Diese Webseite verwendet Cookies
Diese Cookies sind notwendig
Daten zur Verbesserung der Webseite durch Tracking (Matomo).
Das sind Cookies die von externen Seiten und Diensten kommen z.B. von Youtube oder Vimeo.
Geben Sie hier Ihren Nutzernamen oder Ihre E-Mail-Adresse sowie Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.
Ansprechpartner
PD Dr. Stefan Müller
0228 883-8068
Stefan.Mueller(at)fes.de
Abteilung
Archiv der sozialen Demokratie
Fast alle kennen Rosa Luxemburg und die meisten auch ihre Kampfgefährtin Clara Zetkin. Mathilde Jacob, Luise Kautsky, Sonja Liebknecht und Mathilde Wurm sind häufig nur noch Kennern der sozialdemokratischen Geschichte ein Begriff. Doch wer war Rosi Wolfstein? Sie stand Luxemburg als Schülerin nicht nur besonders nahe, vielmehr ist es ihr Verdienst als preußische Landtagsabgeordnete, dass während der 1920er-Jahre kontinuierlich über den ungeklärten Mord an Luxemburg gesprochen wurde. Doch welchen Stellenwert hatte ihre jüdische Herkunft für ihre politische Haltung?
Bild: Rosi Wolfstein-Frölich mit Paul Frölich im Sommer 1952 von Rechteinhaber_in unbekannt
Vorweg sei gesagt: Rosi Wolfstein mag zwar einer jüdischen Familie entstammen, ist jedoch mit Isaac Deutschers Worten vielmehr eine „nicht-jüdische Jüdin“, wurde also vor allem von ihren politischen Gegnern auf dieses Merkmal ihrer Persönlichkeit reduziert.
Sie kam am 27. Mai 1888 in Witten an der Ruhr zur Welt. Das Elternhaus war politisch und religiös liberal, aber kaisertreu. Nach dem finanziellen Ruin und Selbstmord ihres Vaters Samuel musste Rosi beim Einkommen für sich, ihre Mutter Klara und ihre Geschwister Berta, Wilhelmine und Paul mithelfen. 1905 beendete sie ihre Lehre zur Kauffrau und fand einen ersten Arbeitsplatz in einer Fabrik, kündigte jedoch alsbald, nachdem sie einen Streit des Chefs mit Vorarbeitern belauscht hatte. Dabei ging es um einige Pfennige Lohnerhöhung, was dieser zornerfüllt ablehnte. Dieses Ereignis fremden Unrechts im Kapitalismus, das die junge Frau hier indirekt erfahren hatte, war eines von mehreren Initiationserlebnissen für ihre Politisierung. Fortan arbeitete sie als Kindermädchen in einer bürgerlichen Familie, die den Ideen der Sozialdemokratie zugeneigt war – etwas, das Rosi Wolfstein von zuhause nicht kannte. So legte sie auch die Religiosität ihrer Familie schon recht früh ab, bewahrte sich aber bestimmte Eigenheiten im Sprachgebrauch, wenn sie zum Beispiel von „Schabbes“ statt Samstag sprach oder Menschen mit „Masel tov“ (Viel Glück!) und „Lechajim“ (Auf das Leben!) beglückwünschte.
1908 wurde sie unter dem Eindruck illegaler Kinderarbeit und rechtloser Frauen, die bei Demonstrationen für Gleichberechtigung kämpften, Mitglied der SPD. Zwei Jahre darauf lernte sie ihre spätere Freundin Rosa Luxemburg kennen. Die beiden Frauen verband zeitlebens eine Sache: Sie konnten und wollten im Leid der Juden, die häufig von Antisemitismus betroffen waren, kein singuläres Problem einer religiösen Minderheit erkennen. Vielmehr sahen sie eine Lösung zur Bekämpfung dieser Ungerechtigkeit im Klassenkampf – wenn also allen Unterdrückten, gleich welcher Konfession oder Herkunft, ein
besseres Leben ermöglicht würde, sei indirekt auch den Juden geholfen. Die Emanzipation der Jüdinnen und Juden konnte nur durch die Befreiung der unterdrückten Klassen geschehen. Nachdem Wolfstein 1912 bei insgesamt 35 Wahlkampfveranstaltungen für die SPD geworben hatte, ermöglichte ihr die einflussreiche Freundin einen Platz an der zentralen Berliner Parteischule.
