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Eine Frage von Demütigung und Respekt? Kämpfe um Würde in der Arbeit und ihre politischen Implikationen

Wer leidet unter welchen Missachtungserfahrungen in der Arbeit und kämpft folglich um Würde in der Arbeit? Inwieweit können diese Kämpfe um Würde in der Arbeit auch einen Erklärungsansatz für politisches Stimmverhalten liefern?


Die Studie ist Teil des ProjektsKartographie der Arbeiter:innenklasse, mit dem wir eine Vermessung der (erwerbs-)arbeitenden Gesellschaft vornehmen.


In der Studie „Eine Frage von Demütigung und Respekt?“ untersucht Torben Schwuchow folgende zwei Fragen: 1) Wer leidet unter welchen Missachtungserfahrungen in der Arbeit und kämpft folglich um Würde in der Arbeit? 2) Inwieweit können diese Kämpfe um Würde in der Arbeit auch einen Erklärungsansatz für politisches Stimmverhalten liefern? Die Untersuchung basiert auf den FES-Umfragedaten des Projektes „Kartographie der Arbeiter:innenklasse“ bei der im Sommer 2023 über 5.000 Personen in Deutschland befragt wurden.


Wer leidet unter Demütigung bei der Arbeit?


Eine Clusteranalyse ergibt bei einigen Merkmalen eine deutliche Zweiteilung: Diejenigen, die unter institutionellen Demütigungen (Kontrollverlust und / oder Behandlung als Bürger:in zweiter Klasse) leiden, sind vor allem Skilled Workers sowie Lower-Grade-Service-Kräfte. Dagegen sind in den beiden Clustern, die keine institutionellen Demütigungen fürchten müssen, Higher- Grade-Service-Kräfte am stärksten und Skilled Workers am schwächsten vertreten. Auch der Blick auf die Schulbildung lässt diesen Dualismus erkennen: Während Real- und Hauptschulabschlüsse in Gruppen, die unter institutionellen Demütigungen und schwachen Würdestrategien in der Arbeit leiden, die Mehrheit ausmachen, kippt dieses Verhältnis in den Gruppen, die keine institutionellen Demütigungen haben, in die andere Richtung. Hier sind Abitur und Hochschulabschlüsse deutlich überrepräsentiert.
 


Hat der Kampf um Würde in der Arbeit auch einen Einfluss auf politisches Stimmverhalten?


Um diesen Zusammenhang genauer zu untersuchen, wurden logistische Regressionsanalysen unter Ausgabe von Average-Marginal-Effekten durchgeführt:


Modell zur AfD-Wahl

Das Cluster „schwache Würdestrategien“ hat laut Regressionsanalyse einen erklärenden Einfluss auf die Wahlabsicht der AfD. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit der AfD-Wahl unter denjenigen, die schwache Strategien der Gegenwehr in der Arbeit besitzen, um sieben Prozentpunkte höher als unter denjenigen, die unter keinen institutionellen Demütigungen in der Arbeit leiden. Ebenfalls signifikant ist, dass eine ablehnende Haltung gegenüber Migration sowie der EU die Wahrscheinlichkeit der AfD Wahl erhöhen. In der Migrationskritik liegt der Unterschied bei 17 Prozentpunkten gegenüber denjenigen, die Migration begrüßen. Im Falle der kritischen Haltung gegenüber der Mitgliedschaft Deutschlands in der EU ist die Wahrscheinlichkeit, AfD zu wählen gegenüber denen, die diese Mitgliedschaft begrüßen, sogar um 19 Prozentpunkte höher. Auch Menschen mit Abstiegssorgen wählen statisch häufiger die AfD als Menschen ohne Abstiegssorgen, der Unterschied beträgt dabei sechs Prozentpunkte. Ebenfalls signifikant ist die Angabe derjenigen, die sich noch in der Schule (mit dem Ziel Abitur) befinden. Allerdings weist dieser Wert einen sehr hohen Standardfehler auf.
 


Modell zur SPD-Wahl

Beim Blick auf die Prädikatoren der SPD-Wahl zeigen sich deutliche Unterschiede. So wählen diejenigen, die unter beiden institutionellen Demütigungen in der Arbeit leiden, seltener die SPD als diejenigen mit sehr guten Arbeitsbedingungen. Das bedeutet umgekehrt, dass die SPD vor allem unter denjenigen mit sehr guten Arbeitsbedingungen statistisch häufiger gewählt wird (Differenz liegt bei neun Prozent). Allerdings scheint es hier Unterschiede zu geben, denn diejenigen, die vor allem über Selbstentfaltung am Arbeitsplatz verfügen, wählen wiederum seltener die SPD.

Realschüler:innen zeigen eine leicht signifikante größere Wahrscheinlichkeit der SPD-Wahl. Gegenüber Menschen mit Hochschulabschluss liegt die Wahrscheinlichkeit hier um sieben Prozentpunkte höher. Eine Befürwortung von staatlicher Umverteilung sowie der EU beeinflussen die SPD-Wahl ebenfalls positiv. Insgesamt fällt aber auf, dass die Modellgüte (R2: 9) sehr niedrig ist. Die in dem Modell aufgenommenen Variablen können die SPD-Wahl daher insgesamt nicht zufriedenstellend erklären.
 


