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Sie leidet - er deutet

In der Corona-Krise werden vor allem Männer um Stellungnahmen gebeten - Frauen werden dagegen in den Medien eher als "Betroffene" dargestellt.

Bild: von April-Mediengruppe

Mein Feld als Schriftstellerin und Journalistin ist der Kultur- und Medienbereich, deshalb an dieser Stelle etwas zum Corona-Backlash auf diesen Gebieten. Seit Beginn der Pandemie sind es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, vor allem männliche Intellektuelle, die von den Medien sowie den Verlagen um Krisendeutung gebeten werden.

Mansplaining auch in Corona-Zeiten

Wieder einmal treten Frauen, wenn sie vors Mikro geholt werden, eher als „Betroffene“ auf („Wie machen Sie das denn jetzt mit dem Homeoffice und dem Homeschooling?“), Männer hingegen als Erklärer. Sie sind es nun, die, eigentlich genauso im Dunkeln tappend wie ihre Kolleginnen, zu großen globalpolitischen Mutmaßungen ausholen und entweder den Virologen-Insider oder den Politikberater mimen. Viele dieser Überlegungen sind erratisch und nach zwei Wochen wieder Matsch (Schnee gibt es ja nicht mehr!) von gestern. Doch an Selbstbewusstsein, um mal schnell zu Kritik an „den Virologen“ und „der Bundesregierung“ auszuholen, fehlt es nicht.

Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist auch der Titel eines der ersten Bücher von Intellektuellen zu Corona: Trotzdem, von Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge. Zuvor wurde ein ähnliches Vorhaben einer Hamburger Kollegin mit Verweis auf diese geplante Publikation der beiden „wichtigen Männer“ von verschiedenen Verlagen abgelehnt. Ein anderer Corona-Schnellschuss war der Titel „Corona und wir“ (Sammelband mit Essays): Nur ein Viertel der Essays stammte aus der Hand von Frauen. Wenn Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung beklagt, dass der Kreis der Intellektuellen überschaubar sei, die sich bisher zu Corona öffentlich zu Wort gemeldet haben, dann fehlt bei ihm eine Überlegung dazu, woran es liegen könnte, das man immer nur die gleichen Stimmen vernimmt.

Die Corona-Krise und das Nadelöhr der öffentlichen Aufmerksamkeit

Es gibt weniger zu verteilen, und bei dem, was es zu verteilen gibt, werden vorwiegend nur die eh schon arrivierten, altbekannten Namen und Gesichter bedacht. Und das sind nach wie vor viel mehr Männer als Frauen. Die verschärfte Konkurrenzsituation bedeutet, dass es weniger auf Gedankentiefe, Originalität und Sensibilität in der jeweiligen künstlerischen Disziplin ankommt als auf ein großes Ego, auf „Kontakte“ und – ganz wichtig – Zweifelsfreiheit. Wer sich nicht sicher ist, ob die eigenen Ideen für einen Essay über die EU „nach Corona“ wirklich schon ausgegoren sind, ob man nicht ein paar Monate abwarten sollte, bevor man schon jetzt ein Buch über die sozialpolitischen Folgen von Corona veröffentlicht oder ein Statement darüber, was die Schulen „nach Corona“ alles unbedingt anders machen sollten, der hat das Nachsehen. Schnell schießen ist angesagt, Thesen- und Meinungsfreudigkeit. Wer zaudert und zögert, der kommt nicht dran.Natürlich besteht diese Konkurrenzsituation ebenso zwischen den Geschlechtern und betrifft auch die leiseren Männer. Einen Castorf hört man immer poltern. Eine Aufgabe der Medien wäre, gezielt auch die Kulturschaffenden anzusprechen, die sich nicht nach vorn drängen und doch manchmal mehr zu sagen haben. Gerade, wenn sie derzeit zwischen Homeoffice und Homeschooling hin- und hergerissen sind.

 

Über die Autorin

Tanja Dückers ist Schriftstellerin und Journalistin.


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