Nach Beginn des Ersten Weltkriegs wandte sich Wolfstein zunächst der innerparteilichen Opposition um Karl Liebknecht zu und ging dann mit ihm den Weg in den Spartakusbund und zur USPD. Insgesamt dreimal wurde Rosi Wolfstein während der Kriegsjahre aufgrund ihrer antimilitaristischen Haltung für mehrere Monate inhaftiert. Nach Kriegsende gehörte sie auf dem Gründungsparteitag der KPD dem Podium als Schriftführerin an. Sie stellte sich dort inhaltlich gegen ihre alte Freundin Rosa Luxemburg, die weder den Namen der Partei noch die Positionierung zur Nationalversammlung unterstützte, sich aber letztlich der Mehrheit fügte. Einer der Wortführer dieser Mehrheit war Paul Frölich – Rosi Wolfsteins späterer Lebensgefährte und Ehemann.
Nach der Ermordung Luxemburgs übernahm Frölich die Herausgabe ihrer gesammelten Werke. Rosi Wolfstein lektorierte und beriet ihn inhaltlich. Diese Tätigkeit im Hintergrund des Entstehungsprozesses, die später lediglich zu einer Erwähnung im Impressum führte, wird in der gegenwärtigen Interpretation häufig als der Moment gewertet, in dem die Frau hinter den Mann zurücktrat. Dabei war Rosi Wolfstein seit dem Ersten Weltkrieg zunächst von Behörden und später von politischen Gegnern aus dem rechtsradikalen Lager aufgrund ihrer Agitation als politische Geistesgröße der Linken erkannt und infolgedessen auch denunziert worden: Man diskriminierte sie als Frau, als Jüdin, als Sozialistin bzw. Kommunistin und damit verbunden auch als vermeintliche Russin. Der frühere Antislawismus fand seit der Oktoberrevolution von 1917 im Antibolschewismus ein neues Feindbild, in das man Wolfstein schlicht einpasste.
Ein französischer Antisemit namens Ambroise Got, der in Berlin 1919 als Freischärler die Revolution niederzuschlagen geholfen hatte, hielt kurze Zeit später fest: „Ob in Berlin, München oder in den Provinzen, die Führer der Bewegung sind die Israeliten, im Ruhrgebiet die Juden Karski und Richter [Ernst] Ruben, in Essen Leo[pold] Dannenberg, die bei der Kriegserklärung nach Holland geflohen waren, Dr. Lewy [= Paul Levi], [Eugen] Leviné, den wir in München finden, die berühmte Rosa Wolfstein – die in die Fußstapfen von Rosa Luxemburg tritt – ehemalige Kassiererin der jüdischen Geschäfte Tietz in Düsseldorf.“
Doch Wolfstein ließ sich durch nichts unterkriegen. Von 1921 bis 1924 war sie Mitglied des Preußischen Landtags. Dort überzogen sie Männer aller politischer Couleur, besonders aber der politischen Rechten, mit chauvinistischen und respektlosen Beleidigungen: „Blamier‘ dich nicht, mein liebes Kind“, „Walküre“ und „blutige Rosi! […], nicht so giftig!“, sind nur drei illustre Beispiele. Die damals 33-Jährige antwortete darauf mit fast schon humorvoller Gelassenheit: „Ich habe die Hoffnung, daß die Stenographen alle Ihre geistvollen Zurufe in das Protokoll aufnehmen, damit diese Kulturkuriosa des deutschen Geistes auch erhalten bleiben.“
Doch schon bald bot die Kommunistische Partei keine passende Heimat mehr. Infolge der „Bolschewisierung“ der KPD demissionierte Wolfstein 1924 von allen politischen Ämtern und Ende 1928 bzw. Anfang 1929 verließen sie und ihr Lebensgefährte Frölich aufgrund der „Stalinisierung“ die KPD, gingen in die KPD-Opposition und von dort 1931 in die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD). Hauptgrund für diese Parteiwechsel war stets das kritische Verhältnis zu Moskau und zur Sowjetunion. In KPD-O und SAPD übernahmen die beiden Antistalinisten wiederum politische Führungsrollen.
