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In unserem Auftrag hat das Meinungsforschungsinstitut Civey vom 3. bis 6. Juni 2022 online 2.500 Bürger:innen befragt.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist eine Zäsur für die Europäische Friedens- und Sicherheitsordnung. Nach mehr als 75 Jahren herrscht wieder Krieg in Europa. Tod, Flucht und Vertreibung gehören seitdem zur politischen Realität der Ukrainer:innen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat mit seiner Rede im Bundestag am 27. Februar 2022 eine Zeitenwende für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik verkündet. In einer repräsentativen Umfrage hat das Meinungsforschungsinstitut Civey in unserem Auftrag 2.500 Bürger:innen vom 3. bis 6. Juni zu ihren Einstellungen zur Außenpolitik befragt.* Die zentralen Ergebnisse stellen wir hier vor.
* Die Daten wurden im Civey-eigenen Online-Panel mit verifizierten Teilnehmenden erhoben. Die Ergebnisse sind unter Berücksichtigung des angegebenen statistischen Fehlers repräsentativ für die Grundgesamtheit. Zum großen Teil stammen die hier gestellten Fragen aus der sicherheitspolitischen Umfrage, die die Friedrich-Ebert Stiftung in 14 Ländern des OSZE-Raums hat durchführen lassen, darunter Russland, die USA, Ukraine, Deutschland und Frankreich. Diese Ergebnisse des "Sicherheitsradar 2022" finden Sie hier:
Der Begriff der Zeitenwende ist in aller Munde. Doch was wird mit ihm eigentlich verbunden? In erster Linie geht mit dem Begriff der „Zeitenwende“ für die Befragten eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts (56%) einher. Dahinter folgt mit 45% das Verständnis, dass die Zeitenwende eine neue Russlandpolitik mit sich bringt. 42% der Befragten verbinden mit ihr das Ende der deutschen pazifistischen Haltung sowie eine geringere Energieabhängigkeit (39%). Hinsichtlich der Wahlpräferenzen zeigen sich zwischen den Parteianhänger:innen der politischen Mitte nur geringfügige Unterschiede.
Unbestrittener Konsens ist nach Meinung der Befragten, dass sich Deutschland für eine Entspannung in der internationalen Politik und friedliche Eindämmung von Konflikten einsetzen sollte (86% Zustimmung). Diplomatische Verhandlungen werden eindeutig als das wirksamste Mittel der Krisenbewältigung gesehen (87%). Etwas mehr als die Hälfte halten wirtschaftliche Sanktionen (55%) und nur 22% militärische Eingriffe für effektive außenpolitische Instrumente. Der Einsatz von zivilen Mitteln wird damit in der Bevölkerung für deutlich wirksamer gehalten als andere Wege.
Nochmal explizit nach dem militärischen Eingreifen in Konflikte gefragt, lehnen dies zwei Drittel der Befragten ab, während 30% einer militärischen Beteiligung Deutschlands zustimmen, wenn diese notwendig wäre. Überraschend ist, dass mehr als die Hälfte der Grünen-Wähler:innen militärische Eingriffe befürworten. Bei CDU und FDP-Anhänger:innen verringert sich dies jeweils auf etwa ein Drittel, bei SPD-Anhänger:innen schrumpft dies nochmals auf ein Viertel.
Die mehrheitliche Ablehnung militärischer Eingriffe und die eindeutige Befürwortung von Diplomatie bedeuten aber keine grundsätzliche pazifistische Haltung. So sprechen sich knapp zwei Drittel der Befragten für eine Erhöhung der deutschen Militärausgaben aus und ebenfalls knapp zwei Drittel unterstützen den Aufbau einer schlagkräftigen EU-Armee, um gegen andere Supermächte bestehen zu können. Der Vorrang von Diplomatie als Mittel der Konfliktbeilegung soll aus einer neuen Position der militärischen Stärke erfolgen, auch wenn diese im Verständnis der Befragten nicht zu einem interventionistischen Kurs führen soll.
Die Debatte um „Werte vs. Interessen“ ist auch virulent in der Ausgestaltung einer Außenpolitik post Zeitenwende. Drei Viertel der Befragten stimmen der Aussage zu, dass die Bundesrepublik außenpolitisch uneingeschränkt die eigenen Interessen vertreten sollte, während 20% diese Haltung ablehnen. Im Osten Deutschlands bekräftigen 82% das Verfolgen eigener Interessen, im Westen sind es 73%. Im Hinblick auf die Wahlpräferenzen ist sowohl die Wähler:innenschaft der Grünen als auch die der Liberalen auffällig: FDP-Anhänger:innen befürworten zu 87% eine interessengeleitete Außenpolitik, während dies bei denen der Grünen nur knapp über die Hälfte sind (53%). Bei SPD-, CDU- und Linkspartei-Anhänger:innen liegen die Zustimmungswerte bei hohen 77 bis 79%. Parteiübergreifend wird somit ein außenpolitischer Kurs, der auch nationale Interessen vertritt, mit großer Mehrheit unterstützt.
In der konkreten Abwägung „Frieden vs. Werte“ sprechen sich zwei Drittel der Befragten für den Erhalt von Frieden und Sicherheit aus, auch wenn dies bedeutet, mit Ländern zu kooperieren, die unsere Werte nicht teilen. Besonders Wähler:innen von FDP (78%), Linkspartei (78%) und SPD (73%) befürworten diesen Kurs. Unions- und Grünen-Anhänger:innen stimmen dem hingegen etwas weniger zu (CDU 63%, Grüne 58%). Insgesamt zeigt sich, dass eine interessengeleitete Außenpolitik zur Bewahrung von Frieden auf breite Unterstützung in der Bevölkerung trifft.
Die Frage, ob Werte außenpolitisch durchgesetzt werden sollen, auch wenn dies Nachteile mit sich bringt, ist umstritten. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten (56%) ist dafür, Werte auch zum eigenen Nachteil durchzusetzen, während 40% dies ablehnen. Die Anhänger:innenschaft der Grünen sticht auch hier heraus: 84% befürworten einen außenpolitischen Kurs, der Werte in den Mittelpunkt stellt, trotz möglicher negativer Konsequenzen. Die Wähler:innenvon SPD, FDP und Union ist in dieser Frage etwas zurückhaltender. Insgesamt finden sich aber bei allen drei Parteien klare Mehrheiten für die Durchsetzung der eigenen Werte trotz damit einhergehender Nachteile.
Die Abhängigkeit von Ländern wie Russland und China ist Vielen ein Dorn im Auge. So sind insgesamt zwei Drittel der Befragten bereit, geringeren Wohlstand für weniger Abhängigkeit in Kauf zu nehmen. Drei Viertel der Wähler:innen von SPD (76%), CDU (76%) und FDP (72%) wollen diese bestehenden Abhängigkeiten trotz möglicher Wohlstandsverluste abbauen. Am höchsten fällt die Zustimmung unter den Grünen-Wähler:innen aus (98%). Eine neue Außenpolitik sollte somit auch das Ziel verfolgen, die Abhängigkeit von autoritären Regimen zu reduzieren.
Ansprechpartner_innen: Catrina Schläger und Jan Engels
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