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Abteilung
Archiv der sozialen Demokratie
Zwischen Judentum und der Sozialdemokratie in Deutschland besteht eine historisch gewachsene, enge Verbindung. Von Beginn an wirkten viele Juden und Jüdinnen in der sozialdemokratischen Bewegung mit, unter ihnen wichtige Persönlichkeiten der organisierten Arbeiter_innenbewegung wie Ferdinand Lassalle, Eduard Bernstein und Rosa Luxemburg.
Bild: Screenshot der Homepage zum Gedenkbuch der Sozialdemokratie 1933 – 1945 von AdsD
Die historische Verbindung von Arbeiter_innenbewegung und Judentum ist das Resultat einer spezifischen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Konstellation, die ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Beide gesellschaftliche Gruppen einte, dass sie ständiger politisch-kultureller Diskriminierung ausgesetzt waren, was dem gemeinsamen Streben nach Emanzipation, sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe Vorschub leistete. Es war dieses Streben nach Emanzipation, das jüdische Menschen und Arbeiter_innenbewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammenbrachte. In den revolutionären Bewegungen sowohl Ost- und Westeuropas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Juden und Jüdinnen gemessen am Bevölkerungsanteil überproportional aktiv. Für jüdische Angehörige der sozialdemokratischen Bewegung spielte ihre jüdische Herkunft jedoch meist nur eine untergeordnete Rolle. Als Sozialist_innen kämpften sie zuvorderst für die Beseitigung politischer und wirtschaftlicher Unfreiheit, gegen die kapitalistische Unterjochung der Menschheit, in der sie auch die Ursache für den überall in Europa grassierenden Antisemitismus ausmachten.
In der Zeit der Weimarer Republik waren Juden und Jüdinnen wie Sozialdemokrat_innen Hauptzielscheibe rechtsnationaler und nationalsozialistischer Propagandahetze. Begriffe wie „Judenrepublik“ waren wirksame Kampfbegriffe des politischen Antisemitismus der rechten Republikfeinde, der nicht nur einen Angriff auf das jüdische Leben in Deutschland darstellte. Er zielte immer auch auf die Zerstörung der Weimarer Demokratie, für die die Sozialdemokratie wie keine andere Partei stand. Von der Stärkung der Republik und der Stabilisierung der Demokratie erhoffte sich die Weimarer Sozialdemokratie auch einen Rückgang des Antisemitismus, gegen den sie einen entschlossenen Kampf führte. Die SPD erarbeitete Argumentationspapiere gegen den weit verbreiteten Antisemitismus, veröffentlichte antifaschistische Broschüren und suchte ihre Mitglieder und Anhänger über die rechte Hetzpropaganda aufzuklären. Das „Republikschutzgesetz“, das 1922 unmittelbar nach dem Mord Rechtsradikaler an Walter Rathenau erlassen wurde, verbot antirepublikanische Organisationen und sollte politisch und rassistisch motivierte Morde unter verschärfte Strafen stellen.
Diese Hoffnung wurde enttäuscht. Mit der Machtübertragung an die Nationalsozialist_innen fanden die Demokratie und mit ihr alle jüdischen Emanzipationsbestrebungen in Deutschland ihr Ende – die Zeit der Verfolgung begann, für Juden und Jüdinnen sowie für die Sozialdemokratie. Ihre Organisationen wurden zerschlagen, ihre Mitglieder verloren ihre politischen Ämter, viele flohen ins Ausland, tausende wurden verhaftet, verschleppt, misshandelt und in Gefängnissen und Konzentrationslagern ermordet. Viele Sozialdemokrat_innen aus Politik und Gewerkschaften waren doppelt Verfolgte: als Politiker_innen und als Juden und Jüdinnen, und sie waren im Nationalsozialismus besonders verhasst.
Ernst Heilmann
Zu den ersten, die der nationalsozialistische Terror traf, zählten die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten und hier insbesondere die aus jüdischer Herkunft. Der in einem jüdischen Elternhaus geborene Ernst Heilmann etwa, der als sozialdemokratischer Spitzenpolitiker der Weimarer Republik seit 1928 ein Reichstagsmandat innehatte, wurde im Juni 1933 von der Gestapo verhaftet. Heilmann war als einer der entschiedensten Verteidiger der parlamentarischen Demokratie einer der meistgehassten Weimarer Politiker gewesen – von der radikalen Rechten wie der radikalen Linken gleichermaßen bekämpft. Die Nationalsozialist_innen entfesselten eine beispiellose Hetzkampagne gegen „den Juden Heilmann“. Wilhelm Frick, der spätere NS-Innenminister, sagte ihm bereits im Juni 1929 im Reichstag voraus, seine Partei (die NSDAP) werde ihn „im kommenden Dritten Reich als ersten in völlig legaler Weise aufhängen lassen.“ Heilmann, den Freunde vergeblich dazu gedrängt hatten, in die Emigration zu gehen, war in Deutschland geblieben. Er wolle nicht „davonlaufen“, denn „unsere Mitglieder, die Arbeiter, können auch nicht davonlaufen“, so Heilmann. Otto Wels‘ berühmte Rede zur Ablehnung des „Ermächtigungsgesetzes“ basierte auf einem gemeinsamen Entwurf, an dem Heilmann mitgearbeitet hatte. Der Leidensweg des jüdischen Sozialdemokraten durch mehrere Konzentrationslager endete Anfang April 1940 im KZ Buchenwald, wo er mit einer Giftspritze brutal ermordet wurde.