Die Machtübergabe an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 schloss ein Kapitel in der innerdeutschen Geschichte für Rosi Wolfstein ab. Während ihr Partner auf der Überfahrt nach Norwegen, die von Willy Brandt organisiert worden war, von den Nazis verhaftet und in das Konzentrationslager Lichtenburg gebracht wurde, musste sie zu Fuß über die grüne Grenze flüchten. Von Aachen gelangte sie so nach Belgien. Zeitgleich wurde ihre Berliner Wohnung von den Nationalsozialisten verwüstet. In Belgien war sie am Aufbau der Auslandsgruppen der SAPD beteiligt, deren Zentrale zunächst in Prag, später in Paris angesiedelt war. Unter dem Decknamen „Marta Koch“ kommunizierte sie mit dem Rest der Partei. Ihren Schwestern konnte sie nicht schreiben, um diese nicht zu gefährden, denn das Reichssicherheitshauptamt war der Geflüchteten auf den Fersen. Berta und Wilhelmine Wolfstein wurden später Opfer der Shoa – ein Schicksal, dem Rosi Wolfstein nur entgehen konnte, weil sie als Jüdin und als Sozialistin gleichermaßen zur Flucht genötigt worden war.
Nachdem die Nazis den Zweiten Weltkrieg begonnen hatten, wurden Deutsche in Frankreich, wo sich Wolfstein ab 1936 aufgehalten hatte, interniert – ganz gleich, ob sie Freunde oder Feinde des NS-Regimes waren. Doch 1941 gelangten Wolfstein und Frölich, der 1933 durch die sogenannte „Weihnachtsamnestie“ aus dem KZ freigekommen und dann nach Frankreich geflüchtet war, mit Notvisa und der Hilfe Varian Frys in die USA. Bis 1950 lebten sie daraufhin in New York, wo sie 1948 schließlich heirateten. Rosi Wolfstein war zu diesem Zeitpunkt bereits 60 Jahre alt. In den USA musste sie sich von linker Politik distanzieren; nicht nur aufgrund des amerikanischen Antikommunismus, sondern schlicht wegen ihrer Arbeit als Nanny und als Fluchthelferin. So finanzierte sie die Forschungstätigkeit des Mannes.
1951 kehrten beide nach Deutschland zurück. In Frankfurt am Main traten sie ein zweites Mal der SPD bei. 1953 starb Paul Frölich. Rosi Wolfstein blieb den Rest ihres Lebens alleinstehend; sie hatte keine Kinder. Aktiv war sie in der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und bei Amnesty International, außerdem beteiligte sie sich am Aufbau der Industriegewerkschaft Druck und Papier. Zu ihrem 95. Geburtstag organisierte Max Diamant eine große Feierlichkeit, um ihrem Lebenswerk zu gedenken. Am 11. Dezember 1987 starb Rosi Wolfstein wenige Monate vor ihrem 100. Geburtstag. Ihr Verhältnis zum Judentum blieb stets ambivalent. Vielmehr verband sie die Befreiung vom Antisemitismus mit den Aufgaben des Sozialismus. Sie hat Diskriminierungserfahrungen gemacht, teilweise als Jüdin, teilweise als Frau, teilweise aber auch mit Unrecht, das ihren Mitmenschen – unabhängig von Religion oder Herkunft – zugestoßen ist. Ihr Ideal war dagegen die Befreiung aller unterdrückter Menschen.
