Levi Sucre kam empört zur COP27. In seiner Rede auf dem Gipfeltreffen von Spitzenpolitiker_innen und weiteren ranghohen Vertreter_innen zum Thema Wald und Klimaschutz am 7. November brachte Sucre vor, dass die Staats- und Regierungschef_innen des Globalen Nordens zwar darüber diskutierten, wie sich der Klimawandel auf die Welt auswirkt, dass aber derweil in seiner indigenen Gemeinschaft in der südlichen Karibikregion Costa Ricas keine Schonfrist vor der Klimakrise herrsche. Sucre, selbst Aktivist und indigener Anführer des Bribri-Volkes sowie Koordinator des Mittelamerikanischen Bündnisses der Völker und Wälder (AMPB), sagt, er wäre lieber zu Hause in Costa Rica. Da es aber notwendig sei Gerechtigkeit einzufordern, habe ihn das dazu veranlasst, die halbe Welt bis ins ägyptische Scharm El-Scheich zu durchqueren.
Vor einem Jahr auf der letzten COP in Glasgow hatten mehrere Unternehmen und Staaten des Globalen Nordens angekündigt, dass sie 1,7 Milliarden US-Dollar spenden würden, um die Bemühungen ländlicher indigener Gemeinschaften zu unterstützen, die sich für die Erhaltung der Wälder einsetzen. Wie aus dem jährlichen Monitoringbericht über die Hilfszusagen für indigene Völker und lokale Gemeinschaften zum Forstschutz (Indigenous Peoples and Local Communities Forest Tenure Pledge) hervorgeht, sind bisher nur sieben Prozent der Mittel direkt an diese Gruppen geflossen. Rund 50 Prozent der im Rahmen dieser Verpflichtung bereitgestellten Mittel wurden über zwischengeschaltete Nichtregierungsorganisationen weitergeleitet und gingen nicht, wie in der Vereinbarung vorgesehen, direkt an die Gemeinschaften.
Laut Sucre sind die meisten dieser Mittel bis heute nicht bei den indigenen Gemeinschaften angekommen, obwohl diese sich für die Erhaltung Tausender Naturschutzgebiete in Lateinamerika einsetzen. Das war einer der Gründe, die Sucre und Dutzende anderer indigener Anführer_innen dazu veranlassten, von den in Ägypten versammelten Weltmächten gezielte Maßnahmen in diesem Bereich zu fordern. Ihre Forderungen sind einfach: Die bereits im Haushalt vorgesehenen Mittel sollen direkt an die indigenen Gemeinschaften gehen und die Regierungen sollen mehr Mittel zur Bekämpfung der Klimakrise in diesen Gebieten bereitstellen.
Klimakrise macht indigene Gemeinschaften noch anfälliger
Die Finanzierung des Waldschutzes ist nur einer der vielen Punkte, die für Costa Ricas indigene Bevölkerung erforderlich sind, um wenigstens so eine Art von Klimagerechtigkeit zu erzielen.
Die letzte Volkszählung in Costa Rica hat ergeben, dass sich mindestens 100.000 Costa Ricaner_innen als zu einer der acht indigenen Gemeinschaften des Landes zugehörig fühlen. Viele von ihnen leben nach Angaben der International Work Group for Indigenous Affairs (IWGIA) unter prekären sozioökonomischen Bedingungen. So leben beispielsweise 70 Prozent der Bribri, dem Volk, aus dem Levi Sucre stammt, unterhalb der Armutsgrenze. Einer der Hauptgründe dafür, so Heylin Sánchez, eine weitere Vertreterin des Bribri-Volkes, die für die Frauenvereinigung Kábata Könana arbeitet, sind die Auswirkungen des Klimawandels auf diese Gemeinschaften: Überschwemmungen treten immer häufiger auf, verhindern eine gute Ernte und lassen die Angehörigen der Gemeinschaften ohne Nahrung zurück, so dass sie gezwungen sind, auf der Suche nach Arbeit aus den Dörfern in die Hauptstadt zu ziehen.
Laut der kolumbianischen Politikwissenschaftlerin und Direktorin für Projekte und Strategie bei der Nichtregierungsorganisation Movilizatorio, Lina Torres, müssen die Staaten versuchen, Rahmenbedingungen einzuhalten, um die irreparablen Schäden auszugleichen, unter denen die indigenen Gemeinschaften leiden. „Klimagerechtigkeit bedeutet letztlich, dafür zu sorgen, dass diese Auswirkungen, die von anderen Ländern verursacht wurden, nicht in gleichem Maße auf die indigenen Gemeinschaften abgewälzt werden“, betont sie.
Indigene Anführer_innen rügen, dass ihre Vorschläge bei der Regierung auf taube Ohren stoßen
Ein weiterer Grund für die Anfälligkeit ihrer Gemeinschaften für die Klimakrise ist nach Sucres Ansicht, dass die Regierung kein Ohr für ihre Anliegen und Maßnahmenvorschläge hat, die umgesetzt werden könnten, damit sie vor den Auswirkungen geschützt sind. „Ja, die Regierungen haben in der Vergangenheit zwar schon einige Dinge [in unseren Dörfern] umgesetzt, aber nie mit dem Ziel vor Augen, die unmittelbaren Probleme des Klimawandels in unseren Gemeinschaften anzugehen [...] Sie müssen uns Gehör schenken“, macht der Anführer des indigenen Volkes geltend.
Sowohl Sucre als auch Sánchez sind der Meinung, dass Costa Rica zumindest versucht hat, die Erhaltung der Wälder seiner Gemeinschaften zu unterstützen, die Behörden es aber bisher noch versäumt haben, diese Gemeinschaften in die Entscheidungen über Klimafragen im Land einzubeziehen. Zudem sind sie der Ansicht, dass die Regierung ihre indigenen Anführer_innen, die im Umweltschutz eine Führungsrolle innehaben, nicht ausreichend schützt.
In den letzten drei Jahren wurden zwei Angehörige indigener Gemeinschaften in Costa Rica ermordet, weil sie sich an der Rückgewinnung von Gebieten beteiligten, in die Landbesitzer_innen und Siedler_innen eingedrungen waren. Beide Fälle wurden von der Regierung nicht aufgeklärt.
Sucre sagt, dass seine Gemeinschaft ihre Projekte zur Stärkung des Klimas fortsetzen wird, unabhängig davon, ob sie dafür Mittel bekommen werden oder nicht. „Wir machen Fortschritte bei der Suche nach Lösungen für die Krise, auch wenn unsere Probleme im Zukunftsbild des Landes stiefmütterlich behandelt werden“, sagt er. Dessen ungeachtet werden sie weiterhin fordern, dass die Staaten ihre Beiträge mit finanziellen Mitteln unterfüttern, in der Hoffnung, dass indigene Lösungen eines Tages bei der Bekämpfung des Klimawandels angemessen berücksichtigt werden.