Jüdische Gewerkschafter_innen im NS
Auch sozialdemokratische Gewerkschafter_innen jüdischer Herkunft zählten zu den ersten, gegen die sich der nationalsozialistische Unrechtsstaat mit aller Härte wandte. Nach der „Gleichschaltung“ der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 sahen sich viele zur Flucht ins Ausland gezwungen, um einer Verhaftung zu entgehen. Ludwig Rosenberg und Hans Gottfurcht beispielsweise gingen nach England, Toni Sender in die USA und Fritz Naphtali konnte nach Palästina entkommen. Der Gewerkschaftsführer und SPD-Reichstagsabgeordnete Siegfried Aufhäuser, gegen den umgehend ein Haftbefehl erlassen worden war, floh am 4. Mai ins Saargebiet, von wo aus er einige Monate später nach Prag ging und dem Exilvorstand der SOPADE angehörte. Aufhäuser personifizierte in mehrfacher Weise Feindbilder der Nationalsozialisten. Er kam aus einer jüdischen Unternehmerfamilie, war 1912 in die SPD eingetreten und hatte als hauptamtlicher Leiter des Allgemeinen freien Angestelltenbunds zum Scheitern des Kapp-Putschs im Jahr 1920 beigetragen. In der SPD hatte er sich als Protagonist des linken Parteiflügels profiliert. Die Nationalsozialisten diffamierten Aufhäuser, der eine Vielzahl von Spitzenpositionen bekleidet hatte, als „Gewerkschaftsbonzen“, der ihren besonderen Hass auf sich zog.
Elisabeth Kohn
Die Schicksale und Leidenswege der „doppelten Verfolgung“ teilten aber nicht nur prominente Politiker_innen und Gewerkschafter_innen. Zahlreiche „einfache“ Mitglieder der SPD waren jüdischer Herkunft und damit zusätzlich von rassistischer Verfolgung betroffen. Ihre Geschichten sind selten erzählt worden. „Es ist so ungeheuer wichtig, möglichst viele herauszubringen […] auch wegen der Zurückbleibenden. Die Platzfrage, Alles, wäre nicht so beängstigend, wenn es gelänge, in den nächsten Wochen einige hundert in Fahrt zu setzen“, schrieb die sozialdemokratische Anwältin jüdischer Herkunft Elisabeth Kohn Ende März 1941 in einem Brief an Max Hirschberg, der sich als Rechtsanwalt in der Weimarer Republik unter anderem als Verteidiger von Felix Fechenbach, den Sekretär des ermordeten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, einen Namen gemacht hatte. Kohn engagierte sich auf vielfältige Weise, für die SPD, die pazifistische Deutsche Liga für Menschenrechte, den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund und die SPD-Zeitung Münchener Post. Nachdem sie von den Nationalsozialisten mit einem Berufsverbot belegt worden war, arbeitete Kohn in der Fürsorgeabteilung des Wohlfahrtsamtes der Israelitischen Kultusgemeinde von München und half unter dem Dach der Zionistischen Ortsgruppe, andere Juden und Jüdinnen auf ihre Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. Wegen ihrer engen Bindung zu ihrer Mutter wollte Elisabeth Kohn, ebenso wie ihre Schwester, die Malerin Maria Luiko, selbst nicht ausreisen. Nach zahlreichen Schikanen der NS-Behörden wurde sie schließlich am 20. November 1941 zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester ins Ghetto Riga deportiert. Fünf Tage später wurden sie zusammen mit 997 weiteren als Juden verfolgten Münchener_innen in Kaunas erschossen. Kohns Schicksal ist gemeinsam mit den Biografien, Verfolgtengeschichten und Widerstandstätigkeiten anderer Sozialdemokrat_innen im „Gedenkbuch der Sozialdemokratie 1933 bis 1945“ dokumentiert, das als digitaler Erinnerungsort über das Portal zur Geschichte der Sozialdemokratie des Archivs der sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung zugänglich ist.
Bedeutung für die Gegenwart
Für die enge, historisch gewachsene Verbindung von Jüdinnen und Juden mit der Sozialdemokratie markierte der Holocaust einen verheerenden Einschnitt. Die jüdische Linke in Europa wurde fast vollständig vernichtet. Die Schicksale der „doppelt verfolgten“ jüdischen Sozialdemokrat_innen sowie ihr Kampf für Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit müssen Auftrag für uns sein, diese Werte gegen diejenigen zu verteidigen, die sie heute wieder aushöhlen und bekämpfen wollen. Dazu gehört der Kampf gegen den Antisemitismus, egal in welcher Form, in den sozialen Medien, auf Schulhöfen, bis hin zu Vorurteilen, die bis weit in die Mitte und den oberen Rand der Gesellschaft hinein reichen. Denn so wie jüdische und gesellschaftliche Emanzipation historisch miteinander verbunden sind und sich die antisemitische Propaganda der Rechtsnationalen gegen die erste deutsche Demokratie im Ganzen richtete, so ist auch heute jeder Angriff auf jüdisches Leben in Deutschland ein Angriff auf die Demokratie und ihre Grundwerte.
Peter Beule
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