Riccardo Altieri
Es sind gerade die biographischen Annäherungen, die einen spannenden Zugang zur Arbeiter_innenbewegung, ihren zugehörigen Jugendbewegungen und den Verflechtungen zum jüdischen Leben bieten. Der vor 110 Jahren – am 30. Juni 1911 – geborene Fritz Lamm ist so ein Beispiel. Arbeiter_innenbewegung und Sozialismus boten ihm, dem Sohn einer…
Parlamentarische Anfragen sind ein Werkzeug der Opposition, um die Regierung zu kontrollieren. Doch was, wenn die Anfrage zum Mittel wird, um menschenfeindliche Ideologien aus der Tabuzone zu holen? Dieses Problem stellte sich bereits vor knapp hundert Jahren, als die demokratischen Parteien der Weimarer Republik sich im Preußischen Landtag mit…
Der rasante Aufstieg der deutschen Arbeiter_innenbewegung in den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts verlief parallel zur rapiden Integration und Assimilation deutscher Jüdinnen und Juden. Verbunden über den Anspruch auf Emanzipation, hatte dies auch eine überproportionale Beteiligung jüdischer Personen innerhalb der Sozialdemokratie zur Folge.…
Die Biografien von Hugo Haase (1863–1919) und Paul Levi (1883–1930) verbindet schon bei oberflächlicher Betrachtung einiges: Beide stammten aus religiös-praktizierenden jüdischen Elternhäusern. Beide studierten Jura und erarbeiteten sich schnell einen öffentlichen Ruf als kundige Anwälte der Arbeiter_innenbewegung.
Ein Foto von 1976 zeigt Ludwig Rosenberg am Schreibtisch im Arbeitszimmer seines Hauses in Ratingen-Hösel, einem, wie es Werner Höfer treffend beschrieb, bescheidenen Haus im Kapitalistenrefugium Hösel. Auf dem Bücherregal eine Menorah, ein Geschenk der Histadrut, auf dem Schreibtisch ein Wimpel des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, dem er seit…
Zwischen Judentum und der Sozialdemokratie in Deutschland besteht eine historisch gewachsene, enge Verbindung. Von Beginn an wirkten viele Juden und Jüdinnen in der sozialdemokratischen Bewegung mit, unter ihnen wichtige Persönlichkeiten der organisierten Arbeiter_innenbewegung wie Ferdinand Lassalle, Eduard Bernstein und Rosa Luxemburg.
Vor 70 Jahren hielt Adenauer die berühmte Regierungserklärung zur Wiedergutmachung jüdischer Opfer des NS. Der jüdische Sozialdemokrat Jakob Altmeier spielte für das Luxemburger Abkommen eine maßgebliche Rolle.
„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste. Diese Sätze der Verfassung sind von besonderer Wichtigkeit.“
So zitiert das Protokoll der Nationalversammlung in Weimar vom 21. Juli 1919 aus einer Rede von Hugo Sinzheimer. Er prägte als jüdischer Sozialdemokrat und Jurist zwei Kernsätze der Weimarer…
Die Verbindung von jüdischen Menschen und der Arbeiter_innenbewegung mag sich vielen nicht direkt erschließen. Die Berührungspunkte ergeben sich jedoch aus einer Betrachtung der Emanzipationsbewegungen, die sich im Zuge der Industrialisierung in Deutschland bildeten und zeitlich zusammenfielen – die jüdische, die feministische und die…
Manuel Campos berichtet von seinem Weg aus Portugal nach Deutschland, den Erfahrungen von Migrant:innen in der Bundesrepublik seit den 1970er-Jahren und seinem Engagement in der IG Metall.
Das AdsD hat kürzlich den Teilnachlass Elfriede Eilers erschlossen. Aus diesem Anlass widmen wir uns in unserem aktuellen Blogbeitrag der sozialdemokratischen Politikerin und dem bei uns verwahrten Bestand.
Die Erfahrungen im Umgang mit den Republikanern zeigen, warum es in liberalen Demokratien so schwierig ist, rechtsextreme Parteien zu beobachten und zu verbieten. Der Historiker Moritz Fischer argumentiert in einem Gastbeitrag, warum die Bewertung durch den Verfassungsschutz oft ein Teil des Problems ist.