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Ein Foto von 1976 zeigt Ludwig Rosenberg am Schreibtisch im Arbeitszimmer seines Hauses in Ratingen-Hösel, einem, wie es Werner Höfer treffend beschrieb, bescheidenen Haus im Kapitalistenrefugium Hösel. Auf dem Bücherregal eine Menorah, ein Geschenk der Histadrut, auf dem Schreibtisch ein Wimpel des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, dem er seit seiner Gründung 1924 angehört hatte. Das Foto macht Rosenbergs Einstellung deutlich: auf dem Hintergrund der jüdischen Tradition und der bürgerlichen Herkunft der demokratischen Zukunft zugewandt.
Geboren wurde Rosenberg am 1903 in Charlottenburg, wo seine Eltern ein Geschäft für Herren- und Knabengarderoben betrieben. Onkel Benno, der an Polio erkrankte Bruder seiner Mutter, war promovierter Rechtsanwalt und Notar – und der erste und wichtigste Mentor des Jungen. Die Familie sah sich der liberalen Tradition des Judentums verpflichtet, doch der junge Ludwig trat früh schon aus der Gemeinde aus. Er verstand sich zeitlebens weder als Jude noch als Zionist. Auch beruflich verweigerte er sich dem vorgezeichneten Weg: Er verließ die Schule ohne Abitur, den väterlichen Laden verkaufte er bald nach dessen Tod. 1928 wurde er Mitarbeiter der Gewerkschaft der Angestellten, einer liberalen Gewerkschaft, in der er rasch aufstieg.
Als junger Mann begrüßte Rosenberg die neue demokratische Ordnung, erlebte aber auch die politischen Morde und Putsche hautnah mit. Die Demokratie und ihre Gefährdung wurden zu seinem Lebensthema.
Im Frühjahr 1933 setze seine Gewerkschaft ihn, den Juden, vor die Tür. Arbeitslos und verlobt nahm er die Gelegenheit wahr, Deutschland zu verlassen. Seine Verlobte Margot folgte ihm nach London. Bald darauf verheiratet, schlugen sie sich mühsam durch. Erst als das politische Exil in größerer Zahl Großbritannien erreichte, fand er Anschluss, vor allem Hans Gottfurcht wurde ein enger Vertrauter. Dass seine Mutter und sein Onkel wie auch viele weitere Verwandte nicht mehr lebten, ahnte er. 1946 kehrten die Rosenbergs nach Deutschland zurück, er arbeitete für den neugegründeten DGB, seit 1949 saß er in dessen Bundesvorstand, von 1962 bis 1969 als Vorsitzender.
Rosenbergs Verhältnis zu Israel lässt sich als affektiv und emotional beschreiben. 1953 nahm er ersten Kontakt mit israelischen Gewerkschaftern auf, am Rande eines internationalen Kongresses luden jüdische US-Gewerkschafter die Delegationen der Bundesrepublik und Israels zu einem Essen ein. Rosenberg freute sich über die Gelegenheit, „die aus verständlichen Ressentiments herrührenden Gegensätze überbrücken zu können“.
1955 besuchte Rosenberg erstmals Israel. Er beschrieb die Reise als privat, aber viel spricht für eine halboffizielle Reise, denn weil für den Rückflug kein Platz frei war, beschlagnahmte die israelische Regierung kurzerhand einen Sitz in einer Maschine.
Auf Seiten des DGB und der deutschen Gewerkschaften war das Interesse an intensiveren Kontakten zu Israel seit den 1950er Jahren groß, stieß jedoch in Israel auf Skepsis. Die Zurückhaltung blieb auch im Zentralkomitee der Histadrut mit seinen komplizierten politischen Aushandlungsprozessen deutlich spürbar. Das war ganz ähnlich bei der Bundesregierung: 1953 wollte Bundeskanzler Adenauer diplomatische Beziehungen mit Israel, jedoch war Israel noch nicht bereit. So blieb es bei einer Handelsvertretung, der Israelmission in Köln. Hierüber liefen nicht selten Kontakte, solange es noch keine diplomatischen Beziehungen gibt. Ebenso über Rosenberg, der israelische Interessen in die EWG einbrachte, in der er bestens vernetzt war.
1957 fuhr eine erste Delegation des DGB nach Israel, Rosenberg war dabei. Hier traf sie mit dem Vorstand der Histadrut und zahlreichen Regierungsmitgliedern zusammen. Zurück in Deutschland zeigte sich Rosenberg „tief beeindruckt von dem Mut, der Begeisterung und den grossartigen Leistungen” des israelischen Volkes unter größten Schwierigkeiten. Bis zu einem Gegenbesuch der Israelis sollte es jedoch noch zehn Jahre dauern.
Im Herbst 1964 kehrte Rosenberg von einer Reise nach Israel mit der Idee zurück, er wolle auf breiter Basis etwas starten, was Israel helfen werde. In einem vielbeachteten Zeitungsartikel argumentierte Rosenberg nicht nur vehement gegen die 1965 anstehende Verjährung des Nazi-Unrechts. Er forderte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik zu Israel. Die Deutschen müssten tun, „was uns unser Gewissen befiehlt”, und Beziehungen zu Israel aufbauen, so Rosenberg. Um dieses Ziel voranzutreiben, initiierte er eine Unterschriftensammlung, die jedoch weit hinter den Erwartungen zurückblieb, da die Arbeitgeberverbände nicht mitzogen, aber auch weil man den Antisemitismus unter den Arbeitern in den Betrieben unterschätzt hatte. Dennoch war die Aktion im Zusammenwirken mit zahllosen anderen gesellschaftlichen Akteuren letztlich erfolgreich. Bundeskanzler Erhard, der lange auf ablehnende Stimmen aus dem Auswärtigen Amt gehört hatte, stimmte im April 1965 der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu.