Modell zu Bündnis 90 / Die Grünen- Wahl

Anders als bei der AfD und der SPD zeigen die Cluster keinerlei statistische Relevanz in der Untersuchung der Wahl von Bündnis 90 / Die Grünen. Dafür erklärt der Bildungsabschluss sowie das Haushaltseinkommen diese Wahlentscheidung. Gegenüber Realschüler:innen zeigen Hochschulabsolvent:innen eine um 16 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit der Wahl für Bündnis 90 / Die Grünen. Ähnliches lässt sich beim Einkommen feststellen: Gegenüber der untersten Einkommensklasse (unter 1.500 Euro) zeigt die oberste Einkommensklasse eine um 24 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, Bündnis 90 / Die Grünen zu wählen. Im starken Kontrast zu den AfD-Wähler:innen steigt zudem mit Zustimmung zur Migration und EU die Wahrscheinlichkeit der Wahlabsicht für Bündnis 90 / Die Grünen. Auf der anderen Seite wählen Menschen ohne Abstiegssorgen Bündnis 90 / Die Grünen statistisch häufiger als Menschen mit Abstiegssorgen. Genauso wie in der Wahluntersuchung der SPD zeigt sich, dass eine Zustimmung zu staatlicher Umverteilung die Wahrscheinlichkeit der Wahl von Bündnis 90 / Die Grünen erhöht.
 


Fazit
 

Diejenigen, die unter Berücksichtigung der subjektiven und objektiven Kriterien der Arbeiterklasse am stärksten zugehörig sind, leiden auch am stärksten unter institutionellen Demütigungen in der Arbeit und müssen daher um Würde in der Arbeit kämpfen. Es zeigt sich also ein Zusammenhang zwischen Klassenzugehörigkeit und Entwürdigungserfahrungen in der Arbeit. Das Bild der Fragmentierung oder gar Auflösung der Arbeiterklasse ist also falsch. Die Demütigungserfahrungen und die Kämpfe um Würde in der Arbeit scheinen vielmehr ein verbindendes Klassenelement zu sein (bzw. auf der anderen Seite würdewahrende Arbeitsverhältnisse der oberen Klassen), auch wenn sich daraus kein kollektives politisches Bewusstsein ableiten oder beobachten lässt.
 


Die logistische Regressionsanalyse zur Frage, ob Kämpfe um Würde in der Arbeit auch einen Einfluss auf politisches Stimmverhalten haben, zeigt, dass dies für die AfD-Wahl zutrifft. Mangelnde Strategien der Gegenwehr in der Arbeit können also durchaus ein erklärender Faktor der AfD-Wahlabsicht sein. Grund hierfür könnte die Tatsache sein, dass aufgrund fehlender Strategien der Gegenwehr am Arbeitsplatz, der Kampf um Würde in der Arbeit auf andere Instanzen ausgegliedert wird. In der Wahl einer rechtspopulistischen Partei äußert sich möglicherweise demnach auch der Protest gegen die Entwürdigungserfahrungen in der Arbeit. Diese Erklärung schließt andere Erklärungen der AfD-Wahl nicht aus. Wie in der Regressionsanalyse deutlich wird, sind vor allem ablehnende Haltungen gegenüber der EU, Abstiegssorgen sowie Kritik an der Migration zentrale Gründe für die AfD-Wahl.

Quasi spiegelverkehrt gestalten sich die Erklärungsfaktoren für die Wahl von Bündnis 90 / Die Grünen. Hier sind keine Abstiegssorgen sowie eine Befürwortung von Migration, Umverteilungsprojekten und der EU ausschlaggebende Faktoren. Zudem zeigt sich, dass hohe Einkommen und Bildungsabschlüsse ebenfalls die Wahrscheinlichkeit der Wahl von Bündnis 90 / Die Grünen deutlich erhöhen.

Beim Blick auf die SPD konnte festgehalten werden, dass gute Arbeitsbedingungen (keine institutionellen Demütigungen) die Wahrscheinlichkeit einer Stimmabgabe für die SPD erhöhen. Ebenso wie bei Bündnis 90 / Die Grünen steigt mit der Befürwortung staatlicher Umverteilung sowie der EU die Wahrscheinlichkeit einer Stimmabgabe für die SPD. Allerdings muss hier die niedrige Modellgüte beachtet werden. Die SPD-Wahl konnte mit dem Modell insgesamt nicht gut erklärt werden.
 


Der Blick auf den Kampf um Würde in der Arbeit kann in den hier vorgestellten Modellen einzig die Wahrscheinlichkeit einer AfD-Wahl erklären. Dieser Befund deckt sich mit anderen Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass fehlender Stolz in der Arbeit und schlechte Arbeitsbedingungen ein Merkmal der AfD-Wählerschaft sind. Das ist für linke Parteien sicherlich eine Herausforderung wie auch eine mögliche Chance, um verloren gegangene Stimmen zurückzugewinnen. Bedenkenswert ist aus sozialdemokratischer Sicht zudem der Befund, dass Abstiegssorgen eine AfD-Wahl erklären. Auch wenn unklar ist, was diese Sorgen begünstigen und wer genau diese äußert, könnte es doch eine Aufgabe linker Parteien sein, auch diejenigen zu erreichen, die von Umverteilungsprojekten (die ein Teil der Wählerschaft der SPD sowie von Bündnis 90 / Die Grünen durchaus begrüßt) profitieren würden und derzeit von Abstiegssorgen geplagt werden.

 

Über den Autor
 

Torben Schwuchow ist Forschungsassistent am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung, wo er zu demokratietheoretischen und politik-ökonomischen Themen arbeitet. Zuletzt veröffentlichte er 2023 „Kampf um Würde in der Arbeit: Rechtspopulismus als Ausdruck eines moralischen Unrechtsempfindens“.


Ansprechpartner in der FES

Jan.Engels(at)fes.de


 

Schwuchow, Torben

Eine Frage von Demütigung und Respekt?

Kämpfe um Würde in der Arbeit
Berlin, 2024

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