser Satz manifestiert den normativen Fortschritt der Moderne. Die großen bürgerlichen Freiheitsrevolutionen waren immer zugleich Aufbrüche im Namen der Gleichheit. In der alten Ständegesellschaft hatte Freiheit eine kategorisch andere Bedeutung. Die "Freien", das waren die Privilegierten, die keine Rechte, sondern Vorrechte hatten. Rechtliche und politische Gleichheit zu erkämpfen, war die erste Voraussetzung für die universelle Geltung der Freiheit, wie wir sie heute verstehen. Die zweite Bedingung war soziale Gleichheit. Denn wer sieben Tage die Woche bis an den Rand des körperlich Erträglichen ausgebeutet wurde und trotzdem im Elend lebte, wer bei Krankheit ausgesondert wurde wie ein unbrauchbar gewordenes Produktionsmittel, der genoss keine Menschenrechte und auch keine fassbare Freiheit. Deshalb ist der Kampf um mehr soziale Rechte ein ebenso notwendiger Kampf um die Bedingungen universeller Freiheit
Weniger beachtet, aber nicht weniger entscheidend ist die andere Seite der Wechselbeziehung. Ansprüche auf soziale Versorgung und auf Schutz gab es immerhin auch in den vormodernen Gemeinschaften. Sie gingen aber regelmäßig einher mit der Preisgabe individueller Autonomie. Der Vertrag lautete auf Sicherheit gegen Unterwerfung. Systeme der autoritären Versorgung, die den Menschen als passiven, unmündigen Empfänger von Fürsorgeleistungen der Obrigkeit sehen, haben sich in den Diktaturen der Moderne erhalten. In diesen Staaten aber haben die Machthaber offenkundig das Privileg, die Abhängigen aus der Gemeinschaft auszustoßen, wenn sie aufmüpfig werden. Untertanen haben generell keine Rechte, sie sind immer nur Objekte von Gunstbezeugungen, die jeder Zeit entzogen werden können.
Auch dieser Satz ist also eine für die demokratische Moderne unaufgebbare Norm. Freiheit ist heute ein in der öffentlichen Debatte nahezu verschütt gegangener Schlüssel zu "mehr Gleichheit". Alle ihre Dimensionen sind von großer Aktualität:
Autoritäre Herrschaft verachtet nicht mehr nur in den notorischen Unterdrückungssystemen Nordkoreas, des Iran, der Arabischen Halbinsel, Weißrusslands oder Lateinamerikas die Gleichheit. Neue Gewaltherrschaft hat sich auch der Länder bemächtigt, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Versuche der demokratischen Emanzipation unternommen haben, Russlands, der Türkei, der Länder des arabischen Frühlings. China bleibt trotz kapitalistischer Entwicklung eine Großmacht der Privilegienherrschaft und der politischen Ungleichheit. Die USA erleben einen vom Fieber des rechten Ressentiments gegen Muslime, Mexikaner, Frauen- und Schwulenrechte erfassten Präsidentschaftswahlkampf. In der Europäischen Union prosperieren politische Bewegungen, deren neuer aggressiver Nationalismus einher geht mit Forderungen nach Entrechtung von Minderheiten. Die extrem fanatisierte Ideologie der Ungleichheit ist nicht zuletzt dem islamistischen Terrorismus eigen, der willkürlich ausgewählte "Ungläubige" exekutiert, Frauen versklavt und emotional abhängige Teenager in menschliche Bomben verwandelt. Auf allen diesen Schauplätzen geht es um die Verteidigung der Freiheit, damit gleiche Rechte auf Leben, Integrität und persönliche Entfaltung möglich werden.
Zur politischen Freiheit ist auch die noch verspielt erscheinende Auseinandersetzung um die Kontrolle digitaler Technologien zu rechnen. Eine Gesellschaft der Gleichen kann keine technologische Entmündigung bei der Generierung, Verwaltung und Verwendung persönlicher Daten dulden. Eine digitale Welt, in der die Bürger zu dummen Usern herabsinken, die außer der bunten Benutzeroberfläche vom tiefen System der Datenkontrolle nichts begreifen, ist eine zugleich unfreie und ungleiche Welt. Monopolisierte Steuerung und Manipulation von Verhaltensweisen, Akkumulation von Machtchancen und von Kapital werden die Ungleichheit verschärfen. Daher geht es um digitale Aufklärung und Autonomie, um offene Systeme, in denen jeder Bürger über seine eigenen Daten selbst bestimmt. Ein Mehr an Datenfreiheit und Datensouveränität stärkt die Gleichheit.
Immer war es so, dass sich soziale Gleichheit in der demokratischen Moderne an sozialen Grundrechten festmacht. Diese Rechte sollten allgemein und für alle gelten, niemanden stigmatisieren oder in konformes Verhalten zwingen. Das gibt ihnen den emanzipativen Charakter. Das Recht auf Bildung ohne Gebühren öffnet die Lebenswege. Das Recht kollektiver Interessenvertretung ermöglicht bessere Verteilungschancen beim Wohlstandszuwachs. Sozialversicherungen ermöglichen eigentumsgleiche Leistungsansprüche. Die Grundsicherung ist angelegt auf Förderung zu neuer Erwerbsarbeit. Immer soll der Bürger aktiv handelndes Subjekt seiner Lebensentscheidungen sein. Ungleichheit schleicht sich in den Sozialstaat dann ein, wenn er nur noch als Minimalversorgung für "ausgesteuerte" und abgeschriebene Menschen gedacht ist. Das wäre die Falle eines "Grundeinkommens", das die Vordenker einer Privatisierung des Sozialen als Ersatz für aktive Sozialpolitik anpreisen. Bedingungslos ist es nicht. Denn die Bedingung für den Bezug dieser Abfindungszahlung ist es, Ruhe zu geben und keine weiteren Ansprüche an den Sozialstaat mehr geltend zu machen.
Das Leitbild der sozialen Demokratie ist die Gesellschaft der freien und gleichen Bürgerinnen und Bürger. Wo aber der heute überall erkennbare Angriff auf Freiheit und soziale Autonomie hingenommen wird, wächst auch die Ungleichheit.