Zur gleichen Zeit begann die rechtsextreme Presse, offen gegen den Juden Rosenberg zu hetzen. Ein NPD-Blatt fragte heuchlerisch: „Ewig für Auschwitz zahlen?” In einem anderen Blatt polemisierte ein Holocaustleugner gegen den „Außenminister Rosenberg”, der die finanziellen „Überhänge” des DGB zu einer DM-Diplomatie im Interesse seiner „Public Relations zu Israel” benutze. Die heftigen Angriffe von rechtsaußen riefen aber auch Widerspruch hervor: Im Bundestag sprach der Sozialdemokrat Adolf Arndt die Verleumdung des „Juden Ludwig Rosenberg“ direkt an, die rechtsextreme Presse spreche die „Sprache der potentiellen Mörder von morgen“, so Arndt unter dem Beifall der Abgeordneten. Er fügte hinzu: „Wenn es je etwas Ehrenloseres gab, etwas bis in den letzten Winkel des Schmutzes der eigenen Seele Verlumptes, dann ist das diese ehrlose Haltung solcher Blätter.“
Was auf den ersten Blick paradox erscheinen mag: In dieser Situation begann Rosenberg, von seinem Schicksal und dem seiner Verwandten zu berichten. Doch weiterhin lehnte er es ab, von Zeitungen als Jude in Deutschland befragt zu werden. Wichtiger als die Aussöhnung zwischen den Religionen war ihm stets die offensive Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, mit Widerstand und Verfolgung.
In der Histadrut standen sich unterdessen weiterhin Gegner und Befürworter eines offiziellen Kontaktes mit dem DGB gegenüber. Hillel Seidel, einen Überlebenden des Ghettos von Wilna, konnte Rosenberg mühsam überzeugen, die Beziehungen nicht abzulehnen, wenn er sie auch nicht befürworten wollte. Als während des Sechstagekrieges 1967 DGB und Einzelgewerkschaften beschlossen, den Wiederaufbau Israels finanziell zu fördern, entschloss sich die Histadrut, eine Delegation in die Bundesrepublik zu entsenden. Der deutsche Botschafter in Tel Aviv berichtete nach Bonn, die Teilnehmer der Delegation hätten sich nach ihrer Rückkehr „sehr lobend, ja, geradezu begeistert” über ihren Empfang in der Bundesrepublik geäußert. Sie hätten überall eine große Sympathie für Israel gespürt. Er nannte es „besonders erfreulich”, dass Seidel „überzeugt“ zurückgekehrt sei, die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten sei „notwendig und gut”. Bemerkenswert klar erkannte Seidel den Zusammenhang zwischen der Shoah und der plötzlichen Sympathie für Israel in Westdeutschland: Viele Deutsche „suchen einen Weg, um für die Vergangenheit zu büßen, und sie glauben, daß die Unterstützung des Staates Israel ihnen diese Möglichkeit bietet”.
Kurz nach Rosenbergs Ausscheiden aus dem Amt im Mai 1969 ließ ihn Histradut-Generalsekretär Aharon Becker wissen, er sei fest entschlossen, Deutschland „als Gast des DGB” zu besuchen. In Rosenberg sah er „den Architekten der freundschaftlichen Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen unseren Bewegungen”. Der DGB, jetzt unter Heinz Oskar Vetter, lud die israelische Delegation sogleich offiziell ein. Rosenberg nahm an den offiziellen Unterredungen ebenso teil wie an den Gesprächen mit Bundespräsident Gustav Heinemann, Bundeskanzler Willy Brandt, CDA-Hauptgeschäftsführer Norbert Blüm, Arbeitsminister Walter Arendt und BfG-Chef Walter Hesselbach. Zudem lud er die Delegation, Politiker, Gewerkschafter und Arbeitsdirektoren zu einem Abendessen mit anschließendem Beisammensein in seinem Privathaus ein.
Damit waren Rosenbergs intensive Bemühungen, die seine gesamte Amtszeit durchzogen haben, endlich an ihr Ziel gelangt. 1975 schlossen die Vorsitzenden von DGB und Histadrut, Heinz Oskar Vetter und Yeruicham Meshel, ein Partnerschaftsabkommen, das der inzwischen längst geübten Praxis der Zusammenarbeit formelle Bahnen gab.
Als Rosenberg 1977 starb, rief ihm Becker nach, er hatte „ein besonderes Empfinden für die jüdische Sache, obgleich er in einem bürgerlich-liberalen, assimilierten Haus“ aufgewachsen sei. Und er erinnerte daran, dass „Rosenberg, der Jude“, als er 1957 in Israel auf ihn und andere Funktionäre der Histadrut getroffen sei, seine „besondere Erregung“ nicht habe verbergen können und seither die Probleme Israels mitgelebt habe.
Gegenüber seinem Freund Jakob Moneta hatte Rosenberg angesichts palästinensischer Terrorakte in Israel 1970 bekannt: „Meine Anschauungen zum Zionismus kennst Du: Ich bin kein Zionist und habe das in Israel offen und deutlich so gesagt, daß es sogar dort in den Zeitungen stand. Aber ich bin froh, daß Juden, die als nationale Gruppe in einem eigenen Staat leben wollen, das nach zweitausend Jahren tun können. Für die anderen wie mir zum Beispiel ist es dann freie Entscheidung, daß sie die volle Assimilation mit allen Konsequenzen wählen können – das erste Mal wirklich aus eigener freier Entscheidung.“
Dr. Frank Ahland
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